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STUDIE REFERIERT
Neu und ultralang wirksam: Insulin degludec
Was bringt das Langzeitbasalinsulin für Typ-1- und Typ-2-Diabetiker?
Trotz grosser Fortschritte in der Insulintherapie gibt es nach wie vor offene Fragen und Wünsche: Wie kann die Inzidenz von Hypoglykämien reduziert werden? Lässt sich die Gewichtszunahme unter einer Insulintherapie verhindern? Wie kann man weitere unerwünschte Effekte supraphysiologisch hoher Insulinkonzentrationen vermeiden? Ob das ultralang wirksame Basalinsulin Insulin degludec Antworten auf diese Fragen gibt, wird derzeit lebhaft diskutiert.
LANCET
Die meisten Typ-1-Diabetiker erhalten heute eine Basis-Bolus-Insulintherapie, bei der einmal täglich ein lang wirk-
Merksätze
❖ Insulin degludec ist ein ultralang wirksames Basalinsulin, das sich derzeit in klinischer Entwicklung befindet.
❖ Nach subkutaner Injektion bildet Insulin degludec lösliche Multi-Hexamere. Dies führt zu einem Depot, aus dem Monomere langsam und kontinuierlich in den Kreislauf gelangen.
❖ Im Steady-State zeigt Insulin degludec ein stabiles, flaches Wirkprofil und eine terminale Halbwertszeit von über 25 Stunden. Die Wirkdauer liegt bei über 40 Stunden.
❖ In klinischen Vergleichsstudien bei Typ-1und Typ-2-Diabetes war die Hypoglykämierate unter Insulin degludec geringer als unter Insulin glargin.
sames Basalinsulin gespritzt wird, und zusätzlich zu den Mahlzeiten ein rasch wirksames Insulin. Studien haben gezeigt, dass eine intensive Basis-BolusInsulintherapie die glykämische Kontrolle verbessert und das Risiko langfristiger, mit dem Typ-1-Diabetes assoziierter Komplikationen senkt. Auch viele Typ-2-Diabetiker benötigen im Krankheitsverlauf eine Insulintherapie, da die Funktion der Betazellen immer mehr nachlässt. Wenn Lebensstilinterventionen, orale Antidiabetika und GLP-1-basierte Therapien nicht mehr ausreichen, wird häufig ein Basalinsulin verabreicht. Nach einigen Jahren muss bei vielen Typ-2-Diabetikern auf eine Basis-Bolus-Insulintherapie gewechselt werden. Insulin degludec ist ein neu entwickeltes, ultralang wirksames Basalinsulin. Nach der subkutanen Injektion bilden sich im Fettgewebe lösliche MultiHexamere, die kontinuierlich Insulin in die Blutbahn abgeben. Im Steady State zeigt Insulin degludec ein stabiles, flaches Wirkprofil und eine terminale Halbwertszeit von über 25 Stunden. Die Wirkdauer liegt bei über 40 Stunden. Im Vergleich zu Insulin glargin (Lantus®) weist Insulin degludec eine geringere Variabilität der Insulinwirkung auf. Wie sicher und wirksam Insulin degludec im Vergleich zu dem lang wirksamen Insulin glargin ist, wurde kürzlich in zwei Phase-III-Studien mit Typ-1- beziehungsweise Typ2-Diabetikern untersucht und in «Lancet» veröffentlicht.
Typ-1-Diabetes: weniger nächtliche Hypoglykämien unter Insulin degludec An einer offenen, randomisierten, multizentrischen Einjahresstudie nahmen 629 Typ-1-Diabetiker mit einem HbA1c-Wert ≤ 10 Prozent teil, die seit mindestens einem Jahr eine Basis-
Bolus-Insulintherapie erhalten hatten. 472 Teilnehmer bekamen randomisiert Insulin degludec, die übrigen 157 wurden mit Insulin glargin behandelt. Primärer Endpunkt der Studie war die Nichtunterlegenheit von Insulin degludec im Vergleich zu Insulin glargin, beurteilt anhand der Reduktion des HbA1c-Werts nach 52 Wochen. Nach einem Jahr war der HbA1c um 0,4 Prozent (unter Insulin degludec) beziehungsweise um 0,39 Prozent (unter Insulin glargin) gesunken. Damit beträgt die geschätzte Behandlungsdifferenz -0,01 Prozent (95%-Konfidenzintervall [KI] 0,14–0,11; p < 0,0001 für die Nichtunterlegenheitstestung). 188 (40%) beziehungsweise 67 (43%) der Teilnehmer erreichten einen HbA1c-Zielwert von unter 7 Prozent. Die Rate an nächtlichen bestätigten Hypoglykämien war unter Insulin degludec um 25 Prozent geringer als unter Insulin glargin (4,41 versus 5,86 Episoden pro Patientenbehandlungsjahr; geschätzte Rate Ratio [RR] 0,75 [0,59–0,96]; p = 0,021). Die Gesamtrate an ernsten Nebenwirkungen war für die Insulin-degludec- und die Insulin-glargin-Gruppe vergleichbar (14 versus 15 Ereignisse pro 100 Patientenbehandlungsjahre). «Insulin degludec kann für Patienten mit Typ-1-Diabetes ein nützliches Basalinsulin sein, da es eine effektive glykämische Kontrolle bietet und das Risiko für nächtliche Hypoglykämien – eine der Hauptlimitationen der Insulintherapie – senkt», fassen die Autoren zusammen (1). Weniger Unterzuckerungen bei Typ-2-Diabetikern Eine weitere Nichtunterlegenheitsstudie wurde mit Typ-2-Diabetikern durchgeführt. An dieser offenen, randomisierten, multizentrischen Einjahresstudie nahmen rund 1000 Patienten teil, die nach einer mindestens dreimonatigen Insulintherapie (mit oder ohne orale Antidiabetika) HbA1c-Werte zwischen 7,0 und 10,0 Prozent aufwiesen. Die Teilnehmer wurden im Verhältnis 3:1 randomisiert einer subkutanen Therapie mit Insulin degludec oder Insulin glargin zugeführt. Das Basalinsulin wurde einmal täglich subkutan injiziert und so titriert, dass die vor dem Frühstück gemessenen Nüchternblutzuckerwerte zwischen 3,9 und < 5,0 mmol/l lagen. Primärer Endpunkt 1288 ARS MEDICI 23 ■ 2012 STUDIE REFERIERT der Studie war die Nichtunterlegenheit von Insulin degludec im Vergleich zu Insulin glargin, beurteilt anhand der Veränderungen des HbA1c-Werts vom Beginn bis zum Ende der Studie nach 52 Wochen. Bei allen behandelten Patienten wurden zudem die Hypoglykämieraten erfasst. Nach einem Jahr war der HbA1c-Wert um 1,1 Prozent in der Insulin-degludecGruppe und um 1,2 Prozent in der Insulin-glargin-Gruppe zurückgegangen (geschätzte Behandlungsdifferenz Degludec-Glargin 0,08%, 95%-KI -0,05– 0,21), was die Nichtunterlegenheit von Insulin degludec bestätigte. Die Gesamtraten an bestätigten Hypoglykämien waren unter Insulin degludec geringer als unter Insulin glargin (11,1 versus 13,6 Episoden pro PatientenBehandlungsjahr; geschätzte RR 0,82; 95%-KI 0,69–0,99; p = 0,0359). Dies traf auch für die nächtlichen bestätigten Hypoglykämien zu (1,4 versus 1,8 Episoden pro Patientenbehandlungsjahr; RR 0,75; 95%-KI 0,58–0,99; p = 0,0399). Die Raten an weiteren unerwünschten Ereignissen waren in beiden Gruppen vergleichbar. «Die signifikant tiefere Rate an nächtlichen Hypoglykämien mit Insulin degludec bei ähnlicher Glykämiekontrolle könnte für Patienten mit seit Langem bestehendem Typ-2-Diabetes und (daher) notwendiger Basis-Bolus-Insulintherapie eine sicherere Option bieten», so das Fazit der Autoren (2). Kommentar Hypoglykämien (oder die Angst davor) sind der Hauptgrund dafür, dass unter Insulintherapie oft keine normalen Glukosekonzentrationen erreicht werden. Hypoglykämien werden teilweise durch eine variable Insulinabsorption aus subkutanem Fettgewebe verursacht. Die geringeren Hypoglykämieraten, die in diesen beiden Studien mit Insulin degludec beobachtet wurden, lassen eine geringere Variabilität der Glukosekonzentrationen vermuten. Doch ob dies zu einem klinischen Benefit führt, muss erst noch nachgewiesen werden. Die beiden Phase-III-Studien mit Insulin degludec zeigen, dass das lang wirksame flache Profil des subkutanen Basalinsulindepots eine wertvolle Er- gänzung des bis heute verfügbaren In- sulinspektrums sein könnte. «Degludec ist keine Revolution, aber eine Evolu- tion der Insulintherapie für Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes», lautet die Einschätzung der «Lancet»-Kom- mentatoren (3). ❖ Andrea Wülker Quellen: 1. Heller S et al.: Insulin degludec, an ultra-longacting basal insulin, versus insulin glargine in basal-bolus treatment with mealtime insulin aspart in type 1 diabetes (BEGIN Basal-Bolus Type 1): a phase 3, randomized, open-label, treat-to-target non-inferiority trial. Lancet 2012; 379: 1489–1497. 2. Garber AJ et al.: Insulin degludec, an ultra-longacting basal insulin, versus insulin glargine in basal-bolus treatment with mealtime insulin aspart in type 2 diabetes (BEGIN Basal-Bolus Type 2): a phase 3, randomized, open-label, treat-to-target non-inferiority trial. Lancet 2012; 379: 1498–1507. 3. Tahrani AA et al.: Insulin degludec: a new ultralongacting insulin. Lancet 2012; 379: 1465–1467. Interessenlage: Die beiden Studien wurden von der Firma Novo Nordisk gesponsert. Die Autoren der beiden Studien erhielten Forschungsgelder, Beratungs- und Referentenhonorare von verschiedenen pharmazeutischen Unternehmen, unter anderem auch von Novo Nordisk. Das gilt auch für die drei Verfasser des «Lancet»-Kommentars. 1290 ARS MEDICI 23 ■ 2012