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Prophylaxe gegen Blasenentzündung
Cranberry bringt wahrscheinlich doch nichts
Foto: Muffet, cc
Cranberry wird von der European Association of Urology trotz mangelnden pharmakologischen Daten und wenigen, schwachen klinischen Studien zur Prophylaxe der rezidivierenden akuten unkomplizierten Zystitis mit dem niedrigsten Empfehlungsgrad, C, eingestuft (Expertenkonsens und/oder kleine, retrospektive Studien); der Saft beziehungsweise die Präparate sollten eine Mindestzufuhr der aktiven Substanz Proanthocynindin A von 36 mg pro Tag sicherstellen; diese Substanz kann das Anheften von Bakterien an der Blasenwand verhindern. Die Autoren eines kürzlich publizierten aktualisierten Cochrane-Review kommen nun zu dem Schluss, dass die Wirksamkeit von Cranberrysaft wahrscheinlich noch geringer ist als bis anhin angenommen. Vor der Aktua-
lisierung schien einiges dafür zu sprechen, dass Cranberrysaft die Anzahl akuter, unkomplizierter Zystitiden (UTI) zu senken vermag, insbesondere bei Frauen mit rezidivierenden Blasenentzündungen. Nachdem man nun 14 weitere Studien in die CochraneAnalyse einbezogen hat, sieht die Bilanz für Cranberrysaft schlechter aus. Obgleich einige kleine Studien einen kleinen Nutzen für Frauen mit rezidivierender Zystitis ergaben, erreichte dieser Effekt keine statistische Signifikanz mehr, sobald man eine sehr viel grössere Studie ebenfalls berücksichtigte: «Es gab einen schwachen Trend zu weniger UTI bei Personen, die Cranberryprodukte nahmen, im Vergleich zu Plazebo oder keiner Behandlung, aber das war ein statistisch nicht signifikantes Ergebnis», so die Autoren (RR 0,86; 95%-Konfidenzintervall: 0,71–1,04). Überdies hätten viele Studienteilnehmer vorzeitig mit dem Cranberrysafttrinken aufgehört, so dass dessen Langzeitkonsum möglicherweise keine für den Alltag geeignete Massnahme sei. Angesichts der hohen Abbrecherrate in den Cranberrystudien und dem recht bescheidenen potenziellen prophylaktischen Effekt könne man Cranberrysaft nicht mehr als vorbeugende Mass-
nahme gegen akute, unkomplizierte
Blasenentzündungen empfehlen, mei-
nen die Cochrane-Autoren. Auch an-
dere Cranberrypräparate wie Tabletten
oder Kapseln hätten sich nicht als
prophylaktisch wirksam erwiesen be-
ziehungsweise als genauso wenig wirk-
sam wie Antibiotika zur Prophylaxe
(RR 1,31, 95%-Konfidenzintervall:
0,85–2,02). Die Cochrane-Autoren
spekulieren, dass in Cranberrypräpara-
ten möglicherweise zu wenig der akti-
ven Substanz enthalten war, zumal bei
vielen dieser Präparate Angaben dazu
fehlten.
Für die Aktualisierung des Cochrane-
Reviews wurden 24 Studien einbezo-
gen, mit insgesamt 4473 Probanden.
10 dieser Studien waren bereits Be-
standteil des alten Cochrane-Reviews
aus dem Jahr 2008, 14 Studien kamen
nun neu hinzu. Cranberrysaft oder -
konzentrat wurde in 13 Studien mit
2380 Probanden getestet, in 9 Studien
untersuchte man die Wirkung von Cran-
berrytabletten oder -kapseln (1032
Probanden) und in je 1 Studie verglich
man den Saft mit Tabletten beziehungs-
weise Kapseln.
RBO❖
Jepson RG, Williams G, Craig JC. Cranberries for preventing urinary tract infections. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Oct 17;10:CD001321.
Herztod im Winter
Das Wetter ist nicht schuld
Dass es im Winter mehr Herzinfarkte gibt als im Sommer, hat offenbar nichts mit dem Wetter zu tun. Dies berichtete Bryan G. Schwartz am diesjährigen AHA-Kongress. Er hatte sich mit seinem Kollegen Robert A. Kloner am Heart Institute, Good Samaritan Hospital, Los Angeles, die Sterberegister verschiedener US-Gliedstaaten der Jahre 2005 bis 2008 genauer angeschaut. Tatsächlich fanden sich besonders viele kardiale Todesfälle im Winter, nämlich eine um beachtliche 26 bis 36 Prozent höhere Rate. Aber: Dieses Phänomen
fand sich nicht nur in den Regionen mit strengen Wintern, wie Pennsylvania, Massachusetts oder Washington, sondern auch in Los Angeles, Texas, Georgia und Arizona, wo die Winter bekanntermassen sehr mild ausfallen und das Wetter im Winter sogar eher angenehmer als im Sommer ist. Die Gründe für den Anstieg der Herztode im Winter – sei er nun mild oder streng – ist unklar. Möglicherweise läge es auch daran, dass die Menschen im Winter weniger gesund lebten als im Sommer, spekulierte Schwartz. RBO❖
Abstract 11723: Schwartz BG, Kloner RA: Seasonal Variation in Cardiac Death Rates is Uniform across Different Climates. Circulation 2012; 126 (21) Supplement Nov 20, 2012; und Pressemeldung der American Heart Association (AHA).
1262 ARS MEDICI 23 ■ 2012
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Frozen shoulder
Hyaluronsäure ohne Zusatznutzen
PREISGEKRÖNT
Patienten mit adhäsiver Kapsulitis der Schulter werden meist zunächst konservativ behandelt (NSAR plus Physiotherapie). In einer kleinen randomisierten Studie mit 70 Patienten zeigte sich, dass die zusätzliche Injektion von Hyaluronsäure keinen zusätzlichen Nutzen bringt. Alle Patienten erhielten Physiotherapie, die Hälfte von ihnen zusätzlich intraartikuläre Injektionen mit Hyalonsäure (20 mg, 1× pro Woche für 3 Wochen). In beiden Gruppen waren ein Rückgang von Schmerzen und Behinderung sowie eine Stei-
gerung der Lebensqualität zu verzeichnen, und die aktive wie die passive Beweglichkeit des Schultergelenks verbesserte sich mit der Zeit. Für keinen der Parameter zeigte sich ein statistisch signifikanter Unterschied mit oder ohne Hyaluronsäureinjektionen. RBO❖
Hsieh LF, Hsu WC, Lin YJ et al: Addition of intra-articular hyaluronate injection to physical therapy program produces no extra benefits in patients with adhesive capsulitis of the shoulder: a randomized controlled trial. Arch Phys Med Rehabil 2012; 93(6): 957–964.
Alzheimer
Neues Frühwarnsystem
Forscher des Inselspitals und der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern haben als erste in der Schweiz ein Verfahren entwickelt, mit dem sich anhand eines Magnetresonanztomogramms (MRT) frühe Hinweise auf eine Alzheimer-Erkrankung feststellen lassen. Ihnen ist es gelungen, mit dem MRT Alzheimer-typische Eiweissablagerungen im Gehirn nachzuweisen. Wie die in der Fachzeitschrift «American Journal of Neuroradiology» veröffentlichte Studie zeigt, erzielt das Verfahren eine Trefferquote von 92 Prozent. Die Berner Wissenschaftler hatten in der Studie 54 Personen untersucht; ein Drittel hatte nur leichte Gedächtnisstörungen (mild cognitive impairment, MCI), ein Drittel wies AlzheimerSymptome auf, und 18 Personen waren Teil der Kontrollgruppe. «Wir möchten Alzheimer feststellen, bevor er ausbricht», sagt Dr. Claus Kiefer, Magnetresonanzphysiker am Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie des Inselspitals. Das von ihm gemeinsam mit Neuroradiologen und Psychologen entwickelte Modell kommt diesem Ziel ein Stück näher. Bei Alzheimer-Patienten lagern sich noch vor dem Auftreten der Symptome die krankheitsbedingt veränderten Proteine im Gehirn ab und können so einen Hinweis auf einen bevorstehenden Ausbruch der Erkrankung liefern. Das Problem bestand bisher jedoch darin, dass diese Ablagerungen mit einem Routine-MRT nicht sichtbar waren. Mit dem neu entwickelten physikalischen
Modell kann die Konzentration der vorhandenen Proteine berechnet werden. «Je früher man Alzheimer erkennt, desto eher kann man mit der Behandlung beginnen», sagt Prof. Dr. Roland Wiest, Leitender Arzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie und Leiter der Studie. Noch gibt es allerdings keine Medikamente, die man zu Beginn der Krankheit einsetzen könnte. Zurzeit wird weltweit nach Methoden zur Früherkennung und zur Frühbehandlung von Alzheimer geforscht. Vor einem Einsatz als «Alzheimer-Test» müssen mit dem neuen Berner Verfahren jetzt zunächst noch weitere Daten gesammelt und ausgewertet werden.
red/Pressemeldung Inselspital Bern❖
R. Wiest et al.: Classification of Mild Cognitive Impairment and Alzheimer Disease Using Model-Based MR and Magnetization Transfer Imaging. AJNR Am J Neuroradiol 2012; Oct 11. doi: 10.3174/ajnr.A3307.
Krebsforscher ausgezeichnet
Prof. Dr. Joerg Huelsken
Prof. Dr. Roger Stupp
Die Krebsliga Schweiz hat ihren mit 100 000 Franken dotierten Robert-Wenner-Preis 2012 an den Molekularbiologen Prof. Dr. Joerg Huelsken, ETH Lausanne, verliehen. Der mit 10 000 Franken dotierte Krebspreis ging in diesem Jahr an Prof. Roger Stupp, klinischer Krebsforscher am Universitätsspital Lausanne (CHUV/ UNIL) und Chefarzt der Spitäler in Vevey und Monthey.
Mit dem Robert-Wenner-Preis werden Krebsforscherinnen und -forscher unter 45 Jahren für exzellente Forschungsresultate und viel beachtete wissenschaftlichen Publikationen ausgezeichnet. Joerg Huelsken erhielt den Preis für Forschungsarbeiten über die zentrale Rolle von Krebsstammzellen für das Wachstum und die Metastasierung von Tumoren. Er konnte mit seinem Team erstmals Krebsstammzellen in Hauttumoren von Mäusen nachweisen und sie im Tiermodell blockieren, indem die Kommunikation der Krebsstammzellen mit den Zellen in ihrer Umgebung unterbunden wurde. Vor Kurzem gelang es dem Lausanner Team überdies, durch die Blockade eines essenziellen Signalmoleküls Krebsstammzellen daran zu hindern, neue Metastasen zu bilden.
Den Krebspreis verleiht die Krebsliga Schweiz an
Persönlichkeiten, die sich mit herausragenden For-
schungsarbeiten oder durch ihre engagierte Förderung
wissenschaftlicher Tätigkeiten zur Prävention, Früher-
kennung sowie Bekämpfung von Krebs verdient ge-
macht haben. Roger Stupp wurde für die bedeutenden
Fortschritte bei der Behandlung von Patientinnen und
Patienten mit Hirn- und Lungentumoren sowie seine
führende Rolle in der europäischen Krebsforschung
ausgezeichnet. Seit vielen Jahren initiiert und leitet
Stupp grosse klinische Studien auf europäischer
Ebene mit dem Ziel, die Therapie von Patienten mit
Glioblastom und fortgeschrittenem Lungenkrebs zu
verbessern.
RBO❖
ARS MEDICI 23 ■ 2012 1263