Transkript
STUDIE REFERIERT
Initiale antiretrovirale Therapie bei HIV-Patienten
Welche Kombinationstherapie ist für welche Patientinnen und Patienten am besten geeignet?
Heute sind mehr als 20 Wirkstoffe für die antiretrovirale Therapie bei Infektionen mit dem humanen Immundefizienzvirus (HIV) verfügbar. Die Wahl der initialen Medikamentenkombination wurde im Rahmen der Schweizer HIV-Kohortenstudie näher untersucht.
ARCHIVES OF INTERNAL MEDICINE
Internationale Guidelines in Europa und in den USA geben Empfehlungen zu bevorzugten antiretroviralen Therapien, die in randomisierten kontrollierten Studien optimale und dauerhafte virologische Wirksamkeit sowie günstige Veträglichkeits- und Toxizitätseigenschaften gezeigt haben. Zudem gibt es Studien zur antiretroviralen Kombinationstherapie bei verschiedenen Patientenpopulationen. Ungefähr 30 Prozent der Patienten ändern jedoch, meistens wegen Toxizitätsproblemen, innerhalb des ersten Behandlungsjahrs ihre Kombinationstherapie –
Merksätze
❖ Unter 1957 Teilnehmern der Schweizer HIVKohortenstudie wurde bei der Wahl der initialen Kombinationstherapie ein Trend zu einer individuell zugeschnittenen Behandlung festgestellt, der signifikant von Arzt- und Patientenpräferenzen abhängen dürfte.
❖ Zwischen den verschiedenen Zentren gab es durchaus Unterschiede in der bevorzugten Therapiewahl, nicht aber beim Outcome (virologisches Ansprechen, Therapiemodifikationen, immunologische Erholung) nach dem ersten Behandlungsjahr.
für eine bessere Therapieauswahl bleibt also noch Potenzial. Diese Wahl unterliegt verschiedenen Einflussfaktoren wie Erkrankungsstadium, Komorbiditäten, Begleitmedikationen mit potenziellen Interaktionen, bestehende oder mögliche Schwangerschaft, erwartete Toxizität und Ergebisse genotypischer Resistenztests. Daneben spielen auch die Präferenzen von behandelndem Arzt und Patient eine wichtige Rolle. Bisher gibt es zu diesen Entscheidungsfaktoren kaum Studien, dem wollte diese Analyse der Schweizer HIVKohortenstudie nachgehen.
Methodik Die Autoren untersuchten als primären Endpunkt die Wahl der initialen antiretroviralen Kombinationstherapie zwischen Anfang 2005 und Ende 2009 bei therapienaiven HIV-Patienten. Sekundäre Endpunkte waren virologisches Ansprechen, CD4-Zahlen sowie Therapieänderungen während der ersten zwölf Behandlungsmonate.
Resultate Insgesamt wurden 1957 Patientinnen und Patienten analysiert. Die häufigste Kombination war mit 29,9 Prozent Tenofovir-Emtricitabin-(TDF-FTC-)Efavirenz (Kombinationspräparat Atripla®), gefolgt von TDF-FTC-Lopinavir/r (Truvada® plus Kaletra® [16,9%]), TDFFTC-Atazanavir/r (Truvada® plus Reyataz®[12,9%]) sowie Zidovudin-Lamivudin (ZDV-3TC)-Lopinavir/r (Combivir® plus Kaletra® [12,8%]) und AbacavirLamivudin-(ABC-3TC-)Efavirenz (Kivexa® plus Stocrin® [5,7%]). Gegenüber diesen Durchschnittswerten gab es an den einzelnen Institutionen, die in der Schweizer Kohortenstudie zusammenarbeiteten, jedoch signifikante (p < 0,001) Unterschiede im Verschreibungsverhalten. Dennoch be-
standen zwischen den verschiedenen Institutionen beim Outcome keine Differenzen. In multivariaten Analysen waren, jeweils im Vergleich zu TDF-FTC-Efavirenz, ein Therapiebeginn mit TDFFTC-Lopinavir/r mit einer etablierten AIDS-Diagnose (relatives Risiko [RR] 2,78; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,78–4,35) sowie einer hohen Viruslast (HIV-RNA > 100 000 Kopien/ml, RR 1,53; 95%-KI: 1,07–2,18) und höheren CD4-Zahlen (> 350 Zellen/µl, RR 1,67; 95%-KI: 1,04–2,70) assoziiert. Im Vergleich zu TDF-FTC-Efavirenz wurde TDF-FTC-Atazanavir/r bevorzugt eingesetzt bei depressiver Störung (RR 1,77; 95%-KI 1,04–3,01), HIVRNA > 100 000 Kopien/ml (1,54; 95%KI 1,05–2,25) sowie Teilnahme an einem Opiatsubstitutionsprogramm (RR 2,76; 95%-KI 1,09–7,00). Die Verschreibung von ZDV-3TC-Lopinavir/r war assoziiert mit weiblichem Geschlecht (RR 3,89; 95%-KI 2,39–6,31) sowie CD4-Zahlen > 350 Zellen/µl (RR 4,50; 95%-KI 2,58–7,86). Nach zwölfmonatiger Therapie erreichten 87,6 Prozent der Patienten eine Viruslast von weniger als 50 Kopien pro Milliliter, und die CD4-Zellen stiegen median um 173 (89–269 Zellen/µl) an. Eine virologische Suppression war unter TDF-FTC-Efavirenz statistisch wahrscheinlicher, der CD4-Anstieg war unter ZDV-3TC-Lopinavir/r höher.
Schlussfolgerungen Zwischen den Zentren wurden grosse Unterschiede bei den Verschreibungen, nicht aber beim klinischen Outcome festgestellt. Heute werden inviduell zugeschnittene Therapien angeboten, deren Wahl stark von Arzt- und Patientenpräferenzen abhängt. Weitere evidenzbasierte Daten zur Wahl der Initialtherapie bei verschiedenen HIVPatientengruppen sind notwendig. ❖
Halid Bas
Luigia Elzi et al. for the Swiss HIV Cohort Study: Choice of initial combination antiretroviral therapy in individuals with HIV infection – determinants and outcomes. Arch Intern Med. 2012; 172(17):1313–1321. doi:10.1001/archinternmed.2012.3216.
Interessenlage: Die Studie wurde durch den Schweizerischen Nationalfonds finanziert. Die Autoren deklarieren mannigfache Beziehungen zu auf dem Gebiet der HIV-Therapie aktiven Pharmafirmen.
1298 ARS MEDICI 23 ■ 2012