Transkript
Diabetes und Hypertonie: Ein gefährliches Gespann
Je niedriger der Blutdruck, desto besser?
FORTBILDUNG
Eine verminderte Glukosetoleranz und Bluthochdruck sind eng miteinander verknüpft. Nicht ohne Grund wird bei über zwei Dritteln der Patienten mit Typ-2-Diabetes eine Hypertonie festgestellt. Wie sollte eine geeignete Blutdruckeinstellung bei diesem Personenkreis optimalerweise erfolgen?
LANCET
Im Vergleich zu Personen mit normalen Blutzuckerwerten tritt Hypertonie sowohl bei Typ-1- als auch Typ-2-Diabetikern häufiger auf, wobei überwiegend Typ-2-Diabetiker betroffen sind. Sowohl Diabetes als auch Bluthochdruck sind gewichtige Risikofaktoren bei der Entstehung einer HerzKreislauf-Erkrankung. Die epidemiologische FraminghamHerz-Studie hat die Zusammenhänge anhand von zwei Generationenkohorten untersucht. Als bei Teilnehmern die Diagnose Diabetes gestellt wurde, wiesen Patienten mit Hypertonie im Vergleich zu jenen ohne Blutdruckprobleme höhere Raten kardiovaskulärer Ereignisse und allgemeiner Mortalität auf. Ist eigentlich anhand von Blutdruckwerten und Blutglukosekonzentrationen eine gegenseitige Vorhersage möglich? Dazu wurde eine langfristige Beobachtungsstudie in Finnland durchgeführt. Männer ohne Hypertonie wurden je nach Höhe ihrer Blutglukosewerte aus dem Jahr 1968 in drei Gruppen eingeteilt. Im Jahr 1986 hatten mehr Teilnehmer in den oberen beiden Terzilen Bluthochdruck im Vergleich zum unteren Terzil. Umgekehrt war der systolische Blutdruck
Merksätze
❖ Aufgrund von klinischen Studiendaten ist ein Blutdruck von unter 140/85 mmHg ein erstrebenswertes Ziel bei Typ-2-Diabetikern.
❖ Eine Kombination aus einem RAAS-Blocker und einem Thiaziddiuretikum ist eine gute Option zur Behandlung der Hypertonie von Diabetikern.
❖ Die Kombination aus einem Kalziumkanalblocker und einem RAAS-Inhibitor ist eine geeignete Alternative, vor allem im Hinblick auf die metabolischen Effekte von Thiaziden.
während eines fünfjährigen Beobachtungszeitraums bei rund 10 000 Männern in Israel ein signifikanter Prädiktor für Typ2-Diabetes (vor allem bei Personen im Alter von 40 bis 49 Jahren), unabhängig von Alter, Übergewicht und Vorliegen einer peripheren vaskulären Erkrankung.
Pathophysiologie Typ-2-Diabetes zeichnet sich durch eine verminderte Empfindlichkeit der Körperzellen auf Insulin (Insulinresistenz) und eine Fehlfunktion der Betazellen aus. Dahingegen ist Bluthochdruck durch einen erhöhten peripheren Gefässwiderstand und eine Funktionsstörung des Endothels charakterisiert. Die pathophysiologischen Abläufe sind auf unterschiedliche Weise miteinander verknüpft. Generell spielt ein erhöhter Insulinspiegel (Hyperinsulinämie) eine grosse Rolle, wenn der Körper vermehrt Insulin als Antwort auf eine Insulinresistenz produziert. In diesem Zusammenhang sind die Auswirkungen auf den Stickstoffmonoxidweg von Bedeutung, wobei die Vasodilatation verringert wird. Ein anderer blutdrucksteigender Mechanismus im Zusammenspiel mit einer Hyperinsulinämie betrifft den Sympathikus. Denn bei gesunden Freiwilligen konnte nachgewiesen werden, dass in Abhängigkeit von der Insulindosis die Freisetzung von Noradrenalin stimuliert wird. Des Weiteren sind im Gegensatz zum Glukoseweg andere Signalübertragungswege nicht gegenüber Insulin resistent und somit ständig hohen Konzentrationen ausgesetzt. Dadurch kann die mitogenaktivierte Proteinkinasekaskade überstimuliert werden und womöglich eine Zellproliferation auslösen. Eine erhöhte Insulinkonzentration kann zudem die Natrium- und Wasserrückresorption am distalen Tubulus erhöhen, wodurch das Blutvolumen steigt. Daneben kann bei einer Hyperglykämie eine grosse Menge an Succinat durch den Zitronensäurezyklus gebildet werden. Dies aktiviert über einen Rezeptor das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) und bewirkt dadurch einen Blutdruckanstieg.
Ziele bei der Blutdruckeinstellung von Typ-2-Diabetikern Da durch Diabetes das kardiovaskuläre Erkrankungsrisiko um das Zwei- bis Dreifache steigt, haben die meisten Leitlinien für diese Personengruppe jahrelang Blutdruckwerte von unter 130/80 mmHg empfohlen. Doch ist das tatsächlich notwendig? Verschiedene Studien bei hypertonen Typ-2Diabetikern haben versucht, die optimalen Zielwerte zu ermitteln. Es konnte gezeigt werden, dass bei Diabetikern der grösste Nutzen bei Werten von unter 140 bis 150 beziehungsweise 80 bis 85 mmHg erreicht wird. Bei ehrgeizigeren
ARS MEDICI 23 ■ 2012 1281
FORTBILDUNG
ACE-Hemmer Benazepril Captopril Cilazapril Enalapril Fosinopril Lisinopril Perindopril
Quinapril Ramipril
Thiaziddiuretikum
Hydrochlorothiazid Hydrochlorothiazid Hydrochlorothiazid Hydrochlorothiazid Hydrochlorothiazid Hydrochlorothiazid Indapamid (thiazidähnliches Diuretikum) Hydrochlorothiazid Hydrochlorothiazid
Handelsname CH Cibadrex® Captosol® comp Inhibace® plus Reniten® plus und Generika Fosicomp® und Generika Zestoretic® und Generika Coversum® N combi und Generika
Accuretic® und Generika Triatec® comp und Generika
einem Thiaziddiuretikum bei den meisten Diabetikern als gute Therapieoption eingestuft werden. Diese Kombination war bei der Diabetesuntergruppe (n = 6946) der ACCOMPLISH-Studie im Vergleich mit einem Kalziumkanalblocker plus ACE-Hemmer zwar unterlegen, doch die Hydrochlorothiazid(HCT-)Dosis (12,5–25 mg/Tag) war vergleichsweise niedrig, denn in vorangegangenen Studien wurde eine Dosis von mindestens 25 bis 50 mg pro Tag als wirksam eingestuft. Trotzdem könnte die Kombination aus einem Kalzium-
Angiotensin-II-Antagonist
Candesartan Eprosartan Irbesartan
Thiaziddiuretikum
Hydrochlorothiazid Hydrochlorothiazid Hydrochlorothiazid
Handelsname CH
Atacand® plus und Generika Teveten® plus und Generika CoAprovel®
kanalblocker und einem RAAS-Inhibitor eine gute Alternative darstellen, vor allem im Hinblick auf die metabolischen Effekte von Thiaziden.
Losartan Olmesartan Telmisartan Valsartan
Hydrochlorothiazid Hydrochlorothiazid Hydrochlorothiazid Hydrochlorothiazid
Cosaar® plus und Generika Olmetec® plus, Votum® plus Kinzalplus®, MicardisPlus® Co-Diovan® und Generika
Stoffwechseleffekte von Antihypertensiva Die Datenlage ist zwar nicht konsistent, doch es hat den Anschein, dass die antihypertensiven Substanzklassen den
Stoffwechsel im Körper unterschiedlich
systolischen Zielen von unter 130 mmHg nahm das Risiko beeinflussen können. Vor allem bei Diuretika und Betablo-
eines Schlaganfalls zwar weiterhin ab, das Risiko anderer ckern traten während der Therapie vermehrt Neumanifesta-
makro- oder mikrovaskulärer Ereignisse verringerte sich jedoch nicht weiter, wohingegen die schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse zunahmen. Eine Senkung des systolischen Blutdrucks von rund 135 mmHg auf 120 mmHg wird vermutlich die meisten kardiovaskulären Ereignisse oder Todesfälle nicht reduzieren. Zudem zeigte die ABCDStudie, dass eine intensive Blutdruckkontrolle (diastolischer
tionen vom Typ-2-Diabetes auf. Die Kalziumkanalblocker werden eher als stoffwechselneutral eingestuft, und den geringsten negativen Einfluss haben Angiotensinrezeptorblocker und ACE-Hemmer. Es gibt zwar verschiedene Ansichten, doch insgesamt sollten die positiven Auswirkungen der Antihypertensiva auf das kardiovaskuläre Risiko die negativen Effekte auf den Glukosemetabolismus überwiegen.
Zielwert < 75 mmHg) die primären mikrovaskulären oder Aus den verschiedenen Wirkstoffgruppen mit ihren unter- sekundären kardiovaskulären Krankheitsendpunkte im Ver- schiedlichen Vor- und Nachteilen kann patientenindividuell gleich zu einer gemässigten Blutdruckkontrolle (diastolischer eine geeignete Auswahl getroffen werden. Denn Bluthoch- Zielwert 80–89 mmHg) nicht verringerte, obwohl die Gesamtmortalität sank (p = 0,037). Generell empfehlen Studien wie ACCORD-BP und ADVANCE einen Blutdruck von unter 140/85 mmHg als angemessenen Zielwert bei Patienten mit Diabetes und Hypertonie. druck ist vor allem im Zusammenhang mit Diabetes eine schleichende Bedrohung für die Gefässe und sollte behandelt werden, um das kardiovaskuläre Risiko zu senken. ❖ Monika Lenzer Auswahl von Antihypertensiva bei Diabetikern Grosse Studien untersuchten die Wirksamkeit von Thiaziddiuretika und Kalziumkanalblockern im Vergleich zu Plazebo oder einer üblichen Behandlung von hypertonen Diabetikern. Es konnte gezeigt werden, dass diese Medikamente kardiovaskuläre Ereignisse und die Mortalität senken können. Vor allem Thiaziddiuretika erzielen das beste Ergebnis beim kardiovaskulären Krankheitsverlauf. Weitere Wirkstoffklassen, die zum Einsatz kommen, sind ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptorblocker, die beide Inhibitoren des RAAS sind. Der ACE-Hemmer Perindopril senkte in Kombination mit dem thiazidähnlichen Diuretikum Indapamid in der ADVANCE-Studie die Gesamtmortalität und die kombinierten makrovaskulären und mikrovaskulären Ereignisse im Vergleich zu Plazebo. Da RAAS-Inhibitoren zudem einen nierenschützenden Effekt bei Patienten mit Diabetes haben, kann eine Kombination aus einem RAAS-Inhibitor und Quelle: Ferrannini E, Cushman WC: Diabetes and hypertension: the bad companions. Lancet 2012; 380: 601–610. Interessenkonflikte: EF gibt keine Interessenkonflikte an. WCC hatte in der Vergangenheit verschiedene Beziehungen zu Pharmaunternehmen. 1282 ARS MEDICI 23 ■ 2012