Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Nabelschnurblut
Eigennutz oder Spende?
Für die Einlagerung von Nabelschnurblut gibt es in der Schweiz derzeit zwei sich ausschliessende Optionen: Entweder bewahren die Eltern das Nabelschnurblut für das eigene Kind auf (private banking), oder sie spenden es für die Öffentlichkeit (public banking).
Gemäss einer Umfrage, die an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde in Bern unter 170 Müttern und Schwangeren durchgeführt wurde, wäre das Angebot eines «hybrid banking» jedoch sinnvoller. Beim «hybrid banking» würde das Nabelschnurblut nach der Geburt zu-
nächst für den Eigengebrauch eingelagert, wie bei einer privaten Nutzung zahlen die Eltern hierfür die Kosten. Zusätzlich wird aber, wie bei einer öffentlichen Spende, HLA-typisiert und der HLA-Typ im öffentlich zugänglichen Stammzellspendenregister der Schweiz anonym aufgeführt. Stellen sich die eingefrorenen Zellen dann später einmal als ideales Transplantat für einen Leukämiekranken heraus, so können die Eltern das Blut ihres Kindes freigeben und erhalten die Kosten für die Entnahme und Einlagerung zurück. Die Berner Studie ergab eine prinzipiell hohe Akzeptanz für dieses Modell: Gäbe es das «hybrid banking», würden die meisten Befragten (49%) diese Option wählen und nur 13 Prozent eine rein private Nutzung vorziehen. Ohne Hybridmodell wählen 47 Prozent die private Einlagerung. Von denjenigen, die das Hybridmodell vorzogen, möchten die meisten das Nabelschnurblut aufgeteilt wissen: eine Hälfte für den Eigengebrauch und eine Hälfte für die
Allgemeinheit. «Unsere Studie hat gezeigt, dass Eltern sich eine private Spende wünschen, aber bei Bedarf auch gerne kranke Menschen in Not unterstützen wollen. Ein Hybrid-Banking könnte diesen Ansprüchen gerecht werden», so Erstautorin Anna-Margaretha Wagner. Eine Kombination aus Eigen- und Fremdspende würde die Nabelschnurblutspende erstmals in der ganzen Schweiz ermöglichen. Derzeit ist die öffentliche Nabelschnurblutspende in der Schweiz aus finanziellen Gründen nur an fünf Spitälern möglich. Die Kosten dafür sind hoch und werden durch die Kliniken selbst, durch private Stiftungen und durch die Stiftung Blutstammzellen getragen. Mit dem Hybridmodell für die Einlagerung von Nabelschnurstammzellen könnte künftig prinzipiell jede Geburtsklinik in der Schweiz die Nabelschnurblutspende anbieten (Foto: FotoGrafikZentrum Inselspital).
RBO/Pressemitteilung Inselspital❖
Wagner AM, Krenger W, Suter E, Ben Hassem D, Surbek DV: High acceptance rate of hybrid allogeneic-autologous umbilical cord blood banking among actual and potential Swiss donors. Transfusion, online 15 Oct 2012, doi: 10.1111/j.1537-2995.2012.03921.x
Phase-2b-Studie aus Thailand:
Kommt endlich ein Dengueimpfstoff?
Dengue, eine Infektion mit einem Virus aus der Gruppe der Flaviviren, betrifft inzwischen jedes Jahr Millionen von Menschen in über 100 Ländern. Unter ihnen erkrankt jährlich immerhin ein halbe Million so schwer, dass eine Spitaleinweisung wegen hämorrhagischer Komplikationen notwendig wird. Da keine spezifische Therapie verfügbar ist, steht eine Impfung schon lange auf dem Wunschzettel vieler Fachleute. Bisher waren viele Entwicklungsversuche jedoch erfolglos geblieben, und auch die kürzlich publizierten Ergebnisse
einer Phase-2b-Studie scheinen keinen Durchbruch zu signalisieren. Geprüft wurde die protektive Wirksamkeit einer rekombinanten, abgeschwächten tetravalenten Lebendvakzine (CYD) von Sanofi-Pasteur bei über 4000 gesunden thailändischen Schulkindern zwischen 4 und 11 Jahren, von denen zwei Drittel den Impfstoff erhielten und ein Drittel als Kontrolle diente. Die Vakzine war gegen alle vier Denguevirustypen (DENV 1–4) immunogen. Insgesamt traten während der Studiendauer 134 virologische bestätigte Dengueinfektionen auf. Die protektive Wirksamkeit betrug insgesamt 30,2 Prozent (95%-Konfidenzintervall -13,4–56,6). Dies war ein überraschendes und enttäuschendes Resultat. Bemerkenswert war eine gute Reduktion febriler Erkrankungen mit den Serotypen DENV 3
und 4 um 80 bis 90 Prozent, aber eine
fehlende Schutzwirkung beim Serotyp
DENV 2, ausgerechnet dem unter
Thai-Kindern am häufigsten vorkom-
menden Serotyp. Auf der positiven
Seite ergaben sich keine Hinweise auf
Sicherheitsprobleme mit dem tetra-
valenten Impfstoff. Insbesondere kam
es bei symptomatischen Erkrankungen
trotz Impfung nicht zu einem verstärk-
ten, gefährlicheren Krankheitsbild, wie
aufgrund immunologischer Hypothe-
sen postuliert wurde. Offenbar verläuft
die komplexe Immunantwort auf die
Denguevakzine bei Personen, die gegen
Flaviviren schon natürlich immunisiert
sind, aber nicht in den aus einfachen
Eperimenten extrapolierten Bahnen,
weshalb die derzeit laufenden, wesent-
lich grösseren Phase-III-Studien bei Er-
wachsenen und Kindern in überwie-
gend endemischen Ländern definitivere
Antworten geben sollten.
HB❖
Lancet 2012; 380: 1559–1567. Doi:10.1016/S0140-6736(12)61428-7).
1214 ARS MEDICI 22 ■ 2012
Kardiologie
Bypass bietet Vorteile für manche Diabetiker
Mit dem Siegeszug der Stents sank die Anzahl der Bypassoperationen erheblich. Es gibt jedoch KHK-Patienten, bei denen der chirurgische Eingriff von Vorteil ist: Diabetiker mit einer Mehrgefässerkrankung. Das kombinierte Risiko für Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall sei bei diesen Patienten nach einer Bypassoperation um 30 Prozent geringer als nach dem Einsetzen von Drug-ElutingStents, berichtete Dr. Valentin Fuster von der Mt. Sinai School of Medicine, New York, am Kongress der American Heart Association. In die vom US-amerikanischen National Heart, Lung, and Blood Institute (NHLB) finanzierte Freedom-Studie wurden 1900 Diabetiker an 140 internationalen Zentren eingeschlossen, die eine mindestens 70-prozentige Stenose in zwei oder mehr der grossen Koronargefässe hatten; 83 Prozent der Studienteilnehmer hatten eine Dreigefässerkrankung. Die kombinierte 5-Jahres-Rate für Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall betrug 18,7 Prozent in der Bypass- und 26,6 Prozent bei den Stentgruppe. Der Vorteil für die By-
passoperation manifestierte sich als geringe Mortalität (10,9 versus 16,3%) und geringes Herzinfarktrisiko (6 versus 13,9%), während die Anzahl der Schlaganfälle in den ersten 30 Tagen nach einer Bypassoperation höher war als nach einem Stent (5,2 versus 2,4%). Interventionelle Kardiologen wiesen am AHA-Kongress darauf hin, dass ein allfälliger Vorteil der Bypassoperation nur bei einem relativ kleinen Patientenkollektiv zu erwarten sei. So wurden in der FreedomStudie nur 10 Prozent aller für die Studie gescreenten Patienten tatsächlich in diese eingeschlossen. Auch möchten die Patienten lieber einen Stent, als sich einer Bypassoperation zu unterziehen: 40 Prozent der für die Studie passenden Patienten verweigerten die Teilnahme, weil sie sich nicht per Zufallsprinzip der einen oder anderen Methode zuteilen lassen, sondern unbedingt Stents haben wollten.
RBO❖
Quelle: Medpage Today: «AHA: Bypass a Winner Over Stents in Diabetics.» 5. November 2012
RÜCKSPIEGEL
Vor 10 Jahren
Die Pille danach
In der Schweiz ist die Pille danach als einzelne Tablette zu 1,5 mg Levonorgestrel rezeptfrei erhältlich. Das Arzneimittel darf ohne Rezept nur nach einem ausführlichen Gespräch von einem Apotheker oder Arzt abgegeben werden.
Vor 50 Jahren
Umstrittener Freispruch
In Belgien wird ein wegen Contergan behindert geborenes Kind von seinen Eltern getötet. Die Richter in Lüttich sprechen die Eltern am 10. November 1962 nach einem aufsehenerregenden Prozess frei.
Postmenopausale Hormonersatztherapie
Kardiovaskulärer Schutz
nen nach ungefähr elf Jahren eingestellt, die Frauen allerdings hinsichtlich Tod, kardiovaskulärer
Erkrankung und Krebs bis zu
ohne erhöhtes Krebsrisiko 16 Jahre lang nachbeobachtet.
Primärer Endpunkt der Unter-
suchung war eine Kombination
Frauen, die frühzeitig nach Einsetzen der aus Tod, Spitaleinweisung wegen Herzversa-
Menopause eine langjährige Hormonersatz- gens sowie Myokardinfarkt.
therapie (HET) beginnen, haben ein signi- Nach 10 Jahren hatten 16 Frauen in der Be-
fikant reduziertes Sterblichkeitsrisiko sowie handlungs- und 33 in der Kontrollgruppe den
ein geringeres Risiko, Herzinsuffizienz oder kombinierten Endpunkt erreicht (Hazard-
einen Myokardinfarkt zu entwickeln. Zudem Ratio [HR] 0,48; 95%-Konfidenzintervall
muss für das verbesserte kardiovaskuläre [KI] 0,26–0,87; p = 0,015), und verstorben
Outcome offensichtlich kein erhöhtes Krebs- waren zu diesem Zeitpunkt 15 gegenüber 26
risiko in Kauf genommen werden.
Probandinnen (HR 0,57; 95%-KI 0,30–
Von den insgesamt 1006 48 bis 56 Jahre alten 1,08; p = 0,084). Die Reduktion kardiovas-
Teilnehmerinnen einer dänischen Studie, die kulärer Ereignisse war auch nach 16 Jahren
entweder kurz zuvor postmenopausal gewor- noch präsent und ging zu keinem Zeitpunkt
den waren oder aber perimenopausale Sym- mit einem erhöhten Risiko für Krebserkran-
ptome in Kombination mit postmenopausa- kungen einher. Auch tiefe Venenthrombosen
len Werten von serumfollikelstimulierendem oder Schlaganfälle waren bei den hormon-
Hormon aufwiesen, wurden 502 einer HET behandelten Frauen nicht häufiger aufgetre-
mit Estradiol bezehungsweise Norethisteron- ten als in der Kontrollstichprobe. RABE❖
acetat und 504 einer Kontrollgruppe ohne
Behandlung zugewiesen. Aufgrund von in anderen Studien aufgetretenen Nebenwirkungen wurden die hormonellen Interventio-
Schierbeck LL et al: Effect of hormone replacement therapy on cardiovascular events in recently postmenopausal women: randomised trial. BMJ 2012; 345: e6409.
Vor 100 Jahren
Wohlschmeckendes Hirn als Medikament
An der 18. Jahresversammlung der British Medical Society, Sektion Neurologie, empfiehlt ein Referent den Gebrauch von Hirnextrakt als Medikament gegen «verschiedene Formen der Geisteskrankheit». Man habe bereits gute Erfahrungen mit Extrakten aus fetalen Kalbshirnen gemacht, doch da diese nur schwer zu be-
schaffen seien, habe man mit Extrakten von adulten, «gesund aufgewachsenen» Schafen und Rindern weiter experimentiert. Er beschreibt detailliert, wie der Extrakt auszukochen ist, sodass sich eine Emulsion ergibt, die «frei von Alkohol und angenehm im Geschmack» sei.
RBO❖
Fotos: dierk schaefer und law_keven, cc