Transkript
Angst vor der Impfung
Kontern Sie mit Fakten!
FORTBILDUNG
Die Frage «Impfen – ja oder nein?» ist für einige Menschen weniger eine medizinische Erwägung als vielmehr eine «Glaubensfrage», vor allem wenn es um die Impfung der Kinder geht. Als Hausärztin oder Hausarzt sind Sie dann gefordert, die von den Patienten geäusserten Befürchtungen, die aus den verschiedensten Quellen stammen, korrekt einzuordnen, unberechtigte Ängste abzubauen und nach dem Stand der Wissenschaft umfassend aufzuklären.
SIGRID LEY-KÖLLSTADT
Infektionskrankheiten haben ihren Schrecken verloren Die meisten durch Impfung verhütbaren Erkrankungen sind selten geworden. Wer hat in seiner Praxis schon einmal Patienten mit Diphtherie oder Tetanus gesehen? Ein weiteres Beispiel sind die Hib-Erkrankungen. Seit der Einführung der Impfung gegen Haemophilus influenzae b (Hib-Impfung) im Jahr 1990 ist die Erkrankungszahl drastisch gesunken, sodass die oft tödlich verlaufende oder bleibende Schädigungen hinterlassende Infektionskrankheit kaum noch gesehen wird. Infektionskrankheiten verschwinden daher aus dem Bewusstsein der Menschen, da sie – gerade aufgrund der Wirkung von Impfungen – seltener auftreten. Sie werden nicht mehr als bedrohlich wahrgenommen, mögliche Nebenwirkungen jedoch überbewertet.
Viele Eltern informieren sich an verschiedensten Stellen im Internet und sind danach oftmals noch unsicherer als zuvor. Denn im Internet kann fast alles behauptet werden, und Laien fällt es oft schwer, den Wahrheitsgehalt zu überprüfen. «Eine andere Realität im Internet», nennt Dr. Wolfgang Maurer, der zehn Jahre lang das Bundesstaatliche Serumprüfungsinstitut in Österreich geleitet hat, die Inhalte dieser oft wissenschaftsfernen Internetseiten. Auf ihnen wird zum Beispiel die Existenz von Krankheitserregern, vor allem Viren, geleugnet oder das Durchmachen der Masern – nur so sind Masern-Partys zu erklären – und anderer schwerer Infektionskrankheiten als Stärkung des Immunsystems angesehen, eine Impfung demgegenüber als Schwächung. Gibt man das Stichwort «Impfen» in Google ein, so kommen unter den ersten Treffern gleich mehrere impfkritische Seiten, auf denen Impfungen mit den schlimmsten Nebenwirkungen in Verbindung gebracht werden – kein Wunder, dass gerade Eltern verunsichert zum Impftermin erscheinen. Doch die medizinischen Fakten sprechen eine klare Sprache. So zeigt die Tabelle 1 eindeutig, dass die Impfung wesentlich seltener zu Komplikationen führt (2).
Merksätze
❖ Das Nachlassen der Herdenimmunität kann zu neuen Ausbrüchen von Krankheiten führen, die als besiegt galten.
❖ Wenn ein Patient trotz ausführlicher Beratung eine Impfung ablehnt, lassen Sie sich das schriftlich bestätigen.
Impfungen als Beitrag zur Gesundheit der Gemeinschaft: die Herdenimmunität «Warum soll ich mich oder mein Kind gegen eine Erkrankung impfen lassen, die es bei uns doch gar nicht mehr gibt, und dem Risiko einer Impfkomplikation aussetzen?», ist ein Argument, das man in Diskussionen immer wieder hört. Dabei bleibt der Nutzen von Impfungen für die Allgemeinheit im Sinne einer Herdenimmunität völlig ausser Betracht: Durch ausreichend hohe Impfraten wird die Erregerzirkulation unterbrochen, ein Schutz ist somit auch für Menschen gewährleistet, die aus irgendeinem Grund nicht geimpft werden können (z.B. Masernschutz für Kinder im ersten Lebensjahr, Infektionsschutz für Schwangere und Menschen mit einer Immunsuppression, z.B. während einer Chemotherapie). Das Nachlassen der Herdenimmunität kann zu erneuten Ausbrüchen von Infektionskrankheiten führen, die man vielleicht schon als besiegt betrachtet hat. So ist in den letzten Jahren Poliomyelitis in vielen Ländern wieder aufgetreten, die schon seit zehn Jahren und mehr als poliofrei galten. Ursache ist ein Rückgang der Durchimpfungsraten.
Das A und 0: Aufklärung über mögliche Impf-Nebenwirkungen Nebenwirkungen können bei jeder Impfung vorkommen. Sie äussern sich zwar meistens lediglich als Schmerzen an der Impfstelle, Rötung und Schwellung, das aber kann bei bis zu zehn Prozent der Geimpften auftreten, wenn man einen inaktivierten Impfstoff (Totimpfstoff) verimpft. Der ausreichenden Aufklärung vor Impfungen kommt daher eine wichtige Bedeutung zu. Nach den Mitteilungen der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut muss nicht nur über häufige Allgemein- oder Lokalreaktionen aufgeklärt
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FORTBILDUNG
Tabelle 1:
Vergleich der Komplikationsraten von Erkrankung und Impfung
Masern
Symptom Enzephalitis
Mumps bei Jugendlichen/Erwachsenen
Röteln Schwangere 1. Trim.
Pertussis (azellulärer Impfstoff)
Poliomyelitis (IPV)
Meningitis Orchitis Embryopathie
bleibender Hirnschaden Paresen
Varizellen bei Immunsupprimierten Tod perinatale Varizellen Tod
Tollwut
Tod
Krankheit
Impfung
1/250 bis 1/10 000
< 1/1 Mio./Zusammenhang nicht bewiesen 1/10 ca. 1/1 Mio. 1/4 0 bis 85/100 je nach 0 Gestationswoche 1/100–500, je nach Alter 0 1 /100, je nach Erregertyp 0 50/100 30/100 100/100 0 0 0 insbesondere in Grossbritannien. Hier wurde die «Studie» durchgeführt, deren Ergebnisse im renommierten «Lancet» publiziert worden waren. Nach den zahlreichen Diskussionen über mögliche bleibende Schäden sanken in Grossbritannien – einem Land mit traditionell guter Impfbeteiligung – die Durchimpfungsraten auf ein Rekordtief. 2006 starb in England erstmals wieder ein Kind an Masern. Was erst 2007 durch Recherchen der «Sunday Times» herauskam (5): Fünf der dreizehn LancetAutoren erhielten zusammen fast 280 000 Euro für die Veröffentlichung, auch andere Beteiligte bekamen hohe Summen für ihre Mitwirkung. Drastischer hätten die Folgen mangelnder wissenschaftlicher Ethik kaum ausfallen können, heisst es im Deutschen Ärzteblatt, in dem der Skandal berichtet wurde. Der Hintergrund: Der Arzt, der den MMR-Impfstoff verunglimpfte, hatte Patente für einen eigenen Einzelimpfstoff beantragt. Die mafiösen Machenschaften um den MMR-Impfstoff seien wahrscheinlich kein Einzelfall, wird in dem Beitrag vermutet. Nach: Schwierige Impffragen 2008, U.Quast, S. Ley-Köllstadt, U. Arndt Tabelle 2: Hypothesen und Behauptungen zu Erkrankungen als Impffolge Eine Vielzahl von qualifizierten Studien fand keine Evidenz für einen kausalen Zusammenhang zwischen Impfungen und ❖ Typ-1-Diabetes ❖ Überlastung des kindlichen lmmunsystems ❖ Verursachung von plötzlichem Kindstod sowie zwischen ❖ Hepatitis-B-Impfung und multipler Sklerose ❖ Masernimpfung und Morbus Crohn ❖ Masernimpfung und Autismus Quelle: Handbuch der lmpfpraxis werden, sondern auch über seltene Komplikationen, die der Impfung spezifisch anhaften. Dazu zählt zum Beispiel eine Neuritis nach Tetanusimpfung, die zwar nur in Einzelfällen auftritt, aber eben typisch ist (3). Hypothesen und unbewiesene Behauptungen Hypothesen und unbewiesene Behauptungen, die über Impfungen im Umlauf sind, sind nicht Gegenstand der Impfaufklärung, sollten jedoch bekannt sein, damit man entsprechende Gegenargumente parat hat. Tabelle 2 zeigt Hypothesen, die durch Studien eindeutig widerlegt werden konnten (4). Dabei hat vor allem die Behauptung, die MMR-Impfung könne Autismus auslösen, in den Medien für Furore gesorgt, Wie sollte man in der Praxis mit impfkritischen Patienten umgehen? Meistens werden Sie es mit verunsicherten Menschen zu tun haben, die Impfungen aufgrund von Internetrecherchen oder «Beratungen» durch Bekannte skeptisch gegenüberstehen, sachlichen Argumenten gegenüber aber durchaus offen sind. Nehmen Sie sich die Zeit, ausführlich mit diesen Patienten zu sprechen. Gehen Sie auf ihre Ängste und Befürchtungen ein und erklären Sie, wie die medizinischen Fakten tatsächlich aussehen. Oftmals sind diese gar nicht bekannt oder wurden nicht richtig verstanden. Einen wirklichen Impfgegner (geschätzt etwa 3% der Bevölkerung) werden Sie allerdings nicht überzeugen können. Wenn ein Patient nach einem ausführlichen Beratungsgespräch die Impfung ablehnt, lassen Sie sich das schriftlich bestätigen. So sind Sie sicher vor Schadensansprüchen, falls bei dem Ungeimpften eine durch Impfung verhütbare Erkrankung auftritt und Ihnen mangelnde Information und Beratung vorgeworfen werden. Häufige Einwände gegen Impfungen «Die Wirksamkeit von Impfungen ist niemals belegt worden»: Nur ein Impfstoff, der in Studien seine Wirksamkeit bewiesen hat, wird überhaupt zugelassen. Auf EU-Ebene prüft dies die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA), in Deutschland ist das Paul-Ehrlich-Institut (Bundesamt für Sera und Impfstoffe) dafür verantwortlich. Ausserdem gibt es zahlreiche Beispiele, wie durch Einführung von Impfprogrammen Infektionskrankheiten zurückgedrängt werden konnten. Erst die öffentliche Empfehlung der Schluckimpfung im Jahr 1962 führte zu einem drastischen Rückgang der PolioErkrankungen. Seit 2002 gilt Europa als poliofrei (6). «Kein Erreger von durch Impfen verhütbaren Erkrankungen wurde bisher nachgewiesen»: Bakterien sind – wie bereits seit Robert Kochs Zeiten bekannt – im Lichtmikroskop darstellbar, 1244 ARS MEDICI 22 ■ 2012 FORTBILDUNG Der Grund: Die heutigen Impfstoffe sind so Tabelle 3: hoch gereinigt, dass sie meistens nur noch Anzahl in Impfstoffen enthaltener Antigene einzelne Bestandteile des Erregers enthalten (2, 6, 7). 1900 1960 1990 2011 «Impfstoffe enthalten gefährliche Chemika- Impfung Ag Impfung Ag Impfung Ag Impfung Ag lien wie Quecksilber oder Formaldehyd, die Pocken 200 Pocken 200 BCG 4000 Diphtherie 1 Diphtherie Pneumok. zu Vergiftungen und bleibenden Schäden 13 führen können»: Die Konzentrationen von Meningok. 1–4 Formaldehyd oder Quecksilber, die in einigen 1 Diphtherie 1 (aber nicht allen) Impfstoffen enthalten sind, Tetanus 1 Tetanus 1 Tetanus 1 liegen unterhalb der toxikologischen Grenz- Pertussis 3000 Pertussis 3000 Pertussis 2–5 werte. Formaldehyd wird während der Pro- Polio 15 Polio 15 Polio 15 duktion zur Vermeidung von Verunreinigun- Masern 10 Masern 10 gen, zur Inaktivierung bei viralen Totimpfstof- Mumps Röteln 9 Mumps 9 fen und zum Detoxifizieren von Toxinen (z.B. 5 Röteln 5 Diphtherie- oder Tetanus-Impfstoffe) zuge- Hib 2 setzt. Der gereinigte endgültige Impfstoff ent- Hepatitis B 1 hält dann Mengen, die unter dem physiologi- schen Formaldehydgehalt der menschlichen HPV 2-4 Muskulatur liegen. Thiomersal, eine organi- Varizellen 69 sche Quecksilberverbindung (Ethylquecksil- Total: 200 > 7000
(nach Prof. Claire-Anne Siegrist, Genf, aktualisiert DGK 2011)
> 3000
< 150 ber), wird ebenfalls einigen Impfstoffen zur Dekontamination zugegeben. Es darf nicht mit dem bei Verbrennung fossiler Energieträger gebildeten Methylquecksilber verwechselt werden: Diese Belastung hat sich im vergan- Viren dagegen liessen sich lange Zeit nicht abbilden. Im Elek- genen Jahrhundert verdreifacht, pränatale Exposition soll die tronenmikroskop, das eine wesentlich höhere Auflösung neurologische Entwicklung des Kindes beeinträchtigen. Dies erlaubt, können aber auch Viren sichtbar werden, und es lie- gilt nicht für Ethylquecksilber. Bis heute sind als einzige gen heute von zahlreichen Viren Abbildungen vor. Von vielen Nebenwirkung von thiomersalhaltigen Impfstoffen Überemp- Erregern wurde darüber hinaus inzwischen der genetische findlichkeitsreaktionen, die keinen Krankheitswert haben, Code entschlüsselt (6). beschrieben worden. Ausserdem: Alle Impfstoffe für Standard- «Kombinationsimpfungen überlasten das kindliche Immun- impfungen sind inzwischen frei von Thiomersal (6, 7, 8). ❖ system»: Dies ist eine sehr häufige Befürchtung und führt oft dazu, dass Eltern vor allem vor Impfungen mit Kombina- Dr. med. Sigrid Ley-Köllstadt tionsimpfstoffen zurückschrecken. Doch die T-Zell-Rezepto- Deutsches Grünes Kreuz e.V. ren, die für die Erkennung eines Erregers zuständig sind, sind Nikolaistrasse 3, D-35037 Marburg bereits im Kindesalter vorhanden. Wäre dies nicht der Fall, Internet: www.dgk.de könnte kein Neugeborenes dem Ansturm der Antigene stand- halten. Die Antigene in Kombinationsimpfstoffen beanspru- Interessenkonflikte: keine chen nur einen winzigen Teil der verfügbaren Rezeptoren, Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de man geht von 10 (hoch18) aus! Ausserdem wird mit den heu- tigen Kombinationsimpfstoffen nur ein Bruchteil der Anti- gene verabreicht, wie sie Mono-Impfstoffe etwa der Pertussis- Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 1/2012. Ganzkeim- oder der BCG-Impfstoffe beinhalteten (Tabelle 3). Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin. ARS MEDICI 22 ■ 2012 1245