Transkript
Angst, Depression, Demenz
Das unbekannte Gesicht des Morbus Parkinson
BERICHT
14. Fortbildungstagung des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM)
21. Juni 2012 in Luzern
Im Verlauf der Parkinson-Erkrankung gesellen sich zu den motorischen Störungen noch vielfältige weitere Phänomene wie autonome Dysfunktion oder neuropsychiatrische Symptome (Depression, Demenz, Halluzinationen/Delir, Impulskontrollverlust, REM-SchlafStörungen), die therapeutisch anspruchsvoll sind.
HALID BAS
Beim Morbus Parkinson sind wir in der glücklichen Lage, zunächst während einiger Jahre mit Medikamenten die motorischen Symptome befriedigend in den Griff zu bekommen, wie Dr. Dieter Breil, Chefarzt Akutgeriatrie, Kantonsspital Olten, sagte, aber später nähmen die motorischen Symptome mit Onoff-Phänomenen und Dyskinesien wieder zu, und es gesellten sich vermehrt auch nicht motorische Symptome dazu, deren Management ebenfalls nicht einfach sei. Zu diesen nicht motorischen Parkinson-Symptomen gehören neuropsychiatrische Störungen wie Depression, Angst, Halluzinationen, Delir und Demenz. Weiter bereiten autonome Dysfunktionen wie Orthostase, Obstipation, Speichelfluss, Seborrhö, Inkontinenz, sexuelle Dysfunktion sowie Thermoregulations- und Riechstörungen Probleme. Schlafstörungen sind bei Parkinson nicht selten zu beobachten, zu deren Symptomen gehören Tages-
müdigkeit, Schlafattacken, REM-SchlafStörung, Restless-legs-Syndrom sowie Insomnie. Schliesslich klagen Parkinson-Patienten auch über Schmerzen im Rücken oder in den Schultern.
Therapiebeginn nicht zu lange hinauszögern Mitunter wird mit Blick auf die späteren Stadien der Erkrankung der Beginn einer Anti-Parkinson-Therapie hinausgezögert. Dr. Breil sprach sich aber dafür aus, nicht zu lange zu warten, denn die Probleme der Langzeittherapie werden nicht im Mass des Therapieaufschubs hinausgeschoben, sondern hängen vom Krankheitsstadium ab: «Eine Behandlung sollte einsetzen, wenn sich der Patient oder die Patientin im Alltag behindert fühlt.» Am Anfang, bei noch kaum behindernder Symptomatik, können MAO-Hemmer (Selegilin [Jumexal® oder Generika], Rasagilin [Azilect®]), Amantadin (PKMerz®, Symmetrel®) oder ein Anticholinergikum (Biperidin [Akineton®], Procyclidin [Kemadrin®]) stehen. Besonders bei starkem Rigor empfahl Dr. Breil die Verordnung von Amantadin (100 mg morgens und mittags). Wenn sich der Patient behindert fühlt, soll mit Dopaminagonisten (Pramipexol [Sifrol® oder Generika], Ropinirol [Requip® oder Generikum], Rotigotin [Neupro®]) oder mit Levodopa (Duodopa®, Madopar® oder Generika) behandelt werden. Als Vorteil der Dopaminagonisten gegenüber Levodopa gilt die geringere Häufigkeit von Dyskinesien und Fluktuationen. Das macht nicht ergoline Dopaminagonisten bei Parkinson-Patienten unter 65 Jahren zum First-lineTherapeutikum. Dopaminagonisten wirken im Vergleich zu Levodopa jedoch schwächer, und sie zeigen diesem gegenüber eine höhere Nebenwir-
kungsrate hinsichtlich Tagesschläfrigkeit, Delir/Halluzinationen, Hypersexualität und Spielsucht. Eine weitere Nebenwirkung der Dopaminagonisten können komplexe Verhaltensstereotypien (Punding) sein. Bei Patienten mit psychiatrischen Störungen in der Anamnese (manisch-depressive oder schizoaffektive Störung) sowie bei älteren Patienten ist der direkte Beginn mit Levodopa geeigneter. Den Fluktuationen der dopaminergen Wirkung kann durch Therapieanpassungen begegnet werden. Dazu gehören die Verschreibung von Retardpräparaten, die Erhöhung der Anzahl der Dosen, die Kombination mit dem COMT-Hemmer Entacapon (Comtan®) oder der Wechsel zu einem Dopaminagonisten mit längerer Halbwertszeit (Cabergolin [Cabaser®]). Nach 5 Jahren haben 30 Prozent der Parkinson-Patienten unwillkürliche choreatische Bewegungen, nach 10 Jahren sind es sogar 60 Prozent. Hier können eine Reduktion der Levodopadosis, die stärkere Fraktionierung der Dosen sowie der Einsatz von Dopaminagonisten oder von Amantadin helfen.
Parkinson-Demenz Bei Parkinson kann eine spezifische Störung der Kognition auftreten, die sich primär nicht durch ein Speicher-, sondern eher durch ein Abrufdefizit auszeichnet. Das äussert sich in gestörter Handlungsplanung und -ausführung und reduziertem Arbeitstempo. Daneben sind Aufmerksamkeit und Antrieb gestört, und es bestehen Defizite bei der visuell-räumlichen Vorstellung. Bis zu 40 Prozent der ParkinsonPatienten entwickeln im Verlauf eine Demenz, betonte Dr. Breil. Risikofaktoren sind höheres Alter, insbesondere
ARS MEDICI 22 ■ 2012 1223
BERICHT
Tabelle:
Therapie nicht motorischer Störungen bei Morbus Parkinson
Autonome Störungen Orthostase
Obstipation Speichelfluss
Depression Demenz Halluzinationen, Delir
Impulskontrollverlust
REM-Schlaf-Störung
Therapieoption
Flüssigkeits-/Salzzufuhr Domperidon (Motilium®) Midodrin (Gutron®) Fludrocortison (Florinef®)
Trinken und Bewegung Domperidon (Motilium®) Anticholionergika anticholinerge Antidepressiva für spezielle Situationen: Atropintropfen 1% sublingual
Dopaminagonisten ↑, SSRI, Trizyklika Rivastigmin (Exelon®) Anticholinergika stoppen MAO-Hemmer Dopaminagonisten Clozapin (Clopin®, Leponex®) Quetiapin (Seroquel® und Generika)
Dopaminagonist reduzieren oder absetzen minimal wirksame Levodopadosis Clozapin (Clopin®, Leponex®) Quetiapin (Seroquel® u. Generika)
Clonazepam (Rivotril®) abends
bei Diagnosestellung, eine nicht durch Tremor dominierte Parkinson-Variante, symmetrische, axial betonte Symptomatik und schlechtes Ansprechen auf Levodopa. Auch Dysarthrie und reduzierte Wortflüssigkeit sowie Halluzinationen sind Risikofaktoren. Die Parkinson-Demenz ist im Gegensatz zur Alzheimer-Demenz nicht primär kortikal, sondern subkortikal lokalisiert. Für die Parkinson-Demenz gelten ausgeprägte Fluktuationen der Symptomatik als sehr charakteristisch. Zudem sind neuropsychiatrische Begleitsymptome (Halluzinationen, Delir, Depression) häufig. Wichtig ist die Abgrenzung gegenüber einer Lewy-Body-Demenz (LBD). Beiden Erkrankungen ist die intrazelluläre Ablagerung von Alpha-Synuklein in Kortex und Hirnstamm gemeinsam, und es bestehen Überlappungen in der Klinik. Als typisch gilt, dass der Parkinsonismus der Parkinson-Demenz um mehr als 12 Monate vorangeht, während sich bei LBD die Demenzsymptomatik innerhalb von 12 Monaten nach dem Auftreten des Parkinsonismus bemerkbar macht. Sehr typisch für LBD
sind immer wieder und rasch hintereinander auftretende Stürze. Oft haben die Betroffenen Halluzinationen, die sie aber spontan nicht erwähnen, da sie nicht angstauslösend sind. Angehörige berichten von Schlafstörungen mit lautem Schreien, Umsichschlagen und Alpträumen. Bei Demenz muss zuerst die bisherige Parkinson-Therapie angepasst werden. Bei einem MMSE > 10 ist Rivastigmin (Exelon®) auch bei Parkinson-Demenz zugelassen. Rivastigmin muss sehr langsam auftitriert und schliesslich auch voll ausdosiert werden. Unerwünschte Wirkungen sind unter anderem Tremor, Übelkeit/Erbrechen und Bradykardie. Wird Rivastigmin nicht vertragen, kann ein Versuch mit einem anderen Cholinesterasehemmer Wirkung zeigen. Bei LBD ist ein sorgfältiger Titrationsversuch mit Levodopa indiziert. In den USA ist Rivastigmin in dieser Indikation schon seit Langem zugelassen. In der Schweiz wirkt Rivastigmin ebenfalls, muss aber off-label verschrieben werden, wie Dr. Breil anmerkte. Praktisch bedeutsam ist bei LBD eine besondere Empfindlichkeit gegenüber Neu-
roleptika mit zum Teil irreversibler
Extrapyramidalsymptomatik. Hier sind
die klassischen Neuroleptika, etwa
Haloperidol, besonders problematisch,
ersatzweise ist aber ein Behandlungs-
versuch mit Atypika in niedriger Dosie-
rung (Clozapin [Leponex®]: 6,25–75 mg/
Tag; Quetiapin [Seroquel®]: 12,5–100 mg/
Tag) möglich.
Neben der Demenz bereiten auch die
autonomen Störungen Probleme. Die
häufige Orthostasesymptomatik und
die chronische Obstipation lassen sich
durch Allgemeinmassnahmen bessern,
unterstützend hilft auch Domperidon
(Motilium®), das die Peripherie vor
Dopamin schützt (Kasten). Trizyklika
wie Amitriptylin (Saroten® Retard,
Trypitzol®), Trimipramin (Surmontil®
oder Generika) sowie Doxepin (Sin-
quan®) wirken antichiolinerg und kön-
nen zwar auf den Speichelfluss günstig
einwirken, aber Orthostaseprobleme
hervorrufen. Atropintropfen können
punktuell, etwa bei einem Essen aus-
wärts, gegen Speichelfluss hilfreich
sein. Eine suffiziente Parkinson-Thera-
pie bessere auch die depressive Sym-
ptomatik, betonte Dr. Breil. Für die
Dopaminagonisten Ropinirol und Pra-
mipexol sind ebenso wie für MAO-B-
Hemmer antidepressive Eigenschaften
nachgewiesen. Geeignet sind Sero-
toninwiederaufnahmehemmer (SSRI),
wegen des Serotoninsyndroms mit Zit-
tern, Fieber, Diarrhö und Angst ist Vor-
sicht geboten bei der Kombination mit
Dopaminagonisten. Für Mirtazapin
(Remeron® oder Generika), Trazodon
(Trittico®) und Mianserin (Tolvon®
oder Generika) sind sedierende Eigen-
schaften bekannt und können sinnvoll
eingesetzt werden. Bei starker Minus-
symptomatik kann eine Cholinesterase-
hemmerbehandlung besser wirken als
klassische Antidepressiva.
Bei Impulskontrollverlust sollte die
Dopaminagonistendosierung möglichst
heruntergefahren werden. Allenfalls
kommen Clonazepin oder Quetiapin
infrage.
Benzodiazepine sind bei Parkinson nicht
grundsätzlich verboten. Am ehesten
sollte Clonazepam (Rivotril®) abends
eingesetzt werden, das besonders bei
REM-Schlaf-Störungen.
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Halid Bas
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