Transkript
FORTBILDUNG
Schwere Formen des atopischen Ekzems bei Kindern
Topische oder systemische Behandlung?
Das atopische Ekzem hat viele Namen: Neurodermitis, atopische Dermatitis und endogenes Ekzem. Bei Kindern ist diese Erkrankung häufig nur schwach ausgeprägt, doch die Behandlung schwerer Fälle ist eine Herausforderung.
BMJ
Das atopische Ekzem ist die häufigste entzündliche Krankheit mit chronischem Verlauf in der frühen Kindheit. Neben genetischen Mutationen spielen äussere Umwelteinflüsse eine Rolle. Ein weiterer Faktor ist das Immunsystem – vor allem die Serumkonzentration von Immunglobulin E kann bei betroffenen Patienten erhöht sein. Nicht selten treten weitere Bilder aus dem atopischen Formenkreis wie Nahrungsmittelallergien und Asthma auf. Zwischen 10 und 20 Prozent der Kinder in den Industrieländern leiden an dieser Erkrankung, wobei bei rund zwei Prozent eine schwere Form vorliegt. Bei rund zwei Dritteln verbessern sich die Hautprobleme im Laufe der Jugend, oder sie verschwinden sogar vollständig.
Merksätze
❖ Ein atopisches Ekzem tritt häufig in Verbindung mit einer erhöhten Allergieneigung auf.
❖ Im frühen Kindesalter befindet sich oft Milchschorf an den Wangen und auf dem behaarten Kopf. Bei Erwachsenen sind häufig die Gelenkbeugen betroffen.
❖ Leichte Formen können in der hausärztlichen Praxis behandelt werden. Der Einbezug eines Facharztes ist meist nur bei schweren Fällen notwendig.
❖ Die Patienten sind anfällig gegenüber Infektionen durch Bakterien, Viren und Pilze.
❖ Leichte Beschwerden können in der Regel gut mit Topika behandelt werden, doch bei einer schweren Erkrankung ist womöglich die systemische Gabe von Immunmodulatoren erwägenswert.
«Mami, es juckt!» Die klinischen Manifestationen ändern sich mit dem Alter. Die Krankheit beginnt häufig im frühen Kleinkindalter mit Milchschorf auf dem behaarten Kopf und an den Wangen. Zunächst sind noch oft die Streckseiten der Gelenke betroffen, doch später befinden sich die Problemherde eher im Bereich der Beugeseiten. Das atopische Ekzem wird üblicherweise anhand seines klinischen Erscheinungsbilds diagnostiziert. Typische Symptome sind Juckreiz, Entzündungen, Störungen der Hautbarriere und Infektionsanfälligkeit. Es ist manchmal nicht einfach, schwere und leichtere Formen voneinander abzugrenzen, zumal es keine allgemeingültige Definition gibt. Aus klinischer Sicht liegt ein schwieriger Fall vor, wenn die topischen Behandlungsoptionen der ersten Wahl keinen Erfolg erzielen und die Lebensqualität stark beeinträchtigt ist. Als diagnostisches Hilfsmittel dienen verschiedene Skalen zur Bestimmung des Schweregrads und der Lebensqualität.
Basisbehandlung Die Behandlung zielt darauf ab, die Häufigkeit und das Ausmass neuer Schübe zu verringern, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern. Zudem ist die Vermeidung möglicher Begleiterkrankungen wünschenswert. Leichte Formen des atopischen Ekzems können in der hausärztlichen Praxis behandelt werden. Die Patientenschulung ist ein wichtiges Instrument, und der tägliche Einsatz von rückfettenden Reinigungsmitteln und Salben gegen trockene Haut ist unerlässlich. Daneben werden oft systemische Antihistaminika gegen den Juckreiz verabreicht, doch der Nutzen ist nicht eindeutig belegt. Infektionen stehen häufig im Zusammenhang mit ekzematösen Schüben, wobei das Bakterium Staphylococcus aureus vielfach der Übeltäter ist. Kinder mit einem stark ausgeprägten atopischen Ekzem sind ausserdem anfälliger gegenüber viralen Infekten wie dem Ekzema herpeticatum, und ein Befall mit dem Hefepilz Malassezia furfur kann Komplikationen hervorrufen. Je nach Fall muss ein geeignetes Antiinfektivum angewendet werden. Eine Möglichkeit sind kortikoidhaltige Salben mit einem antimikrobiellen Wirkstoff zur Behandlung infizierter Ekzeme.
Topische Kortikoide Bei der Therapie leichter Erkrankungsformen werden schwach- bis mittelstarke Kortikoide kurzzeitig auf die betroffenen Hautstellen aufgetragen. Sie haben einen entzündungshemmenden, antiproliferativen, immunsuppressiven
ARS MEDICI 21 ■ 2012 1175
FORTBILDUNG
Topische Kortikoide
Wirkstärke Schwach Mittelstark Stark
Sehr stark
Kortikoid Hydrocortisonacetat 0,5% Clobetasonbutyrat 0,05% Betamethasonvalerat 0,1% Hydrocortison butyrat 0,1% Mometasonfuroat 0,1% Clobetasolpropionat 0,05%
Handelsname CH Sanadermil®, Dermacalm® Emovate® Betnovate® Locoid® Elocom® Dermovate®
infolge des atopischen Ekzems werden auch häufig Okklusionsverbände angewendet. Sie können den Wasserhaushalt der Haut verbessern und bieten einen Kratzschutz bei Juckreiz, doch in dem feuchten Milieu können sich unter Umständen leicht Infektionen bilden. Des Weiteren kam ein systematischer Review zu dem Ergebnis, dass eine UV-Bestrahlung im Vergleich zum Plazebo wirksamer ist. Das Langzeitrisiko für Hautkrebs ist allerdings unbekannt und stellt insbesondere für hellhäutige Patienten einen Grund zur Besorgnis dar.
Topika mit einem Kortikoid und einem antimikrobiellen Wirkstoff
Kortikoid Hydrocortisonacetat 1% Betamethasondipropionat 0,05%
Betamethasonvalerat 0,1%
Antiinfektivum Fusidinsäure 2% Gentamicin 0,1% + Clotrimazol 1% Clioquinol 3%
Handelsname CH Fucidin H® Triderm®
Betnovate C®
und gefässverengenden Effekt. Lokale unerwünschte Wirkungen wie Hautatrophie können bei unsachgemässem Gebrauch vorkommen, wohingegen systemische unerwünschte Wirkungen selten sind. Alternative Behandlungsoptionen werden notwendig, wenn die Erkrankung trotz topischer Kortikoide und einer rückfettenden Hautpflege nicht in den Griff zu bekommen ist oder wenn gefährlich hohe Mengen an kortikoidhaltigen Dermatika eingesetzt werden. Vor allem bei einem schweren Verlauf sollte ein Facharzt hinzugezogen werden.
Management schwerer Fälle Topische Calcineurininhibitoren verhindern die Bildung und Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen. In der Schweiz sind diese Wirkstoffe als Mittel der zweiten Wahl bei Kindern ab 2 Jahren zugelassen. Der Wirkstoff Tacrolimus (Protopic®-Salbe) ist indiziert bei akuten Exazerbationen von mittelschwerer bis schwerer atopischer Dermatitis, und Pimecrolimus (Elidel®-Creme) kann bereits bei leichten bis mittelschweren Formen eingesetzt werden. Diese Arzneimittel sind ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, da ein erhöhtes Risiko für die Bildung eines kutanen Lymphoms vermutet wird, doch Langzeitdaten fehlen noch. Bei starken Beschwerden
In den folgenden Fällen sollte ein Facharzt hinzugezogen werden:
❖ Ungesicherte Diagnose ❖ Kein zufriedenstellender Erfolg mit den Behandlungsmethoden
der 1. Wahl ❖ Schwere oder wiederkehrende Infektionen der Haut ❖ Unkontrollierbares atopisches Ekzem im Gesicht ❖ Ernsthafte psychologische Probleme ❖ Mittlere oder starke Nahrungsmittelallergie ❖ Wachstumsverzögerung
Systemische Immunmodulatoren Bei Patienten mit einem schweren Verlauf, die auf äusserliche Behandlungsstrategien nicht ansprechen, kann die systemische Gabe von Immunmodulatoren in Betracht gezogen werden. Der Einsatz und die Sicherheit dieser Arzneimittel beim atopischen Ekzem von Kindern sind nicht gut untersucht. In der Schweiz ist lediglich der Wirkstoff Ciclosporin (Sandimmun®) für diese Indikation zugelassen, allerdings zunächst nur für Erwachsene und Jugendliche ab 16 Jahren. Die Wirkung setzt schnell ein, doch aufgrund des Nebenwirkungsprofils eignet sich Ciclosporin nur zur Kurzzeittherapie. Nach Behandlungsende kann die Erkrankung allerdings schnell wieder auftreten. Dahingegen dauert es einige Zeit, bis ein Behandlungserfolg mit dem Wirkstoff Azathioprin (Imurek® und Generika) spürbar ist, doch im Gegensatz zu Ciclosporin treten nach Absetzen der Therapie weniger oder nicht so schnell Rückfälle auf. Der Wirkstoff Methotrexat (Methotrexat Sandoz® u.a.) wird üblicherweise für andere chronisch-entzündliche Erkrankungen verwendet. Dazu gehören schwere Formen unkontrollierbarer Psoriasis und die rheumatoide Arthritis. Bei einer Fallstudie mit 25 Kindern verschwand das Ekzem bei 16 Kindern vollständig und bei 3 Patienten nahezu vollständig. Ein weiterer systemischer Immunmodulator ist Mycophenolat (Cellcept® und Generika), der vor allem für die Prophylaxe einer Transplantatabstossung indiziert ist. Es wurde eine retrospektive Fallserie anhand von 14 Kindern durchgeführt. Sie hatten ein schweres atopisches Ekzem, das unter der Behandlung mit Mycophenolat bei 4 Patienten verschwand. Des Weiteren sprachen 4 Kinder sehr gut, 5 Kinder gut und 1 Kind unzureichend auf die Therapie an.
Fazit
Obwohl systemische Immunmodulatoren oftmals sehr wir-
kungsvoll sind, muss das Auftreten möglicher unerwünschter
Wirkungen streng überwacht werden. Vor Behandlungs-
beginn sollte daher der Grund für das Versagen vorherge-
hender Therapien ermittelt werden. Wenn Ursachen wie
schlechte Patienten-Compliance, Anwendungsfehler, Infek-
tionen oder allergische Reaktionen beseitigt werden, ist
womöglich eine Therapie mit verträglicheren Dermatika
doch ausreichend.
❖
Monika Lenzer
Quelle: McAleer MA et al: Management of difficult and severe eczema in childhood. BMJ 2012; 345: e4770.
Interessenkonflikte: keine angegeben
1176 ARS MEDICI 21 ■ 2012