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STUDIE REFERIERT
Hormonale Intrauterinsysteme und Implantate sind Pille, Pflaster oder Ring überlegen
Eine prospektive Kohortenstudie hat die Effektivität von lang wirksamen Kontrazeptionsmassnahmen wie Spirale und Hormonimplantat mit anderen häufig verschriebenen Methoden wie Pille, Hormonhautpflaster, -vaginalring und -depotspritze verglichen.
NEJM
Ungewollte Schwangerschaften treten je nach sozioökonomischem Umfeld, Alter und Land in unterschiedlicher Häufigkeit auf. Sie sind besonders im Teenageralter ein grosses Problem. Die vorliegende Studie ist vor der immer noch erschreckend hohen Rate ungewollter Schwangerschaften in den USA zu sehen, welche aber gerade die Durchführung möglich machte.
Methodik Das kontrazeptive CHOICE-Projekt ist eine prospektive Kohortenstudie mit dem Ziel, die Zahl ungewollter Schwangerschaften durch den Einsatz lang wirksamer Kontrazeptionsmethoden zu senken. Die Studie nahm im Grossraum der US-amerikanischen Stadt Saint Louis 9256 Frauen zwischen 14 und 45 Jahren mit Kontrazeptionswunsch für mindestens ein Jahr auf. Die Frauen erhielten umfassende Informationen zu allen verfügbaren reversiblen Kontrazeptionsmethoden, wobei auf die besondere Sicherheit von Intrauterinsystemen (intrauterine devices, IUD, z.B. Mirena®) und subkutanen Hormonimplantaten (Implanon®) hingewiesen wurde. Danach konnten die Teilnehmerinnen ihre Kontrazeptionsmethode frei wählen und erhielten diese kostenlos für drei Jahre (n = 5090) beziehungsweise zwei Jahre (Rest der Kohorte).
Merksätze
❖ In einer grossen prospektiven Kohortenstudie mit US-amerikanischen Frauen zwischen 14 und 45 Jahren war das Risiko eines Kontrazeptionsversagens bei Teilnehmerinnen, die orale Kontrazeptiva, transdermale Hormonpflaster oder einen Vaginalring benutzten, 20-mal höher als bei jenen, die eine lang wirksame, reversible Kontrazeptionsmethode wie IUD oder Hormonimplantat einsetzten.
❖ Die lang wirksamen, reversiblen Kontrazeptionsmethoden waren bei Adoleszenten und jungen Frauen genauso effektiv wie bei älteren.
Ergebnisse Diese Analyse umfasst die ersten 7486 Studienteilnehmerinnen, die ein IUD, ein Implantat, eine Depotspritze (Depot-Provera® 150, Sayana®), orale Kontrazeptiva, Hormonpflaster (Evra®) oder einen Vaginalring (NuvaRing®) angewendet hatten. Zur Erfassung des Kontrazeptionsschutzes wurden Perioden mit Verwendung anderer Methoden wie Kondom, Diaphragma oder natürliche Familienplanung ausgeschlossen. Insgesamt traten 334 ungewollte Schwangerschaften auf. Die Rate des Kontrazeptionsversagens betrug für orale Kontrazeptiva, Hormonpflaster oder Vaginalring 4,55 pro 100 Anwenderinnenjahre. Demgegenüber lag der Pearl-Index für Frauen mit lang wirksamen, reversiblen Kontrazeptionsmethoden wie IUD oder Implantat bei
0,27 pro 100 Frauenjahre. Das entspricht nach Adjustierung für Alter, Bildungsgrad und Anamnese vorangegangener ungewollter Schwangerschaften einer Hazard Ratio von 21,8 (95%Konfidenzintervall 13,7–34,9). Unter den Teilnehmerinnen mit weniger sicheren Kontrazeptionsmethoden (Pille, Hormonpflaster, Vaginalring) hatten diejenigen unter 21 Jahren gegenüber den älteren Frauen ein fast doppelt so hohes Risiko für eine ungewollte Schwangerschaft. Mit IUD und Implantat vergleichbar tiefe Schwangerschaftsraten wurden unabhängig vom Alter unter der Depotspritze mit Medroxyprogesteronacetat registriert.
Diskussion «Wir haben beobachtet, dass bei Teilnehmerinnen, die orale Kontrazeptiva, transdermale Systeme oder einen Vaginalring benutzten, das Risiko eines Versagens des Kontrazeptionsschutzes 20-mal höher war als bei jenen, die eine lang wirksame, reversible Kontrazeptionsmethode einsetzten», resümieren die Autoren. Pro 100 Teilnehmerinnenjahre betrug die Rate ungewollter Schwangerschaften mit Pille, Pflaster oder Vaginalring 4,55, unter der Hormondepotspritze 0,22 und mit einem IUD oder Hormonimplantat 0,27. Diese Ergebnisse entsprechen denjenigen älterer Studien. Allerdings stammen die Schätzungen zum Kontrazeptionsversagen aus retrospektiven Studien, in denen die Frauen aus der Erinnerung Angaben zu ihrer Kontrazeption machen mussten. Typische (USamerikanische) Schätzungen gehen davon aus, dass 9 Prozent der Frauen, welche die Pille anwenden, innert des ersten Jahrs trotzdem schwanger werden, während die Raten bei anderen Methoden viel tiefer liegen (Implantat: 0,001%; Levonorgestrel-IUD: 0,14%, Kupfer-IUD: 0,7%). In dieser Studie hatten Anwenderinnen der Depotspritze besonders tiefe Schwangerschaftsraten. Das gilt aber nur für diejenigen Frauen, die regelmässig für weitere Injektionen erschienen (perfect use). Typischerweise verlassen mehr als 40 Prozent der Frauen diese Kontrazeptionsmethode innert des ersten Jahres. In dieser Studie hatten die Anwenderinnen lang wirksamer, reversibler
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Kontrazeptionsmethoden höhere Adhärenzraten nach zwölf Monaten (> 80%) gegenüber den Benutzerinnen anderer reversibler Methoden (49– 57%). Diese Frauen hatten im Allgemeinen eine schwächere Schulbildung und höhere Raten vorangegangener ungewollter Schwangerschaften oder Schwangerschaftsabbrüche. Für die Anwendung lang wirksamer reversibler Kontrazeptionsmethoden wie IUD oder Implantat gebe es nur wenige Kontraindikationen, schreiben die Autoren. Moderne IUD tragen nach den ersten 20 Tagen nach Insertion kein erhöhtes Infektionsrisiko.
IUD und Implantate haben auch bei Adoleszenten und nulliparen Frauen ein akzeptables Nebenwirkungsrisiko. Junge Frauen zeigten mit diesen Kontrazeptionsmethoden ähnliche Zufriedenheitsraten wie ältere Frauen. Implantate haben sehr wenige Kontraindikationen; unvorhersehbare Blutungen sind die häufigste Nebenwirkung und Ursache für einen Verzicht auf die Fortführung dieser Kontrazeption. Als Stärke ihrer Studie streichen die Autoren das prospektive Design, die grosse Teilnehmerinnenzahl, exakte Erfassung des Kontrazeptionsgebrauchs
und das gute Follow-up heraus. Eine
Einschränkung ist das Fehlen einer
Randomisierung. Allerdings entschie-
den sich gerade Frauen mit besonders
hohem Risiko für ungewollte Schwan-
gerschaften für die besonders effekti-
ven, lang wirksamen, reversiblen Kon-
trazeptionsmethoden wie IUD oder
Hormonimplantat.
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Halid Bas
Brooke Winner et al. Effectiveness of long-acting reversible contraception. N Engl J Med 2012; 366: 1998–2007.
Interessenlage: Einige der Autoren deklarieren finanzielle Beziehungen zu Pharmafirmen mit Interessen auf
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