Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse 115
Peinlich der Kommentar von Wirtschaftsredaktor Andreas Flütsch vom Tagesanzeiger zum Beitrag «Ärztenetzwerke wollen an Rabatten verdienen» (siehe auch Editorial). Unter dem Titel «Sogar beim Sparen noch verdienen» wird das System der teilweisen Rückvergütung von mit der Pharmaindustrie ausgehandelten Rabatten beim Einkauf von Medikamenten heftig kritisiert. Ziel der Kritik sind die Ärztenetzwerke, die bei umsatzstarken Indikationen (Antihypertensiva, Lipidsenker) oft auf ein einziges Präparat setzen und dieses deutlich günstiger einkaufen – was tatsächlich seine problematischen Seiten hat, weil dadurch die Therapiefreiheit des einzelnen Arztes erheblich eingeschränkt wird – allerdings auch nicht viel anders, als das beispielsweise in Spitälern der Fall ist.
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Zitat Flütsch: «Eine saubere Lösung wäre, den Ärzten gesetzlich vorzuschreiben, von mehreren gleichwertigen Mitteln stets das billigste zu verschreiben – und Rabatte ungeschmälert weiterzugeben.» Interessant! Der Redaktor fordert also ein neues Gesetz (nun ja, noch eines mehr, was spielt das schon für eine Rolle?), das dem Arzt die Freiheit abnimmt, entscheiden zu müssen, welches Medikament er verschreiben oder abgeben möchte. Superidee! Vor allem, weil unter solchen Vorgaben beim nächsten Besuch des Patienten inzwischen garantiert ein anderes Präparat das günstigste geworden ist. Eine der wichtigsten Aufgaben des Arztes wird es, wenn es nach den Vorstellungen des Tagi-Wirtschaftsredaktors geht, demnach sein, sich täglich neu auf dem Laufenden zu halten, welches Präparat in jedem der Hunderten von Indikationsbereichen momentan grad das Günstigste ist.
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Und – viel schlimmer – der mit neuem Administrativkram beglückte Doktor müsste dem Patienten erklären, dass die Tabletten mit dem Namen X, die er zweimal täglich schlucken muss, jene
Tabletten mit Namen Y ersetzen, die er bis zum Ende der Packung noch dreimal täglich einnehmen muss, (weil die jetzt leider 50 Rappen teurer sind als X). Und dass es leider sein kann, dass in einem Monat das Präparat Z noch günstiger geworden ist und er, der Patient, das Präparat, das er dann nur noch einmal pro Tag einnehmen darf, schon wieder wechseln muss. Ach ja, nur so nebenbei: die Nebenwirkungen sind bei den unterschiedlichen Arzneien auch nicht ganz die gleichen. Aber wir werden das dann ja sehen. Um Geld zu sparen müssen halt alle Opfer bringen: Der Arzt, der mehr Tabellen wälzt als zu arbeiten und dafür weniger verdient, und der Patient, der die medizinischen Risiken solch verantwortungslosen Humbugs trägt.
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Vielleicht sollten sich Wirtschaftsredaktoren auf die Leisten beschränken, von denen sie etwas verstehen. Medizin gehört mit Sicherheit nicht dazu.
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Ein Aufreger: die olle Kamelle «Frauenquote» ist mal wieder Thema, und irgendwie will einem scheinen, die Gegner seien langsam mürbe. Einige fragen zwar noch halbherzig kritisch, wo denn die Tausenden zur Erfüllung einer flächendeckenden Quote benötigten Frauen sind, die gerne einen verantwortungsvollen Job möchten und ausfüllen könnten, und ihn nur deshalb nicht erhalten haben, weil sie Frauen sind. Aber damit hat sich’s auch schon.
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Mit den Quoten für die Frauen läuft’s ähnlich wie mit der Schoggi: Wenn die Kinder lange genug «müede», kriegen sie am Ende was sie wollen. Und lernen daraus fürs spätere Leben.
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Wir wissen, wo die Frauen sind. Ein Teil wenigstens: in der Medizin. Und da
arbeiten sie teilzeitlich und – leider – lieber im Angestelltenverhältnis denn als selbstständige Unternehmerinnen.
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Julia Onken fordert nicht nur Kindertages- sondern auch -nachtstätten, damit die Mutter, Quotenfrau in einer Geschäftsleitung, problemlos nach London an ein Meeting fliegen und auch mal über Nacht da bleiben kann. Ginge es um Haustiere, würde man fragen: Wozu eine Katze, wenn man doch keine Zeit für sie hat?
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Egal, worüber man sich aufregt, was man bedauert oder wovor man Angst hat – die wichtigste (und der psychischen Befindlichkeit am meisten dienende) Frage lautet: Spielt es in einem Jahr wirklich noch eine Rolle?
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Weisheit des Zen: Wasser erhitzt sich langsam und kocht plötzlich.
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Und das meint Walti: Hohle Töpfe haben den lautesten Klang.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 20 ■ 2012 1053