Transkript
EDITORIAL
Einige Leute ereifern sich darüber, dass sich selbstdispensierende Ärzte und ganze Ärztenetz-
werke nicht mit Herzblut für günstigere Einkaufskonditionen einsetzen und die ausgehandelten Rabatte sodann grossherzig an die Krankenkassen weitergeben, die dafür keinen Finger gerührt haben. Dass die Verhandlungen mit allen Firmen einzeln und alle Jahre wieder viel Zeit und Energie erfordern, kratzt kritische Wirtschaftsredaktoren nicht. Unter dem Titel «Ärztenetzwerke wollen an Rabatten verdienen» – plus Kommentar: «Sogar
zwischen Krankenkassen und Ärztenetzwerken. Damit könnte man leben, wenn allen klar und von allen akzeptiert ist, dass niemand, auch nicht ein Arzt, seine Zeit dafür einsetzt, Rabatte auszuhandeln, die dann zu 100 Prozent an Dritte gehen. Mindestens ein kleiner Teil muss als Belohnung für den Aufwand beim Verhandler bleiben. Das kann man despektierlich «kickback» nennen. Bei Fundraisern, also Leuten, die professionell Spenden sammeln für Brot für Brüder, Caritas, WWF usw., ist der kickback – er heisst dort etwas edler Provision oder Kommission – eine Selbstverständlichkeit. 10 Prozent der Spenden verbleiben beim Fundraiser. Logisch, was hätte er sonst für eine Motivation? Die Forderung nach einem Verzicht auf die relativ kleine Provision für die
Der Ruf nach dem sauberen Eigentor
beim Sparen noch verdienen» (Tagesanzeiger vom 4. Okt. 2012) wird den Netzwerken vorgeworfen, sie gäben entgegen dem (umstrittenen) Gesetz Rabatte nicht weiter. Sollte der Wirtschaftsredaktor des Tagi wirklich noch nie mit Anreizsystemen in Kontakt gekommen sein? Unwahrscheinlich. Ökonomische Ahnungslosigkeit erwartet man eher bei Mitarbeitern von Institutionen, die keinem effizienten wirtschaftlichen Handeln verpflichtet sind. Und dazu gehört der Tagi sicher nicht. Nicht einmal die SP und andere kritische Beobachter der Szene fordern eine vollständige Rückführung der in den Verhandlungen erzielten Rabatte. Auch nicht Jacques de Haller, noch Präsident der FMH. Was sie verlangen, ist mehr Transparenz: eine Offenlegung der Verträge
Ärztenetzwerke (aber auch für einzelne Ärzte) ist denn auch der Ruf nach dem sauberen Eigentor. Wenn niemand mehr profitiert von den Rabattverhandlungen, dann wird einfach niemand mehr verhandeln. Und wenn niemand mehr verhandelt, dann werden die Preise wieder steigen. Zum Schaden der Ärzte, der Ärztenetzwerke, der Krankenkassen und der Patienten. So einfach ist das. Zu einfach für Wirtschaftsredaktoren?
Richard Altorfer
ARS MEDICI 20 ■ 2012 1049