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FORTBILDUNG
Colitis ulcerosa
Bekannte Substanzen und neue Medikamente
Aminosalizylate, Thiopurine, Kortikosteroide und Infliximab gehören zu den Standardmedikamenten bei der Behandlung der Colitis ulcerosa. Als neue Therapieoptionen werden derzeit zwei weitere TNFInhibitoren, ein darmspezifischer monoklonaler Antikörper, ein oraler Januskinaseinhibitor und ein im Kolon wirksames Kortikosteroid untersucht.
MEDSCAPE
Die Unterscheidung zwischen einer leichten und einer schweren Colitis ulcerosa und die Auswahl entsprechender Medikamente sind relativ einfach. Bei einer mittelgradigen Ausprägung der Erkrankung ist die Entscheidung für eine bestimmte Medikation jedoch schwieriger. So wählen manche Ärzte bereits ein Kortikosteroid aus, bevor die Schwere der Colitis ulcerosa dies erfordert, um eine rasche Verbesserung zu erreichen, während andere auf den Wirkungseintritt eines verträglicheren Medikaments warten, um potenzielle Nebenwirkungen der aggressiveren Behandlung zu vermeiden oder hinauszuzögern (1).
Die bestmögliche Therapie erfordert die Auswahl des richtigen Medikaments zum richtigen Zeitpunkt. Dazu müssen bei einer Colitis ulcerosa zahlreiche Faktoren wie Patientencharakteristika und Medikamentenprofile berücksichtigt werden. Die grösste Bedeutung hat jedoch die Evaluierung der Schwere der Erkrankung und des Entzündungsgrades (1). Früher wurde diese Abschätzung anhand klinischer Kriterien vorgenommen, im neueren Mayo-Score werden die Ergebnis-Scores zur Stuhlfrequenz, zu rektalen Blutungen, zu endoskopischen Ergebnissen und zur globalen Beurteilung durch den Arzt in einem Gesamtwert zusammengefasst (1, 3). Die Endoskopie ist zur Initialdiagnose und zur Überwachung einer Dysplasie von Nutzen, bei der Evaluierung der Erkrankungsschwere ist die Bedeutung weniger klar. In Studien haben sich Scores inklusive einer Endoskopie und Scores ohne Endoskopie als gleichwertig zur Beurteilung der Erkrankung erwiesen. Zum Ausschluss einer Infektion mit dem Zytomegalievirus ist eine Endoskopie mit Biopsie erforderlich, ansonsten können Ärzte und Patienten die Schwere der Erkrankung meist gut anhand der Anamnese und der körperlichen Untersuchung einschätzen (1).
Merksätze
❖ Die Auswahl geeigneter Medikamente richtet sich vor allem nach der Schwere der Erkrankung und dem Ausmass der Entzündung.
❖ Aminosalizylate, Thiopurine, Kortikosteroide und Infliximab gehören zu den Standardmedikamenten bei Colitis ulcerosa.
❖ Neue Therapieoptionen sind Adalimumab, Golimumab, Vedolizumab, Tofacitinib und Budesonid MMX.
Aminosalizylate Zur Behandlung der leichten bis moderaten Colitis ulcerosa sind Aminosalizylate die Medikamente der ersten Wahl. Diese Substanzen wurden von der Food and Drug Administration (FDA) in einer Dosierung von 2,4 bis 4,8 g/Tag zur Behandlung des aktiven Schubs zugelassen. Ob eine DosisWirksamkeits-Beziehung besteht, ist nicht bekannt. Neue Daten aus kontrollierten Studien weisen jedoch darauf hin, dass bei einer moderaten Erkrankungsform höhere Dosierungen wirksamer sind als niedrigere. In den Studien ASCEND 1 und ASCEND 2 (Assessing the Safety and Clinical Efficacy of a New Dose of 5-ASA) war eine Mesalamindosis (Mesalazin, Pentasa®) von 4,8 g/Tag (800-mg-Tablette) mit einer raschen Besserung der Symptome verbunden. Hier dauerte es durchschnittlich neun Tage, bis keine rektalen Blutungen mehr festzustellen waren. Nach zwei Wochen waren bei 73 Prozent der Teilnehmer keine Rektalblutungen mehr vorhanden, und zudem hatte sich die Stuhlfrequenz verbessert (1). In einer älteren Studie zeigte sich, dass rektale Blutungen bei Patienten mit moderater Colitis ulcerosa mit einer Kombination oraler und topischer Medikamente schneller aufhörten als unter oralen Medikamenten allein. Sprechen die Symptome der Colitis ulcerosa auf eine Behandlung mit 2,4 g/Tag nicht an, sollte die Dosis für zwei bis drei Wochen auf 4,8 g/Tag erhöht werden, sodass überprüft werden kann, ob Aminosalizylate ohne Kortikosteroide bei dem Betroffenen wirksam sind (1). Das Sicherheitsprofil der Aminosalizylate ist im Vergleich zu dem anderer therapeutischer Klassen sehr günstig. Bei einem kleinen Anteil der Patienten kommt es zu Überempfindlichkeitsreaktionen, die zur Verschlimmerung der Kolitissymptome oder zu weiteren Organentzündungen wie Perikarditis oder Pleuritis führen können. Unerwünschte Wirkungen treten im Zusammenhang mit Aminosalizylaten meist nicht
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auf (1). Da es jedoch in seltenen Fällen (26 pro 10 000 Patientenjahre) zu einer idiopathischen interstitiellen Nephritis kommt, wird eine regelmässige Überwachung der Nierenfunktion empfohlen (1, 2). Eine weitere seltene Komplikation ist die Pankreatitis (1 pro 1 Million Behandlungstage). Infektiöse oder maligne Komplikationen sind im Zusammenhang mit Aminosalizylaten nicht bekannt (2).
Thiopurinimmunmodulatoren Thiopurine wie Azathioprin (Imurek® und Generika) und 6-Mercaptopurin (Puri Nethol®) werden seit etwa 20 Jahren als steroidsparende Medikamente zur Aufrechterhaltung der Remission angewendet (1, 2). Ein Test zur genetischen Disposition bezüglich der Thiopurinmethyltransferase (TPMT) stellt sicher, dass es nicht zur Neutropenie kommt. Bis zum Wirkungseintritt der Thiopurine können 8, manchmal sogar 12 bis 16 Wochen vergehen; um falschen Erwartungen vorzubeugen, sollte der Patient darüber informiert werden. Eine Überprüfung der Metabolitenspiegel kann zur Evaluierung der Wirksamkeit und der Toxizität sowie zur Beurteilung der Therapietreue des Patienten sehr hilfreich sein. Eine gewichtsbezogene Dosierung entspricht dem aktuellen Standard, dennoch können bei anhaltenden Symptomen, bei einer normalen Anzahl weisser Blutkörperchen oder bei unzureichender Compliance trotz korrekt vorgenommener Dosierung subtherapeutische Spiegel vorliegen. In diesen Fällen kann eine Dosisanpassung erforderlich sein, um wirksame Konzentrationen und eine Verbesserung der Erfolgsaussichten zu erreichen. Die Überwachung der Metabolitenspiegel kann auch bei Patienten mit erhöhten Leberwerten und unzureichender Symptomlinderung hilfreich sein. Bei diesen Patienten sind nur geringe Spiegel an aktiven Metaboliten, aber hohe Konzentrationen an 6-Methyl-Mercaptopurin vorhanden, einem inaktiven Metaboliten, der mit Hepatotoxizität assoziiert ist. Diese Patienten können von Allopurinol (100 mg/Tag) profitieren, welches das Enzym Xanthinoxydase blockiert und darüber eine Umwandlung von Mercaptopurin in das aktive 6-Thioguanin ermöglicht. Eine routinemässige Überwachung der Metaboliten wird derzeit jedoch nicht empfohlen (1). Bis zu 25 Prozent der Patienten brechen die Thiopurinbehandlung aufgrund von Unverträglichkeiten oder infolge von Sekundärinfektionen durch die chronische Immunsuppression ab (1). Zu unerwünschten Wirkungen im Zusammenhang mit Thiopurinen gehören allergievermittelte Reaktionen innerhalb von zwei bis vier Wochen nach Behandlungsbeginn. Charakteristische Symptome sind grippeähnliche Beschwerden (Unwohlsein, Fieber, Übelkeit), Hautausschläge, abdominelle Schmerzen, Pankreatitis und eine medikamenteninduzierte Hepatitis. Durch die Myelosuppression verursachen Thiopurine zudem in 2,2 bis 15 Prozent aller Fälle eine Leukopenie (2). Das Risiko für Malignizitäten scheint sich bei Thiopurinen auf ein erhöhtes Risiko für Lymphome und Nichtmelanomhautkrebs (NMSC) zu beschränken. Zudem gibt es Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für zervikale Abnormitäten (Vorläufer des zervikalen Karzinoms). Das absolute Risiko für Lymphome beträgt unter Thiopurinen 4 pro 10 000 Patientenjahre, während es in der Allgemeinbevölkerung bei 2 pro 10 000 Patientenjahren liegt. Das erhöhte Risiko für
Lymphome geht nach Absetzen der Medikamente wieder auf ein Normalmass zurück, das erhöhte NMSC-Risiko bleibt dagegen auch nach Beendigung der Behandlung bestehen. Ein erhöhtes Risiko für Melanome wurde unter Thiopurinen nicht beobachtet (2).
Biologika Infliximab (Remicade®) ist derzeit als einziges Biological von der FDA zur Behandlung der Colitis ulcerosa zugelassen (1). Die Substanz wird zur Induktion und Aufrechterhaltung der Remission angewendet und ist für die moderate bis schwere Erkrankung in ähnlichen Dosierungsschemata wie zur Behandlung von Morbus Crohn indiziert (1, 2). Zu Beginn wird das Medikament in den Wochen 0, 2 und 6 über Infusionen verabreicht, anschliessend werden alle acht Wochen Erhaltungsinfusionen vorgenommen. Die Bestimmung der Serumspiegel von Infliximab und der Infliximabantikörper können bei der Überprüfung der Behandlungswirksamkeit von Nutzen sein (1). Patienten, bei denen sich die Symptome nach drei Infliximabapplikationen nicht verbessern, sollten erneut (auch endoskopisch) untersucht werden. Wird mit Infliximab keine Verbesserung der mukosalen und der klinischen Symptome erzielt, sollte die Behandlung abgebrochen und auf ein anderes Medikament umgestellt werden. Infliximab wird meist gut vertragen. Berichte über abnormale Leberfunktionstests, Zytopenie und lupusähnliche Syndrome sind selten. Infliximab ist jedoch mit einer Reaktivierung von Tuberkulose und Hepatitis B verbunden (2). Bevor mit Infliximab begonnen wird, sind daher entsprechende Tests und Patientenbefragungen obligatorisch; zudem wird ein aktualisierter Impfstatus des Patienten sichergestellt. Eine Applikation von Lebendimpfstoffen wie dem attenuierten Influenzavakzin sollte vor Beginn mit Infliximab mindestens einen Monat zurückliegen. Da der Behandlungserfolg auch massgeblich von der Compliance abhängt, empfiehlt es sich, den Patienten entsprechend zu beraten, unter anderem auch darüber, dass eine Verbesserung der Symptomatik erst nach etwa zwei bis drei Wochen zu erwarten ist (1). Neue Daten zeigen, dass Infliximab nicht mit einem erhöhten infektionsbedingten Mortalitätsrisiko assoziiert ist. Infliximab wird jedoch mit bestimmten Malignizitäten, vor allem mit einem erhöhten Risiko für Lymphome, in Verbindung gebracht. Da Anti-TNF-Substanzen jedoch vorwiegend in Kombination mit Thiopurinen gegeben werden, ist es schwierig zu beurteilen, inwieweit das erhöhte Risiko speziell auf Infliximab oder eher auf synergistische Effekte der Kombination zurückzuführen ist. In einer Metaanalyse zur Kombinationstherapie mit Anti-TNF- und immunmodulierenden Substanzen wurde ein erhöhtes Risiko für Lymphome ermittelt, allerdings war das absolute Risiko mit 6,1 pro 10 000 Patientenjahre relativ gering (2). Anti-TNF-Substanzen werden zudem mit einem erhöhten NMSC-Risiko assoziiert, wobei das Risiko mit der Behandlungsdauer zunimmt. Die Grössenordnung ist jedoch geringer als bei Thiopurinen und könnte auch durch eine vorherige Thiopurinbehandlung beeinflusst sein. Anti-TNFSubstanzen sind bei Patienten mit Colitis ulcerosa auch mit einem erhöhten Risiko für Melanome verbunden. Die Mela-
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nominzidenz ist bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmkrankheiten jedoch insgesamt niedrig (2).
Kortikosteroide Kortikosteroide sind bei Colitis ulcerosa seit Langem die Eckpfeiler der Therapie zur Remissionsinduktion. Diese Substanzen können in der Kurzzeitanwendung sehr wirksam sein, bei einer Langzeitanwendung sind sie dagegen mit zahlreichen unerwünschten Wirkungen und Infektionsrisiken verbunden (2). Die Kurzzeitanwendung oraler Kortikosteroide ist mit einem erhöhten Risiko für Glaukome, Flüssigkeitsretention, Bluthochdruck, Stimmungsschwankungen und Gewichtszunahme assoziiert. Zu den Risiken einer langfristigen Kortikosteroidbehandlung gehören kardiale, renale, dermatologische, gastrointestinale, endokrine, psychiatrische, muskuloskeletale immunologische und ophthalmologische Komplikationen (2). Um das Ausmass der Nebenwirkungen zu minimieren, sind exakte Vorgaben zur Behandlungsdauer und ein Applikationszeitplan sowie die Anwendung steroidsparender Medikamente erforderlich. Zudem sollte eine Prophylaxe gegen Knochenschädigungen in Betracht gezogen werden. Bei der Anwendung hoher Dosierungen wird möglichst immer eine Kalzium- und VitaminD-Supplementation vorgenommen. Bei Patienten mit erhöhtem Osteoporoserisiko sollten auch Bisphosphonate in Betracht gezogen werden (1). Bei Kindern ist zudem die kortikosteroidinduzierte Suppression des Wachstums zu beachten (2). Auch das dosisabhängige Infektionsrisiko muss berücksichtigt werden. Unter Kortikosteroiden wurden bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmkrankheiten ein erhöhtes Risiko für Herpes zoster und ein mehr als dreifach erhöhtes Pneumonierisiko beobachtet (2).
reichen Enttäuschungen verbunden. In letzter Zeit gingen jedoch aus 5 klinischen Studien robuste Daten zu neuen Medikamenten hervor, die auf einen Fortschritt bei der Behandlung hoffen lassen. Zu diesen vielversprechenden Substanzen gehören zwei TNF-Inhibitoren der nächsten Generation, ein darmspezifischer monoklonaler Antikörper, ein oraler Januskinaseinhibitor und ein nicht absorbierbares Kortikosteroid, das selektiv im Kolon freigesetzt wird.
Adalimumab und Golimumab Adalimumab (Humira®) ist ein vollhumaner monoklonaler Immunglobulin-(Ig-)G-1-Anti-TNF-Antikörper, der von der FDA zur Induktion und Aufrechterhaltung der Remission bei moderatem bis schwerem Morbus Crohn zugelassen wurde. Aufgrund ermutigender Ergebnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit prüft die FDA jetzt eine erweiterte Indikation zur Behandlung der moderaten bis schweren Colitis ulcerosa (3). In den Studien ULTRA 1 und ULTRA 2 wurde bei Patienten mit refraktärer Colitis ulcerosa unter Adalimumab (160 mg, gefolgt von 80 mg) ein signifikant besseres Ansprechen beobachtet als unter Plazebo. Primärer Wirksamkeitsendpunkt war hier eine klinische Remission, definiert über einen Wert auf dem Mayo-Score von weniger als sechs Punkten und einen endoskopischen Sub-Score von 0 bis 1 nach acht Wochen (3). Auch der humane monoklonale IgG-1-Antikörper Golimumab (Simponi®) wird derzeit auf seine Eignung zur Behandlung der moderaten bis schweren Colitis ulcerosa untersucht. In der Phase-II/III-Studie PURSUIT wurde ein signifikant besseres klinisches Ansprechen auf Golimumab im Vergleich zu Plazebo beobachtet. Zudem konnte die Verbesserung der Symptome über den 54-wöchigen Studienzeitraum aufrechterhalten werden.
Ciclosporin Ciclsporin (Sandimmun®) kann zur Remissionsinduktion bei schwerer Colitis ulcerosa oral oder als Infusion zugeführt werden, wenn mit Kortikosteroiden keine Remission erzielt wurde. Zur langfristigen Aufrechterhaltung der Remission ist Ciclosporin jedoch nicht wirksam, sodass die Patienten zur Erhaltungstherapie auf Thiopurine umgestellt werden (2). Ciclosporin ist mit zahlreichen unerwünschten Wirkungen verbunden. In einer retrospektiven Studie kam es bei mehr als der Hälfte der Teilnehmer zu (vorwiegend leichten) Nebenwirkungen. Da Ciclosporin in Kombination mit Kortikosteroiden angewendet wird, kann es jedoch schwierig sein, die Risiken dem jeweiligen Medikament zuzuordnen. Zu den Nebenwirkungen von Ciclosporin gehören Niereninsuffizienz, Tremor, Elektrolytstörungen und Fieber. In manchen Studien traten bei bis zu 5 Prozent der Patienten schwere Infektionen auf. Dazu gehörten auch Infektionen mit Pneumocystis jirovecii, Clostridium difficile und dem Zytomegalievirus. Da Ciclosporin bei Colitis ulcerosa immer nur kurzfristig angewendet wird, ist es hier nicht mit Malignizitäten verbunden (2).
Neue Medikamente Seit der Zulassung von Infliximab im Jahr 2005 war die Entwicklung von Medikamenten zur Induktion und Aufrechterhaltung einer Remission bei Colitis ulcerosa mit zahl-
Vedolizumab Bei dem Antiintegrin Vedolizumab (nicht im AK der Schweiz) handelt es sich um einen monoklonalen IgG-4-Antikörper, der sich speziell an Alpha-4-Beta-7-Integrin auf der Oberfläche zirkulierender Leukozyten heftet. Alpha-4-Beta-7Integrin bindet an ein Zelladhäsionsmolekül, das ausschliesslich auf endothelialen Zellen im Gastrointestinaltrakt vorkommt. Somit blockiert Vedolizumab selektiv den Übergang von Leukozyten aus den Blutgefässen in den Darm (3). Dieser selektive Mechanismus unterscheidet Vedolizumab von anderen Antiintegrinmedikamenten. Natalizumab (Tysabri®) bindet sowohl an Alpha-4-Beta-7- als auch an Alpha-4-Beta-1Integrin. Alpha-4-Beta-1-Integrin heftet sich an das vaskuläre Zelladhäsionsmolekül 1 (VCAM-1), das auf endothelialen Zellen an allen Entzündungsorten im ganzen Körper exprimiert wird. Dieser breitere Wirkmechanismus ermöglicht zwar, dass Natalizumab auch zur Behandlung anderer Erkrankungen wie Multiple Sklerose geeignet ist, resultiert aber auch in einer hohen Inzidenz an progressiver multifokaler Leukenzephalopathie, einer viralen Gehirninfektion. Aufgrund seiner Selektivität sollte Vedolizumab den Übergang inflammatorischer Zellen ins Gehirn nicht unterbinden, und man erwartet deshalb, dass diese Substanz nicht mit der Entwicklung einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie verbunden ist. Ergebnisse der GEMINI-Studie stützen die theoretische Annahme, dass Vedolizumab die
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Entzündung und die klinischen Symptome der Colitis ulcerosa ohne hohe Inzidenz systemischer Wirkungen verbessern kann (3).
Tofacitinib Derzeit gibt es zur Behandlung chronisch-entzündlicher Darmkrankheiten noch keine oralen Medikamente, deren Wirksamkeit mit der Effektivität parenteral applizierter Biologicals vergleichbar ist. Der orale Januskinaseinhibitor Tofacitinib (nicht im AK der Schweiz) könnte der erste Vertreter einer derartigen neuen Medikamentenklasse sein. Tofacitinib unterbindet die Signalübermittlung einer Untergruppe proinflammatorischer Zytokine wie Interleukin (IL) 2, IL-4, IL-7, IL-9, IL-15 und IL-21, deren Schlüsselrolle im Rahmen der intestinalen Entzündung bei chronisch-entzündlichen Darmkrankheiten bekannt ist (3). In einer PhaseII-Studie war Tofacitinib bei Patienten mit aktiver Colitis ulcerosa nach acht Wochen im Vergleich zu Plazebo mit signifikant höheren Ansprechraten verbunden. Vor Kurzem wurde mit Phase-III-Studien zu Tofacitinib begonnen. Da es sich bei Tofacitinib um ein immunsuppressives Agens handelt, ist es vermutlich mit ähnlichen Risiken für Infektionen und Neoplasien verbunden wie Biologicals (3).
Budesonid MMX Das lokal wirksame Kortikosteroid Budesonid MMX (nicht im AK der Schweiz) wird im Dickdarm freigesetzt und hat aufgrund ermutigender Ergebnisse in fortgeschrittenen klini-
schen Studien grosses Interesse geweckt. Eine orale retar-
dierte Darreichungsform von Budesonid MMX hat bei
Patienten mit moderater bis schwerer aktiver linksseitiger
Colitis ulcerosa eine vielversprechende Wirkung zur Remis-
sionsinduktion und zur Reduzierung der Kolitisaktivität
gezeigt (3).
Möglicherweise kann Budesonid MMX auch zur Aufrecht-
erhaltung der klinischen Remission bei Colitis ulcerosa von
Nutzen sein. In einer erweiterten Anwendungsstudie war die
Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs zwar nicht signifikant ver-
schieden von Plazebo, allerdings verlängerte Budesonid
MMX signifikant die Zeit bis zum Rückfall. In der Budeso-
nidgruppe dauerte es bis zum Rezidiv durchschnittlich länger
als ein Jahr, während unter Plazebo im Mittel nur 182 Tage
vergingen. Da Kortikosteroide ansonsten keine Rolle bei der
Remissionserhaltung spielen, müssen diese Ergebnisse in wei-
teren Untersuchungen noch bestätigt werden (3).
❖
Petra Stölting
Quellen: 1. Sunanda V Kane: Making the most of current therapies for ulcerative colitis.
www.medscape.org/viewarticle/769352_print. 2. Millie D Long: Risks and benefits of agents used in the treatment of ulcerative colitis.
www.medscape.org/viewarticle/769354_print. 3. Scott E Plevy: Emerging therapies in ulcerative colitis. www.medscape.org/
viewarticle/769356.
Interessenkonflikte: keine Angaben
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