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FORTBILDUNG
Osteoporosetherapie mit Bisphosphonaten in der Hausarztpraxis
Bisphosphonate reduzieren bei postmenopausalen Frauen das Frakturrisiko. Orale Darreichungsformen sind häufig mit gastrointestinalen Nebenwirkungen verbunden.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Im «British Medical Journal» (BMJ) wird in unregelmässiger Folge das Management häufiger Erkrankungen in der Hausarztpraxis am Beispiel kleiner Kasuistiken dargestellt. Wir stellen eine Arbeit vor, in der britische Wissenschaftler die Behandlung der postmenopausalen Osteoporose mit Bisphosphonaten im Überblick zusammengefasst haben.
Bisphsphonate
❖ Alendronat (Fosamax® und Generika) ❖ Etidronat (nicht im AK der Schweiz) ❖ Ibandronat (Bondronat®, Bonviva® und Generika) ❖ Risedronat (Actonel® und Generika) ❖ Zoledronsäure (Aclasta®, Zometa®)
Weitere Medikamente gegen Osteoporose ❖ Denosumab (Prolia®, XGEVA®) ❖ Raloxifen (Evista®) ❖ Strontiumranelat (nicht im AK der Schweiz) ❖ Teriparatid/Parathormon (Forsteo®)
Fallvignette Eine 74-jährige Frau wird nach einem Sturz in ihrer Wohnung mit einer subtrochantären Fraktur ins Krankenhaus eingeliefert. Der T-Score ihrer mineralischen Knochendichte (BMD) im Oberschenkelhals beträgt -3,2. Sieben Jahre zuvor hatte sie eine Fraktur des Handgelenks erlitten, ist aber ansonsten gesund. Ihr absolutes Zehnjahresrisiko für eine grosse osteoporotische Fraktur liegt bei 23 Prozent. Die Patientin wird zunächst darüber informiert, dass bei ihr ein hohes Risiko für weitere Knochenbrüche besteht. Anschliessend werden Nutzen und Risiken potenzieller Behandlungsoptionen anhand einer Entscheidungshilfe diskutiert. Zum Schluss wird vereinbart, dass die Patientin die nächsten fünf Jahre einmal wöchentlich 70 mg Alendronat einnimmt.
Was sind Bisphosphonate? Bei Bisphosphonaten handelt es sich um Analoga des anorganischen Pyrophosphats. Sie hemmen die Knochenresorp-
Merksätze
❖ Bisphosphonate reduzieren bei postmenopausalen Frauen das Frakturrisiko.
❖ Bisphosphonate stehen als orale oder intravenöse Darreichungsformen zur Verfügung.
❖ Bei oraler Applikation treten häufig ösophageale oder gastrointestinale Nebenwirkungen auf.
tion, indem sie die Apoptose der Osteoklasten induzieren und so den altersbedingten Knochenverlust und die Zerstörung der ossären Mikroarchitektur verhindern. Stickstoffhaltige Bisphosphonate wie Alendronat, Risedronat, Ibandronat und Zoledronsäure weisen die wirksamsten antiresorptiven Eigenschaften auf und werden am häufigsten zur Behandlung der Osteoporose angewendet. Das nicht stickstoffhaltige Etidronat ist (in Grossbritannien) zwar ebenfalls zur Behandlung der postmenopausalen Osteoporose zugelassen, die Evidenzbasis ist jedoch geringer, und die Substanz wird nur selten verschrieben (Anmerkung der Red.: In der Schweiz ist Didronel® ausser Handel).
Wie wirksam sind Bisphosphonate? In gross angelegten randomisierten kontrollierten Phase-IIIStudien mit postmenopausalen Osteoporosepatientinnen war eine dreijährige Behandlung mit Alendronat, Risedronat, Ibandronat oder Zoledronsäure mit einem signifikanten Rückgang der Inzidenz vertebraler Frakturen verbunden. Unter Alendronat, Risedronat und Zoledronsäure wurde zudem eine Reduzierung nichtvertebraler Frakturen und der Inzidenz von Hüftfrakturen beobachtet. Sowohl das National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) als auch die UK National Osteoporosis Guideline Group empfehlen, Alendronat als First-Line-Option zur Primär- und Sekundärprävention von Frakturen bei postmenopausalen Frauen. Für Patientinnen, die Alendronat nicht vertragen, empfiehlt das NICE Etidronat oder Risedronat als Medikamente der zweiten Wahl. Eine beurteilende Empfehlung für Ibandronat oder Zoledronat wird hier jedoch nicht gegeben. Die National Osteoporosis Guideline Group
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erachtet Risedronat, Ibandronat und Zoledronsäure als geeignete Second-Line-Optionen.
Wie sicher sind Bisphosphonate? Bei der Einnahme oraler Bisphosphonate können gastrointestinale Nebenwirkungen wie Ösophagitis, Gastritis, Dyspepsie, ösophagealer Reflux, Übelkeit, Bauchschmerzen und Durchfall auftreten. In den meisten klinischen Studien wurden diese unerwünschten Wirkungen zwar nicht signifikant häufiger beobachtet als in Plazebogruppen. Post-MarketingStudien weisen jedoch auf ein erhöhtes Risiko hin. Dies gilt vor allem, wenn die Dosierungsvorschriften nicht genau eingehalten werden. Muskuloskelettale Schmerzen, Hautausschläge oder Kopfschmerzen treten mit einer Häufigkeit von 1/100 bis 1/10 im Zusammenhang mit Bisphosphonaten auf. Zu okulären Entzündungen wie Uveitis und Iritis kommt es nur selten (1/10 000 bis 1/1000 Fälle). Kieferosteonekrosen wurden vorwiegend bei Krebspatientinnen beobachtet, die höhere Bisphosphonatdosierungen erhielten, als sie zur Behandlung der Osteoporose eingesetzt werden. Ein kausaler Zusammenhang mit Bisphosphonaten hat sich jedoch bis anhin nicht gezeigt, und bei Osteoporosepatienten tritt diese Erkrankung nur sehr selten auf. Die Inzidenz wird hier auf 1/10.000 bis 1/100.000 Patientenjahre geschätzt. Bei Patienten, die Bisphosphonate zur Behandlung einer Osteoporose erhielten, wurden auch atypische subtrochantäre und diaphysäre Femurfrakturen beobachtet. Diese treten nach minimalen oder auch ohne Traumata auf, sind häufig mit prodromalen Schmerzen verbunden, heilen nur schlecht und kommen bei etwa der Hälfte aller Betroffenen beidseitig vor. Frakturen dieser Art sind selten; sie sind für etwa 1 Prozent aller Hüft- und Oberschenkelhalsfrakturen verantwortlich. Ihre geschätzte Inzidenz beträgt 5/10 000 pro Bisphosphonat-Anwendungsjahr.
Welche Vorsichtsmassnahmen können getroffen werden? Orale Bisphosphonate werden nur sehr schlecht absorbiert. Die Aufnahme beträgt meist weniger als 1 Prozent. Bei längerem Kontakt mit der ösophagealen Mukosa kann es zu Irritationen kommen. Bei folgenden klinischen Gegebenheiten dürfen Bisphosphonate nicht gegeben werden: ❖ Verzögerte ösophageale Entleerung aufgrund ösophagea-
ler Abnormitäten wie Achalasie oder Striktur. Diese Vorsichtsmassnahme gilt nur für orale Bisphosphonate. ❖ Unfähigkeit, nach der Einnahme mindestens 30–60 min lang aufrecht zu stehen oder zu sitzen. Auch diese Vorsichtsmassnahme gilt nur für orale Bisphosphonate. ❖ Eine Hypokalziämie wird ausgeglichen, bevor mit einer Bisphosphonatbehandlung (oral oder intravenös) begonnen wird. ❖ Schwangerschaft und Stillzeit ❖ Schwere Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance < 30 ml/min für Risedronat und Ibandronat, ≤ 35 ml/min für Alendronat und Zoledronsäure). Nach der Applikation von Zoledronsäure wurden Nierenschädigungen beobachtet, insbesondere bei Patienten mit bereits bestehender Nierenfehlfunktion. ❖ Überempfindlichkeit gegenüber Bisphosphonaten oder Hilfsstoffen.
Bei Patienten mit aktuellen oder zurückliegenden ösophagealen oder gastrointestinalen Problemen sollten orale Bisphosphonate vorsichtig verschrieben werden. Bei einem diagnostizierten Barrett-Ösophagus werden Nutzen und Risiken entsprechend den individuellen Erfordernissen des Patienten abgewogen. Intravenöse Bisphosphonate können bei mehr als einem Zehntel der Patienten mit einer selbstlimitierenden grippeähnlichen Erkrankung mit Fieber, Myalgie, Arthralgie und Kopfschmerzen verbunden sein. Zur Reduzierung der Inzidenz und der Schwere dieser Symptome wird der Patient angewiesen, kurz nach der Applikation Paracetamol (Panadol® und Generika) oder Ibuprofen (Brufen® und Generika) einzunehmen. Bei Patienten, denen eine Zahnextraktion oder andere invasive dentale Massnahmen bevorstehen, liegt ein erhöhtes Risiko für eine Kieferosteonekrose vor. Daher sollten sie vor Beginn der Bisphosphonatbehandlung zum Zahnarzt überwiesen werden. Bei Patienten, die bereits Bisphosphonate einnehmen, werden zahnärztliche Eingriffe nach Möglichkeit vermieden. Ergänzend wird eine sorgfältige Mundhygiene empfohlen. Da es unter Bisphosphonaten in seltenen Fällen zu atypischen Frakturen kommen kann, werden bei Schmerzen in der Hüfte, der Oberschenkel oder in der Leistengegend bildgebende Untersuchungen in Betracht gezogen. Treten Kieferosteonekrosen oder atypische Frakturen auf, wird die Behandlung mit Bisphosphonaten abgebrochen.
Wie wird die Bisphosphonatbehandlung durchgeführt? Zunächst wird vor Behandlungsbeginn sichergestellt, dass keine Kontraindikationen vorliegen. Zudem wird die Nierenfunktion untersucht und die Kalziumkonzentration im Serum bestimmt (und ggf. korrigiert). Bei Patienten mit einem Risiko für einen Vitamin-D-Mangel (mangelnde Sonnenlichtexposition, Malabsorption) wird zusätzlich die Serumkonzentration von 25-Hydroxyvitamin D überprüft. Zur Osteoporosebehandlung gehören auch Empfehlungen zur Lebensweise, zur Ernährung und zu geeigneten sportlichen Aktivitäten sowie Massnahmen zur Sturzprophylaxe. Zusammen mit dem Bisphosphonat werden Kalzium- und Vitamin-D-Präparate verschrieben, es sei denn, es liegt ein normaler Vitamin-D-Spiegel vor und die ausreichende Aufnahme von Kalzium über die Ernährung ist sichergestellt. Alendronat und Risedronat stehen als orale Darreichungsformen zur Verfügung, die einmal täglich oder einmal wöchentlich eingenommen werden können. Ibandronat kann oral einmal im Monat oder als intravenöse Injektion mit dreimonatiger Wirkungsdauer zugeführt werden. Zoledronsäure wird einmal im Jahr als intravenöse Infusion appliziert. Aufgrund der potenziellen ösophagealen Irritationen werden die Patienten angewiesen, die Tabletten direkt morgens nach dem Aufstehen aufrecht sitzend oder stehend mit einem grossen Glas Wasser einzunehmen und sich anschliessend mindestens 30 Minuten (Alendronat und Risedronat) oder 60 Minuten (Ibandronat) nicht hinzulegen. In dieser Zeit darf auch nichts gegessen oder getrunken werden. Zur Überwachung des Behandlungserfolgs wird meist die Messung der mineralischen Knochendichte herangezogen. Manche Richtlinien empfehlen Kontrolluntersuchungen in
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Abständen von einem oder zwei Jahren. Allerdings ist der Nutzen dieser häufigen Untersuchungen umstritten, denn möglicherweise reicht es aus, die Knochendichte alle fünf Jahre zu bestimmen. Bleibt die Knochendichte während der Bisphosphonatbehandlung niedrig oder treten Frakturen auf, wird die Therapie fortgesetzt. Ansonsten kann eine Behandlungspause für zwei bis drei Jahre in Betracht gezogen werden. Kommt es während der Behandlung zu einer oder mehreren Frakturen, sollte der Arzt die Compliance überprüfen und sekundäre Ursachen der Osteoporose ausschliessen.
Welche weiteren Medikamente stehen zur Verfügung? Als weitere Medikamente sind Denosumab, Parathormonpeptid, Raloxifen und Strontiumranelat (nicht in der Schweiz) zur Behandlung der Osteoporose zugelassen. Alle Medikamente reduzieren die Raten vertebraler Frakturen, aber nur Denosumab und Strontiumranelat reduzieren auch
nichtvertebrale Knochenbrüche wie Hüftfrakturen. Die
National Osteoporosis Guideline Group erachtet Denosu-
mab, Raloxifen und Strontiumranelat als Second-Line-Medi-
kamente zur primären oder sekundären Frakturprävention
bei postmenopausalen Frauen. Denosumab wird einmal alle
sechs Monate über eine subkutane Injektion appliziert.
Strontiumranelat und Raloxifen können einmal täglich oral
eingenommen werden, und Parathormonpeptid wird einmal
täglich subkutan injiziert.
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Petra Stölting
Quelle: Kenneth E Poole, Juliet E Compston: Bisphosphonates in the treatment of osteoporosis. BMJ 2012; 344: e3211.
Interessenkonflikte: Die Autoren erklären, für die vorliegende Arbeit von keiner Organisation eine finanzielle Unterstützung erhalten zu haben. Beide Autoren haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.
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