Transkript
FORTBILDUNG
Die schmerzhafte/geschwollene Hand
Rheumatologische Diagnostik
Bei Schmerzen und Schwellung der Hand muss immer auch eine rheumatologische Ursache erwogen werden. Bei der Abklärung ist zunächst eine Arbeitsdiagnose anhand des klinischen Bildes wichtig, die anschliessend durch apparative Befunde untermauert wird. Im folgenden Beitrag wird vor allem auf die Differenzierung zwischen entzündlichen und degenerativen Erkrankungen sowie auf die Unterscheidung zwischen Polyarthritis, Spondarthritiden und Gicht eingegangen.
ARMIN SCHNABEL
Die klinische Befunderhebung konzentriert sich bei Schmerzen und Schwellungen der Hand auf vier Aspekte: ❖ Ist die Schädigung auf die Gelenke fokussiert oder handelt
es sich vorrangig um eine Weichteilalteration? ❖ Wie ist das Verteilungsmuster der Gelenkbeteiligung? ❖ Wie lässt sich die Weichteilsymptomatik beschreiben? ❖ Spricht die Schmerzanalyse für ein entzündliches oder ein
nicht entzündliches Problem?
Betreffen Schmerzen und Schwellung/Auftreibung vorrangig die Gelenke, dann sind die Unterscheidung zwischen entzündlicher und nicht entzündlicher Schädigung und das Verteilungsmuster wegweisend. Tabelle 1 fasst die klinischen Unterscheidungsmerkmale zwischen entzündlichen und degenerativen Gelenkkrankheiten zusammen. Bekanntlich können insbesondere bei der Arthritis kleiner Gelenke die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und das CRP im Normbereich bleiben. Der klinische Befund ist deshalb aussagefähiger als das Labor.
Merksätze
❖ Im Unterschied zu Arthritiden lassen sich Arthroseaktivierungen meist in wenigen Tagen mit antiphlogistischen Massnahmen beseitigen.
❖ Der Nachweis von Anti-CCP bei Arthritis prognostiziert einen chronischen Verlauf und erfordert die frühe Einbindung eines Rheumatologen.
Abbildung 1 zeigt charakteristische Verteilungsmuster häufiger Gelenkkrankheiten. Die Mehrzahl der Gelenkkrankheiten an der Hand betrifft mehrere Gelenke und erlaubt damit eine Zuordnung zu den drei dargestellten Kategorien.
Diagnose der Polyarthrose – Konzentration auf das Wesentliche Sprechen die Schmerzanalyse und der klinische Befund für eine Polyarthrose (Abbildung 2), können Normalwerte für BSG und CRP die Diagnose unterstützen, vorausgesetzt, diese Werte werden nicht durch eine andere Störung beeinflusst (anderweitige Entzündung, metabolisches Syndrom, Neoplasie, Trauma/Operation). Die Bestimmung von Autoantikörpern wie Rheumafaktor (RF), Antikörper gegen zyklisches citrulliniertes Peptid (antiCCP) oder antinukleäre Antikörper (ANA) schafft in dieser Situation meist mehr Verwirrung als Sicherheit. Autoantikörper treten bei Arthrosepatienten in gleicher Häufigkeit auf wie in der Gesamtbevölkerung. Abhängig von den Testcharakteristika werden zum Beispiel Rheumafaktoren bei älteren Menschen in bis zu 20 Prozent gefunden. Die hohe Rate «falschpositiver» Befunde macht deutlich, dass Antikörper nicht für die Ausschlussdiagnostik geeignet sind. Zielführend ist die Röntgenaufnahme der Hände in einer Ebene (1). In der Mehrzahl der Fälle sind die Klinik und der Röntgenbefund so charakteristisch, dass auf die Überweisung zu einem Orthopäden oder Rheumatologen verzichtet werden kann. Eine wichtige Ausnahme sind die Patienten mit Psoriasis vulgaris, bei denen die Unterscheidung zwischen einer Arthrose und einer Arthritis der Fingerendgelenke oft nur mit einer sehr differenzierten Diagnostik gelingt.
Aktivierte Arthrose Der Begriff «aktivierte Arthrose» beschreibt eine zeitlich begrenzte Entzündungsreaktion, die sich auf ein durch Arthrose verändertes Gelenk aufaddiert. Geläufige Auslöser sind Allgemeininfekte und aussergewöhnliche mechanische Belastungen. Das klinische Bild mit Weichteilvermehrung, Ruheschmerz, Gelenkerguss und symptomatischer Besserung durch Kälte ist dem einer Arthritis sehr ähnlich. Die Arthroseaktivierung lässt sich aber im Regelfall mit Teilentlastung, mit lokaler Kälte und eventuell mit der kurzen Anwendung eines nichtsteroidalen Antirheumatikums oder einfachen Analgetikums innerhalb weniger Tage terminieren, im Unterschied zur Arthritis, bei der diese Massnahmen meist nur unvollständig wirken. Die Überweisung an einen Orthopäden oder Rheumatologen ist im Regelfall nur zu erwägen, wenn sich eine Arthroseakti-
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Tabelle 1:
Unterschiede zwischen entzündlichen und degenerativen Gelenkkrankheiten
Entzündlich
❖ prominenter Ruheschmerz, oft gebessert durch leichte Bewegung ❖ Schmerzmaximum morgens ❖ oft signifikante Morgensteife (> 30 Minuten) ❖ prominente Weichteilschwellung ❖ meist Besserung durch Kälte
Degenerativ
❖ Belastungsschmerz, meist gebessert in Ruhe/Entlastung ❖ Schmerzmaximum während Aktivitätsphasen ❖ oft Anlaufschmerz über Sekunden bis wenige Minuten, keine
signifikante Morgensteife ❖ derbe Auftreibung, keine/nur geringe Weichteilreaktion ❖ meist Besserung durch Wärme
Fingerpolyarthrose
Polyarthritis Sprechen die Schmerzanalyse und der klinische Befund für eine Arthritis, dann entscheidet das Verteilungsmuster der beteiligten Gelenke über die weitere Diagnostik. Charakteristisch für die rheumatoide Arthritis (RA) ist der Transversalbefall mit Beteiligung der Fingergrundgelenke (a), der Fingermittelgelenke (b) und der Handgelenke (c) (Abbildungen 1, 3). Die Beteiligung von a und b, a und c, b und c oder nur a oder c lenkt auch den Verdacht in Richtung auf die RA. Insbesondere in den ersten Krankheitswochen sind einseitige Handbeteiligungen nicht selten. Sprechen die fehlende Rückbildungstendenz über eine Dauer von zwei bis drei Wochen gegen eine parainfektiöse Arthritis und das Fehlen extraartikulärer Manifestationen wie Dermatitis, Serositis, Nephritis, interstitielle Lungenkrankheit, Autoimmunhämolyse, Leuko-/Thrombozytopenie gegen eine Kollagenose, ist die Anti-CCP-Bestimmung der zielführende apparative Befund. Verglichen mit dem IgM-Rheumafaktor weist Anti-CCP eine ähnliche Sensitivität für die RA auf (ca. 70% Anti-CCP-positiv), die Spezifität von Anti-CCP liegt aber über 90 Prozent und damit deutlich höher als der entsprechende Wert für den Rheumafaktor. Anti-CCP prognostiziert einen chronischen Verlauf sowie ein substanzielles Schädigungsrisiko und markiert damit diejenigen Patienten, die besonders von einer immunsuppressiven Therapie profitieren (3). Dementsprechend wurde diesen Autoantikörpern eine prominente Rolle in den neu formulierten Diagnosekriterien von 2010 für die RA zugewiesen (Tabelle 2).
Spondarthritis
Rheumatoide Arthritis
Spondarthritiden Der in Abbildung 1 beschriebene Strahlbefall lenkt die weitere Abklärung in Richtung auf die Spondarthritiden (u.a. Psoriasisarthritis, reaktive Arthritis einschliesslich M. Reiter, Colitis-assoziierte Arthritis, Arthritis bei der axialen Spondarthritis/ankylosierenden Spondylitis). Die gleiche diagnostische Bedeutung wie die gelenkbezogene Schwellung/ Schmerzsymptomatik im Strahl hat die Daktylitis, die durch eine diffuse Schwellung der gesamten Fingerweichteile gekennzeichnet ist (Abbildung 4). Die Psoriasisarthritis kann sich an der Hand mit unterschiedlichen Bildern manifestieren: ❖ Häufig ist eine symmetrische Polyarthritis, die nicht von
der RA zu unterscheiden ist.
Abbildung 1: Charakteristische Verteilungsmuster häufiger Gelenkkrankheiten. (Alle Abbildungen: Schnabel) ● = häufige Lokalisationen, ● = seltenere Lokalisationen
vierung nicht innerhalb von zwei Wochen unterbrechen lässt (2). Zu den wichtigen Differenzialdiagnosen der aktivierten Arthrose gehören die akuten Schübe von Kristallarthropathien (s.u.).
Abbildung 2: Fingerpolyarthrose: Derbe Auftreibung der Fingerend- und -mittelgelenke, keine nennenswerte Weichteilreaktion, nicht entzündlicher Schmerzcharakter
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Abbildung 3: Rheumatoide Arthritis: Weiche Schwellung der Fingergrund- und -mittelgelenke, Sehnenscheidenschwellung an der Handwurzel, entzündlicher Schmerzcharakter
❖ Spondarthritisbilder mit Strahlbefall oder Daktylitis sind weniger häufig, erlauben aber, wenn sie zusammen mit einer Psoriasis auftreten, eine Blickdiagnose.
❖ Monarthritiden bei der Psoriasis betreffen vorzugsweise grosse/mittelgrosse Gelenke, gelegentlich auch kleine Gelenke der Hand.
❖ Die symmetrische Beteiligung der Fingerendgelenke geht oft mit den für die Psoriasis charakteristischen Nagelveränderungen einher (Ölflecknägel, Tüpfelnägel, Onycholysen); fehlen die Nagelzeichen, kann die Unterscheidung von der Fingerendgelenksarthrose schwierig sein.
Tabelle 2:
EULAR-Diagnosekriterien 2010 für die rheumatoide Arthritis
RF: Rheumafaktor; hoch positive Werte für RF/Anti-CCP: mehr als
dreifach über Normbereich
Gelenkmuster
1 mittelgrosses/grosses Gelenk 2 bis 10 mittelgrosse/grosse Gelenke 1 bis 3 kleine Gelenke 4 bis 10 kleine Gelenke
0 Punkte 1 Punkt 2 Punkte 3 Punkte
Serologie
RF und Anti-CCP negativ RF oder Anti-CCP niedrig positiv RF oder Anti-CCP hoch positiv
0 Punkte 2 Punkte 3 Punkte
Dauer der Synovitis
weniger als 6 Wochen mehr als 6 Wochen
0 Punkte 1 Punkt
Akutphase-Indikatoren
BSG und CRP normal BSG oder CRP erhöht
0 Punkte 1 Punkt
Mindestens 6 Punkte: rheumatoide Arthritis
Abbildung 4: Daktylitis: Diffuse Schwellung der Weichteile des 2. und 4. Fingers
Zielführend sind bei den Spondarthritiden die Anamnese und der klinische Befund. Erythrosquamöse Hautveränderungen, gastrointestinale und urogenitale Entzündungs-/Infektionshinweise, Iridocyclitiden und entzündliche Rückenschmerzen beim Patienten oder erstgradigen Verwandten untermauern den Verdacht auf eine Krankheit aus dieser Gruppe (5).
Schnittstelle Hausarzt – Rheumatologe Anti-CCP-positive Arthritiden haben ein hohes Schädigungsrisiko und erfordern, abhängig von der Kompetenz des Untersuchers, die umgehende Einleitung einer immunsuppressiven Therapie oder die beschleunigte Vorstellung bei einem Rheumatologen. Anti-CCP-negative Polyarthritiden erlauben die Beobachtung unter symptomatischer Therapie über einige wenige Wochen. Ist nach spätestens sechs Wochen keine Rückbildungstendenz erkennbar, benötigen sie eine differenzierte Diagnose und darauf basierend eine Prognoseabschätzung und Therapieentscheidung, üblicherweise durch einen Rheumatologen (2). Dieses Prozedere gilt gleichermassen für RA- und Spondarthritisbilder.
Kristallarthropathien Diese Krankheiten sind gekennzeichnet durch die intra- oder periartikuläre Ablagerung anorganischer Kristalle. Die chronische Variante dieser Krankheiten führt zu einer akzelerierten Arthrose, die akute zu Arthritisbildern in Form des Gichtoder Pseudogichtanfalls. Die akzelerierte Arthrose bei diesen Krankheiten betrifft an der Hand auch Gelenke, die von der idiopathischen Arthrose üblicherweise ausgespart werden. Arthrosebilder am zweiten und dritten Fingergrundgelenk und an den Handwurzeln sind wichtige Hinweise in diese Richtung. Akute Kristallarthropathien (Gicht/Pseudogichtanfälle) betreffen an der Hand neben dem Daumengrundgelenk insbesondere das Handgelenk. Das klinische Bild ist oft dramatisch
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❖ der Gicht/Pseudogichtanfall nicht mit Immobilisation, Kälte und NSAR zu terminieren ist; bei diesen Patienten kommt, nach der kritischen Überprüfung der Diagnose, die intraartikuläre Steroidinjektion zusammen mit einer vorübergehenden Immobilisation in Betracht.
Abbildung 5: Frühstadium einer Sklerodermie: Diffuse, derbe Schwellung der gesamten Handweichteile, keine Dellenbildung wie bei Phlebödem, symmetrische Beteiligung beider Hände, regelhaft begleitendes/ vorausgehendes Raynaud-Syndrom
mit einer rasch aufbauenden rot-lividen, ausgeprägten Schwellung und heftigen Schmerzen. Die Verfärbung ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal von der aktivierten Arthrose oder von Immunarthritiden, die auch Schwellung und Erwärmung, aber üblicherweise keine Verfärbung verursachen. Zielführend für die Diagnose ist bei der Harnsäuregicht die Bestimmung der Serumharnsäure. Da diese während des Gichtanfalls im Normbereich liegen kann, sind oft früher bestimmte Werte aussagekräftiger. Der polarisationsmikroskopische Nachweis von Harnsäurekristallen in einem granulozytenreichen Gelenkerguss beweist die Diagnose (6). Mit dieser Technik lassen sich auch intraartikuläre CaPP-Kristalle beim Pseudogichtanfall nachweisen. Zielführend bei der CaPP-Kristallkrankheit ist oft auch das Röntgenbild mit der Darstellung von Kristallablagerungen im Discus articularis des Handgelenks, im Kniegelenksmeniskus oder auf Gelenkknorpeloberflächen (7). Die Überweisung zum Rheumatologen ist zu erwägen, wenn ❖ die Unterscheidung zwischen einer akuten Kristallarthro-
pathie und anderen Arthritiden Schwierigkeiten bereitet oder die Koexistenz einer Kristallarthropathie mit einer RA erwogen wird
Frühe Sklerodermie Das derbe, nicht dellenbildende Handödem bei der frühen Sklerodermie kann nur bei oberflächlicher Betrachtung mit einer Polyarthritis verwechselt werden (Abbildung 5). Es ist gekennzeichnet durch eine symmetrisch verteilte, nicht gelenkbezogene Schwellung der Finger- oder Handweichteile, die mit Spannungsgefühl und Steife, aber üblicherweise nicht mit Schmerzen einhergeht. Bei der limitierten Sklerodermie kann die Schwellung auf die Finger begrenzt sein, bei der progressiven Sklerodermie werden zentripetal auch die Arme einbezogen. Regelhaft geben diese Patienten ein RaynaudSyndrom an, das heisst eine durch Kälte oder emotionale Belastung ausgelöste, anfallsweise auftretende mehrphasige Farbänderung der Akren (8). Zielführend bei den Patienten mit diffusem Handödem und Raynaud-Syndrom ist die Bestimmung der ANA, die bei der Sklerodermie durchgehend nachweisbar sind. Wird eine Sklerodermie/systemische Sklerose erwogen, sollte der Patient zeitnah einem Rheumatologen oder Dermatologen vorgestellt werden.
Fazit für die Praxis Rheumatologische Diagnostik bleibt trotz aller Fortschritte in der apparativen Diagnostik eine klinische Aufgabe. Ein wichtiger erster Schritt ist die auf dem klinischen Bild und der Schmerzanalyse basierende Unterscheidung zwischen entzündlichen und nicht entzündlichen Krankheiten. Spricht die Klinik für eine rheumatische Entzündungskrankheit, erlaubt das klinische Syndrom eine erste diagnostische Zuordnung, die über den Einsatz der apparativen Diagnostik entscheidet. ❖
Priv.-Doz. Dr. med. Armin Schnabel Sana Gelenk- und Rheumazentrum Baden-Württemberg Klinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie D-75323 Bad Wildbad
Interessenkonflikte: keine deklariert
Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de/downloads
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 16/2011. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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