Transkript
BERICHT
Daten zur Sturz- und Frakturprävention
Vitamin D und Kalzium
Rheuma Top Symposium für die Praxis 23./24. August in Pfäffikon
Ein Umdenken zeichnet sich ab: Während man beim Kalzium lange zum «viel hilft viel» tendierte und bei Vitamin D eher zurückhaltend dosiert hat, muss diese Praxis nun kritisch hinterfragt werden. Beim Rheuma Top 2012 analysierte Professor Dr. Heike Bischoff-Ferrari, Universitätsspital und Stadtspital Waid, Zürich, die Datenlage und konstatierte: Optimale 25-HydroxyVitamin-D-Spiegel sparen Kalzium.
RENATE WEBER
Eigentlich kann man mit einem T-Wert, der unter den Normwerten junger Erwachsener liegt, ganz gut leben – solange man nicht stürzt und die Knochen intakt bleiben. Daher erwartet man vom idealen Medikament für Betroffene mit verminderter Knochendichte, dass es idealerweise die Knochendichte verbessert und vor allem die Sturz- und Frakturrate senkt.
Kalzium ohne Vitamin D: kein signifikanter Benefit Für den Aufbau und die langfristige Erhaltung gesunder Knochen braucht es eine adäquate Kalziumversorgung – das ist eine Binsenweisheit. Doch nicht nach dem Motto «viel hilft viel», das haben Studien inzwischen gezeigt. Prof. Bischoff-Ferrari berichtete über ihre Analyse der gepoolten Daten von 5 RCT mit 5666 überwiegend postmenopausalen Frauen und 1074 Män-
nern mit insgesamt 814 nicht vertebralen Frakturen (NVF). Zur Frakturprävention wurden diese Patienten mit täglich 800–1600 mg Kalzium oder einem Plazebo behandelt. Mit dieser Kalziumsupplementierung konnte eine relative Risikoreduktion (RR) von 0,92 für NVF erzielt werden, gleichbedeutend mit fehlendem signifikantem Benefit. In 4 plazebokontrollierten randomisierten Studien mit Dokumentation der Hüftfrakturrate wurde ausserdem untersucht, ob sich mit täglich verabreichtem Kalzium das Hüftfrakturrisiko senken lässt. Die Resultate dieser gepoolten Analyse bestätigten nicht nur den fehlenden Benefit der Supplementierung (RR = 1,64), sondern wiesen sogar auf ein signifikant erhöhtes Risiko hin. Die Kalziumversorgung über die Ernährung besitzt einen hohen Stellenwert; Milch liefert eben nicht nur Kalzium, sondern auch Phosphat und hochwertige Proteine und erhöht zugleich die IGF-1-Spiegel mit günstigem Effekt auf die Knochendichte. Aus prospektiven Beobachtungsstudien und kleineren klinischen Studien wissen wir, dass Milch einen Beitrag zur Frakturprävention leisten kann und eine bessere Kalziumquelle darstellt als Kalziumsupplemente. Eine Metaanalyse prospektiver Kohortenstudien (n = 195 102) konnte allerdings keine Assoziation zwischen dem täglichen Glas Milch und der Hüftfrakturrate bei Frauen (RR = 0,99) belegen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine in Schweden durchgeführte Studie dieses Ergebnis unverhältnismässig stark beeinflusste, so Prof. Bischoff-Ferrari: Bei Ausschluss dieser Studie zeigten die 8 verbleibenden Studien eine signifikante 5-prozentige Reduktion des Hüftfrakturrisikos. Bei Männern erreichte der tägliche Milchkonsum eine
Risikoreduktion um immerhin 9 Prozent, was nur grenzwertig signifikant war.
Hochdosiertes Kalzium erhöht das Myokardinfarktrisiko Aktuelle klinische Studien stellen den Nutzen hoch dosierter Kalziumsupplemente infrage. Eine Analyse der Daten von 5 randomisierten, plazebokontrollierten Doppelblindstudien (Alter der Studienteilnehmer: 40+) lieferte entsprechende Hinweise. In der Verumgruppe war die Infarktrate mit 143 Ereignissen signifikant höher als unter Plazebo (111 Ereignisse), entsprechend einer Hazard Ratio (HR) von 1,31. Da sich diese Risikoerhöhung unter Kalziumsupplementation konsistent in allen diesen Studien zeigte, ist dies ein Signal, das wir ernst nehmen müssen, erklärte Prof. Bischoff-Ferrari, auch wenn der Endpunkt «Herzinfarkt» retrospektiv erfasst wurde. Sie wies darauf hin, dass in der Subgruppenanalyse das Infarktrisiko unter Kalziumsupplementation vor allem bei Personen erhöht war, die bereits über ihre Ernährung gut mit Kalzium versorgt waren (> 800 mg/Tag). Für die Praxis bedeutet das, wir sollten Kalzium gezielter einsetzen.
Kalzium: Fazit für die Praxis Für gesunde Knochen muss eine adäquate Kalziumversorgung sichergestellt sein, wobei Kalzium aus Nahrungsmitteln zu bevorzugen ist. Kalziumtabletten sollte man gezielter als bisher empfehlen, denn es braucht selten mehr als 500 mg bei ausgewogener Ernährung. Die Schweizer Vereinigung gegen Osteoporose (SVGO) empfiehlt 1000 mg Kalzium (total) pro Tag. Eine Supplementierung mit Kalzium sollte nicht ohne Vitamin-D-Gabe erfolgen, denn dieses Vitamin optimiert
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BERICHT
die Kalziumresorption aus dem Darm und reduziert die Frakturrate.
Vitamin D als wichtiger Partner von Kalzium Vitamin D zeigte in Studien einen kalziumsparenden Effekt. Die Kalziumaufnahme aus dem Darm ist abhängig vom 25-Hydroxy-Vitamin-D-(25[OH]D]Spiegel; der Vergleich zwischen 50 nmol/l Vitamin D und 86 nmol/l ergab, dass höhere Vitamin-D-Spiegel mit signifikant erhöhter Resorption assoziiert sind. Prof. Bischoff-Ferrari verwies auf die für den Knochenstoffwechsel wichtige Interaktion zwischen 25(OH)DBlutspiegel und Kalziumaufnahme in Hinblick auf die Parathormon-(PTH-) Suppression. Eine Studie aus Island zeigte, dass eine Kalziumzufuhr von über 800 mg/Tag bezüglich PTH-Suppression nur relevant ist bei Personen mit schwerem Vitamin-D-Mangel. Ab einem 25(OH)D-Spiegel über 25 nmol/l konnte mit einer höheren Kalziumauf-
nahme keine weitere Verbesserung des Kalziummetabolismus erreicht werden. Die PTH-Suppression nimmt jedoch mit steigendem 25(OH)D-Spiegel weiter zu. Aus diesen Daten folgerte die Expertin, dass Vitamin D den wichtigeren Parameter darstellt und dass unter Vitamin-D-Supplementation eine Tagesdosis von total 800 mg Kalzium ausreichend ist.
Therapieziel: weniger Frakturen und Stürze In eine gepoolte Analyse von Prof. Bischoff-Ferrari (1) sind die Originaldaten von 31 022 Personen aus 11 randomisierten, kontrollierten Doppelblindstudien eingeflossen. Die über 65 Jahre alten Studienteilnehmer hatten entweder ein orales Vitamin-D-Supplement mit oder ohne Kalzium, nur Kalzium oder ein Plazebo erhalten. Bei den Senioren mit der höchsten Vitamin-DZufuhr (≥ 800 IE/Tag) konnte das Risiko für Hüftfrakturen um 30 Prozent
und für beliebige NVF um 14 Prozent
gesenkt werden. Lag der 25(OH)D-
Spiegel bei 61 nmol/l oder darüber (vs.
< 30 nmol/l), war das Hüftfrakturrisiko um 37 Prozent und das Risiko für NVF um 31 Prozent niedriger. Eine Metaanalyse von 8 randomisier- ten, kontrollierten Doppelblindstudien bestätigte darüber hinaus den Nutzen von Vitamin D (700–1000 IE/Tag) in der Sturzprävention: Bei den supple- mentierten Senioren waren 34 Prozent weniger Stürze aufgetreten. Darüber hinaus weisen grosse Kohortenstudien und kleinere klinische Studien zur Blut- druckregulation darauf hin, dass eine bessere Vitamin-D-Versorgung einen zusätzlichen kardiovaskulären Schutz- effekt ausüben könnte. ❖ Renate Weber 1. Heike Bischoff-Ferrari et al.: A pooled analysis of vitamin D dose requirements for fracture prevention. N Engl J Med 2012; 367: 40–49. 988 ARS MEDICI 19 ■ 2012