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FORUM
Eine PSA-basierte Früherkennung des informierten Mannes ist zu empfehlen
Kommentar zur Empfehlung der U.S. Preventive Services Task Force
Unter den neuen Voraussetzungen ist die Früherkennung bei einem aufgeklärten Mann durchaus sinnvoll; Ziele sind die Verhinderung einer symptomatischen metastatischen Erkrankung und die Senkung der Mortalität durch kurative Therapie im lokalisierten Krankheitsstadium.
Die Empfehlung der U.S. Preventive
Services Task Force (USPSTF), ein
PSA-Screening abzulehnen (siehe
Seite 924 ff.), hat vor einigen Mona-
ten bereits hohe Wellen geschla-
gen, eine hitzige Diskussion ausge-
löst und viele Stellung-
nahmen hervorgebracht.
Das Swiss Medical Board
hat in der Folge die Emp-
fehlung herausgegeben,
hinsichtlich Früherken-
nung des Prostatakarzi-
noms auf den PSA-Wert
zu verzichten. Rückblickend und
zusammenfassend möchte ich die
wesentlichen Überlegungen zu die-
sem Thema darlegen.
JEAN-LUC FEHR
Im Gegensatz zur US-amerikanischen urologischen Gesellschaft hat die Schweizerische Gesellschaft für Urologie stets ein PSA-basiertes Screening abgelehnt, um eine Überdiagnostik und zwangsläufig folgende Übertherapie mit bekannten Nebenwirkungen zu verhindern. Nebenbei bemerkt ist ein PSA-Screening zur Mortalitätssenkung des Prostatakrebses vergleichbar mit dem wenn nicht gar etwas effizienter, als das Mammografiescreening zur Senkung der Brustkrebsmortalität! Differenziert eingesetzt, bleibt die PSABestimmung eine unverzichtbare, kostengünstige und wenig belastende Massnahme für Patienten mit belasteter Familienanamnese bezüglich Prostatakarzinoms, bei Miktionsbeschwerden, verdächtigem rektalem Tastbefund und als Früherkennungsmassnahme auf Wunsch des aufgeklärten Patienten ab 50 bis 70 Jahren.
Unterschiede zwischen der amerikanischen und der europäischen Studie Die grosse randomisierte amerikanische Studie (PLCO) ergab im Gegensatz zur europäischen Studie (ERSPC) keine karzinomspezifische Mortalitätssenkung. Grund dafür ist die grosse Kontaminationsrate von gegen 30 Prozent, das heisst, bei einem Drittel der Patienten im Kontrollarm (ohne Screening) war dennoch ein PSA-Wert bekannt. Dies führt zwangsläufig zu einer Abschwächung des Screeningeffekts, was die Autoren auch nachträglich bestätigen. Die Studien wurden anhand von 10-Jahres-Ergebnissen beurteilt, was dem langsamen Krankeitsverlauf des Prostatakarzinoms nicht gerecht wird. Eine Quantifizierung wird nach 12 bis 14 Jahren erlaubt sein. Seit vielen Jahren werden die Zwischenergebnisse dieser Studien und auch weiterer Studien (Skandinavische Studie) von der urologischen Fachwelt diskutiert und Subgruppenanalysen vorgenommen. Aus diesen Überlegungen wurden bereits vor sieben Jahren das therapeutische Vorgehen geändert
PSA Der PSA-Wert ist weiterhin der einzige bekannte organspezifische Marker; ein differenzierter Einsatz dieses kostengünstigen Untersuchs ist bei vielen Indikationsstellungen sinnvoll (siehe Tabelle 2). Eine einmalige PSA-Erhöhung über 4 ng/ml soll nicht zwangsläufig direkt zu einer TRUS-Prostatabiopsie (transrektale ultraschallgesteuerte Biopsie) führen. Eine Nachkontrolle des Wertes nach 3 Monaten ist in der Regel vertretbar, und bei bestätigtem erhöhtem Wert oder weiterem Anstieg ist eine folgende Abklärung sinnvoll.
Schwache Aussagekraft der TRUS-Prostatabiopsie Ein grosses Problem der Diagnostik liegt nicht beim PSA-Wert, sondern bei der Aussagekraft der TRUS-Prostatabiopsie. Wem sind nicht die vielen verunsicherten Patienten bekannt, welche bereits einige TRUS-Biopsien hinter sich haben, ohne Malignitätsnachweis und persistierenden oder weiter ansteigenden PSA-Wert? Die TRUS-Biopsie ergibt bei einem PSA-Wert über 4 ng/ml in 25 Prozent der Fälle den Nachweis eines Prostatakarzinoms (signifikant oder insignifikant?). Viele der Karzinome
«Differenziert eingesetzt, bleibt die PSA-Bestimmung eine unverzichtbare, kostengünstige und wenig belastende Massnahme für bestimmte Patienten.»
und Kriterien definiert, welche eine «Active Surveillance» (siehe Tabelle 1) erlauben, mit dem Ziel, nur Patienten mit einem signifikanten Tumor zu behandeln. Die Folge ist eine deutliche Senkung der Therapiemorbidität. Weiter konnten in den letzten Jahren die postoperative Inkontinenzrate und die erektile Dysfunktion signifikant gesenkt werden. Diese Aspekte sind in den oben erwähnten Studien noch nicht berücksichtigt. Diese Studienergebnisse widerspiegeln das Bild von vor sechs Jahren.
werden aber mit der Erstbiopsie und häufig auch mit der Zweitbiopsie nicht erfasst, oder die erfassten Anteile geben keine sicheren Angaben über die Signifikanz des Karzinoms (prozentuale Tumorinfiltration der Biopsie eher zufällig, Gleason-Score im Tumorrandbereich nicht zwingend repräsentativ). Zudem sind in den letzten 5 Jahren die Infektkomplikationen nach TRUSBiopsie infolge von Resistenzbildung stark angestiegen.
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Tabelle 1:
Kriterien, welche eine «Active Surveillance» erlauben
❖ Gleason-Score nicht höher als 6 ❖ maximal 2 Biopsiezylinder befallen ❖ Zylinderbefall nicht mehr als 50% ❖ PSA nicht höher als 10 ng/ml ❖ Ausschluss eines grossvolumigen Tumors
im MRI (fakultativ)
Vorgehen: ❖ mindestens 6-monatliche PSA-Kontrolle ❖ alle 1 bis 2 Jahre Kontrollbiopsie und/oder
MRI-Kontrolle
Tabelle 2:
Indikationen für die PSA-Bestimmung
❖ Wunsch des aufgeklärten Mannes zur Früherkennung (Alter 50 bis 70 Jahre)
❖ familiäre Belastung mit Prostatakarzinom (Alter ab 45 Jahren)
❖ Miktionsbeschwerden ❖ verdächtiger Prostatapalpationsbefund ❖ Hämatospermie ❖ Knochenschmerzen bei Männern
(Alter über 50 Jahre) ❖ Prostatakarzinompatienten unter «Active
Surveillance» ❖ Nachsorge jedes Prostatakarzinoms ❖ unter BPH-Therapie oder 5-alpha-Reduk-
tasehemmern
Zusatzinformationen durch multiparametrisches MRI der Prostata Die MRI-Technologie ergibt unumstritten die beste Bildgebung der Prostata. Diese Untersuchung zeigt uns die Lokalisation, mögliche Kapselinfiltrationen und die ungefähre Herdgrösse malignitätsverdächtiger Läsionen. Ein sehr positiver Aspekt dieser Untersuchung ist, dass kleinvolumige, insignifikante Gleason-6-Karzinome kaum zur Darstellung kommen und somit keine Überdiagnostik zu befürchten ist. Bei normaler Darstellung der Prostata sind wir an unserer Institution deshalb dazu übergegangen, auf eine Biopsie zu verzichten, da mit sehr kleinem Restrisiko höchstens ein insignifikantes Karzinom verpasst wird.
Abbildung: MRI-gezielte Prostatabiopsie; Darstellung der Nadellage-Kontrolle im sagittalen und transversalen Schnitt (Institut für Radiologie, Dr. B. Porcellini, Klinik Hirslanden Zürich)
MRI-gezielte Prostatabiopsie Die MRI-Bildgebung ergibt die beste Voraussetzung für eine gezielte Biopsie (Abbildung) des suspekten Herdes. Dieser wird durchschnittlich 2-mal punktiert. Im Vergleich zur TRUSBiopsie (8- bis 14-fach ungezielte Punktionen) ist die Karzinomdetektionsrate bei der MRI-Biopsie deutlich höher.
Ausblick Die MRI-Diagnostik der Prostata ist mit einer langen Lernkurve für die Radiologen verbunden. Entsprechend kann diese Diagnostik noch nicht flächendeckend mit genügender Sicherheit angeboten werden. MRI-Studienergebnisse zeigen immer deutlicher, dass ein Umdenken angesagt ist, indem ein erhöhter PSA-Wert in Zukunft primär mittels MRI der Prostata untersucht wird, bevor eine invasivere TRUS-Prostatabiopsie erfolgt. Bei normaler Darstellung der Prostata wird auf eine Biopsie verzichtet werden können, bei malignitätsverdächtiger Signalstörung wird eine MRI-gezielte Biopsie vorgenommen. Hierdurch kann die diagnostikbezogene Morbidität gesenkt werden. Die diesbezüglichen definitiven Studienergebnisse sind noch ausstehend.
Gefässnervenschonung zur Erhaltung
der Potenzfunktion. Unter diesen Vor-
aussetzungen ist eine PSA-basierte
Früherkennung des informierten Man-
nes zwischen 50 und 70 Jahren – mit
einer Lebenserwartung von mindestens
10 Jahren – unbedingt zu empfehlen.
Insignifikante Prostatakarzinome im
Prostatektomiepräparat gehören zur
Ausnahme.
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Korrespondenzadresse: Dr. med. Jean-Luc Fehr Facharzt für Urologie FMH Spez. Operative Urologie Zentrum für Urologie Zürich Klinik Hirslanden Witellikerstr. 40 8032 Zürich Tel. 044-387 20 30; 044-387 20 33 (direkt) Fax: 044-387 20 31 E-Mail: jean-luc.fehr@hirslanden.ch
Auf Seite 924 ff. in dieser Ausgabe finden Sie die Zusammenfassung der Empfehlung der U.S. Preventive Services Task Force (USPSTF) sowie einen weiteren Kommentar von Dr. med. Jürg Weber.
Zusammenfassung Die «Active Surveillance» hat in den letzten Jahren entscheidend dazu beigetragen, die Therapiemorbidität zu senken. Eine zusätzliche MRI-Diagnostik der Prostata erhöht die Sicherheit einer «Active Surveillance» und ergibt wichtige Hinweise (allfällige Kapselinfiltrationen, Tumorvolumen, Tumorlokalisation) für eine eventuelle Prostatektomie im Hinblick auf eine optimale
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