Transkript
FORTBILDUNG
BPH – Dutasterid wirkt sich nicht auf die Muskelmasse aus
Bei gesunden Männern, die nach einer Unterdrückung der endogenen Testosteronproduktion abgestufte Testosterondosen erhielten, war die fettfreie Masse unter Dutasterid und Plazebo vergleichbar. Im Hinblick auf Muskelstärke, Sexualfunktion, Prostatavolumen und weitere androgenabhängige Outcomes wurden ebenfalls keine signifikanten Unterschiede beobachtet.
JAMA
Bei Menschen wird Testosteron von mindestens zwei Isoenzymen der Steroid-5␣-Reduktase in 5␣-Dihydrotestosteron (DHT) umgewandelt. Über die Bedeutung dieses Metaboliten bei der Vermittlung der Testosteronwirkung auf die Muskulatur, die Sexualfunktion, die Erythropoese und andere androgenabhängige Prozesse ist bis jetzt nur wenig bekannt (1). Steroid-5␣-Reduktase-Hemmer, die eine Konversion von Testosteron zu DHT verhindern, werden zur Behandlung der benignen Prostatahyperplasie und der androgenen Alopezie angewendet. Diese Erkrankungen treten vorwiegend bei Männern in mittlerem oder fortgeschrittenem Alter auf, bei denen ein Risiko für eine reduzierte Muskelmasse und sexuelle Dysfunktionen vorhanden ist. Da zur Bedeutung von DHT in einigen Bereichen noch keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, kommt es im Zusammenhang mit Steroid-5␣Reduktase-Hemmern immer wieder zu Sicherheitsbedenken. Shalender Bhasin von der Boston University School of Medicine und seine Arbeitsgruppe haben nun in einer Studie untersucht, ob die androgene Wirkung von Testosteron auf die Muskelmasse und die Muskelstärke sowie auf die Sexualfunktion, den Hämatokritwert, das Prostatavolumen, die Sebumproduktion und die Lipidspiegel im Serum durch die Blockade der Konversion von Testosteron zu DHT mit Dutasterid (Avodart®) – einem Inhibitor der 5␣-Reduktasen vom Typ 1 und Typ 2 – vermindert wird (1).
Merksätze
❖ Bei gesunden Männern beeinflusste Dutasterid die fettfreie Masse nicht.
❖ Muskelstärke, Sexualfunktion, Hämatokritwerte, Prostatavolumen, Sebumproduktion und Lipidspiegel waren unter Dutasterid und Plazebo ebenfalls vergleichbar.
Methoden An der doppelblinden, randomisierten, plazebokontrollierten Parallelgruppenstudie nahmen gesunde Männer im Alter von 18 bis 50 Jahren mit normalen Testosteronspiegeln (300–1200 ng/dl) teil. Die Probanden wurden im Zeitraum von Mai 2005 bis Juni 2010 rekrutiert. Da die Zufuhr von 5␣-Reduktase-Inhibitoren zu einem Anstieg des Testosteronspiegels führt und somit keine Vergleichbarkeit zwischen Verum- und Plazebogruppen mehr gegeben wäre, wurde die endogene Testosteronproduktion der Teilnehmer zunächst durch die Applikation eines Gonadotropin freisetzenden Hormonagonisten unterdrückt. Anschliessend erhielten die Probanden abgestufte Dosen von Testosteron-Enantat, mit denen Testosteronkonzentrationen im normalen sowie im subphysiologischen und supraphysiologischen Bereichen abdeckt wurden. Im Rahmen der Untersuchung erhielten vier Behandlungsgruppen über einen Zeitraum von 20 Wochen 50, 125, 300 oder 600 mg/Woche Testosteron-Enantat plus Plazebo. Die vier Vergleichsgruppen erhielten die gleichen Dosierungen an Testosteron-Enantat plus 2,5 mg/Tag Dutasterid. Als primären Endpunkt definierten die Wissenschaftler die Veränderung der fettfreien Masse nach 20 Wochen im Vergleich zur Baseline. Zu den sekundären Outcomes gehörten Veränderungen der Fettmasse, der Muskelstärke, der Sexualfunktion, des Prostatavolumens und der Sebumproduktion sowie Veränderungen der Hämatokrit- und Lipidspiegel in diesem Zeitraum (1).
Ergebnisse Von ursprünglich 139 randomisierten Teilnehmern vollendeten 102 die Studie von 20 Wochen. Das durchschnittliche Alter der Probanden lag bei 37,6 (8,7) Jahren, der mediane Body-Mass-Index (BMI) betrug 26,3 (4,0) und die durchschnittliche fettfreie Masse 62,7 (8,3) kg. Zu Beginn der Studie wiesen die Teilnehmer beider Gruppen vergleichbare Charakteristika auf. Die fettfreie Masse nahm bei den Teilnehmern sowohl der Plazebo- als auch der Dutasteridgruppen in Abhängigkeit von der jeweiligen Testosterondosierung zu. Die Veränderungen nach 20 Wochen im Vergleich zur Baseline sind in der Tabelle aufgeführt. Die dosisadjustierten Differenzen zwischen den fettfreien Massen der Dutasterid- und der Plazebogruppen waren nicht signifikant (p = 0,18). Die Veränderungen der Fettmasse korrelierten negativ mit der Testosterondosierung. Auch hier unterschieden sich die Veränderungen nicht signifikant zwischen den Patienten, die mit Dutasterid behandelt wurden, und denen, die Plazebo erhielten (p = 0,41).
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ARS MEDICI 18 ■ 2012
FORTBILDUNG
Tabelle:
Durchschnittliche Zunahme der fettfreien Masse bei verschiedenen Testosterondosierungen
(nach Bhasin et al.)
Durchschnittliche Zunahme der fettfreien Masse
Testosteron-Enantat (mg/Woche) 50
Dutasteridgruppen (kg) Plazebogruppen (kg)
+ 0,6
+ 0,8
125
+ 2,6
+ 3,5
300
+ 5,8
+ 5,7
600
+ 7,1
+ 8,1
Die Testosteronspiegel der Probanden waren in Abhängigkeit von der jeweils zugeführten Testosterondosis angestiegen, unterschieden sich jedoch nicht signifikant. In den Dutasteridgruppen reichten die Serumwerte von 519 (bei 50 mg/ Woche Testosteron-Enantat) bis 3898 ng/dl (bei 600 mg/ Woche) und in den Plazebogruppen von 385 (bei 50 mg/ Woche Testosteron-Enantat) bis 3578 ng/dl (bei 600 mg/Woche). Die Muskelstärke hatte ebenfalls in Abhängigkeit von der jeweiligen Testosterondosis und den darüber erzielten Testosteronspiegeln zugenommen. Auch hier wurden keine Unterschiede zwischen den Dutasterid- und den Plazebogruppen beobachtet. Bezüglich der Sexualfunktion ermittelten die Wissenschaftler bei allen Testosterondosierungen vergleichbare Scores unter Dutasterid und Plazebo auf den Skalen des International Index of Erectile Function und des Male Health Questionnaire. Prostatavolumen und PSA-Spiegel korrelierten nicht mit den Testosterondosierungen und den Testosteronspiegeln. Zwischen den Dutasterid- und den Plazebogruppen wurden keine signifikanten Unterschiede beobachtet. Die Sebumproduktion auf der Stirn (aber nicht auf Nase oder Rücken) stand im Zusammenhang mit der Testosterondosierung. Die Hämatokritserumwerte stiegen in Abhängigkeit von der Testosterondosierung an. Die Veränderungen an Gesamt- und HDL-Cholesterin korrelierten dagegen negativ mit der Testosterondosierung. Auch bei diesen Outcomes wurden keine Unterschiede zwischen Dutasterid- und Plazebogruppen beobachtet (1).
Kommentar Die Zunahme der fettfreien Masse in Korrelation mit den Testosteron-Enantat-Dosierungen unterschied sich nicht zwischen Männern, bei denen die Bildung von DHT blockiert wurde, und denen, die Plazebo erhielten. Dieses Ergebnis weist darauf hin, dass die Konversion von Testosteron zu DHT für die Vermittlung der anabolen Wirkung auf die Muskulatur keine essenzielle Bedeutung hat (1). Bei der Betrachtung ihrer Studie im Zusammenhang mit der bereits veröffentlichten Literatur stimmen die Ergebnisse nach Ansicht der Autoren am besten mit dem Thesenmodell überein, dass der Metabolit DHT die Wirkungen von Testosteron in Geweben mit hoher 5␣-Reduktase-Aktivität, wie Prostata und Haut, verstärkt, in Geweben mit niedriger 5␣Reduktase-Aktivität, wie Skelettmuskulatur und Knochen, jedoch nicht (1).
Der Nettoandrogeneffekt in Geweben kann als Funktion der
lokalen Konzentrationen an Testosteron und DHT und deren
relativer androgener Potenz betrachtet werden. In Geweben
mit niedriger Steroid-5␣-Reduktase-Aktivität ist die Konzen-
tration an DHT sehr gering im Vergleich zu Testosteron, so-
dass der androgene Effekt hier vor allem auf der Wirkung des
Letzteren beruht. In Geweben mit hoher Steroid-5␣-Reduk-
tase-Aktivität sind die Konzentrationen an DHT dagegen
höher als die des Testosterons. In der 5␣-Reduktase-Studie
wurde die DHT-Bildung mit der Applikation von 2,5 mg/Tag
Dutasterid vollständig unterdrückt. Durch die zugeführten
Testosterondosen und die dadurch erzielten Testosteronkon-
zentrationen konnten das Prostatavolumen und die PSA-
Konzentration jedoch sogar unter diesen Bedingungen auf-
rechterhalten werden.
Die Autoren weisen darauf hin, dass es entsprechend ihrem
Thesenmodell zwischen der Testosteronkonzentration und
5␣-Reduktase-Hemmern zu Wechselwirkungen kommt, die
bei Männern mit niedrigem Testosteronspiegel die erektile
Funktion beeinträchtigen können. In Übereinstimmung mit
dieser These wurden in Studien bei BPH-Patienten
mit niedrigem Testosteronspiegel unter Dutasterid häufiger
sexuelle Störungen beobachtet als bei Männern mit norma-
len Serumkonzentrationen.
Dass die 5␣-Reduktion des Testosterons für die Vermittlung
der hier untersuchten androgenen Effekte nicht obligatorisch
erfolgen muss, ist nach Meinung der Wissenschaftler mit Im-
plikationen für die therapeutische Applikation von Androge-
nen und 5␣-Reduktase-Hemmern verbunden. Die Ergebnisse
sprechen für die Sicherheit von 5␣-Reduktase-Hemmern im
Hinblick auf die Muskelmasse.
Aus ihren Studiendaten geht zudem hervor, dass sich die
Wirksamkeit der 5␣-Reduktase-Hemmer auf Männer mit
normalen oder hohen Testosteronspiegeln beschränken
könnte, schreiben die Forscher weiterhin. Zur Identifizierung
von Männern, die auf 5␣-Reduktase-Hemmer weniger gut
ansprechen, ist daher eine Bestimmung der Testosteronwerte
im Serum vor Behandlungsbeginn sinnvoll (1).
In einer E-Mail an «MedPage Today» zu den Ergebnissen
der 5␣-Reduktase-Studie macht Louis Kavoussi, Professor für
Urologie an der New York University School of Medicine,
darauf aufmerksam, dass 5␣-Reduktase-Inhibitoren die
Menge des Ejakulats verringern und bei einer geringen
Anzahl von Männern die Libido beeinträchtigen. Ausserdem
muss beachtet werden, dass diese Medikamente bei sehr hohen
Testosteronspiegeln oder einer Testosteronsupplementierung
keine Verringerung des Prostatavolumens mehr bewirken. Die
Studienergebnisse sollten jedoch die Sicherheitsbedenken im
Hinblick auf die Muskelmasse zerstreuen (2).
❖
Petra Stölting
Quellen: 1. Shalender Bhasin et al: Effect of testosterone supplementation with and without a dual
5-alpha-reductase inhibitor on fat free mass in men with suppressed testosterone production. JAMA 2012; 307(9): 931–939. 2. Charles Bankhead: BPH drugs pose no threat on muscle mass. MedPage Today, veröffentlicht am 06. März 2012.
Interessenkonflikte: 1. Shalender Bhasin hat Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten, die anderen Autoren deklarieren keine Interessenskonflikte. 2. Keine Angaben dazu im Beitrag.
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