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STUDIE REFERIERT
Welche Therapie bei welchen Schlafapnoe-Patienten?
Schlafen mit und ohne Maske
Tagesschläfrigkeit hat für die von obstruktiver Schlafapnoe Betroffenen gravierende Auswirkungen auf das Funktionieren im Alltag und die Lebensqualität. Eine kontinuierliche Überdruckbeatmung während des Schlafs kann dies lindern. Bei leichterer Schlafapnoe oder Unverträglichkeit der Maskenbeatmung kommen als Alternative auch Unterkiefer-Protrusions-Zahnschienen infrage.
AMERICAN JOURNAL OF RESPIRATORY RESEARCH AND CRITICAL CARE MEDICINE / EUROPEAN RESPIRATORY JOURNAL
Die obstruktive Schlafapnoe (OSA) ist charakterisiert durch Episoden, während deren der Luftweg im Pharynxbe-
Merksätze
❖ Eine randomisierte, kontrollierte Studie konnte belegen, dass die nichtinvasive kontinuierliche Überdruckbeatmung (CPAP) die Tagesschläfrigkeit und das Funktionsniveau im Alltag auch bei Patienten mit lediglich leichter bis mittelschwerer obstruktiver Schlafapnoe verbessert.
❖ Ein systematischer Review kommt zum Schluss, dass individuell angepasste Unterkiefer-Protrusions-Zahnschienen in der Therapie von Patienten mit leichter bis mittelschwerer obstruktiver Schlafapnoe indiziert sind und bei Patienten, welche eine CPAPTherapie nicht tolerieren können, eine Behandlungsalternative darstellen.
❖ Die Behandlung mittels Zahnschiene muss überwacht und dem Verlauf angepasst werden.
reich kollabiert, was zu intermittierender Hypoxämie und einer Fragmentierung des Schlafs führt. Als Mass der Schwere gilt die Häufigkeit der Apnoen und Hypopnoen pro Stunde Schlaf, der Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI). Als leicht gilt eine OSA mit AHI 5 bis 15, als mittelschwer bei AHI 15 bis 30 und als schwere OSA bei einem AHI über 30 pro Stunde. Die OSA ist häufig, bis zu 28 Prozent der Frauen und 26 Prozent der Männer sollen einen AHI über 5 aufweisen. Rund 28 Prozent der Personen mit leichter bis mittlerer OSA klagen auch über Tagesschläfrigkeit, die sie in den Alltagsfunktionen beeinträchtigt. Das Syndrom ist nicht nur ein harmloses vermehrtes Schnarchen, sondern mit vorzeitigem Tod, Hypertonie, ischämischer Herzkankheit, Stroke sowie Insulinresistenz und vermehrten Arbeitsund Verkehrsunfällen assoziiert.
Schlafen mit Maske Als primäre Therapie bei OSA gilt die kontinuierliche Überdruckbeatmung (continuous positive airway pressure: CPAP), welche den pharyngealen Luftwegkollaps verhindert und so die Sauerstoffsättigung während des Schlafs und die Schlafqualität verbessert. Für die nichtinvasive CPAP-Beatmung mittels Maske konnte gezeigt werden, dass sie die Tagesschläfrigkeit und andere Beeinträchtigungen tagsüber ebenso reduzieren kann wie das kardiovaskuläre Risiko und auch zu einer Besserung der Insulinsensitivität führt. Allerdings stammen diese Erkenntnisse überwiegend von Patienten mit schwerer OSA, und es blieb unklar, ob dies auch für die viel häufigeren milden Formen zutrifft. Dem ging eine neue, randomisierte Studie nach (1).
Methodik Im CPAP Apnea Trial North American Program (CATNAP) erhielten 239 Patientinnen und Patienten mit neu diagnostizierter, leichterer OSA (AHI ≥ 5
bis < 30/h) und subjektiv empfundener Tagesschläfrigkeit (Score > 10 auf der Epworth-Schläfrigkeitsskala [ESS]) randomisiert während acht Wochen entweder eine echte oder eine vorgetäuschte CPAP-Behandlung. Nach acht Wochen wurden die Teilnehmer im Arm mit vorgetäuschter Therapie (Plazebogruppe) für weitere acht Wochen ebenfalls einer aktiven CPAP-Therapie zugeführt. Primärer Endpunkt war die Veränderung im Functional Outcomes of Sleep Questionnaire (FOSQ) nach acht Wochen Therapie.
Resultate Von 385 gescreenten Patienten wurden 281 in die Studie aufgenommen, 42 zogen ihre Zustimmung aus verschiedenen Gründen nach der Randomisierung, aber vor Therapiebeginn zurück. Das mittlere Alter der verbliebenen 239 Patienten betrug 49,5 ± 10,9 Jahre, der mittlere ESS-Score war in der aktiven Therapiegruppe 15,2 ± 3,4 und in der Plazebogruppe 14,7 ± 3,1. Insgesamt waren die beiden Gruppen gut vergleichbar. Einschränkend ist festzuhalten, dass die Beatmung in der aktiven CPAP-Gruppe mit 4,0 ± 2,0 Stunden täglich länger war als in der Vergleichsgruppe mit vorgetäuschter CPAP-Beatmung (3,1 ± 2,1h/ Tag). Die adjustierte Veränderung des Gesamt-FOSQ-Scores nach acht Wochen betrug in der aktiven CPAP-Gruppe 0,89 (n = 113) und in der Plazebogruppe -0,06 (n = 110) (p = 0,006). Dieser Unterschied der mittleren Veränderungen zwischen den Gruppen lässt sich als Effektstärke von 0,41 (95%Konfidenzintervall 0,14–0,67) beschreiben. Die mittlere Verbesserung im FOSQ-Gesamtscore von Beginn bis zur Cross-over-Phase (n = 91) betrug 1,73 ± 2,50 (p < 0,00001), entsprechend einer Effektstärke von 0,69. Die Studie erfasste auch diverse sekundäre Endpunkte wie eine ambulante 48-Stunden-Blutdruckmessung, besass aber nicht die statistische Kraft, hier verlässliche Aussagen zu machen.
Diskussion «Tagsüber schläfrige Patienten mit leichter bis mittelschwerer OSA zeigten nach acht Wochen CPAP-Therapie grössere funktionelle Verbesserungen im Vergleich zur Gruppe mit vorgetäuschter Überdruckbeatmung», resü-
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mieren die Autoren, «die Unterschiede in der Veränderung von FOSQ-Gesamtscore, ESS, der körperlichen Konponente des SF36-Gesundheitsfragebogens und auf der psychischen Befindensskala (Total Mood Disturbance) waren alle signifikant und anhand der Effektstärke beurteilt auch klinisch relevant.» Da die Befunde an verschiedenen grossen und kleinen Institutionen erhoben wurden, seien die Ergebnisse gut zu verallgemeinern. Damit bestätigen sich die Resultate früherer Studien bei Patienten mit schwerer OSA auch an Betroffenen mit geringerer Symptomatik. Offen bleiben muss, ob Patienten mit leichterer OSA, die nicht über Tagesschläfrigkeit klagen, von einer CPAP-Behandlung ähnlich profitieren würden.
Schlafen ohne Maske Nicht alle Patienten mit OSA sind bereit oder fähig, sich zum Schlafen ständig eine Beatmungsmaske anzulegen. In dieser Situation werden alle möglichen (und unmöglichen) Behandlungsalternativen angeboten, die vom Didgeridoo-Spielen bis zu chirurgischen Eingriffen reichen. Darunter finden sich auch Geräte wie Stents, Spangen oder Schienen, die vom Patienten vor dem Schlafen in Nasopharynx oder Mundhöhle eingelegt werden. Als schon gut dokumentiert dürfen Zahnschienen gelten, welche verhindern sollen, dass der Unterkiefer bei der schlafbedingten Erschlaffung der Muskulatur nach hinten fällt und zu Schnarchen sowie zu einer Atemwegsobstruktion beiträgt. Sie sollen den oberen Luftweg nach seitlich ausweiten und die Zungenbasis weiter nach vorn bringen, wodurch der Pharynxraum weniger kollabiert. Hinweise deuten darauf hin, dass progenierende Zahnschienen zu einer Erschlaffung des Musculus genioglossus während der Vorverlagerung der Mandibula und einer Aktivierung der Kauund Submentalmuskulatur führen. Die Unterkiefer-Protrusions-Zahnschienen (mandibular advancement devices [MAD]) sind in den USA wenig bekannt, gelten in Europa aber als hauptsächliche Alternative zur CPAP-Therapie bei OSA. Deshalb hat eine Arbeitsgruppe der European Respiratory Society die Evidenz für die MAD-Therapie evaluiert. Der Bericht ist kürzlich publiziert worden (2).
Methodik Die Autoren fanden in den üblichen Datenbanken 29 randomisierte Studien zu den Behandlungseffekten von Protrusionsschienen sowie 21 weitere Studien zu speziellen Aspekten der MAD-Therapie. Die Studien betrafen Vergleiche mit Plazebo, CPAP, unterschiedlichen Schienen oder chirurgischen Eingriffen. Die Studien waren in der Regel klein (19 bis 114 Teilnehmer). 8 von 17 randomisierten kontrollierten Vergleichsstudien mit Plazebo oder CPAP hatten weniger als 25 Patienten, 6 Untersuchungen stützten sich auf über 70 Patienten. Rund 74 Prozent der randomisierten Studien setzten eine Untersuchung im Schlaflabor (Polysomnografie) ein, zur Diagnose zogen 86 Prozent der Studien den AHI bei, der Rest den Respiratory Disturbance Index (RDI). In den meisten randomisierten, kontrollierten Studien wurden adjustierbare, individuell angefertigte Protrusionsschienen eingesetzt, in anderen Untersuchungen auch individuell angefertigte oder vorgefertigte Monoblockgeräte.
Resultate In allen Studien reduzierten MAD im Vergleich zu Plazebo den AHI oder RDI. CPAP war gegen OSA-Symptome effektiver als MAD. MAD-Therapien waren bei gewissen Patienten teilweise effektiv oder gänzlich ineffektiv. Die in die kontrollierten Studien eingeschlossenen Patienten hatten in der Regel leichte bis schwere OSA-Formen (AHI 10–50), unter MAD-Behandlung ging der AHI auf 4,5 bis 34 zurück. Dies entspricht einer mittleren Reduktion der respiratorischen Symptome von 55 Prozent (Schwankungsbreite 28–80%). Demgegenüber reduzierten CPAP-Behandlungen den AHI auf 2,4 bis 8,0 (mittlere Reduktion aus allen Studien 83%). Unter Plazebobehandlung oder konservativer Therapie waren in 8 Studien keine AHI- oder RDI-Veränderungen zu beobachten. In 3 Studien wurde die Tagesschläfrigkeit (ESS-Score) im Vergleich zu Plazebo unter MAD-Behandlung reduziert, auch 4 kleinere Studien berichteten über positive Effekte auf die Schläfrigkeit. CPAP und MAD hatten in der Regel einen ähnlichen Einfluss auf die Tagesschläfrigkeit. CPAP könnte
aber im Vergleich zur Protrusionsschienentherapie selbst bei leichten Fällen einen besseren Outcome bei der Schläfrigkeit bewirken, schreiben die Autoren. Mittels des multiplen Schlaflatenztests lässt sich die Tagesschläfrigkeit objektivieren. In einer Studie zeigte sich unter MAD-Behandlung im Plazebovergleich eine Verbesserung dieser Messgrösse. Weitere Studien mit anderen Tests ergaben sowohl für MAD wie für CPAP widersprüchliche Resultate. Tests im Fahrzeugsimulator belegten für MAD und CPAP ähnliche Verbesserungen. Gegen Schnarchen war CPAP besser als MAD, MAD war jedoch Plazebo überlegen. Ein Anhalten des Schnarchens unter MAD-Therapie kann ein Zeichen für eine ungenügende Apnoekontrolle sein, wie die Autoren schreiben. Die Lebensqualität wurde durch eine MAD-Behandlung im Vergleich zu Kontrolltherapien verbessert. Dieser Effekt war unter MAD und CPAP ähnlich oder unter CPAP grösser. Unter MAD-Behandlung ist in mehreren Studien über eine signifikante Blutdrucksenkung berichtet worden. In einzelnen Studien wurde auch der nächtliche Blutdruck (insbesondere das fehlende nächtliche Absinken) günstig beeinflusst. In einzelnen Studien ergaben sich auch Verbesserungen bei Aspekten der Endothelfunktion sowie der kardialen autonomen Modulation. Unter MAD-Therapie sind die Therapieerfolge im Vergleich zur CPAP-Beatmung deutlich variabler. Daher ist die Auswahl der Patienten von besonderer Bedeutung. In gewissen Studien wurde ein besserer Erfolg der enoralen Geräte bei Patienten mit leichterer OSA gesehen. Einen vollständigen Behandlungserfolg, gemessen am Erreichen eines AHI < 5, verzeichnete eine Studie bei 8 von 26 Patienten mit schwerer OSA und bei 21 von 25 Patienten mit leichteren OSA-Formen. Gemäss einigen Berichten profitieren jüngere Patienten, Frauen und Patienten mit lediglich in Rückenlage auftretender Schlafapnoe besonders von Zahnspangen. Spezialisten stehen verschiedene bildgebende Verfahren und Atemflussmessungen zur Verfügung, um die Hauptlokalisation der Obstruktion im Pharynxbereich (oropharyngeal/velopharyngeal) genauer zu erfassen und die MAD-Therapie-Aussichten besser abzuschätzen.
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Es gibt eine Vielzahl von Zahnschienen respektive -spangen, mit unterschiedlichen Anpassungsmöglichkeiten. Diese Unterschiede dürften auch Diskrepanzen bei den Therapieresultaten teilweise erklären. Über die Langzeitresultate der vielen verschiedenen Geräte hinsichtlich ihrer Stabilität und des Behandlungserfolgs ist noch wenig bekannt. Missempfindungen im Kieferbereich, Empfindlichkeit der Zähne und Speichelfluss treten unter MAD häufiger auf, und die Patienten benötigen deshalb eine Anpassungszeit, die manchmal Monate betragen kann. Im Allgemeinen ziehen die Patienten MAD einer Maskenbeatmung vor, obwohl 2 Studien von vergleichbaren Patientenpräferenzen berichteten. Übergewichtige Patienten und solche mit schwereren Symptomen bevorzugten gemäss einer Studie bei tagesschläfrigen Patienten die CPAP-Beatmung. Nach Selbstdeklaration liegt die Kurzzeitcompliance bei der MAD-Therapie zwischen 76 und 95 Prozent. Einige Studien fanden für MAD eine höhere Compliance als für CPAP, in anderen Untersuchungen fiel sie vergleichbar aus. Längerfristig gesehen benützen die Patienten ihre Zahnschienen weiterhin, aber die Compliance scheint mit der Zeit doch leicht abzunehmen. So trugen nach einem Jahr noch 76 Prozent ihr MAD und nach 2 bis 4 Jahren noch
etwa die Hälfte. Gemessen am AHI scheint der Therapieeffekt bei initial gutem Ansprechen anzuhalten, eine Studie berichtete von einer Zunahme der Tagesschläfrigkeit trotz weiterhin guter Apnoekontrolle.
Schlussfolgerungen «Bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Schlafapnoe reduzieren progenierende Zahnschienen die Schlafapnoe und die subjektive Tagesschläfrigkeit und verbessern die Lebensqualität im Vergleich zu Plazebozahnplatten», fassen die Autoren ihre Ergebnisse zusammen. Die Apnoereduktion ist mit Zahnschienen geringer und variabler als mit CPAP-Beatmung. Immer mehr Studien berichten über ähnliche Ergebnisse der beiden Behandlungsmodalitäten hinsichtlich anderer Outcomes wie Blutdruck, mikrovaskuläre Reaktivität, Herzfunktion, Symptomatik, Lebensqualität und Fahrleistung. Dies lässt den Schluss zu, dass Zahnschienen komplexe Auswirkungen auf die obstruktive Schlafapnoe haben. Oft ziehen die Patienten die Zahnschiene der Beatmungsmaske vor und haben damit eine bessere Compliance. Zur Wahl des effektivsten Typs der individuell angepassten Zahnschiene und zur Frage, wie solche Geräte im Hinblick auf einen optimalen Effekt auf die OSA angepasst werden sollten, gibt es keine ausreichende Evidenz, wie die Autoren festhalten. Sie sehen eine
schrittweise Titration, beginnend bei
50 Prozent des maximalen Unterkiefer-
vorschubs, als empfehlenswerten Weg.
Der Langzeiteffekt der MAD-Therapie
auf die Schlafapnoe ist stabil oder kann
bei Patienten mit ursprünglich gutem
Ansprechen leicht abnehmen. Hierzu
besteht nach Einschätzung der Autoren
noch Forschungsbedarf.
Mit leichtgradigen oralen Nebenwir-
kungen wie empfindlichen Zähnen und
Bissveränderungen ist regelmässig zu
rechnen.
Protrusions-Zahnschienen sind in der
Therapie von Patienten mit leichter bis
mittelschwerer obstruktiver Schlaf-
apnoe indiziert (Empfehlungsgrad:
Level A), ferner bei Patienten, welche
eine CPAP-Therapie nicht tolerieren
können. Diese Behandlung muss regel-
mässig nachkontrolliert werden. Das
Gerät ist entsprechend dem Behand-
lungsverlauf anzupassen oder auszu-
wechseln.
❖
Halid Bas
Quellen 1. Terri E. Weaver et al.: CPAP treatment of sleepy
patients with milder OSA: Results of the CATNAP randomized clinical trial. Am J Respir Crit Care Med 2012; rccm.201202-0200OC. First published online July 26, 2012. doi:10.1164/rccm.201202-0200OC. 2. Marie Marklund et al.: Non-CPAP therapies in obstructive sleep apnoea: mandibular advancement device therapy. ERJ 2012; 9(5): 1241–1247. doi: 10.1183/ 09031936.00144711.
Interessenlage: Die Autoren der beiden Studien deklarieren keine Interessenkonflikte.
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