Transkript
Hyposensibilisierung bei allergischer Rhinokonjunktivitis
Subkutan oder sublingual – SCIT oder SLIT?
BERICHT
DDG KOMPAKT – Fortbildung für die deutschsprachige Dermatologie
24. und 25. Februar 2012 in Berlin
Hyposensibilisierungen sind nicht mehr nur mit subkutanen Spritzen durchführbar. Die sublinguale Immuntherapie hat sich bereits als Alternative gut bewährt. Weitere Alternativen werden derzeit intensiv erforscht. Über neue Möglichkeiten der Allergenapplikation im Rahmen der spezifischen Immuntherapie orientierten Experten an der Tagung DDG KOMPAKT 2012 in Berlin.
ALFRED LIENHARD
Letztes Jahr konnte das 100-Jahr-Jubiläum der spezifischen Immuntherapie (SIT) gefeiert werden. Den britischen Allergologen Noon und Freeman war es 1911 gelungen, erstmals mit Gräserpollenextrakt eine spezifische Hyposensibilisierung durchzuführen. Als einzige kausale Therapie IgE-vermittelter allergischer Sensibilisierungen ist die SIT für die klinische Praxis von grosser Bedeutung. Neben der subkutanen Immuntherapie (SCIT) konnte sich neuerdings als Alternative auch die sublinguale Immuntherapie (SLIT) etablieren (1). Zurzeit erprobt die Forschung darüber hinaus noch weitere alternative Wege für die Allergenapplikation wie die vestibuläre, die epikutane und die intranodale (intralymphatische) Verabreichung, wie Prof. Dr. Natalija Novak, Klinik für Dermatologie und Allergologie, Universität Bonn, berichtete.
Auf dem Weg zur Lolli-Immuntherapie? Die orale Allergenapplikation im Bereich der sublingualen Mukosa hat sich als effektiv und gut verträglich erwiesen (2). Die Wahl der sublingualen Region für die Immuntherapie beruht auf der historisch gewachsenen Bevorzugung dieses Mundhöhlenbereichs für die Medikamentenverabreichung in der inneren Medizin. Die geringere Epitheldicke erhöht sublingual die Medikamentenresorption. Neben dem sublingualen Bereich gibt
Die protolerogenen Eigenschaften der lokalen Antigen-präsentierenden Zellen (z.B. der dendritischen Zellen) spielen in der Mundschleimhaut eine zentrale Rolle. Bei der Suche nach der für die Immuntherapie am besten geeigneten Mundhöhlenregion ist das Zahlenverhältnis der «guten» Zellen (dendritische Zellen = Langerhans-Zellen) zu den «bösen» Zellen (Mastzellen) aufschlussreich (Tabelle 1). Bei der Immuntherapie sollen die «guten» Zellen angesprochen werden. Die «bösen» Zellen, welche die Neben-
Die Schleimhaut des Vestibulums ist besonders gut für die Immuntherapie geeignet, weil sie viele «gute» und nur wenige «böse» Zellen enthält.
es aber in der Mundhöhle noch andere Regionen, die zur Allergenapplikation genutzt werden könnten. Die Mundhöhle ist ein immunologisch privilegierter Raum, wo Toleranz gegenüber bakteriellen Kommensalen und gegenüber Nahrungsmittelproteinen herrscht. Viele Zellen der Mundhöhlenschleimhaut sind mit antiinflammatorischen Eigenschaften ausgestattet (2).
wirkungen der SIT hervorrufen, sollen dagegen möglichst in Ruhe gelassen werden. Es hat sich herausgestellt, dass das Verhältnis «guter» zu «bösen» Zellen in der Sublingualregion viel schlechter ist als in anderen Mundhöhlenregionen, besonders als im Vestibulum oris (hinter der Lippe). Wenn Patienten bei sublingualer Allergenapplikation über sehr starke lokale
Tabelle 1:
Verteilung von Langerhans- und Mastzellen in der Mundschleimhaut
Sublingualregion
Mukosadicke
+
Anzahl von Langerhans-
Zellen («gute» Zellen) in
der Mundschleimhaut
++
Anzahl der Mastzellen
(«böse» Zellen)
+++
Vestibulum oris ++
+++ ++
(nach Prof. Dr. Natalija Novak)
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BERICHT
Nebenwirkungen berichten, empfiehlt Natalija Novak statt der sublingualen die vestibuläre Applikation. Dadurch
Tabelle 2:
Effektstärken von SCIT und SLIT in Studien
könne die Nebenwirkungsrate deutlich reduziert werden, sagte sie. Durch
Cochrane-Metaanalysen: SIT bei Rhinokonjunktivitis
Wechsel des Applikationsareals konnte in einer kleinen Pilotstudie die Nebenwirkungsrate mit vestibulärer Verabreichung reduziert und die Effektivität der Immuntherapie erhöht werden, so die Referentin. Damit das Allergen den
Symptome Medikamente
SCIT
SMD (95%-KI) -0,73 (-0,97 bis -0,50) -0,57 (-0,82 bis -0,33) Calderon M. et al. 2009
SLIT
SMD (95%-KI) -0,49 (-0,64 bis -0,34) -0,32 (-0,43 bis -0,21) Radulovic S. et al. 2011
richtigen Ort erreicht, könnte in Zu-
(nach Prof. Dr. Randolf Brehler)
kunft – besonders bei jungen Patienten
– der SIT-Lolli Einzug in die Immun-
therapie halten. Entsprechend den un- Wirksamkeit wie die der SCIT (Tabelle 2). Durch ein gutes Wiedereinbestellungs-
terschiedlichen darin enthaltenen All- Klinische Studien belegen die Wirk- system in der Praxis kann die Persistenz
ergenen könnte der SIT-Lutscher in ver- samkeit der SCIT für viele verschiedene bei SLIT-Patienten so unterstützt wer-
schiedenen Farben angeboten werden. Allergene, während die Wirksamkeit den, dass sie nicht hinter der Persistenz
der SLIT nur für Graspollenextrakte bei SCIT zurückbleibt. Der Arzt müsse
Epikutane und intralymphatische
ausreichend belegt sei. Ob die Patien- freilich etwas unternehmen, damit die
Immuntherapie
ten, die ihre SLIT-Tabletten selbst ein- Patienten treu bei der Immuntherapie
Weitere Alternativen, die derzeit er- nehmen können, das Allergen auch bleiben, betonte der Referent. Für Per-
forscht werden, sind die epikutane aller- wirklich applizieren, ist bei der SLIT sonen mit Angst vor Injektionen stellt
genspezifische Immuntherapie (EPIT) nur schwer überprüfbar. Insgesamt ver- die schmerzlose SLIT eine willkom-
mittels Hautpflaster und die intralym- trat Randolf Brehler die Ansicht, dass mene Alternative dar. Bequemer ist die
phatische Immuntherapie (ILIT). Das noch mehr Studien nötig seien, um für SLIT auch im Hinblick auf die Zeiter-
Allergen kann unter Ultraschallkon- verschiedene Präparate die Gleichwer- sparnis. Besonders in der Steigerungs-
trolle direkt in subkutane Lymphkno- tigkeit der SLIT zu zeigen.
phase der SCIT wirkt der Zeitaufwand
ten injiziert werden. Die Anzahl benö- Prof. Dr. Torsten Zuberbier, Allergie- für Arztbesuche auf Berufstätige oft ab-
tigter Applikationen und die kumula- Centrum, Charité-Universitätsmedi- schreckend. In einer direkten Ver-
gleichsstudie beeinflussten SCIT und
SLIT die Lebensqualität der Patienten
Die Effektstärken sind in Studien bei SCIT grösser als bei SLIT.
nicht unterschiedlich. Torsten Zuberbier plädierte dafür, die Patienten aktiv
danach zu fragen, welche Form der SIT
tive Allergendosis können dadurch zin, Berlin, betonte in seinem Referat sie bevorzugen. Für den Arzt sei es
wesentlich reduziert werden. Bei Grä- die Vorteile der SLIT. Für die sublin- wichtig, die Studienresultate zur SIT
serpollenallergikern wurde klinisch guale Immuntherapie lägen inzwischen präparatespezifisch zu beurteilen. ❖
gezeigt, dass mit ILIT derselbe Effekt mehr Studien vor, die nach modernen
erreicht werden kann wie mit SCIT, wie Kriterien geplant wurden, als für die Alfred Lienhard
die Referentin sagte.
Verdrängt die SLIT die SCIT? Es gebe gute Argumente, die SCIT nicht zugunsten der SLIT zu verlassen, sagte Prof. Dr. Randolf Brehler, Klinik für Hautkrankheiten, Universitätsklinikum, Münster. Dass die Wirkung der
SCIT, sagte er. Entscheidend für die Wirksamkeit der SLIT sind die genügend hohe Dosierung des Extraktes und die korrekte Anwendung durch die Patienten. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, könne die SLIT mindestens gleich gute Erfolgsraten erzielen wie die SCIT, so der Referent.
Referenzen: 1. Leitlinie für Deutschland, Österreich, Schweiz: Die
spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung) bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen. Allergo J 2009; 18: 508–537 (im Internet: www.leitlinien.de). 2. Novak N et al.: Immunological mechanisms of sublingual allergen-specific immunotherapy. Allergy 2011; 66: 733–739.
Immuntherapie dosisabhängig ist, gilt Ein sehr gewichtiges Argument zuguns-
sowohl für die SCIT als auch für die ten der SLIT ist die Tatsache, dass bis
SLIT. Für die SCIT lautet die Empfeh- heute noch kein einziger anaphylakti-
lung, während der Erhaltungstherapie scher Zwischenfall mit Todesfolge auf-
etwa 5 bis 20 Mikrogramm des Ma- getreten ist. Grundsätzlich sei die SLIT
jorallergens pro Injektion zu verab- sicherer als die SCIT – und die Patien-
reichen. Der Referent machte darauf ten wollten die Therapie ja überleben,
aufmerksam, dass SLIT-Gräserpollen- sagte Torsten Zuberbier. Bei der SCIT
präparate oftmals unterdosiert seien. betrage die Rate schwerer anaphylakti-
In den aktualisierten Cochrane-Meta- scher Reaktionen, abhängig vom Prä-
analysen erreichten die Effektstärken parat, bis deutlich mehr als 1 Zwi-
der SLIT nicht den gleichen Grad der schenfall pro 1 Million Injektionen.
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