Transkript
FORTBILDUNG
Die sekretorische Mittelohrentzündung
Von asymptomatisch bis zur bleibenden Hörbehinderung
Die Mehrzahl aller Kinder unter zehn Jahren leidet mindestens einmal unter einer sekretorischen Otitis media. Die schwersten Komplikationen bestehen in der Entwicklung eines Cholesteatoms oder einer dauerhaften Hörminderung.
BMJ
Etwa 80 Prozent aller Kinder unter 10 Jahren erleiden mindestens einmal eine Mittelohrentzündung. Am häufigsten tritt sie im Alter zwischen 2 und 5 Jahren auf. Oft rezidiviert die Erkrankung, wobei eine Episode meist etwa 6 bis 10 Wochen andauert. In schweren oder langwierigen Fällen kann es zu einer permanenten Retraktion und Atrophie des Trommelfells kommen, und in manchen Fällen entwickelt sich ein Cholesteatom. Die bedenklichste Komplikation der Otitis media besteht in einer schallleitungsbedingten Hörminderung. Die genaue Ursache der Erkrankung ist nicht bekannt, die Otitis media entwickelt sich jedoch nach einer Fehlfunktion der Eustachischen Röhre, bei der es zu einem permanenten Unterdruck im Mittelohr kommt. Dies führt wiederum zu einer entzündlichen Reaktion der Mukosa im Mittelohr, die mit der Produktion von dünner oder dicker Flüssigkeit («Leim», engl. «glue») verbunden ist. Zur Einschätzung des Krankheitsbilds erfragt man die Dauer der Symptome und die Auswirkungen auf Schule und Freizeit. Zur Evaluierung gehören auch Fragen nach rezidivierenden Ohrenentzündungen oder Infektionen des oberen Atemtrakts sowie nach Absonderungen aus den Ohren und deren Geruch.
Grosses Cholesteatom im Kuppelraum des Mittelohrs (Bild: Welleschik, Wikipedia)
Die Schlüsselelemente der Beeinträchtigung sollten ebenfalls erfasst werden. Dazu gehören Probleme beim Zuhören, eine undeutliche Sprache oder eine verzögerte Sprachentwicklung sowie Unaufmerksamkeit, Verhaltensprobleme und ein langsamer Fortschritt in der Schule. Eine variierende Beeinträchtigung des Hörvermögens über einen Zeitraum von Tagen oder Wochen wird ebenfalls häufig beobachtet. Die Mittelohrentzündung kann zudem mit Tollpatschigkeit und einem schlechten Gleichgewichtssinn verbunden sein.
Merksätze
❖ Etwa 80 Prozent aller Kinder erleiden mindestens einmal eine Mittelohrentzündung.
❖ Eine sekretorische Otitis media kann symptomlos verlaufen. ❖ Bei einer Beeinträchtigung des Sprachvermögens, des Hörver-
mögens oder des Gleichgewichts sollte auch an eine Otitis media gedacht werden.
Risikofaktoren Eine sekretorische Mittelohrentzündung kann bei Kindern auch symptomlos verlaufen. Kommt das Kind regelmässig in die Praxis, sollte die Diagnose einer Otitis media deshalb bei den genannten Symptomen bezüglich des Hörvermögens und des Verhaltens in Betracht gezogen werden. Ein erhöhtes Risiko für eine Mittelohrentzündung besteht bei Kindern, die Kindertagesstätten besuchen, die ältere Geschwister haben oder wenn die Eltern rauchen. Auch Kinder mit Gaumenspalte, zystischer Fibrose oder Down-Syndrom oder Kinder, die mit der Flasche oder auf dem Rücken liegend gefüttert werden, sind anfälliger für eine Mittelohrentzündung. Bei der Untersuchung der Ohren erscheint das Trommelfell matt und grau. Der Steigbügelknochen kann etwas hervor-
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stehen, da der Unterdruck dahinter das Trommelfell zurückzieht. Hinter dem Trommelfell kann ein Flüssigkeitspegel zu erkennen sein. Die sekretorische Otitis media tritt oft in Verbindung mit grossen Polypen auf, sodass das Kind durch den Mund atmen muss.
Warnzeichen Zu den beiden Warnzeichen («red flags») gehören eine atypische otoskopische Untersuchung in Verbindung mit übel riechenden Absonderungen, die auf ein Cholesteatom hinweisen, und ein massiver Hörverlust oder ein anderer Untersuchungsbefund, der auf einen zusätzlichen sensorineuralen Hörverlust schliessen lässt. Bei beiden Befunden ist eine sofortige Überweisung zum Hals-Nasen-Ohrenspezialisten erforderlich.
Sprachentwicklung Bei der ersten Konsultation sollte man versuchen, einen Eindruck von der sprachlichen Entwicklung zu bekommen, was aufgrund von Zeitdruck oder der Nervosität des Kindes nicht immer einfach ist. Im Alter von 2 bis 3 Jahren sollte ein Kind in der Lage sein, einfache Sätze zu sprechen, Alltagsgegenstände zu benennen und zweistufige Anweisungen zu befolgen. Mit 4 oder 5 Jahren sollten Kinder das meiste verstehen, längere Sätze bilden können und leicht verständlich sprechen.
Weiteres Vorgehen
Zur Behandlung steht keine eindeutig wirksame Option zur
Verfügung. Antibiotika, topische oder systemische Steroide,
Dekongestiva, Mukolytika und Antihistaminika werden für
das Routinemanagement nicht empfohlen. In manchen Fällen
ist das chirurgische Einsetzen eines Belüftungstubus von Nutzen.
In den britischen NICE-Richtlinien wird ein aktives Monito-
ring über drei Monate empfohlen, um zu prüfen, ob die Sym-
ptome persistieren. In diesem Rahmen werden auch zwei
Reintonaudiometrien im Abstand von drei Monaten durch-
geführt. Wird ein Schallleitungshörverlust vermutet, kann das
Kind unverzüglich an den Spezialisten überwiesen werden.
Die Eltern können dahingehend beruhigt werden, dass der
Hörverlust sich oft spontan zurückbildet. Bei manchen Kin-
dern kann während der Beobachtungsphase oder im Vorfeld
eines chirurgischen Eingriffs eine Hörhilfe angebracht sein.
Hörgeräte kommen auch bei Down-Syndrom-Kindern mit
Otitis media zum Einsatz oder wenn eine Operation kontra-
indiziert ist.
❖
Petra Stölting
Farboud Amir, Skinner Richard, Pratap Rohit: Otitis media with effusion («glue ear»), BMJ 2011; 343:d3770.
Interessenkonflikte: keine
BEKANNTMACHUNG
VII. Schweizer Impfkongress
8. und 9. November 2012, Swiss Conference Center Basel
Seit dem letzten Schweizer Impfkongress vor zwei Jahren haben sich zahlreiche wichtige Neuerungen bei Impfstoffen und ihrer Anwendung ergeben. Am Schweizer Impfkongress in Basel geht es in Symposien, Workshops und interaktiven Sessions unter anderem um folgende Themen:
❖ Meningokokken ❖ Pneumokokken ❖ Pertussis- und dT-Impfempfehlungen
❖ HPV-Impfung ❖ Malaria- und Reiseimpfungen ❖ Impfnebenwirkungen.
Auch gesundheitspolitische Aspekte, wie die Impfsituation in der Schweiz, und Themen wie der Umgang mit impfkritischen Patienten werden zur Sprache kommen.
Information und Anmeldung: www.congrex.ch/impf2012
874 ARS MEDICI 17 ■ 2012