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FORTBILDUNG
Restless-legs-Syndrom
Das Restless-legs-Syndrom ist sowohl in Hausarztpraxen wie Spitälern häufig und bekannt, muss aber immer auch von anderen Krankheitsbildern abgegrenzt werden. Heute wird nach der Diagnose eine Überprüfung des Eisenstatus weitherum empfohlen, so auch in dieser Kurzübersicht britischer Autoren.
BMJ
Hauptmerkmal des Restless-legs-Syndroms (RLS) ist ein subjektiv heftig empfundenes unangenehmes Gefühl, das zum Bewegen der Beine zwingt. Prävalenzschätzungen gehen weit auseinander (von 1,9 bis 15% in der Normalbevölkerung). Das RLS kann zwar alle Altersgruppen betreffen, ist aber im mittleren und höheren Alter eindeutig häufiger. Wichtigste Folge sind chronische Schlafstörungen mit ihren weiteren Konsequenzen. Daher hat die Erkennung des RLS weitreichende Bedeutung für die Lebensqualität der Betroffenen.
Worum handelt es sich beim Restless-legs-Syndrom? Die Erstbeschreibung in den «Acta Medica Scandinavica» geschah 1945 durch Ekbom. Die International Restless Legs Syndrome Study Group (EURLSSG) hat diagnostische Kriterien zusammengestellt (Kasten). Die vier essenziellen Kriterien sind Drang, die Beine zu bewegen (meist zusammen mit Missempfindungen), Verschlechterung während Ruhe oder
Merksätze
❖ Das Restless-legs-Syndrom (RLS) kann idiopathisch oder sekundär sein.
❖ Das klinische Erscheinungsbild ist vielfältig, spezifische diagnostische Kriterien sind bis jetzt nicht definiert, was dazu führt, dass die Diagnose oft verpasst oder fälschlicherweise gestellt wird.
❖ Alle RLS-Patienten sollten hinsichtlich ihres Eisenstatus gescreent werden; bei Ferritin < 50 μg/l (112 pmol/l) kommt eine Eisensubstitution in Betracht.
❖ Dopaminagonisten sind bei RLS wirksam, verursachen aber das Phänomen der Augmentation und können Impulskontrollstörungen auslösen.
Inaktivität, Besserung der Beschwerden durch Bewegung sowie Auftreten oder Intensivierung am Abend oder während der Nacht. Selbst das Vorliegen aller vier Kriterien stellt die Diagnose nicht völlig sicher. Unterstützende sowie häufig assoziierte Symptome verbessern die diagnostische Schärfe (Kasten). Bei einigen RLS-Patienten dominieren Schmerzen das Bild und führen dann oft zur Fehldiagnose eines chronischen Schmerzsyndroms. Neben dem Bewegungsdrang können weitere motorische Symptome vorkommen, insbesondere periodische Beinbewegungen, von minimal (wie ein Babinski-Zeichen der Grosszehe) bis zu Beugebewegungen in den grossen Gelenken der unteren Extremität. Ungefähr 80 Prozent der Patienten zeigen während des Schlafs solche periodischen Bewegungen. In der Regel verläuft das RLS chronisch progredient, die Symptomatik kann aber auch fluktuieren, und vor allem bei jüngeren Betroffenen sind Remissionen häufig.
Wer erkrankt an Restless-legs-Syndrom? Am häufigsten macht sich die Symptomatik zuerst im mittleren Lebensabschnitt bemerkbar. Der Beginn liegt aber zwischen Kindheit und 80 Jahren. Gerade bei Kindern lässt sich oft eine positive Familienanamnese für RLS eruieren. Wahrscheinlich wird das RLS bei Kindern oft übersehen oder als «Wachstumsschmerzen» fehlinterpretiert. Frauen sind rund zweimal häufiger von RLS betroffen als Männer. Insbesondere ist das RLS die häufigste motorische Störung während der Schwangerschaft und soll 13,5 bis 26,6 Prozent der Schwangeren in schwerer Form betreffen. Das RLS kann idiopathisch oder symptomatisch sein. Die idiopathische Form hat eine deutliche genetische Komponente. Unter den sekundären Formen gelten Eisenmangel und Urämie als häufige Ursachen, ferner ist eine Assoziation mit kardiovaskulären Erkrankungen, Adipositas, Diabetes, rheumatischen Leiden, peripherer Neuropathie, M. Parkinson und anderen Krankheiten beschrieben worden, wobei die Bedeutung des Zusammenhangs nicht immer klar ist. Diese Erkrankungen sind aber in die Differenzialdiagnose einzubeziehen.
Was sind die Ursachen? Obwohl es für die Rolle von Dopamin in der Entstehung des RLS viele Hinweise gibt, bleibt der Mechanismus unklar. Befunde an Labortieren, aber auch am Menschen gaben Hinweise für eine Erhöhung der Tyrosinhydroxylasespiegel in der Substantia nigra, für eine Abnahme der Dopamin-D2-Rezeptoren im Putamen und erhöhte 3-O-Methyldopa-Kon-
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FORTBILDUNG
Kasten:
Definition des Restless-legs-Syndroms
❖ A. obligatorische Zeichen (müssen alle vorliegen): – Drang, die Beine (Arme) zu bewegen, meist verbunden mit unangenehmen Gefühlen – Verstärkung in Ruhe (im Sitzen oder Liegen) – Besserung während Aktivität (Bewegung, Massieren, geistige Ablenkung) – Zunahme am Abend und in der Nacht
❖ B. unterstützende Zeichen: – positive Familienanamnese – Ansprechen auf dopaminerge Medikation – periodische Beinbewegungen (periodic limb movements [PLM] im Schlaf oder Wachzustand)
❖ C. häufig vorhandene Zeichen – Zunahme im mittleren und höheren Alter – Schlafstörungen – Neurostatus unauffällig (b. idiopathischer Form) – tiefes Serumferritin (< 50 μg/l [112 pmol/l])
zentrationen im Liquor. Dies lässt sich als Up-Regulation der zentralen dopaminergen Transmission interpretieren, die ihrerseits zu einer postsynaptischen Desensitivierung führt. Auch ein Eisenmangel wurde als Ursache angeführt. Allerdings reicht ein Eisenmangel allein nicht, um ein RLS hervorzurufen, und ist auch keine notwendige Voraussetzung für dessen Entstehung. Es gibt Hinweise, dass die zentralnervösen Eisenvorräte bei RLS vermindert sind; zudem ist Eisen ein essenzieller Kofaktor für die Tyrosinhydroxylase.
Was für Folgen hat ein Restless-legs-Syndrom? Das RLS hat einen grossen Einfluss auf die Lebensqualität, vergleichbar demjenigen eines Typ-2-Diabetes oder der Arthrosen. Die Betroffenen haben Einschlafstörungen, wachen häufiger auf, empfinden ihren Schlaf als nicht erholsam und leiden oft tagsüber an Schläfrigkeit und Müdigkeit. Zudem mehren sich die Hinweise, dass das RLS mit metabolischer Dysregulation, autonomer Dysfunktion und einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert ist. Es bestehen aber hierzu noch viele offene Fragen.
Wie behandelt man ein Restless-legs-Syndrom? Bei Kindern erfordert das Management Spezialerfahrung und sollte nicht in der Hausarztpraxis geschehen. In den letzten Jahren sind von verschiedenen Gremien Guidelines herausgebracht worden. Am Anfang stehen das Erkennen und die Beseitigung von Ursachen oder verstärkenden Faktoren sowie die Symptomkontrolle. Bei allen Patientinnen und Patienten mit RLS soll das Serumferritin gemessen werden, denn eine Anämie ist kein ausreichend sensitiver Marker für einen relevanten Eisenmangel. Bei Patienten mit einem Serumferritin von weniger als 50 μg/l (112 pmol/l) empfiehlt sich eine Eisensupplementation. Ebenfalls bei allen Patienten hat eine sorgfältige Medikamentenanamnese zu erfolgen. Verstärkend wirken können Antipsychotika, Antidepressiva (v.a. SSRI und SNRI) sowie Antihistaminika.
Bei geringen oder seltenen Beschwerden kann auf eine Pharmakotherapie verzichtet werden. Hier wird eine Fülle von Allgemeinmassnahmen empfohlen: Verzicht auf Alkohol, Koffein, Nikotin, gute Schlafhygiene, mässiges körperliches Training, Vermeidung von Stress und Überanstrengung oder Schlafentzug. Als lindernd werden auch kurze Spaziergänge oder andere motorische Aktivitäten, warme Bäder oder Beinmassagen vor dem Zubettgehen propagiert. Nur etwa 20 Prozent der RLS-Patienten benötigen Medikamente. Hier sind an erster Stelle die Dopaminagonisten Pramipexol (Sifrol®), Ropirinol (Adartrel®) oder Rotigotin (Neupro®) zu nennen, die auch für die Therapie des RLS zugelassen sind. Diese Therapie ist evidenzbasiert und lindert die Symptomatik, verbessert die Schlafqualität und die krankheitspezifische Lebensqualität. Wichtig ist jedoch die Kenntnis des Phänomens der Augmentation: ❖ Vorverschiebung der Beschwerden um mehr als Stunden
unter der Behandlung ❖ Intensitätszunahme bei höherer oder Intensitätsabnahme
bei niedrigerer Dosierung ❖ Verkürzung der Latenzzeit bis zum Auftreteten der Sym-
ptome ❖ Ausbreitung auf andere Körperteile (nach proximal,
Arme) ❖ Verkürzung der Wirkdauer der Medikamente ❖ Zunahme der periodischen Beinbewegungen im Wachzu-
stand.
Diese Zunahme der Beschwerden scheint besonders unter Le-
vodopa häufig zu sein, ist aber auch unter den Dopaminago-
nisten ein Problem. Die Empfehlungen gehen dahin, mög-
lichst tiefe Dosierungen zu wählen, das Serumferritin zu
überprüfen und aggravierende Faktoren auszuschliessen.
Die EURLSSG empfiehlt bei Patienten mit schweren Sym-
ptomen tagsüber Rotigotinpflaster, die therapeutische Plas-
maspiegel über 24 Stunden sicherstellen. Ergotdopaminago-
nisten werden wegen des Risikos von Herzklappenfibrosen
und anderen Fibrosierungen nicht empfohlen.
Zu weiteren Therapieoptionen liegen positive Daten vor, so
zu Gabapentin (Neurontin® oder Generika), das zusammen
mit Pregabalin (Lyrica®) oder Opioiden wie Tramadol (Tra-
mal® oder Generika) von der EURLSSG als Zweitlinienthe-
rapie empfohlen wird.
Ist die bisherige medikamentöse Therapie mit Dopaminago-
nisten zur Symptomkontrolle nicht ausreichend, lässt die
Wirkung trotz Dosisteigerung nach, treten nicht tolerierbare
Nebenwirkungen auf oder bereitet die Augmentation Pro-
bleme, soll die Überweisung zum Neurologen oder Schlaf-
spezialisten erfolgen.
❖
Halid Bas
Guy Leschziner, Paul Gringras: Restless legs syndrome. BMJ 2012;344:e3056 doi: 10.1136/bmj.e3056
Interessenlage: G Leschziner deklariert ein Beraterhonorar von UCB Pharma.
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