Transkript
Eisenmangel
Orale Eisensubstitution steht an erster Stelle
FORTBILDUNG
Weltweit gilt die Versorgung mit Eisen aus der Nahrung als kritisch. Eine der Ursachen ist, dass Eisen nur aus Fleisch (Häm-Eisen) gut bioverfügbar ist, während pflanzliches Eisen nur sehr begrenzt im Darm aufgenommen wird. Aber es gibt noch weitere mögliche Ursachen für einen Eisenmangel, der oral oder auch intravenös behoben werden kann.
PETER NIELSEN
In industrialisierten Ländern ist das Nahrungseisenangebot mit rund 6 mg/1000 kcal recht hoch, und es können daraus die notwendigen 1 bis 2 mg/Tag absorbiert werden. Trotzdem reicht diese Versorgung in Risikogruppen mit hohem Eisenbedarf oft nicht aus, sodass auch bei uns 20 bis 30 Prozent aller menstruierenden Frauen einen Eisenmangel ohne Anämie aufweisen (1). Auch solch ein Speichereisenmangel führt bereits zu Symptomen wie Müdigkeit, verminderter kognitiver Leistungsfähigkeit oder dem «Symptom der ruhelosen Beine» (2–4). Das Risiko für einen Eisenmangel beruht meist auf einer Kombination verschiedener Faktoren: ❖ Ungenügende Nahrungseisenzufuhr: vegetarische Ernäh-
rung, Mangelernährung in Entwicklungsländern und in sozial schwachen Schichten («neue Armut»), Fehlernährung bei Teenagern, Senioren oder Personen mit Essstörungen. ❖ Veränderte Eisenabsorption: ubiquitär vorhandene Hemmstoffe in der Nahrung, wie Phytate, Polyphenole, Phosphate oder Kalzium, Eisenmaldigestion im Alter, Zottenatrophie bei Zöliakie, entzündliche Darmerkrankungen. ❖ Erhöhter Eisenbedarf: menstruierende Frauen, Kinder im Wachstum, Schwangere, Ausdauersportler, nach Operation et cetera.
Merksätze
❖ Jede Person mit nachgewiesenem Eisenmangel (Serumferritin < 35 µg/l) sollte Eisen erhalten.
❖ Die orale Eisentherapie ist sicher, effektiv und kostengünstig und gilt mit Recht als Therapie der ersten Wahl.
❖ Die kritiklose Anwendung der i.v.-Eisentherapie bei einfachen Fällen mit Eisenmangel oder in der Schwangerschaft ist abzulehnen.
❖ Erhöhter Eisenverlust: Frauen mit Hypermenorrhö, Patienten mit gastrointestinalen Blutverlusten, Dauerblutspender.
Diagnose des Eisenmangels In der Praxis kann man mit Hämoglobin und Serumferritin einen Eisenmangel in der Regel eindeutig nachweisen (Tabelle) (5). Schwieriger sind Fälle mit Anämie bei chronischer Erkrankung (Infekt, Entzündung, Tumor), in denen Eisenparameter sekundär verändert sein können (z.B. falsch erniedrigtes Serumeisen, falsch erhöhtes Serumferritin). In Studien werden für diese Fälle auch «modernere» Parameter vorgeschlagen (6), die aber im Regelfall keinen diagnostischen Vorteil bringen. Ferritin ist der wichtigste Parameter für Eisenmangel, auch weil es keine falsch zu niedrigen Werte gibt.
Orale Eisentherapie Wir empfehlen, dass jede Person mit nachgewiesenem Eisenmangel (Serumferritin < 35 µg/l) Eisen erhalten sollte (1). Es gibt eine ganze Reihe oraler Eisenpräparate, die grundsätzlich zweiwertiges Eisen enthalten sollten, da Ferro-Eisen die Transportform für Eisen darstellt und in die Darmzelle aufgenommen werden kann (7). Die orale Eisentherapie ist sicher, effektiv und kostengünstig und gilt mit Recht als Therapie der ersten Wahl. Allerdings sind die vorhandenen Eisenpräparate sehr unterschiedlich wirksam, weil die Galenik für die rasche Freisetzung von Eisen im Duodenum sorgen muss, das dort dann auch einige Zeit löslich bleibt (8, 9). Ein gutes orales Eisenpräparat (typische Dosierung 1 × 100 mg Fe2+/Tag) kann bei Patienten mit Anämie einen Hämoglobinanstieg von 1 g/Woche bewirken und dabei im gewissen Rahmen auch noch Blutverluste kompensieren. Für eine optimale Wirkung ist die Nüchterneinnahme (am besten morgens, 30 min vor dem Frühstück mit einem grossen Glas Wasser) wichtig, weil viele Nahrungsmittel Hemmstoffe der Eisenabsorption enthalten (z. B. Tee oder Kaffee) (1). Ab einer Dosis von 50 bis 100 mg Eisen/Tag sind in Studien gastrointestinale Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung oder Durchfall signifikant häufiger als unter Plazebogabe (10). Bei der üblichen Tagesdosis von 100 mg vertragen die meisten Patienten (> 90%) eine orale Eisentherapie aber problemlos. Im Einzelfall kann der Einnahmezeitpunkt auf mittags oder abends verschoben, der Wirkstoff verteilt über den Tag gegeben oder notfalls auch mit der Mahlzeit eingenommen werden. Dadurch wird die Therapie meist besser verträglich, die Wirksamkeit kann aber beeinträchtigt werden. Die Behandlung bei Eisenmangelanämie mit oralem Eisen erfordert etwa 3 Monate zur Hämoglobinnormalisierung und
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FORTBILDUNG
Tabelle:
Parameter für die Eisenmangeldiagnose
Parameter minimal und gut Hämoglobin
Serumferritin
Normalwert 12–15 g/dl 35–165 µg/l
Bedeutung
Zeigt die wichtigste Funktion von Eisen an. Im Eisenmangel erniedrigt. MCV und MCH erniedrigt → chronische Eisenmangelanämie < 35 µg/l Speichereisenmangel; < 12 µg/l vollständig erschöpfte Eisenspeicher, Übergang zur Eisenmangelanämie
begrenzte Aussagekraft bei Eisenmangel
Serumeisen
11–31 µM
häufig falsch zu niedrig
modern, aber entbehrlich löslicher Transferrinrezeptor Retikulozytenhämoglobin
0,83–1,76 mg/dl 28,5–34,5 pg
Zeigt Eisenmangel im Gewebe an; kein klarer Vorteil gegenüber Serumferritin. «schnelles MCV, MCH»
eventuell weitere 2 bis 3 Monate zur Auffüllung der Eisenreserven (Ziel-Ferritin: 50–100 µg/l). Bei der oralen Eisentherapie ist eine Überdosierung bei genetisch normalen Patienten (Cave: erbliche Eisenspeicherkrankheit) und üblichen Eisendosen (100 mg/Tag) wegen der Selbstregulation der Eisenaufnahme kaum möglich.
Intravenöse Eisentherapie Es gibt zurzeit in der Schweiz 2 Präparate für die intravenöse Eisentherapie (Ferinject®, Venofer®). Es handelt sich dabei um hochmolekulare Eisen-(III-)Kohlenhydratkomplexe (Eisen-Saccharose, Eisen-Carboxymaltose), die nach i.v.Injektion rasch von Makrophagen vor allem in der Leber aufgenommen und prozessiert werden (11). Diese geben dann innerhalb von Tagen das freigesetzte Eisen in die Peripherie ab, von wo es ins Knochenmark gelangen kann.
FORTBILDUNG
Der Vorteil dieser Therapieform ist ein etwas schnellerer
Wirkeintritt und die Möglichkeit, grössere Eisenmengen
während einer Behandlung zu infundieren. Letzteres ist
gleichzeitig ein Problem, weil es bei Überdosierung zu einer
Eisenüberladung kommen kann. Ablagerungen von offenbar
nicht metabolisiertem Eisen sind in Biopsieproben aus Pa-
tienten nach i.v.-Eisen-Applikationen lange bekannt (12).
Ausserdem bringen solche hochmolekularen Verbindungen
grundsätzlich das Risiko von allergischen Reaktionen mit
sich, die bei den älteren Verbindungen (Eisendextran, Eisen-
glukonat; in der Schweiz nicht mehr im Handel) meist leich-
ter Natur waren, aber auch (selten) zu Todesfällen führen
konnten (0,8 Fälle/1 Mio. Injektionen) (13). Die erwähnten
moderneren Präparate sind besser verträglich, allerdings
auch wesentlich teurer.
Bei der i.v.-Eisentherapie wird nach Ganzoni die notwendige
Dosierung berechnet (14):
Gesamteisendefizit (mg) = Körpergewicht (KG) in kg × (Soll-
Hb – Ist-Hb) (g/dl) x 2,4 + Reserveeisen (500 mg)
Nach einer i.v.-Injektion steigt das Serumferritin kurzfristig
an (Freisetzung von Eisen in Makrophagen und Stimulation
der Ferritinsynthese), um danach kontinuierlich wieder ab-
zufallen. Die Beurteilung der Eisenspeicher bei Patienten
unter i.v.-Eisentherapie ist daher schwierig. Die i.v.-
Eisenmedikation kommt vor allem für spezielle Patienten
(renale Anämie unter Erythropoietin, Patienten mit Darm-
entzündungen wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa,
Therapieversager mit oraler Eisentherapie) infrage (15). Die
kritiklose Anwendung der i.v.-Eisentherapie bei einfachen
Fällen mit Eisenmangel oder in der Schwangerschaft ist
abzulehnen (1, 13).
❖
9. Heinrich HC, Gabbe EE: Bioavailability of iron in oral iron preparations. Principles of duration and dosage. Münch Med Wochenschr 1979; 121(35): 1104–1108.
10. Sölvell L: Oral iron therapy. Side effects; in Hallberg L, Harwerth HG, Vannotti A (eds.): Iron Deficiency. Pathogenesis, Clinical Aspects, Therapy. London, Academic Press, 1970, pp: 573–583.
11. Geisser P: The pharmacology and safety profile of ferric carboxymaltose (Ferinject®): structure/reactivity relationships of iron preparations. Port J Nephrol Hypert 2009; 23(1): 11–16.
12. Hausmann K, Wulfhekel U, Düllmann J, Kuse R: Iron Storage in Macrophages and Endothelial Cells. Histochemistry, Ultrastructure, and Clinical Significance. Blut 1976; 32: 289–295.
13. Chertow GM, Mason PD, Vaage-Nilsen O, Ahlmen J: Update on adverse drug events associated with parenteral iron. Nephrol Dial Transplant 2006; 21: 378–382.
14. Ganzoni AM: Eisen-Dextran Intravenös: therapeutische und experimentelle Möglichkeiten. Schweiz Med Wochenschr 1970: 100: 301–303.
15. Scott B, Silverstein SB, George M, Rodgers GM: Parenteral iron therapy options. Amer J Hematol 2004; 76: 74–78.
PD Dr. med. Dr. rer. nat. Peter Nielsen Institut für Biochemie und Molekulare Zellbiologie Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Eisenstoffwechsel Zentrum für experimentelle Medizin und Zentrum für Frauen-, Kinder- und Jugendmedizin Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf Martinistrasse 52, Haus N41 D-20246 Hamburg
Interessenkonflikte: Der Autor hat von den Firmen Novartis und UCB gesponserte Fortbildungsveranstaltungen zum Thema Eisenmangel und Eisenüberladung durchgeführt. Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 10/2012. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. Die Anpassungen an die Verhältnisse in der Schweiz erfolgten durch die Redaktion ARS MEDICI.
Literatur: 1. Nielsen P: Diagnostik und Therapie von Eisenmangel mit und ohne Anämie. Uni-Med-Verlag,
Bremen, 2009. 2. Mohri I, Kato-Nishimura K, Kagitani-Shimono K et al.: Evaluation of oral iron treatment in pedi-
atric restless legs syndrome (RLS). Sleep Med 2012, Feb 14. [Epub ahead of print] 3. Murray-Kolb LE, Beard JL: Iron treatment normalizes cognitive functioning in young women.
Am J Clin Nutr 2007; 85(3): 778–787. 4. Verdon F, Burnand B, Fallab Stubi CL et al.: Iron supplementation for unexplained fatigue in non-
anemic women: double blind randomized placebo controlled trial. BMJ 2003; 326: 1124–1136. 5. Hausmann K, Kuse R, Meinecke KH, Bartels H, Heinrich HC: Diagnostic criteria of prelatent,
latent and manifest iron deficiency. Klin Wochenschr 1971; 49(21): 1164–1174. 6. Thomas C, Thomas L: Biochemical markers and hematologic indices in the diagnosis of functio-
nal iron deficiency. Clin Chem 2002; 48: 1066–1076. 7. Nielsen P, Gabbe EE, Fischer R, Heinrich HC: Bioavailability of iron from oral ferric polymaltose
in humans. Arzneim Forsch 1994; 44: 743–748. 8. Dietzfelbinger H: Bioavailability of bi- and trivalent oral iron preparations. Investigations of iron
absorption by postabsorption Serum iron concentrations curves. Arzneimittelforschung 1987; 37(1A): 107–112.
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