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Arsenicum: Eingezogener Schwanz, flach gelegte Ohren
Untertitel
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Europäische Kolonialherren wollten ein indisches Kulturgut vernichten: Suttee, die in Rigveda, Kamasutra, Mahabharata, Ramayana und Vishnu Smriti besungene Witwenverbrennung. Doch dank des Spitals Oberverbrönnikon konnte Suttee bewahrt werden: Sofort nach dem Tod gläubiger Kshatryas fliegen deren Familien mit den Witwen nach Switzerland Trip. GHB-versetztes Fondue lässt die Witwen sanft einschlafen, ihre Narkose vertieft der Spital-Anästhesist noch medikamentös. Auf einem modernen Hochleistungsgrill werden die Witwen verbrannt, im Beisein der festlich gekleideten Familien ihrer verstorbenen Männer, zu Sitarklängen und Gebeten, in einem transkulturell sensibel gestalteten Raum im Spitalkeller.
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Eingezogener Schwanz, flach gelegte Ohren

E uropäische Kolonialherren wollten ein indisches Kulturgut vernichten: Suttee, die in Rigveda, Kamasutra, Mahabharata, Ramayana und Vishnu Smriti besungene Witwenverbrennung. Doch dank des Spitals Oberverbrönnikon konnte Suttee bewahrt werden: Sofort nach dem Tod gläubiger Kshatryas fliegen deren Familien mit den Witwen nach Switzerland Trip. GHB-versetztes Fondue lässt die Witwen sanft einschlafen, ihre Narkose vertieft der Spital-Anästhesist noch medikamentös. Auf einem modernen Hochleistungsgrill werden die Witwen verbrannt, im Beisein der festlich gekleideten Familien ihrer verstorbenen Männer, zu Sitarklängen und Gebeten, in einem transkulturell sensibel gestalteten Raum im Spitalkeller. «Ergreifend, diese Sakralhappenings!», so der Kommunikationsbeauftragte des Spitals Oberverbrönnikon. «Tugendhafte, trauernde Witwen – von deren mutmasslichem Einverständnis wir ausgehen – können sich ohne dabei zu leiden in den Flammen der Liebe gattentreu hingeben, dem Verstorbenen zur Ehre, und so unsterblich werden. Wir planen als weitere Dienstleistung Witwen-lebendig-Begraben im Spitalpark.» Die vorher abgeschlossene Reiseversicherung kommt für den von den Oberverbrönnikoner Ärzten bescheinigten Exitus nach Ganzkörper-Verbrennungen dritten Grades auf. Es gibt keine Erbstreitigkeiten. Die Mitgift muss nicht zurückgezahlt werden. Der vorab bar zu entrichtende Unkostenbeitrag von 20 000 Franken ist eine gute Investition für die Familie und ein Zustupf für das Spitalbudget. Das Pathologische Institut von Quanibal, eines malerischen Städtchens in der Romandie, in Jumelage mit Okapa, rettete ein altehrwürdiges Fore-Ritual. Tiefgefroren werden die zuvor in Papua-Neuguinea erlegten Leichname eingeflogen, mittels der seit Jahrtausenden überlieferten Technik von Schamanen und Schweizer Sezierspezialisten kunstgerecht zerlegt, nach AltväterSitte schmackhaft zubereitet und von den Auftraggebern verzehrt. Der Institutssprecher betonte, dass damit wertvolle Proteine rezykliert und Arbeitsplätze geschaffen würden. Man erwäge, weitere Anthropophagie-Kunden aus Maori-, Yanomami- und Basongokreisen durch massgeschneiderte Angebote zu gewinnen. Islam und Judentum werden augenscheinlich durch öffentlich-rechtliche Schweizer Spitäler unterstützt, in

welchen medizinisch nicht indizierte Zirkumzisionen von Neugeborenen und Kindern auf Wunsch von deren Eltern, Rabbis bzw. Imamen erfolgen. Spitalhygienisch einwandfrei und mit Narkose. Besser, so die Verantwortlichen, als wenn Laien in Hinterzimmern herumschnetzelten. Und überhaupt – so ein kleines Stückchen Haut … weg damit! Obwohl ein Bärtiger tönte: «Daran hängt das jüdische Geistesleben!». Erstaunlich – ich hatte es bei Salomo Ibn Daud, Maimonides, Moses Mendelsohn, Franz Rosenzweig, Richard Rubinstein und Martin Buber verortet, nicht aber am wegschneidbaren Präputium von Knaben. Ein deutsches Gerichtsurteil liess die Zürcher Beschneider kurz Strafverfahren wegen Körperverletzungen an Minderjährigen fürchten. Jetzt aber zogen diese Weicheier die Köpfe ein und das Moratorium zurück. Traten ihnen etwa gewisse religiöse Gruppen auf den Sch...lips? Nun wird wieder öffentlich-rechtlich genital verstümmelt. Bis jemand hierzulande den Mut hat, zu klagen. Vielleicht ein ehemaliges Kind, das seinen Schwanz nicht einziehen konnte, den ihm exakt die Leute, die es vor Leid schützen sollten, aus religiöser Verblendung beschnitten? Was mag wohl sonst noch in Schweizer Spitälern auf Krankenkassenkosten unter dem Deckmäntelchen von Religion, Multikultitoleranz und Tradition passieren? Führen die auch Genitalverstümmelungen afrikanischer Frauen im Auftrag von Medizinmännern durch und produzieren Tsantsas unter Anleitung peruanischer Kopfjäger? Können Katholiken mit Lust auf Martyrium sich unter örtlicher Betäubung formschöne Stigmata oder Geissel-RQW zufügen lassen? Der «Beobachter» gab einer Religionswissenschaftlerin Gelegenheit, die Banalität abzusondern, dass die Beschneidung existiere, auch wenn man sie verböte. In der Tat – auch Raub, Kidnapping, Vergewaltigung werden nicht inexistent, nur weil die Strafverfolgungsbehörden dort aktiv werden. Doch ein Rechtsstaat schuldet es seinen Bürgern, Unrecht zu benennen und zu versuchen, es zu verhindern beziehungsweise zu ahnden. Die Täter müssen überführt, verurteilt und bestraft werden. Potenzielle Opfer und Rechtsgüter gilt es zu schützen. Auch die Vorhäute von kleinen Bübli mit frommen Eltern. Schauen und hören wir genau hin. Auch wenn dafür mal der Kopf kurz gehoben werden muss, weg von den zum Gebet gefalteten Händen, hin zu real existierenden Verbreche(r)n. Diese Rubrik ist eine Satire!

ARSENICUM

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ARS MEDICI 16 ■ 2012