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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Sportmedizin
Dehydrierungsrisiko wird überschätzt
Foto: Bob Jagendorf, CC
Gerade jetzt, während der olympischen Spiele in London, sah man sie wieder: Langstreckenläufer, die sich mit letzter Kraft ins Ziel werfen und zusammenbrechen – wegen Überhitzung durch Wassermangel, wie viele glauben. Doch eher zu viel Hydratation als zu wenig sei für Sportler potenziell gefährlich, schrieb kürzlich der Mediziner Timothy Noakes im «British Medical Journal» BMJ. Eine Dehydrierung durch «Überhitzung» sei so gut wie nie
der Grund für den Zusammenbruch, sondern vielmehr eine orthostatische Hypotonie nach sportlicher Anstrengung. Die weitverbreitete Ansicht, man müsse beim Ausdauersport ständig trinken, auch wenn man nicht durstig sei, hält Noakes für absolut falsch. In einem Beitrag in der gleichen Ausgabe der Zeitschrift erläutert die «BMJ»-Redaktorin Deborah Cohen, wie es den Herstellern sogenannter Sportgetränke in den letzten 40 Jahren gelungen sei,
durch geschicktes Marketing und man-
nigfaltige Verflechtungen mit Entschei-
dungsträgern den Glauben an eine
ständig drohende mangelnde Hydrata-
tion in den Köpfen von Ärzten und
Sportlern zu verankern.
Dabei sind gesunde Sportler durch De-
hydrierung kaum gefährdet. Um die
kritische Marke eines Wasserverlusts
von 15 Prozent oder mehr zu erreichen,
müsste man sich 48 Stunden in der
Wüste aufhalten, ohne einen Tropfen
zu trinken, so Noakes, was wohl kaum
den Verhältnissen bei Sportwettkämp-
fen entspricht, auch nicht bei Langstre-
ckenwettbewerben. Auch sei erwiesen,
dass Langstreckenläufer, die nach
einem Rennen zusammenbrechen, gar
nicht dehydrierter sind als ihre Kon-
kurrenten, die ohne Probleme durchs
Ziel laufen. Noakes erinnert auch
daran, dass die Evolution den Men-
schen als Langstreckenläufer in der Sa-
vanne konzipiert hat: Als ein Wesen
also, das eine enorme Kapazität hat,
seine Temperatur während lang andau-
ernder körperlicher Anstrengung zu
regeln, ohne einen Tropfen dabei zu
trinken.
RBO❖
Cohen D: The truth about sports drinks. BMJ 2012; 345: e4737. Noakes T: The role of hydration in health and exercise. BMJ 2012; 344: e4171.
Aktuelle EMA-Empfehlung
Aus für Calcitonin-Nasalspray?
Wegen eines beobachteten erhöhten Krebsrisikos hat die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) im Juli dieses Jahres empfohlen, das zur Behandlung von Osteoporosepatienten zugelassene Calcitonin-Nasalspray vom Markt zu nehmen. Die EMA beruft sich dabei auf einen Review zu Benefits und Risiken calcitoninhaltiger Medikamente, den das EMA-eigene Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) erstellt hat. In diesen Review flossen verfügbare Daten der Hersteller, etwa zur Sicherheit des Wirkstoffs, Ergebnisse randomisierter kontrollierter Studien und zweier Untersuchungen mit nichtlizensierten oralen Calcitoninmedikamenten sowie Daten aus experimentellen Krebsstudien ein. Wie die EMA mitteilte, sei auch injiziertes oder infun-
diertes Calcitonin bei Langzeitgebrauch mit einem erhöhten Krebsrisiko assoziiert. Als Konsequenz hat die Agentur nun angeraten, Calcitonin nur für kurze Zeit und nur für drei Indikationen, nämlich Morbus Paget, akuten Knochenschwund durch plötzliche Immobilisierung und krebsbedingte Hyperkalzämie, einzusetzen. Zur Behandlung von Osteoporosepatienten sollte Calcitonin unabhängig von der Darreichungsform nach Meinung der EMA überhaupt nicht mehr verwendet werden. Das CHMP war bei seinen Recherchen auf erhöhte Krebsraten zwischen 0,7 (orales Calcitonin) und 2,4 Prozent (nasale Form) im Vergleich zu Plazebo gestossen. Dieses Risiko werde durch den möglichen Benefit einer Osteoporosebehandlung mit Calcitonin nicht aufgewo-
gen. Da die Osteoporosebehandlung die
einzige Indikation des nasalen Calcito-
ninsprays ist, sei der Schritt gerechtfer-
tigt, es vom Markt zu nehmen.
Bei Infusion oder Injektion des Medika-
ments hat die EMA empfohlen, die The-
rapie im Falle von akutem Knochen-
schwund durch plötzliche Immobilisie-
rung nicht länger als vier Wochen und
bei Paget-Erkankung nicht länger als
drei Monate fortzusetzen. Für die krebs-
bedingte Hyperkalzämie hat sich die
Agentur nicht auf ein Zeitfenster eines
möglichen Kurzzeiteinsatzes festgelegt.
Auf Basis der EMA-Empfehlungen wird
nun die Europäische Kommission als
exekutives Organ der Europäischen
Union über die Zukunft des Calcitonin-
Nasensprays in den angegliederten Län-
dern befinden.
RABE❖
R. Lowes: Calcitonin Linked to Cancer Risk, EMA Warns. Medscape Medical News, 20.7.2012
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ARS MEDICI 15 ■ 2012
Neue Metaanalyse unterstreicht:
Schichtarbeit ist Gift für Gefässe
Foto: kompakt.igbce.de
Menschen, die Schichtarbeit leisten, also zu anderen Zeiten als von morgens um 9 bis abends um 17 Uhr arbeiten, sind einem erhöhten Risiko für vaskuläre Ereignisse wie Myokardinfarkt und Schlaganfall ausgesetzt. Diese gar nicht so neue These haben kanadische Wissenschaftler jetzt mit einem systematischen Review von Daten aus 34 Studien mit insgesamt über zwei Millionen Teilnehmern untermauert. Wie die Autoren um Prof. Dr. med. Daniel G. Hackam vom Stroke Prevention and Atherosclerosis Research Centre (SPARC) in London, Ontario, im «British Medical Journal» schreiben, ist bei einem relativ hohen Anteil an Schichtarbeitern unter den Berufstätigen (in Kanada immerhin knapp 33%) der negative Einfluss unregelmässiger Arbeitszeiten auf die allgemeine Gefässgesundheit der Bevölkerung so gross, dass dies politische und arbeitsmedizinische Konsequenzen haben sollte. Bei der Auswahl geeigneter Studien für ihre Übersichtsarbeit haben sich die Wissenschaftler auf Untersuchungen konzentriert, die Verhältnisgrössen des Risikos für vaskuläre Morbidität, vaskuläre Mortalität oder für die allgemeine Sterblichkeit bei Schichtarbeitern im Vergleich zu normal tagarbeitenden Personen oder zur Normalbevölkerung angeben. Im Gegensatz zu früheren Arbeiten hat die neue kanadische Metaanalyse dabei auch die Qualität der eingeschlossenen einzelnen Studien einem validierten Testverfahren (Downs and
Black Scale für Observationsstu-
dien) unterzogen. Herausge-
kommen ist nun die bis anhin
umfassendste Zusammenschau
verfügbarer Untersuchungen
zum potenziellen Zusammen-
hang zwischen Schichtarbeit
und vaskulärem Risiko.
Die Auswertung der umfangrei-
chen Daten ergab, dass Schicht-
arbeit nicht nur mit Myokardin-
farkt («risk ratio» [RR]: 1,23;
95% «confidence interval» [KI]
1,15–1,31) und Schlaganfall
(RR: 1,05; 95%-KI: 1,01–1,09)
assoziiert ist, sondern auch die
Häufigkeit koronarer Ereignisse
(RR: 1,24; 95%-KI: 1,10–1,39)
anhebt: Hier waren sämtliche
Schichtarbeitszeiten mit Aus-
nahme der Abendschichten mit
einem statistisch grösseren Ri-
siko verbunden. Die gepoolten RR-Werte be-
sassen stets Signifikanz, unabhängig davon,
ob die Analyse hinsichtlich bestehender Risi-
kofaktoren angepasst wurde oder nicht. Auch
der sozioökonomische Status der Studienteil-
nehmer hatte keinen Einfluss auf die Gesamt-
ergebnisse. Mit erhöhten Sterblichkeitsraten,
egal ob aus spezifisch vaskulärer oder allge-
meiner Ursache, zeigte sich für die Schichtar-
beit dagegen keine Korrelation.
Aus ihren Ergebnissen ziehen die Autoren den
Schluss, dass Schichtarbeiter grösseres Au-
genmerk auf bei ihnen möglicherweise beste-
hende vaskuläre Risikofaktoren legen sollten.
Um zu erreichen, dass Personen mit unregel-
mässigen Arbeitszeiten erster klinischer Ma-
nifestationen von Gefässerkrankungen be-
reits früh gewahr werden, könne auch eine
unterstützende arbeitsmedizinische Beratung
hilfreich sein. Zu überprüfen sei ferner, ob
sich die Gesundheit und Produktivität der Be-
rufstätigen auch durch eine Änderung und
Rationalisierung der Schichtzeiten verbessern
lässt.
RABE❖
Manav V Vyas et al.: Shift work and vascular events: systematic review and meta-analysis. BMJ 2012; 345 doi: 10.1136/bmj.e4800 (Published 26 July 2012)
RÜCKSPIEGEL
Vor 10 Jahren
Insulinanaloga
Zwei Jahre nach der EU-Zulassung für Insulin glargin wurde die Zulassung auch in der Schweiz erteilt. Damit war hierzulande erstmals ein lang wirksames Insulinanalogon verfügbar. Ein Jahr darauf wurde mit Insulin detemir das zweite lang wirksame Insulinanalogon zugelassen.
Vor 50 Jahren
Astromedizin
Medizinische Aspekte der bemannten Raumfahrt sind ein wichtiges Thema an Ärztekongressen, so auch an der 130. Jahrestagung der British Medical Association in Belfast im Juli 1962. Ein ranghoher Offizier der Royal Air Force berichtet dort ausführlich über die Atemprobleme der Astronauten beim Start einer Rakete und darüber welche Luftgemische diese am besten zu lindern vermögen. Um die physiologischen Effekte der Raumfahrt zu erfassen, werden die Astronauten «verkabelt» und ihre Messwerte wie Herzfrequenz, EKG oder Atmungsparameter auf Magnetbändern gespeichert. Das System stosse jedoch an Grenzen, bedauert der Offizier, denn für einen 14-tägigen Raumflug benötige man theoretisch 168 Kilometer Magnetband für die Aufzeichnung, sodass man sich leider auf bestimmte Zeitfenster beschränken müsse. Das Foto zeigt die Astronauten Charles Conrad and Gordon Cooper 1965 vor dem Start auf dem Weg zu ihrer Gemini-Raumkapsel (Foto: Nasa).
Vor 100 Jahren
Krebsprävention
Im «British Medical Journal» vom 10. August 1912 werden Regeln publiziert, deren Einhaltung vor Krebs schützen soll. Darunter finden sich Ratschläge, deren Sinnhaftigkeit sich mittlerweile erwiesen hat, wie etwa die Empfehlung, mit dem Rauchen aufzuhören. Ebenfalls zutreffend ist die Beobachtung, dass Arbeiter, die giftigen Teerdämpfen oder radioaktiver Strahlung ausgesetzt sind, ein erhöhtes Krebsrisiko tragen. Die Liste enthält allerdings auch völlig nutzlose Tipps, wie beispielsweise die Warnung vor zu heissen oder zu kalten Speisen und Getränken oder den Rat, zum Essen nichts zu trinken, damit keine zu grossen Bissen geschluckt werden.
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