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FORTBILDUNG
Die Säuglings- und Kinderhaut benötigt spezielle Pflege
Nach der Geburt hat die Haut eine Reihe von Anpassungsprozessen zu bewältigen, um die lebenswichtigen Aufgaben zur Regulation des Wärme-, Wasser- und Elektrolythaushaltes sowie der Immunabwehr übernehmen zu können. Keime wie auch Wirkstoffe penetrieren leichter, was sowohl bei der Hautpflege als auch bei der lokalen Behandlung, zum Beispiel von Windeldermatitis oder Neurodermitis, zu beachten ist.
REGULA PATSCHEIDER UND GISELA STAUBER
Die Epidermis weist eine Dicke von 50 bis 100 µm auf und schützt den Körper vor Verdunstung und Infektionen. Bei Neugeborenen ist die Epidermis bereits etwa 50 μm dick, ihre Funktionen und Strukturen sind jedoch noch unausgereift. Die Schweissdrüsen sind noch nicht richtig funktionstüchtig, sodass der Säugling die Temperatur nur ungenügend regulieren kann. Auch die Lipidbarriere ist noch nicht vollständig ausgebildet und der transepidermale Wasserverlust (TEWL) daher erhöht und das Stratum corneum wenig hydratisiert. Bei zu früh oder unreif Geborenen, bei denen die Epidermis noch sehr dünn und das Stratum corneum noch nicht ausgebildet ist, kann der TEWL sogar lebensbedrohlich hoch sein, wenn sie nicht in eine feuchte Kammer kommen. In den ersten Lebenswochen ist die Säuglingshaut daher leicht schuppig, bis sich zwischen dem zweiten und vierten Monat die typische Babyhaut aufgebaut hat. Auch der Säure-
schutzmantel wird erst nach einigen Wochen ausgebildet. Der saure pH-Wert ist jedoch eine wesentliche Voraussetzung für die Barrierefunktion des Stratum corneum zur Abwehr von Infektionen. Da Epidermis und Dermis noch nicht vernetzt sind, bilden sich leicht Blasen, oder es kommt zu Verletzungen durch Scherkräfte. Die wichtigsten neonatalen Anpassungsvorgänge der Haut sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Grundsätzliches zur Hautpflege und Lokaltherapie Eine regelmässige Anwendung von adäquaten Externa bei Säuglingen und Kindern ist wichtig zur Stärkung der Hautbarriere. Bei Hautkrankheiten ist die Wahl der geeigneten Grundlage genauso wichtig wie der für die Therapie notwendige Wirkstoff. Der Bedarf an Feuchtigkeit und Fett richtet sich nach Alter und Hauttyp des Kindes, Lokalisation, Klima und Jahreszeit sowie nach dem Krankheitsstadium. Die Eigenschaften einer Grundlage sind den jeweiligen Bedürfnissen anzupassen (siehe Abbildung 1).
Puder fest
harte Paste
Schüttelmixtur
weiche Paste
fett
Fettsalbe, Lipogel, Öl
O/W-Cremes
flüssig Emulsionen W/O-Salben Lösung
Abbildung 1: Phasendreieck der externen Dermatotherapie bei Säuglingen und Kindern (2)
Merksätze
❖ Der Bedarf an Feuchtigkeit und Fett richtet sich nach Alter und Hauttyp des Kindes, Lokalisation, Klima und Jahreszeiten sowie nach dem allfälligen Krankheitsstadium.
❖ Vorsicht ist bei Lokaltherapien für Babys geboten, da Substanzen leichter und in grösserem Masse durch die Haut eindringen und systemisch wirken können (Vergiftungsgefahr!).
❖ Ein guter Sonnenschutz ist sehr wichtig.
❖ Im Winter sollte die Haut wegen der trockenen Rauminnenluft und der kalten Witterung mit fettreichen Salben gepflegt werden. Im Hochsommer hingegen sind die Salben wegen des Okklusionseffektes durch hydrophile Cremes zu ersetzen.
❖ Im talgdrüsenreichen Bereich des Gesichtes sollten selbst bei Atopikern weniger fettreiche Grundlagen gewählt werden als am übrigen Körper, das heisst Salben statt Cremes. Letztere verstärken bei Atopikern den Juckreiz. Harnstoffhaltige Externa können im Gesicht oft irritieren und sollten deshalb bei Kindern im ersten und zweiten Lebensjahr nicht angewendet werden.
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Tabelle 1:
Wichtigste Anpassungsvorgänge der Haut nach der Geburt
❖ Zunahme der Dicke der Epidermis und des Stratum corneum ❖ Abnahme des transepidermalen Wasserverlustes (TEWL) ❖ Zunahme der Hydratation des Stratum corneum ❖ Verschiebung des pH-Wertes in den sauren Bereich
❖ Im intertriginösen Bereich fördern Salben die Mazeration, sodass besser Pasten eingesetzt werden. Liegen akut erosive Veränderungen der Haut vor, können Lösungen helfen, die zuvor auf Leinentüchlein aufgebracht wurden.
❖ Ist die Haut trocken, werden lipidreiche Externa benötigt, welche je nach Umständen und Lebensalter durch Moisturizer wie Glycerol, Milchsäure, Dexpanthenol oder Propylenglykol und eventuell auch Harnstoff ergänzt werden können.
❖ Bei akuter Entzündung der Haut ist der Hydratationsbedarf erhöht. Da okklusive Lipidpräparate die Entzündung fördern, sind Hydrolotionen und hydrophile Cremes vorzuziehen.
❖ Puder sollten nicht verwendet werden, da sie auf nässender Haut zu Verklebungen oder Fremdkörperreaktionen führen und trockene Haut noch mehr dehydrieren.
❖ Der Salbenbedarf wird meistens unterschätzt. Tabelle 2 enthält die Mengenangaben für die Körperpflege eines Kindes im Alter zwischen 3 Monaten und 12 Jahren. Bei der Instruktion kann die Regel der Fingerspitzen-Handflächen-Einheiten hilfreich sein: 1 Fingerspitzeneinheit reicht für 2 Handflächen (4).
❖ Zur Hautreinigung werden leicht saure seifenfreie Syndets empfohlen. Häufiges und zu langes Baden sollte vermieden werden. Geeignet ist die Verwendung ölhaltiger Badezusätze.
Bei der Anwendung von Lokaltherapien ist bei Babys besondere Vorsicht geboten. Im Vergleich zum Erwachsenen ist das Verhältnis von Hautoberfläche zu Gewicht beim Säugling 2,5- bis 3-fach grösser und die Dichte der Talgdrüsen pro Quadratzentimeter deutlich höher. Auf diese Art dringen lipophile Stoffe bis in die Dermis hinein und gelangen von dort in den Blutstrom.
Salizylate und Alkohol können bei Aufnahme durch die Haut lebensgefährliche Vergiftungen bewirken. Ebenfalls bedenklich sind Neomycin, Clioquinol, Benzylbenzoat, PVP-Iod, Benzo- und Prilocain. Steroide werden in mazerierten Hautarealen wie dem Windelbereich viel stärker resorbiert. Hoch potente Kortikosteroide sind bei Säuglingen generell kontraindiziert. Das topische nichtsteroidale Antiphlogistikum Bufexamac kommt als Alternative nicht in Betracht, da es sehr schwere Kontaktekzeme verursachen kann.
Sonnenschutz Die empfindliche Säuglings- und Kinderhaut muss auch vor Sonnenexposition geschützt werden. Sonnenbrände, besonders in der Kindheit und Jugend, verstärken das Risiko für eine spätere Hautkrebserkrankung, wobei schon ein einziger Sonnenbrand im Kindesalter das Melanomrisiko erhöht. Entsprechend sollten Arzt und Apotheker den Eltern dringend raten, Säuglinge und Kleinkinder bis zum ersten Lebensjahr nicht der direkten Sonne auszusetzen und ausreichend mit Kopfbedeckung, T-Shirt und Sonnenbrille zu bekleiden. Nicht bedeckte Körperstellen sind bei Kindern mit einem Sonnenschutzmittel mit hohem Lichtschutzfaktor einzucremen. Wichtig ist es, auch an Lippen, Ohren, Nase und Fussrücken zu denken sowie wasserfeste Sonnenschutzmittel nach dem Baden erneut aufzutragen. Als Sonnenschutzprodukte kommen bei Kleinkindern nur solche mit Mikropigmenten infrage, da diese nicht resorbiert werden. Chemische Lichtschutzfiltersubstanzen hingegen wurden schon im Urin nachgewiesen, was eine systemische Resorption anzeigt.
Behandlung von Hauterkrankungen Grundsätzlich können alle Hauterkrankungen des Erwachsenen auch beim Säugling auftreten, wobei sie sich oft anders manifestieren oder einen anderen Verlauf nehmen. Als Beispiel ist die Mastozytose zu erwähnen, die bei Kindern in 70 Prozent der Fälle spontan zurückgeht, während sie bei Erwachsenen lebensbedrohlich sein kann. Auch Hämangiome bilden sich bei Kindern oft spontan zurück und müssen nicht behandelt werden, sofern sie nicht in Augennähe lokalisiert sind. Eine typische Säuglingsdermatose ist zum Beispiel die neonatale, zephale Pustulose nach der zweiten Lebenswoche. Die durch Hefepilze verursachten Pusteln heilen meist von selbst ab. Zwei häufige Erkrankungen bei Säuglingen, die einer Behandlung beziehungsweise der Prävention bedürfen, sind die Windeldermatitis und die atopische Dermatitis.
Tabelle 2:
Altersabhängiger Salbenbedarf pro Tag und pro Woche bei 2-mal täglicher Ganzkörperanwendung (2)
Salbenbedarf
pro Tag (g) pro Woche (g)
Lebensalter 3 Monate
8
56
12 Monate 12 85
24 Monate 13,5 94,5
5 Jahre 20 140
10 Jahre 30 210
12 Jahre 36,5 255,5
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Abbildung 2: Candida-Superinfektion nach Monotherapie mit einem starken Steroid
Prävention und Behandlung der Windeldermatitis Bei mehr als 50 Prozent der Säuglinge kommt es oft kurz nach der Geburt zu einer Windeldermatitis. Die im Stuhl enthaltenen Lipasen und Proteasen werden im alkalischen und feuchten Windelmilieu aktiviert und schädigen dann die Hautbarriere, was die eigentliche Entzündung begünstigt. Hefepilze wie Candida albicans und grampositive Keime finden auf der geschädigten Haut den idealen Nährboden und können Superinfektionen auslösen (Abbildung 2). Gelingt es, durch adäquates Vorgehen die Barrierefunktion rasch herzustellen, heilt die Windeldermatitis in der Regel schnell ab. Allgemeine Massnahmen sind häufiges Windelwechseln und schonende Reinigung. Durch Stillen des Säuglings senkt sich der pH-Wert des Stuhles. Das Therapiemanagement umfasst die Basistherapie mit geeigneten Pflegeprodukten, eine antiseptische Therapie (z.B. Gentianaviolett) und eine antimykotische Therapie (topische Azolderivate, Nystatin bei begleitendem Soor). Zur Hautpflege und Stabilisierung der Barrierefunktion werden W/O-Emulsionen und feuchtigkeitsabsorbierende Pasten empfohlen. Bei erosiv-exsudativen Formen der Irritationsdermatose können Farbstoffe und feuchte Umschläge mit adstringierenden Zusätzen wie Schwarztee oder Gerbstoffen helfen. Ausgeprägte Superinfektionen, die nicht mit Antiseptika zu beherrschen sind, erfordern den Einsatz systemischer Antibiotika. Bei stark entzündlichen Formen können kurzfristig Kortikosteroide aufgetragen werden. Zur Prävention einer Windeldermatitis hilft die «A–E»-Regel nach Wollana (2): Beim Windelwechseln zu beachten sind das Trocknen der Haut (A = Air), die Erhaltung der Hautbarriere (B = Barrier), eine hautschonende Reinigung (C = Cleansing) und häufiges Wechseln (D = Diaper). Ebenfalls wichtig ist die gute Information der Eltern (E = Education). Primäres Ziel dieser Präventionsmassnahmen ist die Stabilisierung der natürlichen Hautbarriere.
Behandlung der atopischen Dermatitis
Die atopische Dermatitis manifestiert sich im ersten Lebens-
jahr typischerweise im Gesicht und an den Aussenseiten der
Extremitäten, während der Windelbereich nicht betroffen ist.
Bei 70 bis 80 Prozent der Kinder verschwindet das Ekzem bis
zum vierten Lebensjahr. Prognostisch ungünstig sind ein
hoher Schweregrad sowie eine familiäre Belastung beider
Elternteile.
In Fällen von Therapieresistenz liegt die Ursache meist in der
unzureichenden Beachtung der Therapieanweisungen von-
seiten der Eltern. Nur rund ein Drittel hält sich konsequent
an die Anweisungen des Arztes. Noch immer verbreitet ist die
«Kortison-Angst» vieler Eltern, die ungenügend über An-
wendung und Wirkweise informiert sind. Hinzu kommt oft
noch eine Angst vor den Calcineurininhibitoren Tacrolimus
und Pimecrolimus, die bei topischer Anwendung jedoch
unbegründet ist.
Bei schweren Ekzemen ist eine gute Hydrierung der Haut
nötig, was mit einem Ölbad zwei- bis dreimal pro Tag er-
reicht werden kann. Bei exazerbiertem Ekzem sind zusätzlich
fett-feuchte Verbände anzuwenden. Fettsalben sind zu ver-
meiden, um die entzündete Haut nicht zusätzlich zu irritie-
ren, stattdessen sind hydrophile Salben und Hydrolotionen
angebracht. Bei Infektionen mit Juckreiz bringen Schwarz-
teeumschläge Linderung, wobei je nach Situation auch Anti-
biotika wie zum Beispiel Cephalosporine der ersten Genera-
tion eingesetzt werden müssen. Bei den Glukokortikoiden
bedarf es einer sorgfältigen Auswahl. Geeignet sind zum
Beispiel Prednicarbat, Methylprednisolon und Mometason.
Zur wirksamen Unterbrechung der Krankheitsschübe erwies
sich die Steroidintervalltherapie, die keine Hautatrophie zur
Folge hat, als nützlich. Als letzte Option werden Substanzen
wie Ciclosporin A oder Mycophenolat-Mofetil eingesetzt.
Ein wesentlicher Aspekt des Therapieerfolgs bei der atopi-
schen Dermatitis ist die adäquate Nachbehandlung sowie
eine gute Prophylaxe. Dies geschieht durch eine konsequente
tägliche Hautpflege, die den verschiedenen klinischen
Ekzemstadien anzupassen ist, denn auch die klinisch erschei-
nungsfreie Haut befindet sich in einem Zustand erhöhter
Irritabilität und benötigt Unterstützung bei der Wieder-
herstellung der Barrierefunktion.
❖
Regula Patscheider und Gisela Stauber
Interessenkonflikte: keine
Literatur: 1. Gensthaler B. M. et al.: Säuglingshaut: Besonders zart, besonders empfindlich.
Pharmazeutische Zeitung online 16.6.2009 (www.pharmazeutische-zeitung.de/ index.php?id=30125). 2. Höger P. H.: Kinderdermatologie. Differenzialdiagnostik und Therapie bei Kindern und Jugendlichen, 3. Auflage, Stuttgart, Verlag Schattauer 2011. 3. Stauber G.: Pädiatrische Hautpflege. Medicos 2006; 4: 11–14. 4. Simon D.: Neurodermitis – ein Leitfaden für Ärzte und Patienten, 1. Auflage, Bremen, Verlag UNI-MED 2010.
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