Transkript
BERICHT
Mehr CT-Angiografie, mehr Bypass-Operationen, weniger LDL
Streiflichter vom ACC 2012 in Chicago
American College of Cardiology Scientific Sessions (ACC 2012)
24. bis 27. März 2012 in Chicago
Unter den vielfältigen am ACCKongress vorgestellten Studienergebnissen gab es Bestätigungen für gängige Vorgehensweisen, aber auch Überraschungen und Plädoyers für gesunde Lebensführung. Hier drei Beispiele.
HALID BAS
Koronare CT-Angiografie bei ACS-Verdacht Eine Untersuchung mittels koronarer CT-Angiografie (CCTA) erlaubt bei Notfallpatienten mit Verdacht auf akutes Koronarsyndrom (ACS) eine sicherere Entlassung als eine StandardScreening-Praxis, berichtete der Radiologe Prof. Harold I. Litt, University of Pennsylvania, Philadelphia. Die Aussage stützt sich auf eine randomisierte Studie (ACRIN-PA) auf fünf Notfallstationen, in denen Patienten mit ACSVerdacht diagnostisch betreut wurden. Studienteilnehmer in der CCTA-Gruppe wurden häufiger wieder entlassen (49,6% vs. 22,7%) und hatten eine kürzere durchschnittliche Hospitalisationsdauer (18 h vs. 24,8 h, p < 0,001). Die Häufigkeit der Aufdeckung einer Koronarerkrankung war ebenfalls höher (9% vs. 3,5%). Für die Kontrollgruppe mit «Standardabklärung» war das Vorgehen nicht genau vorgeschrieben, sondern entsprach der jeweiligen Praxis des Hauses. Dabei kamen teilweise ebenfalls bildgebende Verfahren oder Belastungstests zur Anwendung. Nur zwischen 10 und 15 Prozent der
Patienten, die mit Thoraxschmerz in eine Notfallstation kommen, erhalten schliesslich die Diagnose eines ACS, aber die meisten Patienten mit ACSVerdacht werden sicherheitshalber eingewiesen, wie Prof. Litt sagte. Daher ist eine rasche Triage wichtig, darf aber nicht auf Kosten der Sicherheit gehen. Die Studie sah hier keinen Unterschied
Patienten mit Abklärung von Brustschmerzen konnten innert 9 Stunden nach Ankunft auf der Notfallstation sicher entlassen werden. Dasselbe traf bloss auf 15 Prozent der mit Standardverfahren abgeklärten Patienten zu. Patienten, die mit CCTA abgeklärt worden waren, hatten eine grössere Wahrscheinlichkeit, direkt aus der
«Eine dreifach höhere Strahlenbelastung ist der Preis für einen um 8 Stunden kürzeren Spitalaufenthalt.»
zwischen den beiden Gruppen: In jeder trat innerhalb von 30 Tagen ein Myokardinfarkt auf, Todesfälle gab es keine. Die Autoren errechneten eine Rate verpasster Diagnosen, die zu Myokardinfarkt oder Herztod führen, von höchstens 0,57 Prozent (Obergrenze des Konfidenzintervalls). Die Ergebnisse wurden zeitgleich online publiziert (1). Dr. Udo Hoffmann (Massachusetts General Hospital, Boston) berichtete über ROMICAT II, eine andere Studie mit ganz ähnlicher Fragestellung (2). Darin wurden 1000 Patienten mit Brustschmerz und Verdacht auf ACS hälftig zu einem CCTA-Screening oder einer Standardabklärung randomisiert. Die Untersuchung basierte auf den Erkenntnissen aus ROMICAT I, einer Beobachtungsstudie, die gezeigt hatte, dass etwa 8 Prozent der notfallmässig gescreenten Patienten tatsächlich ein ACS hatten. Primärer Endpunkt dieser Studie war die Dauer des Aufenthalts im Spital. Die durchschnittliche Zeit bis zur Diagnose betrug 10,4 Stunden in der CCTA-Gruppe und 18,7 Stunden in der Kontrollgruppe (p = 0,001). Dieser Unterschied führte auch zu einer Verkürzung der durchschnittlichen Hospitalisationsdauer von 31 auf 23 Stunden (p = 0,0002). Etwa die Hälfte der
Notfallstation wieder entlassen zu werden (46,7% vs. 12,4%), wurden aber nur geringfügig seltener hospitalisiert als die Vergleichspatienten (25,4% vs. 31,7%). In keiner der beiden Gruppen wurden ACS-Fälle verpasst, und auch schwere Komplikationen innerhalb von 30 Tagen waren in beiden Gruppen ähnlich häufig. Zusammen mit der letztes Jahr publizierten CT-STAT-Untersuchung (3) liegen inzwischen drei randomisierte Studien zur Abklärung mittels vorrangiger CCTA bei Verdacht auf ACS vor, die alle in die gleiche Richtung weisen. Allerdings bleiben noch Fragen zur Kosteneffektivität. Auch die Strahlenexposition ist nicht zu vernachlässigen, da Patienten mit akutem Brustschmerz nicht selten wiederholt zur Notfallabklärung kommen, wie Prof. Elliott Antman, Brigham and Women's Hospital, Boston, in der Diskussion herausstrich. Die Strahlenbelastung war in der CCTA-Gruppe dreimal höher als im Kontrollarm (14,3 mSv vs. 5,3 mSv, p < 0,0001). «Das ist der Preis für einen um 8 Stunden kürzeren Spitalaufenthalt», meinte Prof. Antman. Die höhere Strahlenbelastung entstand nicht durch CCTA an sich, sondern weil die Patienten in dieser Gruppe insgesamt mehr Bildgebungen erhielten.
ARS MEDICI 13 ■ 2012
657
BERICHT
Geringere Mortalität nach Bypassoperation im Vergleich zur Angioplastie Über den Stellenwert von invasivem chirurgischem Vorgehen (Bypassoperation) und perkutaner Koronarintervention (PCI) ist schon viel gestritten worden. Am ACC-Kongress kam mit ASCERT ein neuerlicher Diskussionsbeitrag, den Dr. William S. Weintraub,
«Wir schlagen nicht etwa vor, dass
alle von Kindheit an Statine schlucken
sollen, sondern dass das LDL durch
eine gesunde Ernährung und körper-
liche Aktivität von Kindheit an gesenkt
wird.»
Christiana Care Health System, Newark, vorstellte. Es handelt sich um eine Beobachtungsstudie bei 190 000 amerikanischen Patienten über 65 Jahre, die sich wegen Zwei- oder Dreigefässerkrankung einer elektiven Revaskularisation unterzogen hatten. Die adjustierte Gesamtmortalität war in der Gruppe nach koronarer Bypassoperation (CABG) um rund 20 Prozent tiefer als in der PCI-Gruppe. Nach einem Jahr war die Mortalität in beiden Gruppen ähnlich, der Unterschied ergab sich also erst im Verlauf der Beobachtungszeit von vier Jahren. Dr. Weintraub gab sich erstaunt, dass das Sterblichkeitsrisiko selbst bei Patienten, die aufgrund ihrer Propensity Scores am ehesten als Kandidaten für eine PCI betrachtet würden, für die Bypassoperation sprach. In der PCIGruppe hatten 78 Prozent einen beschichteten Stent erhalten und 16 Prozent einen unbeschichteten, bei den restlichen Patienten war kein Stent eingelegt worden. Die adjustierte Mortalitäts-Hazard-Ratio für Bypass versus
PCI betrug nach 30 Tagen 1,72 (95%Konfidenzintervall [KI] 1,52–1,89), nach einem Jahr 0,95 (95%-KI 0,90– 1,00), nach zwei Jahren 0,79 (95%-KI 0,76–0,82) und nach vier Jahren 0,79 (95%-KI 0,76–0,82). ASCERT reiht sich in ein rundes Dutzend Studien unterschiedlicher Methologie mit den jeweils aktuellen Angioplastieverfahren ein. Sie ist die bis jetzt grösste Untersuchung zum Vergleich von Operation und perkutanen Eingriffen. Obwohl man sich grösste Mühe gegeben habe, Störfaktoren zu berücksichtigen, liessen sich diese nie ganz eliminieren, räumte Dr. Weintraub ein. Auch diese grosse Studie hat nicht das letzte Wort gesprochen.
LDL schon in der Kindheit senken Eine randomisierte, kontrollierte genetische Assoziationsstudie («mendelian study») stellte Dr. Brian Ference, Wayne State University School of Medicine, Detroit, vor (5). Danach hat eine Senkung des LDL-Cholesterins zu einem frühen Zeitpunkt im Leben ein viel grösseres Potenzial zur Senkung von Koronarerkrankungen als die heutige Praxis, sich erst ab der Lebensmitte oder noch später mit dem «bösen» Cholesterin zu befassen. Um Missverständnisse gleich aus dem Weg zu räumen, betonte Dr. Ference: «Wir schlagen nicht etwa vor, dass alle von Kindheit an Statine schlucken sollen, sondern dass das LDL durch mehr Augenmerk auf eine gesunde Ernährung und körperliche Aktivität schon von Kindheit an gesenkt wird – das würde für die Volksgesundheit einen grossen Unterschied machen.» Die Forschergruppe untersuchte 9 genetische Polymorphismen (single nucleotide polymorphisms [SNP]) in 6 Genen, die mit tieferem LDL assoziiert sind. Da jeder dieser SNP bei Konzeption zufällig zu-
geteilt wird, imitiert dies gewisser-
massen eine randomisierte Zuteilung
zu einer LDL-Cholesterin-senkenden
Therapie ab Geburt. Die Ergebnisse
zeigten, dass alle neun SNP konsistent
mit einer Halbierung des Risikos
für den primären zusammengesetzten
Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Myo-
kardinfarkt, koronare Revaskularisa-
tion) pro 1 mmol/l (38,7 mg/dl) gerin-
gere LDL-Cholesterin-Lebenszeitexpo-
sition assoziiert waren. Dr. Ference zog
einen Vergleich mit Statinen. Eine LDL-
Reduktion um 1 mmol/l mit Statinen er-
gibt gemäss Metaanalysen eine 24-pro-
zentige Risikoverminderung. Um eine
54-prozentige Risikosenkung zu erzie-
len, müsste die Lebenszeitexposition
also medikamentös um 3 mmol/l ge-
senkt werden. «Eine schon früh im
Leben beginnende geringere LDL-Cho-
lesterin-Exposition – auch durch be-
kanntermassen wirksame LDL-senkende
Allgemeinmassnahmen – wäre somit
von klinisch dreimal grösserem Nutzen
als eine erst im späteren Leben begon-
nene Statintherapie.»
❖
Halid Bas
1. Litt H, Gatonis C, Snyder B, et al. CT angiography for safe discharge of patients with possible acute coronary syndromes. N Engl J Med 2012; doi:10.1056/ NEJMoa1201163
2. Hoffmann U et al.: Coronary computed tomography angiography for early triage of patients with acute chest pain : The ROMICAT (Rule Out Myocardial Infarction using Computer Assisted Tomography) Trial. J Am Coll Cardiol. 2009; 53(18): 1642–1650. doi:10.1016/j.jacc.2009.01.052
3. Goldstein JA et al.: The CT-STAT (coronary Computed Tomographic angiography for Systematic triage of Acute chest pain patients to Treatment) trial. J Am Coll Cardiol. 2011;58(14): 1414–1422.
4. Weintraub WS et al.: Comparative effectiveness of revascularization strategies. N Engl J Med 2012; doi: 10.1056/NEJMoa1110717.
5. Brian Anthony Ference et al.: A Mendelian randomized controlled trial of long term reduction in low-density lipoprotein cholesterol beginning early in life. ACC2012, Late-Breaking Clinical Trials IV, Chicago, March 26 2012.
658
ARS MEDICI 13 ■ 2012