Transkript
FORTBILDUNG
Infarkt, Arrhythmien, hypertone Krise ...
Sind Sie gerüstet für den Herznotfall?
Während der Sprechstunde ruft Sie die Ehefrau eines 52-jährigen bekannten Patienten an: «Kommen Sie schnell, Herr Doktor, mein Mann hat starke Schmerzen in der Brust und bekommt keine Luft!» Sie vermuten einen Myokardinfarkt, schnappen sich Ihren Notfallkoffer und spurten los. Doch sind Sie für einen solchen oder ähnliche Fälle auch wirklich optimal gerüstet? Was braucht der Hausarzt an kardiologischen Notfallmedikamenten, und welche Massnahmen kann er getrost dem Spezialisten überlassen?
STEPHAN FRITZ
Für die Bestückung seiner Arzttasche hat natürlich jeder von uns seine Vorlieben. Bei der routinemässigen Durchschau erkennt man bald, was häufiger verwendet und was immer wieder bis an sein Verfallsdatum gehortet wird. Jeder sollte mit dem umgehen und das mitnehmen, was beherrschbar beziehungsweise bekannt ist (Wirkung wie Nebenwirkung!), und sich Zeitlimiten unterwerfen (in 5, in 10, in 30 Minuten machen wir Folgendes …).
Wo mache ich was? Geht es um die dringliche Versorgung von Herz-KreislaufErkrankungen, machen Sprechstundenzimmer oder Patientenwohnzimmer natürlich einen Unterschied. Hat man im Praxisalltag noch sein ganzes Instrumentarium und die Helferinnen zur Verfügung, wird es beim Hausbesuch schnell elementar. Patient und Angehörige erwarten von Ihnen schnelles Handeln, davon abgesehen, dass bei Ihnen in der Praxis das Wartezimmer womöglich gerade überquillt. Trotz Zeitdruck und Stress sind eine Anamneseerhebung und eine körperliche Untersuchung jedoch unum-
Merksatz
❖ Zur Basisausstattung fur kardiale Notfälle gehören ein Blutdruckmessgerät, venöse Verweilkanülen, Infusionslösungen und ein Pulsoximeter.
gänglich, um ein Krankheitsbild in seiner akuten Dimension einzuordnen. Die gleichzeitige sofortige Alarmierung des Notarztes bei vital bedrohlichem Zustand des Patienten mit einer hoffentlich schnellen Präsenz innerhalb von 15 Minuten sorgt für Entspannung und ermöglicht es, dass Sie sich erst einmal auf das Wesentliche konzentrieren.
Basisausstattung Als Basisausstattung für den kardialen Notfall empfehlen sich ein Blutdruckmessgerät, venöse Verweilkanülen zur intravenösen Applikation von Medikamenten, kristalloide Infusionslösungen ((NaCl, z.B. Ringerfundin®)) zum Offenhalten des Zugangs und möglichst ein Pulsoximeter zur Messung der Sauerstoffsättigung. Venöse Injektionen sollte man im Notfall möglichst über eine Verweilkanüle vornehmen. Dabei gilt: Je dringlicher der Fall erscheint, desto wichtiger ist diese Wahl des Zugangs. Für den Transport in die Klinik, zum Beispiel wegen Verdachts auf Infarkt, Lungenödem oder hypotonen Schock, müssen notwendige Injektionen rasch wiederholt werden können. Dies gilt auch dann, wenn man einen zweiten Besuch am gleichen Tag plant. In der Praxis lassen sich mittels 12-KanalEKG eine Sinustachykardie, eine Tachyarrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern, Schmal- oder Breit-QRS-KomplexTachykardien ebenso wie Sinusbradykardien oder atrioventrikuläre Blockbilder erkennen. Beim Hausbesuch wird es meist bei den Basismassnahmen (s.o.) bleiben und wird der Notarzt gerufen werden, der dann gegebenenfalls spezifische Notfallmedikamente verabreicht. In der Praxis muss jeder das für sich Sinnvolle zum Wohl des Patienten wählen. Im Kasten 1 sind einige Notfallmedikamente nebst Indikationen aufgeführt, deren Vorhaltung auch für die Hausarztpraxis sinnvoll erscheint.
Kardiovaskuläre Notfallsituationen Bei Kenntnis von Patient und Umfeld reichen manchmal zwei Hübe Nitrospray plus drei Tropfen Nitrendipin, um eine Bluthochdruckkrise zu entschärfen. Die direkte Erfolgskontrolle kann in der Regel an die Angehörigen delegiert werden. Eventuell ist es sinnvoll, nach Ende der Sprechstunde den Patienten erneut kurz aufzusuchen und den Blutdruck zu kontrollieren. Wenn man beim Hausbesuch basal feuchte Rasselgeräusche bei einem unter Luftnot leidenden Patienten auskultiert, ist primär an ein Lungenödem zu denken. Die Sauerstoffsättigung kann mittels Pulsoximeter kontrolliert werden. Bei noch normaler Sauerstoffsättigung ist die Gabe von 20 mg
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ARS MEDICI 13 ■ 2012
FORTBILDUNG
Kasten 1:
Kardiale Notfallmedikamente und ihre Indikationen
Atropin symptomatische Sinusbradykardie: initial 1 Ampulle (= 0,5 mg), cave: bei Dosen von 0,1–0,2 mg weiter bradykardisierend (zentrale Wirkung), ZNS-NW
Metoprolol bedrohliche tachykarde Herzrhythmusstörungen: initial 1/2 bis 1 Ampulle (= 5 mg), cave: nicht bei Therapie mit Diltiazem/Verapamil, ZNS-NW, Blutdruckabfall, Bradykardie bis Asystolie
Verapamil bedrohliche, gesicherte supraventrikuläre Tachykardie, Tachyarrhythmia absoluta: initial bis 1 Ampulle (= 5 mg), cave: nicht bei Betablockertherapie, bekanntem WPW-Syndrom, Gefahr von Blutdruckabfall bis Asystolie Xylocain® 2% lebensbedrohliche tachykarde ventrikuläre Herzrhythmusstörungen, initial 1/2–1 Ampulle (= 50–100 mg Lidocainhydrochlorid), cave: ZNS-NW, Blutdruckabfall, Asystolie
Kasten 2:
Beispiele kardialer Notfälle mit Auswahl einsetzbarer Medikamente
Bluthochdruckkrise: Nitrendipin, Nitrospray, Furosemid Sinusbradykardie: Atropin Herzinfarkt(-Verdacht): Nitrospray, Dormicum®, Metoclopramid, Morphin, Aspégic®*, Heparin*, Metoprolol* Lungenödem: Furosemid, Nitrospray Tachyarrhythmia absoluta: Metoprolol, Verapamil
*Medikation gegebenenfalls durch Notarzt
Praxis wie auch beim Hausbesuch. Sie lindern Stress, senken den Sauerstoffbedarf wie auch die Vorlast des Herzens, was besonders günstig ist bei Infarkt und Lungenödem. Die häufig als Opioidnebenwirkung auftretende Übelkeit lässt sich meist durch die vorherige Gabe von Metoclopramid kupieren.
Mobile Technik für den Hausbesuch
Ein Pulsoximeter ist nicht nur zur objektiven Einschätzung
der Dringlichkeit eines kardialen Notfalls unverzichtbar. Es
hilft auch bei der Verlaufsbeobachtung. Der Troponin-
Schnelltest bewährt sich zunehmend auch im Praxisalltag. Im
Übrigen lassen Hightechgeräte wie der EKG-Monitor-Pen
mit Display zur automatischen Aufzeichnung des Herzrhyth-
mus oder das portable Echogerät in Handygrösse für den
kardiologisch Interessierten/Versierten genug Möglichkeiten
zur Entfaltung. Generell ist jedoch oberstes Gebot für
jeden Hausarzt, die Grundversorgung des Patienten zu
gewährleisten. Die bewährte medikamentöse/technische
Ausstattung muss dafür nicht schlechter sein als eine
Hightechausrüstung.
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Dr. med. Stefan Fritz Internist – Kardiologe Belegarzt am Kreiskrankenhaus Hemau D-93155 Hemau
Interessenkonflikte: keine deklariert
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 15/2011. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. Anpassungen bezüglich der in der Schweiz verfügbaren Medikamente erfolgten durch die Redaktion von «Ars Medici».
Furosemid i.v. sinnvoll. Bei einem systolischen Blutdruckwert von mindestens 120 mmHg kann zusätzlich Nitrospray verabreicht werden. Eine gesteigerte Pulsfrequenz kann Ausdruck einer Erfordernistachykardie bei schlechter Pumpfunktion sein. Möglicherweise hat der Patient auch vergessen, den rezeptierten Betablocker einzunehmen. Bei verminderter Sauerstoffsättigung wird man in der Regel die sofortige Klinikeinweisung anstreben und sich auf die Basalmassnahmen konzentrieren. Gleiches gilt für den vermuteten Herzinfarkt. Wie viel an Prämedikation der Hausarzt noch schafft, bevor der Notarzt eintrifft, ist dann ein kleines Wettrennen. Der Volumenmangel mit Blutdruckabfall nichttraumatischer Genese sollte durch Lagerung und Kochsalzlösung aufzufangen sein; wenn nicht, muss der Notarzt ran. Eine Auswahl einzusetzender Medikamente bei verschiedenen kardialen Notfallsituationen zeigt der Kasten 2. Als begleitende Massnahmen für die meisten akuten Notsituationen helfen zudem Sedativa (Dormicum® 2,5–5 mg) und die Analgesie mit Opioiden (Morphin 2,5–10 mg) in der
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