Transkript
EDITORIAL
Aufgepasst: «Der einstige Patient wandelt sich zum Power-Kunden. Vertrauen wird durch knallharte
Preis-/Qualitätsvergleiche und Peer Reviews bei Ärzte- und Klinikportalen ersetzt. An die Stelle des Hilfe suchenden Kranken tritt der selbstbewusste Gesundheitsprosument.» Das jedenfalls wollte man mir in einer Pressemitteilung weismachen, die ich kürzlich in meiner Mailbox fand. Sie wissen nicht, was ein Prosument ist? Im PRSprech von Marketingleuten und Unternehmensberatern bezeichnet das einen Kunden, der durch die Preisgabe persönlicher Vorlieben, zum Beispiel via Facebook oder beim Online-Shopping, als Ideengeber für Waren und Dienstleistungen fungiert;
gewesen sein, dem Patienten die Diagnose mitzuteilen. Aber: «Die Patienten wissen heute alles über die Krankheit, aber nichts über sich selbst», sagte Gerd Nagel kürzlich an einem Kongressvortrag in Bern. Sie sind also potenziell gut informiert über die Fakten, aber was das für sie ganz persönlich bedeutet, wissen viele eben doch nicht. Und sie fragen sich, was sie selbst für sich und ihre Gesundheit tun können. Hier liegen die neuen Herausforderungen für die Ärztinnen und Ärzte. Der Internist und Onkologe Gerd Nagel begann seine Karriere als Assistenzarzt in Basel, kehrte nach Jahren in den USA als Chef zurück und ging später nach Göttingen und Freiburg im Breisgau, wo er die Klinik für Tumorbiologie aufbaute. Nach seiner Pensionierung gründete er die Stiftung Patientenkompetenz. Seiner Meinung nach bedeutet
Der Prosument
er ist dann sozusagen gleichzeitig Produzent und Konsument. Eine zweite Bedeutung ist schlicht der anspruchsvolle (professionelle) Kunde. So oder so gemeint, der Prosument droht jedenfalls demnächst auch in Ihrer Praxis aufzukreuzen, und zwar nicht ohne sein Smartphone. Zitat: «Nur wer Zugang zu allen Informationen hat, kann mündig sein und Gesundheit mit dem iPhone kommunikativ im Sprechzimmer verhandeln.» Goldig, oder? Ich sehe die zwei schon vor mir sitzen: den medlinenden Arzt und den googelnden Patienten, beide die Augen fest auf ihre Bildschirme gerichtet. Das wird sicher eine super Arzt-Patienten-Kommunikation. Doch lassen wir das. Widmen wir uns stattdessen ernsthaft der Frage, wie es um die Patientenkompetenz in der Wirklichkeit bestellt ist. Die Voraussetzung «Information» ist heute gegeben. Niemand kann sich mehr die ärztliche Geheimnistuerei der Vergangenheit vorstellen. So soll es in den Sechzigerjahren den Assistenzärzten am Kantonsspital Basel ausdrücklich verboten
Patientenkompetenz das aktive Sich-Einmischen, aber auch das Akzeptieren einer Situation, die man nicht mehr ändern kann und die jetzt lebensbestimmend ist. Patientenkompetenz bedeutet also nicht grenzenloses Machertum, sondern ein kompetenter Patient darf sich auch entscheiden, die Verantwortung an den Arzt abzugeben: «Herr Doktor, das ist jetzt Ihre Sache!» Gut zu wissen. Nagel gab auch zu bedenken, wie falsch es sei, immer zwischen gesund und krank zu polarisieren: «Es gibt noch normal!» Und was normal sei, bestimme letztlich jeder für sich nach seinen individuellen Lebensverhältnissen. Was der Prosument wohl für normal halten mag? Völlige Gesundheit vielleicht? Da möchte ich Ihnen ein Bonmot von Gerd Nagel zu guter Letzt nicht vorenthalten: «Gesundheit ist ein grausamer Zustand: Wenn’s maximal ist, kann’s nur schlechter werden.»
Renate Bonifer
ARS MEDICI 13 ■ 2012
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