Transkript
FORTBILDUNG
Infektiöse Magen-Darm-Erkrankungen
Mit welchen Erregern muss der Hausarzt rechnen?
Die infektiöse Gastroenteritis ist eine der häufigsten Infektionserkrankungen. Man geht davon aus, dass jeder Zweite bis Dritte pro Jahr mindestens eine relevante Durchfallepisode durchmacht. Doch mit welchen Durchfallerregern ist der Hausarzt in erster Linie konfrontiert?
MICHAEL SEILMAIER UND CLEMENS-MARTIN WENDTNER
Letztlich sind hierzulande Noroviren, Rotaviren, Campylobacter und Salmonellen für über 90 Prozent aller infektiösen Gastroenteritiden verantwortlich. Zusätzlich sollte bei enteritischer Symptomatik und vorangegangener Antibiotikatherapie oder vorangegangenem Krankenhausaufenthalt unbedingt an eine Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhö gedacht werden.
Erreger bei Reisediarrhö Nach Aufenthalt in Tropen oder Subtropen müssen zusätzlich Shigellen und als Vertreter der Protozoen Giardia lamblia sowie Amöben (Entamoeba histolytica) berücksichtigt werden. Die häufigste Ursache der Reisediarrhö ist eine ETEC-assoziierte Enteritis («Montezumas Rache»). Nach kurzer Inkubationszeit kommt es zu einer heftigen Krankheitsepisode mit Bauchkrämpfen, Übelkeit, Erbrechen, Enteritis, unter Umständen auch leichtem Fieber und Zephalgien. Die Symptomatik dauert wenige Stunden bis zwei Tage und ereilt die Reisenden am Urlaubsort, heilt jedoch folgenlos aus und wird praktisch nicht nach Hause importiert, spielt also für den hier behandelnden Arzt (nach Reiserückkehr) differenzialdiagnostisch praktisch keine Rolle mehr.
Parasiten als Enteritiserreger Bei den parasitär bedingten Enteritiden ist die Amöbenkolitis am gefährlichsten und geht häufig mit hohem Fieber, starken Bauchkrämpfen und blutig-schleimigen Diarrhöen einher. Bei der Amöbiasis handelt es sich um eine invasive Enteritis, die lokal bis hin zur Darmperforation führen kann, die aber auch als Spätkomplikation zu Fernabsiedelungen, insbesondere dem Amöbenleberabszess, führen kann. Bei der viel häufigeren Lambliasis (Giardia lamblia) sind Völlegefühl mit Inappetenz, Flatulenz und Steatorrhö wegweisend. Charakteristisch sind gelblich bis ockerfarbene breiigflüssige Stühle mit reichlich unverdauten Nahrungsresten und scharfem, fauligem Geruch sowie der mitunter sehr quälende Meteorismus. Fieber kommt bei der Lambliasis praktisch nicht vor. Die Symptomatik kann aber über viele Wochen oder Monate persistieren. Zu bedenken ist, dass die Lambliasis relativ häufig auch in den USA vorkommt und von dort «importiert» werden kann. Mittel der Wahl zur Behandlung von Lamblien oder Amöben ist Metronidazol. Die meisten anderen Parasiten wie Cryptosporidien, Microspora, Cyclospora und Blastocystis hominis sind für Immungesunde in der Regel kein Problem und verlaufen häufig subklinisch. Bei Immunkompromittierten (z.B. HIV) kann es aber durchaus zu lebensbedrohlichen profusen Durchfällen mit hoher Letalität kommen. Helminthen spielen keine grosse Rolle als Erreger einer enteritischen Symptomatik. Lediglich Strongyloides stercoralis und Capillaria philippinensis verursachen häufiger Enteritissymptome, sind aber beide hierzulande selten zu finden und fast nur in Zusammenhang mit einer entsprechenden Reiseanamnese beziehungsweise bei Strongyloides häufiger bei Migranten mit HIV-Infektion. Wegweisend ist hier die mitunter extrem hohe Bluteosinophilie.
Merksätze
❖ Die häufigste Ursache für Enteritis ist die Norovirenenteritis mit einer Häufung in den Wintermonaten.
❖ Nach Aufenthalt in Tropen oder Subtropen müssen zusätzlich Shigellen, Lamblien sowie Amöben berücksichtigt werden.
❖ Die Gabe antipropulsiver Medikamente sollte bei allen infektiösen Durchfallerkrankungen vermieden oder bei passagerem Einsatz auf ein Minimum beschränkt werden.
Häufigster Erreger: Noroviren Die häufigste Ursache für Enteritis ist die Norovirenenteritis mit einer Häufung in den Wintermonaten. Die Ansteckung erfolgt überwiegend über Aerosolbildung von Mensch zu Mensch oder über Schmierinfektion. Während virale Enteritiden zumindest beim Erwachsenen praktisch nie hohes Fieber verursachen, initial meistens mit starkem Erbrechen einhergehen und nach wenigen Tagen selbstlimitierend sind, können demgegenüber bakterielle Durchfallerreger durchaus über mehrere Tage mit hohem Fieber einhergehen, daneben Übelkeit mit Erbrechen und im Verlauf häufig starken Bauchkrämpfen und schleimig-blutigen Durchfällen. Im Gegensatz zu den viralen Enteritiden finden
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ARS MEDICI 12 ■ 2012
FORTBILDUNG
Kasten:
Praktisches Vorgehen bei infektiöser Gastroenteritis
❖ Bei schwerem Krankheitsbild (z.B. profuse Diarrhö, Fieber, abdominelle Krämpfe) sollte man die Entzündungsparameter (CRP) im Blut (Diff-BB, BSG) bestimmen und eine Stuhlkultur abnehmen, bei Fieber über 38 °C zusätzlich eine Blutkultur.
❖ Unabhängig von den Ergebnissen von Stuhl- und Blutkultur ist bei schwerem Krankheitsbild und hohen Entzündungsparametern (Leukozytose und/oder Linksverschiebung) mit einer Antibiotikabehandlung zu beginnen, zum Beispiel mit einem Gyrasehemmer oder einem Cephalosporin der dritten Generation.
❖ Bei Erregernachweis in Stuhl- oder Blutkulturen sollte zudem ein Antibiogramm angefertigt werden.
❖ Je nach klinischem Verlauf (fehlende Besserung nach 2 bis 3 Behandlungstagen), Erregern im Stuhl und Antibiogramm muss dann gegebenenfalls die Antibiotikatherapie umgesetzt werden. Negative Blutund Stuhlkulturen sind indes kein Grund, eine antibiotische Therapie zu beenden, sofern sich die Symptomatik unter antibiotischer Therapie gebessert hat und weiterhin der Verdacht auf eine bakterielle Genese der Enteritis besteht.
❖ Bei schwerer Enteritis sollten jeden Tag bis jeden zweiten Tag Blutbild, Elektrolyte, Nierenretentionsparameter und Entzündungsparameter kontrolliert werden.
❖ Im Fall einer antibiotischen Therapie ist eine Therapiedauer von fünf bis sieben Tagen in der Regel ausreichend.
sich bei bakteriellen Durchfallerregern in der Regel signifikant erhöhte humorale Entzündungsparameter, und die Krankheitsdauer ist wesentlich länger als bei einer Rota- oder Norovirusinfektion.
Wann Antibiotika geben? Eine antibiotische Behandlung ist natürlich nur bei bakteriellen Gastroenteritiden zielführend und auch nur erforderlich bei protrahiertem Krankheitsverlauf, hohen Entzündungsparametern und Fieber. Eine grosszügige antibiotische Therapie ist bei bakterieller Enteritis und bestehender Immunsuppression gerechtfertigt (HIV, immunsuppressive Therapie bei rheumatologischen Erkrankungen, Neoplasien). Gute Wirksamkeit haben in der Regel Gyrasehemmer und Cephalosporine der dritten Generation. Alternativen sind zum Beispiel die Makrolide. Zu bedenken ist, dass gerade bei CampylobacterEnteritiden in den letzten Jahren eine zunehmende Resistenz gegenüber Gyrasehemmern zu konstatieren ist. Auch bei den Salmonellen ist die Resistenz auf Gyrasehemmer nicht unerheblich, mit deutlichen regionalen Unterschieden. Nicht erforderlich und bisweilen sogar ungünstig ist die Gabe antipropulsiver Medikamente. Dies sollte im Prinzip bei allen infektiösen Durchfallerkrankungen vermieden oder bei passagerem Einsatz (etwa auf Reisen) auf ein Minimum beschränkt werden.
Neue EHEC-Variante Im Frühjahr 2011 geriet eine «neue» EHEC-Mutante mit überwiegendem Ausbruch in Norddeutschland in die Schlagzeilen. Es handelte sich um den bis anhin nicht beobachteten EHEC-Stamm O104/H4, einen Hybridstamm, der genetisches Material mehrerer Stämme in sich vereinte.
Während bisher laut Robert-Koch-Institut etwa 1000 EHECErkrankungen pro Jahr in Deutschland in Erscheinung getreten und überwiegend Kinder betroffen waren, erkrankten damals vor allem Erwachsene. Insgesamt waren es 4300 Menschen, meist junge Frauen, ohne relevante Vorerkrankungen. Der Krankheitsverlauf war meist ungewöhnlich schwer, und in bis zu 20 Prozent der Fälle kam es zu einem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS), das sonst bei nur etwa 10 Prozent der bisher beobachteten EHEC-Fälle auftrat. Bei 100 bis 150 Patienten war mit Langzeitschäden (z.B. Dialysepflichtigkeit) zu rechnen, und immerhin 49 Menschen starben an der neuen EHEC-Mutante. Neu war auch, dass es sich bei dem EHEC-O104/H4-Stamm um einen ESBL-Bildner handelte (ESBL = Extended Spectrum Beta-Lactamase; hierdurch werden viele Betalactam-Antibiotika inaktiviert). Als Ursache für die Virulenz dieses Stamms wurde die extrem hohe Produktion von Shiga-Toxin 2 angeführt. Dieses Shiga-Toxin ist auch der dem HUS zugrunde liegende Mechanismus, der zur Mikroangiopathie und Komplementaktivierung mit sukzessiver Organschädigung (Nieren, ZNS) führt. Neben der Plasmapherese hat ein in dieser Indikation neues Medikament, das bei der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie (PNH) angewandte Eculizumab, vielversprechende und positive Ergebnisse erzielen können. Durch die Blockade des Komplementfaktors 5 konnte gewissermassen der «Zytokinsturm» unterbrochen werden, und in Einzelfällen kam es hierbei zu einem äusserst raschen und nachhaltigen Therapieansprechen mit Restitutio ad integrum. Letztlich müssen hier aber die endgültigen Studiendaten und Ergebnisse abgewartet werden, um den Stellenwert von Eculizumab in der Therapie des HUS genau beurteilen zu können. Gegenwärtig spielt jedoch diese EHEC-Variante keine grosse epidemiologische Rolle mehr und ist (zumindest im Moment) nahezu wieder verschwunden. Jedoch zeigt dieser Ausbruch, dass auch in Zukunft durch mitunter geringfügige Neumutationen aggressivere Krankheitsverläufe durch bekannte Durchfallerreger durchaus möglich und auch zu erwarten sind. ❖
Dr. med. Michael Seilmaier Prof. Dr. med. Clemens-Martin Wendtner 1. Medizinische Klinik, Klinik für Hämatologie, Onkologie, Immunologie, Palliativmedizin, Infektiologie und Tropenmedizin Klinikum Schwabing, D-80804 München E-Mail: michael.seilmaier@klinikum-muenchen.de
Interessenkonflikte: keine
Weiterführende Literatur: 1. Burchard GD, Löscher T: Intestinale Nematodeninfektionen. In: Löscher T, Burchard GD.
Tropenmedizin in Klinik und Praxis. 4. Auflage 2010, Thieme Verlag, Stuttgart: 770–788. 2. Epple H-J, Zeitz M: Enteritis infectiosa, Internist 2011, 52: 1038–1046. 3. Heise W: Infektionen des Gastrointestinaltrakts, der Gallengänge, der Gallenblase und des
Pankreas. In: Suttorp N, Mielke M, Kiehl W, Stück B. Infektionskrankheiten. 2004, Thieme Verlag, Stuttgart: 234–257. 4. Kollaritsch H, Paulke-Korinek M: Durchfallerkrankungen. In: Löscher T, Burchard GD. Tropenmedizin in Klinik und Praxis. 4. Auflage 2010, Thieme Verlag, Stuttgart: 35–45. 5. Ott S, Schreiber S: Genetische Anfälligkeiten für Infektionen; Internist 2011; 52: 1053–1060. 6. Poutanen SM, Simor AE: Clostridium difficile associated Diarrhoe in adults; CMAJ 2004; 171(1): 51–58. 7. Wadl M, Müller-Wiefel DE, Stark K, Fruth A, Karch H, Werber D: Enteropathisches hämolytisch-urämisches Syndrom. Monatsschr Kinderheilkunde 2011; 159: 152–160.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 3/2012. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren.
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