Transkript
Haut und Haare – Veränderungen ein Leben lang
Grundlagen für diagnostische und therapeutische Konzepte aus gynäkologisch-endokrinologischer Sicht
FORTBILDUNG
Haut und Haare sind nicht nur «Spiegel der Seele», sondern mit ihren Veränderungen oft auch ein erster Hinweis für vielerlei physische Erkrankungen. Zudem besteht eine enge Verbindung zu hormonellen Prozessen und Störungen. Hier werden Grundlagen sowie Erkenntnisse zur Östrogenanwendung bei Haut- und Kopfhaaralterung dargestellt.
ZAHRAA KOLLMANN, PETRA STUTE UND MICHAEL VON WOLFF
Hormone beeinflussen die Haut und Hautanhangsgebilde. Die hormonelle Umstellung im Altersverlauf bringt auch Veränderungen von Haut und Haaren mit sich. Am besten bekannt sind die negativen Wirkungen der Androgene auf Talgdrüsen sowie Vellus- oder Terminalhaarfollikel. Bei entsprechender genetischer Disposition können dabei Störungen entstehen (1). Von den zahlreichen Haut- und Haarerkrankungen sind für die endokrinologische Gynäkologie folgende Störungen relevant: ❖ Akne ❖ Hautalterung ❖ Hirsutismus ❖ androgenetische Alopezie.
Im Gegensatz zu den Androgenen haben Östrogene überwiegend positive Effekte auf Haut und Haare (1). «Schwierige»
Merksätze
❖ Der Haarzyklus wird von gonadalen, thyroidalen, adrenalen, hypophysären und epiphysären Hormonen kontrolliert.
❖ Weibliche Haarfollikel exprimieren bei gleicher frontookzipitaler Verteilung etwa 40 Prozent weniger Androgenrezeptoren als Männer.
❖ Eine Verbesserung der Gesichts- und Körperhaut durch lokale Anwendung östrogenhaltiger Cremes ist nur bei durch Östrogenmangel bedingten Hautveränderungen zu erwarten.
❖ Eine systemische Hormontherapie zur Abmilderung des Alterungsprozesses der Haut ist nicht indiziert.
Umstände (z.B. Stress, rasch aufeinander folgende Operationen, «Crash-Diäten», Entbindungen), Mangelerscheinungen (v.a. Eisenmangel), Krankheiten (u.a. Schilddrüsenerkrankungen) sowie die Einnahme verschiedener Medikamente (z.B. Antikoagulanzien, Antikonvulsiva, β-Blocker und Lithium) beeinflussen das Haut- und/oder Haarbild häufig negativ.
Haut und Haar – Grundlagen Anatomie und Funktion der Haut Die Haut ist mit etwa 1,8 Quadratmetern Fläche nicht nur das grösste Organ des Menschen, sie ist auch das schwerste. Sie schützt den Körper vor Hitze, Licht, Verletzungen und Infektionen, reguliert die Körpertemperatur durch Schwitzen und kann Wasser und Fett speichern. Durch die Verbesserung der experimentellen Verfahren konnte nachgewiesen werden, dass die Haut nicht nur Zielorgan für zahlreiche Hormone ist, sondern eine selbstständige endokrine Drüse darstellt (2). Unter dem Mikroskop betrachtet, sind drei Schichten erkennbar (vgl. Abbildung 1): 1. Epidermis (Oberhaut):
Sie ist sehr dünn – stellenweise nur 0,1 Millimeter. Ihre oberste Schicht besteht aus abgestorbenen, verhornten Zellen, die die erste Barriere für Schadstoffe bilden. Die darunter liegende Keimschicht liefert «Nachschub» für die Hornschicht und erneuert sie etwa alle vier Wochen. Darunter liegen die Basalzellen, die Nährstoffe aufnehmen und zu verwendende Stoffe entsorgen. In dieser Basalzellschicht liegen als Aussenposten der Körperabwehr auch sternförmige Immunzellen (Langerhans-Zellen). In der Oberhaut befinden sich auch die pigmentbildenden Zellen (Melanozyten). Ihr Produkt, der Farbstoff Melanin, gibt der Haut ihren Farbton. 2. Dermis oder Corium (Lederhaut): Die Lederhaut, das Bindegewebe unter der Oberhaut, besteht aus verschiedenen Bindegewebefasern, die dafür sorgen, dass die Haut stabil bleibt, aber gleichzeitig genügend Elastizität aufweist. Weil die elastischen Fasern ab dem 30. Lebensjahr abnehmen, wird die Haut zunehmend schlaffer. In der Lederhaut sind zudem Blut- und Lymphgefässnetze eingebettet. Die Lederhaut beherbergt auch die Hautanhangsgebilde (wie Haarfollikel, Talg- und Schweissdrüsen) sowie zahlreiche Nervenfasern zur Tastund Vibrationswahrnehmung. 3. Subcutis (Unterhautfettgewebe) Das Unterhautfettgewebe besteht aus Bindegewebe und Fettzellen. Es dient als Kälteschutz und Energiespeicher.
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Epidermis
Dermis, Corium
Subcutis
Haarbalgmuskel
Papille
Arterie Vene
Talgdrüse
Nerv
ekkrine Schweissdrüse
Abbildung 1: Schematische Darstellung der Haut (adaptiert nach Benner, K.: Der Körper des Menschen. Augsburg, 1991)
Der Haaraufbau Der sichtbare Teil des Haarschafts lässt sich von aussen nach innen in drei Schichten unterteilen (vgl. Abbildung 2): ❖ Schindelschicht (Kutikula) ❖ breiter Rindenteil (Kortex) ❖ dünnes Haarmark (Medulla).
Der Teil des Haarschafts, der unter der Oberfläche der Epidermis liegt, ist die Haarwurzel. Der Haarschaft liegt in einer länglichen Einstülpung der Epidermis, dem Haarfollikel oder Haarbalg. Der untere Teil des Haarfollikels ist die Haarzwiebel (Bulbus), diese besteht aus einer dermalen Papille und der Matrix, welche für die Zellteilung zuständig ist. Am oberen Rand der Papille finden sich zwischen den Matrixzellen die Melanozyten, die die Pigmentfarbstoffe des Haares abgeben (3).
Physiologie des Haares Beim Menschen lassen sich – neben dem Kopfhaar – verschiedene Arten von Haaren unterscheiden (1): ❖ Lanugohaar: Auch als Wollhaar bekannt, handelt es sich
um das Haar des Fetus. Dieses Haar ist kurz, dünn, weich und meist nicht pigmentiert. ❖ Vellushaar: Dieses bedeckt den gesamten menschlichen Körper bis auf wenige Ausnahmen. Es ist marklos und unpigmentiert. ❖ Terminalhaar: Dieses findet sich meist bei der Geburt am behaarten Kopf sowie im Lebensverlauf als Wimpern und Augenbrauen. Das Haar ist dick und pigmentiert. ❖ Sexualhaar: Dabei handelt sich um eine spezielle Form von Terminalhaaren, die in der Pubertät unter dem Einfluss der Androgene an bestimmten Körperarealen geschlechtsspezifisch aus Vellushaaren umgewandelt werden. Bei Frauen liegen die Areale im Bereich der Axilla- und Pubesbehaarung sowie zum kleineren Teil an den Extremitäten; bei Jungen handelt es sich um die Bart- und Körperbehaarung.
Haarzyklus Für die Produktion neuer und das Wachstum vorhandener Haare durchlebt der Follikel den folgenden Zyklus (4): ❖ Anagenphase (Wachstumsphase): Diese Phase ist die Phase
des Wachstums des Haarschafts und der Proliferation im Bulbus. Die proliferierende Matrixzelle hat eine Zellzykluslänge von etwa 18 Stunden. Die Tochterzellen bewegen sich aufwärts und bilden den Zentralhaarschaft. Die meisten Störungen, zum Beispiel Chemotherapie, führen zu einem frühzeitigen Ende dieser Phase. Die Anagenphase dauert beim menschlichen Kopfhaar 2 bis 6 Jahre, abhängig von Alter, Geschlecht und spezifischer Stelle. ❖ Katagenphase (Regressionsphase): In dieser Übergangsphase stellt die Matrix ihre Zellproduktion und Zelldifferenzierung ein. Die Unterseite des Haarschafts wird abgerundet, und der Haarschaft bewegt sich aufwärts, bis er permanente Follikelzellen erreicht. Dabei wird die dermale Papille nicht mehr von Matrixzellen umgeben. Es kommt zu einer Apoptose der Epithelzellen im Bulbus und der äusseren Wurzelhülle (Abbildung 2). ❖ Telogenphase (Ruhephase): Diese Phase beginnt, wenn die Apoptose der Epithelzellen abgeschlossen ist. Der Follikel ist hier in seiner Ruhephase, und die dermale Papille befindet sich in der Nähe der Wulstregion mit den Stammzellen. Mit dieser Endphase kann sich der Haarfollikel regenerieren, und eine Formation eines neuen Haarbulbus kann stattfinden. Wenn der Follikel am Ende dieser Phase nicht wieder in die Anagenphase überzugehen vermag, kann das ausgefallene Haar nicht wieder regenerieren.
Veränderungen im Hormonhaushalt, beispielsweise während und nach der Schwangerschaft oder in der Menopause, beeinflussen die Haarfollikel in dem besonders empfindlichen Haarzyklusstadium, der Anagenphase (1). Abrupt wird zur Katagen- und anschliessend zur Telogenphase übergegangen. Somit kann es zu einem verstärkten Haarausfall kommen.
Die Hautalterung Als Hautalterung wird der komplexe biologische Prozess, das heisst die mit dem Alter einhergehende Veränderung der Haut, bezeichnet. Unterschieden werden die chronologische und die intrinsische Alterung, wobei Letztere der genetisch gesteuerten verminderten Reagibilität der Hautzellen entspricht. Weiterhin können extrinsische Faktoren («Umweltalterung») die Hautalterung beschleunigen. Bei diesen Faktoren handelt es sich beispielsweise um UV-Licht, chemische Reagenzien, mechanische Belastung, thermische Faktoren, Stress, Alkohol- und Nikotinkonsum. Als ein solcher Beschleunigungsfaktor der Hautalterung setzt UV-A-Licht tief in der Dermis sogenannten Singulettsauerstoff frei, wodurch kollagenschädigende Enzyme vermehrt synthetisiert werden, sodass die Haut an Straffheit und Dehnbarkeit verliert. In der Epidermis bewirken UV-A- und UV-B-Strahlen potenziell karzinogene Zellschäden. Die chronologische Hautalterung kommt dagegen durch eine Erschöpfung der Zellteilungsprozesse und durch eine Minderversorgung der Zellen zustande. Die relevant sichtbare Hautalterung beginnt ungefähr ab dem 30. Lebensjahr mit zunehmender Faltenbildung (z.B. Glabellafalten, Nasolabialfalten, «Krähenfüsse», «Knitter-
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Kutikula
mikrobieller Invasion). Die Haut bekommt zunehmend Falten und Runzeln. Die trockene, dünnere Oberfläche neigt zu Einrissen und Pseudonarben; eine verminderte Aktivität der Talgdrüsen und der Elastizitätsverlust begünstigen mikrobielle Infektionen und Wundheilungsstörungen.
Kortex
äussere Wurzelhülle
Medulla
Wulstregion mit Stammzellen
} Bulbus
Matrix
Papille
Abbildung 2: Schematische Darstellung des Haaraufbaus (adaptiert nach [2])
fältchen» u.v.m.) als Folge des Feuchtigkeitverlusts. Einige Monate nach der Menopause überwiegt die zunehmende Schlaffheit der Haut. Diese Hauterschlaffung gilt als Folge des perimenopausalen Östrogenmangels (5). Eine direkt nach der Menopause beginnende signifikante Abnahme des Hautkollagens wurde von Castelo Branco et al. bereits 1992 nachgewiesen (6). Von den verschiedenen Kollagentypen sind Typ 1 und Typ 3 von wesentlicher Bedeutung. Typ-1Kollagen stellt den wichtigsten Kollagentyp in der Haut des erwachsenen Menschen dar, wohingegen Typ-3-Kollagen, das ebenfalls im menschlichen Körper verbreitet ist, in fetalen Geweben vorherrschend ist. Das Verhältnis von Typ-1- zu Typ-3-Kollagen nimmt mit zunehmendem Alter ab. Dieser Verlust an Kollagen ist bei älteren Frauen deutlich sichtbarer als bei älteren Männern: In den ersten 5 Jahren nach der Menopause gehen rund 30 Prozent des Hautkollagens verloren. Der durchschnittliche Abbau pro Jahr beträgt über einen Zeitraum von 20 Jahren 2,1 Prozent. Durch Östrogene kann dieser Trend reversibel gemacht und das Hautkollagen vermehrt werden. Östrogene verbessern die Synthese von Hyaluronsäure und fördern die Wasserretention. Durch Melaninanhäufungen entstehen Altersflecken. Chronologische Alterung und Östrogendefizit führen zur Erhöhung des pH-Werts in der Haut, die Lipidproduktion geht zurück, und die Proliferation von Keratinozyten ist rückläufig. Es resultiert ein langsamerer Heilungsprozess bei Hautläsionen mit erhöhter mikrobieller Kolonisation (u. eventueller
Die hormonelle Regulation des Haars Der Haarzyklus wird von einem grossen Spektrum an Hormonen kontrolliert. Dazu zählen gonadale, thyroidale, adrenale, hypophysäre und epiphysäre Hormone. Ausserdem besitzt die pilosebaziöse Einheit alle notwendigen Enyzme wie 17β-Hydroxysteroiddehydrogenese (17βHSD), Aromatase und 5α-Reduktase für die lokale Biosynthese von Östrogenen und Androgenen aus Vorläufermolekülen. Somit existieren neben dem klassischen endokrinen auch para-, juxta-, auto- und intrakrine Signalwege. Hormone üben ihre biologische Funktion teilweise rezeptorvermittelt aus. ERa und ERb binden entweder als Homodimere (ERα [a]/ERa beziehungsweise ERβ [b]/ERb) oder Heterodimere (ERa/ERb) an spezifische, Östrogen-Response-Elemente (ERE) enthaltende DNA-Abschnitte oder als Monomere (ERa, ERb) an von AP1-Elementen kontrollierte Genabschnitte und aktivieren die Transkription derselben. Der klassischen, ER-vermittelten Regulation steht der nicht genomische Regulationsmechanismus gegenüber. Hierbei wird indirekt die Transkription bestimmter Genabschnitte aktiviert, ohne dass eine DNA-Bindung der ER erfolgt. Die ER zählen zu der «Superfamilie nukleärer Rezeptoren», der auch der Progesteron-, Androgen-(AR-), Glukokortikoid- und Mineralokortikoidrezeptor angehören. Thyroidale und retinoidale Rezeptoren sind auf Strukturebene ebenfalls «Superfamilienmitglieder». ERa, ERb und AR werden von der pilosebaziösen Einheit exprimiert. Die Expressionsrate variiert jedoch in Abhängigkeit von Geschlecht, Lokalisation (okzipital versus frontotemporal) und Haarzyklus. Die okzipitalen dermalen Papillen exprimieren ERa und ERb stärker als die der Vertexregion. Die Konzentration ER-exprimierender dermaler Papillen ist bei Frauen frontal höher als bei Männern. Im Gegensatz hierzu ist die frontale AR-Expression in Haarfollikeln etwa 40 Prozent höher als okzipital. Weibliche Haarfollikel exprimieren bei gleicher frontookzipitaler Verteilung etwa 40 Prozent weniger Androgenrezeptoren als Männer.
Östrogengabe für das Haarwachstum: Kontroversen und Hypothesen Über die unterschiedlichen Verteilungsmuster endokriner Komponenten im Bereich der Haarfollikel werden die zum Teil kontroversen Studienergebnisse zur Östrogenanwendung bei Effluvium und androgenetischer Alopezie erklärt. Beide Erscheinungen werden auf einen frühen Beginn der Katagenphase zurückgeführt. Der Hypothese nach soll die Östrogengabe die Telogenphase verkürzen und die Anagenphase verlängern. 17a-Östradiol induziert ausserdem das Enzym Aromatase, wodurch das lokale endokrine Milieu zugunsten des Östrogens verschoben wird. Allerdings fehlen randomisierte, kontrollierte Studien zum Einfluss von lokalen und systemischen Östrogenen auf die androgenetische Alopezie und das androgenunabhängige telogene Effluvium. Östrogene allein sind gemäss heutigen Erkenntnissen zufolge allerdings nicht ausreichend für ein adäquates Haarwachs-
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tum: Bei der testikulären Feminisierung fehlt trotz ausreichender Östrogenspiegel die Scham- und Achselbehaarung (hairless women). Es wird vielmehr vermutet, dass Östrogene einen positiven direkten oder über Wachstumsfaktoren vermittelten indirekten Einfluss auf die «Uhr» des Haarzyklus ausüben.
Einfluss von Östrogenen auf die Haut Für Östrogene ist die Haut das grösste nicht reproduktive Zielorgan des Organismus. Die Östrogenwirkung wird zum Grossteil über die Östrogenrezeptoren (ER) α und β vermittelt. Beide Rezeptoren weisen mit zirka 60 Prozent eine grosse Homologie auf und besitzen fast identische Bindungsaffinitäten zu den Liganden (7, 8). Die ER-Expression ist variabel und vom exprimierenden Gewebetyp abhängig. ERα wird besonders in Ovar, Uterus, Vagina, Mamma und Hypothalamus exprimiert, ERβ dagegen besonders in Ovar, Hoden und Prostata, Hypothylamus und Kortex (9). Beide Rezeptoren, ERα und ERβ, sind jedoch auch in Haut und Hautanhangsgebilden nachweisbar.
Erkenntnisse zur Östrogengabe bei Hautalterung Eine Verbesserung der Gesichts- und Körperhaut durch lokale Anwendung östrogenhaltiger Cremes ist nur bei Hautveränderungen zu erwarten, die auf einen Östrogenmangel zurückzuführen sind, dabei ist eine Wirkung von der Expression entsprechender Östrogenrezeptoren abhängig. Umweltalterung lässt sich durch Östrogene nicht beeinflussen, auch wenn Studien zeigten, dass eine Therapie mit 0,05 Prozent Tretinoin passager gegen Runzelbildung nach Sonneneinstrahlung zufriedenstellende Resultate geliefert hat (10). Zu beachten ist, dass Rezeptorendichte und -lokalisation auf Haut und Hautanhangsgebilden sowie in den Hautschichten stark differieren (11). So weist Gesichtshaut mehr ER auf als Hautpartien im Brust- und Oberschenkelbereich (12). Die ERβ-Expression wird durch Zufuhr von Östradiol in physiologischen, prämenopausalen Mengen in Keratinozyten und Fibroblasten hochreguliert und geht mit konsekutiver Zunahme der Zellproliferation einher. Zusätzlich resultiert durch die östrogeninduzierte Kollagenbildung eine Zunahme der Hautdicke. Dies konnte in randomisierten, plazebokontrollierten Studien für konjugierte Östrogene gezeigt werden. In einer retrospektiven Langzeituntersuchung mit 50 mg Estradiol und 100 mg Testosteronimplantat über 2 bis 10 Jahre wurde gezeigt, dass sich postmenopausal der Kollagengehalt um jährlich 1 bis 2 Prozent verringert und der Verlust durch eine Östrogentherapie effektiv vermindern lässt. Eine lokale Wirkung auf die Gesichtshaut mit Zunahme der Hautdicke und Abnahme der Faltentiefe lässt sich mit einer 0,3 Prozent Estriolcreme oder einer Creme mit 0,06 Prozent konjugierten Östrogenen erzielen (10). Durch rückfettende Substanzen kann die Hautbeschaffenheit zudem verbessert werden. Auch ein Östrogeneinfluss auf die Epidermis konnte mehrfach gezeigt werden. Ältere Studien belegen eine verbesserte Hydratation unter östrogenhaltiger Hormontherapie. Dabei liegen ähnliche Ergebnisse sowohl für Frauen mit tendenziell trockener Haut als auch für unselektierte Patientinnenkollektive vor und sind vom Applikationsmodus unabhängig. Epidermale Fettzellen und Sphingolipide im Stratum corneum der Epidermis werden durch Östrogene
aktiviert, wie in Vergleichsstudien mit transdermaler Applikation von 17β-Östradiol plus Progesteron gezeigt werden konnte.
Aktueller Stand
Die dargelegten Studien zum Einfluss von Östrogenen auf
die Hautalterung sind jedoch nicht ausreichend, um eine ge-
nerelle Anwendung von (systemischen) Östrogenen empfeh-
len zu können. Die aktuellen Leitlinien zur Hormontherapie
in der Peri- und Postmenopause besagen daher, dass eine Ab-
milderung des Alterungsprozesses der Haut durch die syste-
mische Hormontherapie nicht belegt werden kann. Sie ist
auch deshalb nicht indiziert.
Die Atrophie von Haut und Schleimhäuten mit Kollagen-
und Flüssigkeitsverlust, der Rückgang von subkutanem Fett-
gewebe, die Nävusbildung und die erhöhte Vulnerabilität
können unterschiedliche Beschwerden im Genitalbereich ver-
ursachen: so etwa Juckreiz, Trockenheit oder Blutungen der
Vaginalschleimhaut mit atrophischer Kolpitis, Pruritus der
Vulva, zystourethrale Schleimhautatrophie mit abakterieller
Urethritis und Zystitis, Detrusorüberaktivität, Urgeinkonti-
nenz, Pollakisurie, Stressinkontinenz, urethrale Karunkel
und nachlassende Elastizität des Beckenbodens. Alterungs-
bedingte vulväre Hautveränderungen, gepaart mit Elastizi-
tätsverlust, begünstigen Dystrophien, beispielsweise Lichen
sclerosus (7). Das Vaginalepithel reagiert sehr empfindlich
auf Östrogen, sodass bereits niedrige lokale Östrogengaben
therapeutisch eingesetzt werden (13).
❖
Korrespondenzadresse: Dr. med. Zahraa Kollmann
Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin
Universitätsklinik für Frauenheilkunde
Inselspital, 3010 Bern
E-Mail: zahraa.kollmann@insel.ch
PD Dr. med. Petra Stute
Stv. Abteilungsleiterin
Prof. Dr. med. Michael von Wolff
Abteilungsleiter
Quellen: 1. Wolff H.: Endokrinologische Störungen an Haut und Haaren. In: Leidenberger F, Strowitzki T, Ort-
mann O (Hrsg.): Klinische Endokrinologie für Frauenärzte. Berlin, Heidelberg; 2009: 419–441. 2. Zouboulis CC, Rabe T, Bayerl C.: Sinn und Unsinn der ästhetischen Endokrinologie. Gynäkolo-
gische Endokrinologie 2009; 7(1): 25–32. 3. Fuchs E, Raghavan S.: Getting under the skin of epidermal morphogenesis. Nat Rev Genet 2002;
3(3): 199–209. 4. Alonso L, Fuchs E.: The hair cycle. J Cell Sci 2006; 119(3): 391–393. 5. Schmidt JB, Binder M, Macheiner W, Kainz C, Gitsch G, Bieglmayer C.: Treatment of skin ageing
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Erstpublikation in «Gynäkologie».
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