Transkript
STUDIE REFERIERT
DPP4-Inhibitoren bei Diabetes mellitus – Übersicht und Metaanalyse
Systematischer Review und Metaanalyse
Die Ergebnisse des Reviews unterstützen die Anwendung von Metformin als Erstlinienoption bei der Behandlung des Diabetes Typ 2. In Kombination mit Metformin sind DDP-4-Inhibitoren zur Senkung des HbA1c-Werts ähnlich effektiv wie Sulfonylharnstoffe oder Pioglitazon, jedoch weniger wirksam als GLP-1-Agonisten.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Im Konsensusalgorithmus der American Diabetes Association (ADA) und der European Association for the Study of Diabetes zu Diabetes mellitus Typ 2 wird ein Behandlungsbeginn mit Metformin und einer Veränderung des Lebensstils empfohlen. Kann das glykämische Ziel mit der Metforminmonotherapie nicht erreicht werden, wird zur Zugabe von Basalinsulin oder einem Sulfonylharnstoff als gut validierte Optionen geraten. Pioglitazon
Merksätze
❖ Als Monotherapie ist Metformin DDP-4-Inhibitoren bezüglich der Senkung des HbA1cWerts und des Körpergewichts überlegen.
❖ In Kombination mit Metformin weisen DDP-4Hemmer eine vergleichbare glykämische Wirksamkeit wie Sulfonylharnstoffe oder Pioglitazon auf.
❖ Als Second-Line-Medikamente sind DDP-4Inhibitoren glykämisch weniger wirksam als GLP-1-Agonisten.
(Actos® und Generika) oder ein Glukagon-Like-Peptid-1-(GLP 1-)Analogon werden von den Experten als weniger gut validierte Kombinationspartner erachtet. Im Jahr 2007 war Metformin als Einzelsubstanz oder in Kombination mit Insulin, Sulfonylharnstoffen, Thiazolidindionen (meist Pioglitazon) oder Dipeptidyl-Dipeptidase-Hemmern (DPP-4) in den USA das am häufigsten verschriebene Antidiabetikum. Bei DPP-4-Inhibitoren handelt es sich um relativ neue hypoglykämische Medikamente. Derzeit sind Sitagliptin (Januvia®, Xelevia®), Vildagliptin (Galvus®), Saxagliptin (Onglyza®) und Linagliptin (Trajenta®) von der Food and Drug Administration (FDA) und der European Medicines Agency (EMA) sowie auch von Swissmedic zugelassen. Im Konsensusalgorithmus von 2009 waren DPP-4-Hemmer wegen begrenzter klinischer Daten und einer geringeren äquivalenten Wirkung im Vergleich zu anderen antidiabetischen Wirkstoffen noch nicht als Behandlungsoption etabliert. Das National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) empfiehlt nach der Monotherapie mit Metformin die Zugabe eines DPP-4Hemmers als Second-Line-Medikament anstelle eines Sulfonylharnstoffs, wenn ein beträchtliches Risiko für Hypoglykämien besteht oder wenn Sulfonylharnstoffe kontraindiziert sind oder nicht vertragen werden.
Methodik In ihrer Übersichtsarbeit untersuchten die Autoren die Wirksamkeit und Sicherheit von DPP-4-Inhibitoren im Vergleich zu Metformin als Monotherapie sowie im Vergleich zu anderen häufig verwendeten Antidiabetika in Kombination mit Metformin. Der Review wurde anhand publizierter Studien sowie anhand fertiggestellter,
aber unveröffentlichter kontrollierter randomisierter Studien erstellt, die mit erwachsenen Diabetes-Typ-2-Patienten durchgeführt worden waren. Als primäre Outcomes definierten die Autoren die Veränderung des HbA1cWerts im Vergleich zur Baseline. Zu den sekundären Outcomes gehörten die Veränderung des Körpergewichts, der Anteil der Patienten, die einen HbA1cZielwert von < 7 Prozent erreichten, ernste unerwünschte Ereignisse und die Gesamtmortalität sowie die Inzidenz von Hypoglykämien, Nasopharyngitis, Harnwegsinfekten, Atemwegsinfektionen, Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö. Das Antidiabetikum Rosiglitazon wurde nicht in den Review einbezogen, da es aufgrund eines erhöhten Risikos für Herzinfarkt und kardiovaskulären Tod wieder aus dem Konsensusalgorithmus entfernt wurde. (Anmerkung der Referentin: In der Schweiz und in der EU wurde die Zulassung von Avandia® im Herbst 2010 aufgehoben). Antidiabetika, die in der klinischen Praxis nicht häufig angewendet werden – wie Alpha-Glukosidase-Inhibitoren, Glinide oder Amylinagonisten –, wurden in der Übersichtsarbeit ebenfalls nicht berücksichtigt. Ergebnisse Für den Review mit Metaanalyse standen 27 Ergebnisberichte zu 19 Studien zur Verfügung. In den gepoolten Untersuchungen wurden 7136 Patienten randomisiert einem DPP-4-Inhibitor und 6745 Patienten einem anderen Antidiabetikum zugeordnet. Fast alle Studien waren multizentrisch konzipiert und wurden von pharmazeutischen Unternehmen gesponsert. Die Untersuchungsdauer betrug mindestens ein Jahr. Als primärer Endpunkt wurde in allen Studien die Veränderung des HbA1cWerts im Vergleich zur Baseline definiert. Das Gesamtverzerrungsrisiko entsprechend dem Cochrane Collaboration’s Risk of Bias Tool bezüglich des primären Outcomes war in 3 Arbeiten gering, in 9 Untersuchungen unklar und in 14 Studien hoch. Glykämische Wirksamkeit In 7 Studien (n = 3237) wurde die Monotherapie mit DPP-4-Inhibitoren mit einer Metforminmonotherapie verglichen, und in 10 Studien (n = 8912) wurden DPP-4-Inhibitoren plus Metformin mit ARS MEDICI 12 ■ 2012 633 STUDIE REFERIERT anderen hypoglykämischen Medikamenten plus Metformin im Hinblick auf die glykämische Wirksamkeit untersucht. Im Vergleich zur Metforminmonotherapie waren DPP-4-Hemmer als Einzelmedikamente mit einer geringeren Reduzierung des HbA1c-Werts sowie einer geringeren Chance verbunden, das glykämische HbA1c-Ziel von < 7 Prozent zu erreichen. Als Second-Line-Option wurde mit DPP-4-Hemmern insgesamt eine geringere Senkung des HbA1c-Werts erreicht als mit den anderen Antidiabetika in Kombination mit Metformin. Im Vergleich zu Sulfonylharnstoffen waren DDP-4-Inhibitoren weniger wirksam bei der Senkung des HbA1c-Werts. Bezüglich des Erreichens von HbA1c < 7 Prozent wurde jedoch kein signifikanter Unterschied festgestellt. Zwischen DPP-4-Inhibitoren und Pioglitazon wurde kein Unterschied im Hinblick auf das Ausmass der Veränderung des HbA1c-Werts beobachtet. Allerdings war mit Pioglitazon die Chance höher, das Ziel eines HbA1c-Werts von < 7 Prozent zu erreichen. Den GLP-1Agonisten waren DPP-4-Hemmer sowohl bezüglich der Senkung des HbA1c-Werts als auch im Hinblick auf das Erreichen des HbA1c-Zielwerts von < 7 Prozent unterlegen. Körpergewicht In 12 Studien (n = 9156) wurde auch die Veränderung des Körpergewichts unter der jeweiligen Medikation untersucht. Im Rahmen der Monotherapie waren DPP-4-Hemmer zur Reduzierung des Körpergewichts weniger wirksam als Metformin. In Kombination mit Metformin waren DPP-4-Hemmer mit einem günstigeren Gewichtsprofil verbunden als Sulfonylharnstoffe oder Pioglitazon, im Vergleich mit GLP-1Agonisten jedoch nicht. Hypoglykämien Da sich die Definitionen einer Hypoglykämie in den einzelnen Studien unterschieden, wurde hier keine gepoolte Risikoabschätzung vorgenommen. In Studien, in denen ein DPP-4-Inhibitor mit Metformin als Monotherapie oder mit Pioglitazon oder einem GLP-1Agonisten als Second-Line-Option verglichen wurde, waren in allen Behandlungsarmen nur wenige Hypoglyk- ämien aufgetreten. Im Gegensatz dazu war das Risiko für Hypoglykämien in den meisten Studien unter der Kombination Metformin/Sulfonylharnstoff höher als unter der Kombination Metformin/DPP-4-Inhibitor. Gesamtmortalität und unerwünschte Ereignisse Betreffend Gesamtmortalität unterschieden sich die einzelnen Wirkstoffe nicht. Die Inzidenz ernster unerwünschter Ereignisse war bei der Anwendung von DPP-4-Inhibitoren niedriger als unter Pioglitazon und vergleichbar mit den anderen aktiven Medikamenten. Die Monotherapie mit DPP-4-Inhibitoren war mit weniger nebenwirkungsbedingten Behandlungsabbrüchen verbunden als die Metforminmonotherapie oder die Kombination aus Metformin und einem GLP-1-Agonisten. Auch die Inzidenz von Übelkeit, Durchfall und Erbrechen war unter Metformin oder GLP-1-Agonisten höher als unter DPP-4-Hemmern. Zwischen DPP-4Hemmern, Sulfonylharnstoffen und Pioglitazon wurde kein Unterschied im Hinblick auf gastrointestinale Nebenwirkungen beobachtet. Insgesamt waren DPP-4-Inhibitoren nicht mit einem erhöhten Risiko für Nasopharyngitis, Infektionen der oberen Atemwege oder der Harnwege im Vergleich zu den anderen aktiven Medikamenten verbunden. Diskussion und Schlussfolgerung Die Autoren untersuchten die Wirksamkeit und Sicherheit von DPP-4Inhibitoren als First- oder Second-LineOption anhand von 8 randomisierten kontrollierten Studien zu DDP-4-Inhibitoren als Monotherapie und anhand von 11 Studien, in denen DPP-4-Inhibitoren plus Metformin direkt mit anderen gängigen Antidiabetika plus Metformin untersucht worden waren. Im Hinblick auf die klinische Wirksamkeit unterstützt die Metaanalyse die Unterlegenheit der DPP-4-Hemmer im Vergleich zu Metformin als Monotherapie und zu GLP-1-Agonisten als Second-Line-Therapie bei der Reduzierung des HbA1c-Werts und des Körpergewichts. Allerdings waren Metformin und GLP-1-Agonisten aufgrund von Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö mit höheren Abbruchraten verbunden. Als Schwäche ihrer Studie werten die Autoren, dass aufgrund nicht ausreichender Daten keine getrennten Analysen für die einzelnen DPP-4-Inhibitoren durchgeführt werden konnten. Als weitere Limitierung führen sie an, dass nicht in Sensitivitätsanalysen geprüft wurde, in welchem Ausmass Patientencharakteristika wie der AusgangsHbA1c-Wert oder die Dauer des Typ-2Diabetes zum Outcome beitragen. Ausserdem wurde in keiner Studie die Wirkung der DPP-4-Hemmer im Vergleich zu den anderen Antidiabetika bezüglich kardiovaskulärer Endpunkte untersucht. Insgesamt kommen die Autoren zu dem Schluss, dass DPP-4Inhibitoren bei Patienten, die mit Metformin allein das glykämische Ziel nicht erreichen, den HbA1c-Wert vergleichbar gut senken können wie Pioglitazon oder Sulfonylharnstoffe. ❖ Petra Stölting Karagiannis T et al.: Dipeptidyl peptidase-4 inhibitors for treatment of type 2 diabetes mellitus in the clinical setting: systematic review and meta-analysis, BMJ 2012; 344:e1369 Interessenkonflikte: 2 der 5 Autoren haben Gelder von Pharmaunternehmen im Zusammenhang mit Vildagliptin und Liraglutid erhalten. 634 ARS MEDICI 12 ■ 2012