Transkript
INTERVIEW
«Leider wird das Ziel eines frühen Therapiebeginns bei vielen Patienten nicht erreicht»
In der Therapie der rheumatoiden Arthritis ist seit der Einführung der Biologika vieles in Bewegung. Prof. Dr. med. Ulrich Walker vom Felix-PlatterSpital in Basel hat uns zehn Fragen zu den neuen Behandlungsoptionen beantwortet.
ARS MEDICI: Wie hat sich die Therapie der rheumatoiden Arthritis in den letzten Jahren verändert? Prof. Dr. med. Ulrich Walker: Massgeblich ist, dass neue Therapieziele definiert wurden. Im Wesentlichen wird nicht mehr nur eine Besserung der rheumatoiden Arthritis angestrebt, sondern eine Vollremission unter wenig bis keinen Nebenwirkungen und unter Steroiden an oder unter der Cushing-Schwelle. Diese Veränderung erfolgte aufgrund der Verfügbarkeit neuer Therapiemöglichkeiten, besonders der Biologika, welche die Therapie der rheumatoiden Arthritis verändert und erweitert haben.
ARS MEDICI: Welche Biologika kennt man? Wie wirken diese Medikamente? Walker: Es gibt verschiedene Biologikaklassen, die bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis zur Anwendung kommen. Sie greifen alle an unterschiedlichen Stufen der Entzündungskaskade ein. Zu den Biologika zählen Tumornekrosefaktor (TNF-)α-Inhibitoren, B- und T- Zell-Antagonisten, Medikamente, die zu einer Verringerung der B-Zellen führen, und IL-6-Antagonisten. In der EU ist auch noch ein IL-1-Rezeptor-Antagonist zugelassen, der bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis jedoch nicht so wirksam ist wie andere Biologika und deshalb in der Schweiz für diese Indikation nicht verfügbar ist. Alle Biologika sind Antikörper oder Fusionsproteine, die eine Affinität für ein spezifisches Protein in der Entzündungsreaktion haben. Durch die Bindung an das Medikament wird das jeweilige Zielprotein
«Die Patienten-Compliance und Überzeugung für die Therapie sind immer noch die grössten Schwierigkeiten.»
ARS MEDICI: Wann kommen Biologika zum Einsatz? Bei allen Patienten? Als First-Line oder erst nach Ausschöpfen anderer Optionen? Walker: In der Regel kommen Biologika bei Patienten zur Anwendung, die auf Methotrexat oder ein anderes DMARD, das sind sogenannte disease modifying anti-rheumatic drugs, nicht ausreichend ansprechen. Dies deckt sich auch mit den EULAR-Empfehlungen und wird durch viele Studien gestützt. Normalerweise werden Biologika in Kombination mit MTX oder einem anderen DMARD eingesetzt. Wenn man das heutige Ziel der Vollremission ernst nimmt, qualifizieren sich die meisten Patienten im Laufe der Behandlung für die Therapie mit einem Biologikum.
ARS MEDICI: Welche Biologika kommen zum Einsatz? Welches sind ihre jeweiligen Vor- und Nachteile? Walker: Als First-Line-Therapie werden heute immer noch die TNF-α-Blocker empfohlen, es gibt jedoch auch andere Medikamente, insbesondere die T-Zell Blocker, die sich als First-LineTherapie anbieten. Zwischen den verschiedenen Medikamenten gibt es Unterschiede bei der Zeitspanne bis zum Wirkungseintritt, der Applikationshäufigkeit, dem Applikationsmodus und dem notwendigen Monitoring. Bezüglich Nebenwirkungen gibt es vor allem mögliche Unterschiede bei den Infektionsraten, und es sind unterschiedlich viele Langzeitdaten verfügbar.
ARS MEDICI: Man kennt eine intravenöse und eine subkutane Applikation. Worin liegt der Unterschied zwischen diesen beiden Formen? Walker: Die subkutane Formulierung, kurz s.c. genannt, erlaubt den Patienten tendenziell mehr Unabhängigkeit von der Klinik. Dies setzt jedoch ein gewisses Verständnis, gute Compliance und die nötige Geschicklichkeit für die s.c.-Applikation voraus. Die s.c.-Formulierung muss häufiger angewendet werden, das heisst einmal pro Woche im Gegensatz zur intravenösen Formulierung, also der i.v.-Applikation, die einmal pro Monat oder im 8-wöchigen Rhythmus erfolgt. Für die i.v.-Applikation kommen die Patienten in die Klinik, was eine bessere Kontrolle der Compliance erlaubt. Ausserdem kann die Applikation mit regelmässigen Visiten verbunden werden.
blockiert und somit die Kaskade, die zur Entzündung führt, unterbrochen. Um zwei Beispiele zu nennen: T-Zell-Antagonisten unterbinden den frühen Schritt der T-Zell-Aktivierung, TNF-α-Inhibitoren binden direkt an TNF-α, verhindern die Signalübertragung durch dieses Zytokin und wirken dadurch in einem späteren Schritt in der Entzündungsreaktion.
ARS MEDICI: Bei welchen Patienten ist die eine oder die andere Form angezeigt? Kann, und wenn ja, sollte ein Patient von einer i.v.- auf eine s.c.-Behandlung umgestellt werden? Und was muss dabei speziell beachtet werden? Walker: Die Entscheidung, welche Formulierung angewendet wird, sollte im Gespräch für jeden Patienten individuell
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ARS MEDICI 11 ■ 2012
INTERVIEW
Zur Person
Prof. Dr. med. Ulrich Walker ist Oberarzt an der Rheumatologischen Universitätspoliklinik am Felix Platter-Spital in Basel.
der Studie wurde jedoch tendenziell etwas häufiger Juckreiz an der Injektionsstelle beobachtet.
ARS MEDICI: Welches sind heute die grössten Probleme bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis? Walker: Die Patientencompliance und Überzeugung für die Therapie sind immer noch die grössten Schwierigkeiten. Man weiss heute, dass ein früher Therapiebeginn der Gelenkdestruktion vorbeugen oder diese verlangsamen kann und den generellen Verlauf der Erkrankung günstig beeinflusst. Leider ist es aber so, dass die Ziele eines frühen Therapiebeginns beziehungsweise einer frühen Therapieeskalation bei vielen Patienten nicht erreicht werden.
gefällt werden. Die s.c.-Formulierung ist vor allem bei Pa- ARS MEDICI: Gibt es bei der Behandlung der rheumatoiden
tienten angezeigt, die mehr Unabhängigkeit wünschen oder Arthritis noch unerfüllte Bedürfnisse – aus Sicht des Arztes
brauchen. Als Beispiel kommen Patienten infrage, die weit wie auch aus Sicht der Patienten?
weg vom Zentrum wohnen oder einen hektischen Alltag Walker: Der Patient möchte geheilt werden und nicht immer
haben und die Stunde pro Monat für die i.v.-Applikation auf Medikamente angewiesen sein. Im Moment ist dies bei
nicht aufwenden wollen. Es ist jedoch bei der s.c.-Applika- der Mehrzahl der Patienten nicht möglich, die rheumatoide
tion wichtig, dass die Patienten sich an die Therapie halten Arthritis bleibt meist eine chronische Erkrankung, die eine
und regelmässig zu den Kontrollen kommen. Die einzige Ein- dauerhafte Kooperation zwischen Patienten und Rheumato-
schränkung bei der s.c.-Form ist, dass die Haltbarkeitsdaten logen erfordert.
bei einem Kühlkettenunterbruch noch nicht abschliessend Aus Sicht des Rheumatologen ist das wichtigste Ziel die mög-
bekannt sind. Die Kühlung könnte ein Problem sein, falls ein lichst frühe Diagnose und Behandlung der rheumatoiden
Patient zum Beispiel über längere Zeit verreisen möchte und Arthritis in enger Zusammenarbeit mit dem Hausarzt. Zu-
sätzlich ist eine gute Aufklärung
des Patienten sehr wichtig. Das
«Die rheumatoide Arthritis bleibt meist eine chronische Erkrankung, die eine dauerhafte Kooperation zwischen Patienten und Rheumatologen erfordert.»
Ziel, das Fortschreiten der Krankheit vollständig zu stoppen, ist bei vielen Patienten noch nicht er-
reicht. Dies liegt daran, dass
die Wirksamkeit der verfügbaren
die korrekte Lagerung des Wirkstoffs unterwegs nicht immer Medikamentenkombinationen noch nicht ganz ausreicht,
möglich ist. Dies sind jedoch Ausnahmesituationen, die gege- obwohl schon beträchtliche Fortschritte gemacht wurden.
benenfalls durch eine einmalige, länger wirksame i.v.-Appli-
kation überbrückt werden können.
ARS MEDICI: Wie sieht die Behandlung der rheumatoiden
Arthritis in Zukunft aus? Wohin geht die Forschung?
ARS MEDICI: Abatacept (Orencia®) hat als erstes i.v.-Biologi- Walker: Die Forschung entwickelt sich immer mehr in Rich-
kum jetzt auch die Zulassung für die s.c.-Applikation erhalten. tung Frühdiagnose, mit dem Ziel, die rheumatoide Arthritis
Welches sind für Sie die Vorteile und Nachteile von Abatacept schon im präklinischen Stadium durch die Identifikation von
generell und der subkutanen Form im Speziellen? Mit wel- Risikofaktoren zu erkennen. Dadurch wäre unter Umstän-
chen Nebenwirkungen ist unter Abatacept zu rechnen?
den eine Therapie von noch gesunden Patienten mit dem Ziel
Walker: Ein Vorteil von Abatacept ist, dass die Infektionsrate möglich, den Ausbruch der Krankheit zu verhindern. Ausser-
gering ist und dass nicht mit einer Reaktivierung von dem hat die Entwicklung neuer Biologikaklassen und kleiner
Tuberkulose gerechnet werden muss. Eine Einschränkung Moleküle, die in Tablettenform angeboten werden können
gibt es hierzu jedoch: Bei COPD-Patienten sollte Abatacept und eine Basistherapie-artige Wirksamkeit entfalten, weiter-
nicht eingesetzt werden, da die Infektionsrate bei dieser hin einen wichtigen Stellenwert. Für die Zukunft nimmt
Patientengruppe höher ist. Dass Abatacept neu auch als s.c.- die personalisierte Medizin eine immer wichtigere Rolle ein.
Applikation verfügbar ist, ist ein weiterer Vorteil, da es, wie Dadurch könnten Faktoren, die zu einem Therapieerfolg
oben erwähnt, den Patienten mehr Unabhängigkeit erlaubt. oder -misserfolg mit einem Biologikum beitragen, frühzeitig
Die i.v.-Applikation von Abatacept erfolgt alle vier Wochen, identifiziert werden. Somit müssten dann eventuell nicht mehr
die s.c.-Applikation einmal pro Woche, das heisst, die Medi- so viele verschiedene Medikamente «ausprobiert» werden,
kation muss in der s.c.-Form häufiger gespritzt werden. Die bis eine Behandlung die gewünschten Resultate bringt. ❖
Gesamtdosis der verabreichten Medikation ist über vier
Wochen gesehen jedoch in der s.c.-Form geringer als in der ARS MEDICI: Professor Walker, vielen Dank für das Gespräch.
i.v.-Form. Die Wirksamkeit sowie die Nebenwirkungen der
beiden Formulierungen sind vergleichbar. Reaktionen an der Die Fragen stellte Richard Altorfer.
Injektionsstelle treten unter Abatacept, so zeigt eine Studie,
etwa gleich häufig auf wie unter Plazebo. Im Abataceptarm Das Interview entstand auf Anregung von PR-Schwegler AG, Zürich.
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