Transkript
STUDIE REFERIERT
Harninkontinenz bei Frauen
Medikamentöse Therapien im Vergleich
Wenn nicht medikamentöse Massnahmen wie Beckenboden- und Blasentraining eine Harninkontinenz beheben können, stellt sich die Frage, welche Medikamente für die Patientin infrage kommen. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse bescheinigt den Anticholinergika eine in etwa gleichwertige Wirksamkeit mit kleinen Unterschieden im Detail.
ANNALS OF INTERNAL MEDICINE
Es werden zwei Hauptformen der Harninkontinenz unterschieden, die Stressund die Dranginkontinenz, viele Patientinnen leiden unter Mischformen. Obgleich die Kontinenz für die Patientinnen sicher das wichtigste Therapieziel ist, konzentrierte man sich bis anhin in vielen Studien auf die Frequenz der Blasenentleerungen als Endpunkt. Die Autoren einer kürzlich publizierten Metaanalyse verglichen nun die Wirksamkeit der Anticholinergika Fesoterodin (Toviaz®), Tolterodin (Detrusitol®), Oxybutinin (Ditropan®, Kentera®, Lyrinel Oros®), Trospiumchlorid (Spasmo Urgenin® Neo) und Solifenacin (Vesicare®) bezüglich des Erreichens von Kontinenz. Darüber hinaus wurde das Darifenacin (Emselex®) in einen Vergleich «klinisch bedeutender Verbesserungen der Inkontinenz» einbezogen.
Merksätze
❖ Die Wirksamkeit der verschiedenen Anticholinergika bei Dranginkontinenz ist vergleichbar.
❖ Die Erfolgsraten bezüglich Erreichen der Kontinenz liegen zwischen 8,5 und 13 Prozent.
Resultat Die Metaanalyse umfasste insgesamt 94 randomisierte Studien, darunter 21 direkte Vergleichsstudien zwischen einigen der Substanzen. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass alle oben genannten Medikamente eine im Grossen und Ganzen gleichwertige Wirksamkeit bezüglich der Dranginkontinenz aufweisen. Die Medikamente sind zwar alle besser als Plazebo, doch sei ihre Wirksamkeit als eher klein einzustufen, da von 1000 Patientinnen weniger als 200 damit wieder kontinent werden, so die Autoren. Im Vergleich mit Plazebo ist die Chance, mithilfe der Medikamente wieder kontinent zu werden, um 8,5 bis 13 Prozent höher. Auch lasse die Therapietreue zu wünschen übrig, und es sei damit zu rechnen, dass von 1000 Patientinnen 13 bis 31 die Einnahme der Medikamente aufgrund lästiger Nebenwirkungen abbrechen. Die Autoren empfehlen aus diesem Grund, die Wahl des jeweiligen Medikaments nach den zu erwartenden Nebenwirkungen individuell auszurichten.
Detailergebnisse Eine auf die Medikamente zurückzuführende Kontinenz erreichten von jeweils 1000 behandelten Patientinnen 130 mit Fesoterodin (95%-Konfidenzintervall [KI]: 58–202), 114 mit Oxybutinin (95%-KI: 64–163), 114 mit Trospiumchlorid (95%-KI: 83–144), 107 mit Solifenacin (95%-KI: 58–156) und 85 mit Tolterodin (95%-KI: 40–129). Von 1000 behandelten Patientinnen brachen die Therapie wegen Nebenwirkungen ab: 63 mit Oxybutinin (95%KI: 12–127), 31 mit Fesoterodin (95%KI: 10–56), 18 mit Trospiumchlorid (95%-KI: 4–33) und 13 mit Solifenacin (95%-KI: 1–26). Bei Darifenacin und Tolterodin fand sich im Vergleich mit Plazebo kein statistisch signifikanter Unterschied bezüglich der Abbruchrate wegen Nebenwirkungen. Die Auflistung der «Head to head»Studien ergab folgendes Bild: Fesotero-
din war bezüglich Kontinenzraten und Verbesserung der Dranginkontinenzsymptomatik besser als Tolterodin, wurde dafür aber auch häufiger wegen Nebenwirkungen abgesetzt. Oxybutinin und Tolterodin erwiesen sich im direkten Vergleich als gleichwertig bezüglich der Verbesserung der Dranginkontinenzsymptomatik, aber Oxybutinin wurde häufiger wegen Nebenwirkungen abgesetzt. Trospiumchlorid war besser als Oxybutinin (ohne Aussage zur Abbruchhäufigkeit). Solifenacin war besser als Tolterodin und hatte nur in der höchsten Dosis (20 mg/Tag) eine höhere nebenwirkungsbedingte Abbruchrate.
Einfluss verschiedener Parameter Es gibt nur wenige randomisierte Studien, die sich der Frage nach Patientencharakteristika widmen, welche den Therapieerfolg beeinflussen könnten. So wurden für Oxybutinin, Trospiumchlorid und Darifenacin auch Studien mit älteren Patientinnen durchgeführt, die eine Wirksamkeit bestätigten. Die Indikation der Medikamente lautet in der Regel Dranginkontinenz, aber viele Patientinnen leiden unter einer Mischform aus Stress- und Dranginkontinenz. Dies scheint bezüglich der zu erwartenden Wirksamkeit aber keinen allzu grossen Unterschied zu machen. In Studien, die mit Tolterodin oder Solifenacin durchgeführt wurden, fand sich kein Unterschied, allenfalls könnte eine höhere Dosis nötig sein (gezeigt für Solifenacin). Die Autoren der Metaanalyse fanden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich ein medikamentöser Therapieerfolg mithilfe urodynamischer Untersuchungen voraussagen liesse. Auch die Harnfrequenz vor Beginn der Therapie sagt anscheinend eher nichts über den zu erwartenden Erfolg aus, auch wenn in einzelnen Studien postuliert wird, dass Patientinnen mit einer höheren Frequenz eher profitieren. ❖
Renate Bonifer
Shamliyan T et al.: Systematic Review: Benefits and Harms of Pharmacologic Treatment for Urinary Incontinence in Women. Ann Int Med 2012; online first April 9, 2012
Interessenkonflikte: Die Studie wurde finanziert von der U.S. Agency for Healthcare Research and Quality.
ARS MEDICI 11 ■ 2012
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