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FORTBILDUNG
TNF-Inhibitoren und neue Biologika in der Rheumatologie
In einem Review haben niederländische Wissenschaftler die Erfahrungen mit Tumornekrosefaktor (TNF-)Inhibitoren der ersten Generation im Management entzündlicher Arthritiden zusammengefasst. Ausserdem diskutieren sie den Stellenwert kürzlich zugelassener Biologika und informieren über neue Wirkstoffe in der Erforschung.
ARTHRITIS RESEARCH & THERAPY
Ein besseres Verständnis der Pathogenese hat zu Fortschritten in der Behandlung entzündlicher Arthritiden wie der rheumatoiden Arthritis (RA), der Spondylitis ankylosans (AS) und der psoriatischen Arthritis (PsA) geführt. Aus Forschungen auf zellulärer und molekularer Ebene geht hervor, dass diesen Erkrankungen einige ähnliche Mechanismen zugrunde liegen. Bedenklicherweise sind die proinflammatorischen Mechanismen bei diesen Erkrankungen bereits im frühen Krankheitsverlauf mit einer progressiven Gelenkzerstörung verbunden. Die Entwicklung biologischer Agenzien, die selektiv Zytokine und somit den Entzündungsvorgang blockieren, stellte einen grossen Fortschritt bei der Behandlung dieser Erkrankungen dar.
TNF-Inhibitoren der ersten Generation Bei dem TNF handelt es sich um ein proinflammatorisches Zytokin, das bei Patienten mit RA, AS und PsA in höheren Konzentrationen vorhanden ist als bei gesunden Personen. Dieses Zytokin spielt eine bedeutende Rolle in der Entzündungskaskade verschiedener inflammatorischer Erkrankungen. TNF ist sowohl ein autokriner Stimulator als auch ein parakriner Induzierer anderer Entzündungszytokine, einschliesslich der Interleukinfamilie.
Merksätze
Derzeit werden hauptsächlich drei TNF-Inhibitoren für das Management entzündlicher Arthritiden verwendet; ❖ Etanercept ist ein dimeres Fusionsprotein, das aus dem
extrazellulären Anteil des humanen TNF-Rezeptors p75 besteht, der mit der FC-Untereinheit des menschlichen IgG1 verbunden ist; ❖ der chimäre monoklonale human-murine Antikörper Infliximab bindet an TNF und setzt sich aus konstanten humanen und variablen murinen Regionen zusammen. ❖ Adalimumab ist ein rekombinanter monoklonaler humaner Antikörper, der speziell an TNF bindet; Alle drei TNF-Inhibitoren haben sich bei RA, AS und PsA als gut wirksam erwiesen. Bei rheumatoider Arthritis führt die Behandlung mit einem dieser Antagonisten bei einem beträchtlichen Anteil der Patienten zu einer verringerten Krankheitsaktivität oder zur Remission. TNF-Inhibitoren können die radiologische Progression deutlich aufhalten und verhindern so eine Behinderung. Da TNF-Inhibitoren meist mit konventionellen DMARD (disease-modifying anthirheumatic drugs) kombiniert werden, ist ein Monitoring erforderlich.
Sicherheit und Antikörperbildung Unter TNF-Inhibitoren wurden bakterielle Infektionen wie Sepsis und Pneumonie sowie invasive fungale Infektionen und andere opportunistische Infektionen beobachtet. Zur Verhinderung einer potenziellen Tuberkulose-Reaktivierung wurde ein Screening eingeführt. Patienten mit Herzinsuffizienz sollten bei einer Behandlung mit TNF-Inhibitoren sorgfältig überwacht werden, da in Studien bei dieser Patientengruppe unerwünschte Wirkungen beobachtet wurden. Zu weiteren, allerdings selten beobachteten Komplikationen, die möglicherweise mit TNF-Inhibitoren im Zusammenhang stehen, gehören demyelinisierende Erkrankungen, Krämpfe, aplastische Anämie, Panzytopenie und induzierter Lupus. Bei allen drei Substanzen kann es zur Bildung von Antikörpern kommen. Die Kombination mit Methotrexat (MTX) scheint die Antikörperbildung zu reduzieren.
❖ Mit TNF-Inhibitoren kann bei entzündlichen Arthritiden das Entzündungsgeschehen gehemmt und die Gelenkzerstörung aufgehalten werden.
❖ Zu den Zielstrukturen alternativer Biologika gehören weitere proinflammatorische Zytokine, T-Zellen, B-Zellen, Adhäsionsmoleküle, Chemokine und extrazelluläre Signalwege.
Applikationswege Alle TNF-Inhibitoren müssen parenteral, entweder intravenös (Infliximab) oder subkutan (Etanercept und Adalimumab), zugeführt werden. Mit der intravenösen Applikation wird durch das rasche Erreichen des erforderlichen Wirkstoffspiegels eine schnelle vollständige Unterdrückung der Entzündung und eine rasche Linderung der Beschwerden erzielt. Mit der subkutanen Zufuhr erreicht man ebenfalls
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Biologika in der Rheumatologie
wenn ein moderater Erfolg in der Kontrolle der klinischen Entzündung erreicht wurde.
TNF-Inhibitoren
Etanercept (Enbrel®) Infliximab (Remicade®) Adalimumab (Humira®) Golimumab (Simponi®) Certolizumab (Cimzia®)
Biologika mit anderen Wirkmechanismen
Rituximab (MabThera®) Abatacept (Orencia®) Tocilizumab (Actemra®) Ustekinumab (Stelara®)
Biologika in der Erforschung
Janus-Kinase-Inhibitor CP-690550: Tofacitinib (nicht im AK der Schweiz) SYK-Hemmer (Spleen-Tyrosinkinase-Inhibitor) R788: Fostamatinib (nicht im «AK» der Schweiz)
gute Behandlungsergebnisse, allerdings erfolgt der Wirkungseintritt etwas langsamer. Einige Patienten empfinden die subkutane Applikation als angenehmer, da sie von ihnen selbst durchgeführt werden kann. Andere bevorzugen die intravenöse Zufuhr und schätzen den regelmässigen Kontakt zum medizinischen Fachpersonal. Zwischen den langfristigen klinischen Ergebnissen, die mit beiden Applikationswegen erzielt werden, wurde bisher kein deutlicher Unterschied beobachtet.
Ungelöste Probleme TNF-Inhibitoren sind derzeit zwar Goldstandard in der Behandlung inflammatorischer Arthritiden, dennoch sind einige Fragen bezüglich des bestmöglichen Nutzens offen. So wird beispielsweise der geeignete Zeitpunkt für den Behandlungsbeginn kontrovers diskutiert. In den neuesten Richtlinien des American College of Rheumatology (ACR) werden RA-Patienten in einem frühen Stadium nicht als potenzielle Kandidaten für eine Behandlung mit Biologika erachtet. Studiendaten weisen jedoch darauf hin, dass die frühzeitige Anwendung von Biologika hoch wirksam ist und bei einigen Patienten damit eine klinische Remission erzielt werden kann. Zudem wird diskutiert, ob bei Patienten mit Komorbiditäten oder bei Patienten, die noch weitere Medikamente einnehmen, ein Monitoring bezüglich spezifischer Toxizitäten erforderlich ist. Eine Auswertung der Datenbank der Australian Rheumatology Association ergab, dass in der Allgemeinbevölkerung der Anteil von Patienten mit Komorbiditäten viel höher ist als bei Teilnehmern randomisierter kontrollierter Studien. Ausserdem ist bei Teilnehmern randomisierter Studien die Krankheitsaktivität zu Behandlungsbeginn aufgrund der Einschlusskriterien oft höher als bei den RA-Patienten in der Allgemeinbevölkerung. Um die Ergebnisse randomisierter Studien zu ergänzen, sind daher möglicherweise observationelle Kohortenstudien erforderlich, in denen die Behandlungsergebnisse für das gesamte Patientenspektrum erfasst werden. So waren TNF-Antagonisten beispielsweise bei der Mehrheit von 417 RA-Patienten der Danish Database for Biological Therapies in Rheumatology aus der Routineversorgung nicht erfolgreich in der Erkrankungskontrolle, auch
Prädiktion der Wirksamkeit Ein weiteres Problem stellt die mangelnde Vorhersagbarkeit des Ansprechens dar. Die Suche nach geeigneten Prädiktoren ist von grosser Bedeutung im Zusammenhang mit der personalisierten Medizin und mit dem Ziel, die Anzahl der Patienten zu erhöhen, die auf ein Medikament gut ansprechen. In einer Studie zur Behandlung mit Infliximab zeigte sich, dass bei Respondern die TNF-Expression vor Behandlungsbeginn erheblich höher war als bei Non-Respondern. Die Anzahl der Makrophagen sowie der Makrophagen-Untereinheiten und der T-Zellen war bei den Respondern ebenfalls höher als bei Patienten, die nicht auf Infliximab ansprachen. Zudem wurden synoviale Lymphozytenaggregationen bei 67 Prozent der Responder, aber nur bei 38 Prozent der Non-Responder nachgewiesen.
Neue Biologika Schlägt die Behandlung mit einem TNF-Blocker fehl, wird derzeit meist ein Versuch mit einem anderen TNF-Blocker vorgenommen. Möglicherweise ist TNF bei primären NonRespondern jedoch nicht das entscheidende Zytokin. Erste Hinweise, dass primäre Non-Responder auch weniger wahrscheinlich auf einen zweiten TNF-Inhibitor ansprechen, haben die Suche nach anderen alternativen Zielstrukturen vorangetrieben. Dazu gehören weitere proinflammatorische Zytokine, T-Zellen und B-Zellen, Adhäsionsmoleküle, Chemokine und extrazelluläre Signalwege. Zu einigen dieser Zielstrukturen wurden neue Medikamente entwickelt. Rheumatologen stehen derzeit vor der Herausforderung, den Stellenwert der neuen Medikamente zu ermitteln und Patienten zu identifizieren, die am meisten von einer bestimmten Substanz profitieren.
Rituximab Bei Rituximab handelt es sich um einen chimären monoklonalen Anti-CD20-Antikörper, der als erste auf B-Zellen abzielende Substanz zur Behandlung der RA zugelassen wurde. Der Antikörper wurde in Kombination mit MTX für erwachsene Personen mit RA mittlerer bis schwerer Aktivität oder stark aktiver RA nach einem Fehlschlag mit mindestens einem TNF-Inhibitor zugelassen. Die Substanz wird intravenös zugeführt. Rituximab kann die Progression der strukturellen Schädigung bei RA über einen Zeitraum von zwei Jahren aufhalten und hemmt bei der Langzeitbehandlung weiterhin den Fortschritt der Gelenkschädigung. In einer Kohortenstudie mit 318 RA-Patienten wurde festgestellt, dass nach mangelnder Wirksamkeit eines TNFBlockers mit einem Wechsel zu Rituximab eine signifikant bessere Wirksamkeit erzielt werden konnte als mit einem Wechsel auf einen anderen TNF-Inhibitor. Wurde der Wechsel auf Rituximab aus anderen Motiven, beispielsweise aufgrund von Nebenwirkungen vorgenommen, zeigte sich dagegen kein Vorteil im Vergleich zum vorherigen TNF-Hemmer.
Abatacept Abatacept ist ein selektiver Modulator der T-Zell-Kostimulation, der über eine intravenöse Infusion verabreicht wird.
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Abatacept verhindert die Aktivierung der T-Lymphozyten inklusive naiver T-Zellen. Die Substanz wurde zunächst zur Behandlung der RA bei erwachsenen Personen nach unzureichendem Ansprechen auf DMARD oder TNF-Inhibitoren zugelassen. Etwas später erfolgte die Zulassung für die Behandlung einer mittel bis schwer aktiven polyartikulären juvenilen idiopathischen Arthritis bei Patienten ab 6 Jahren. In Studien wurde beobachtet, dass die Wirksamkeit von Abatacept mit der Zeit zunimmt. Bei Patienten, die Abatacept zwei Jahre lang erhielten, wurde auch ein signifikantes und zunehmendes Ausmass der Progressionshemmung struktureller Schäden beobachtet. Abatacept könnte somit bei der Mehrheit der Patienten, die darauf ansprechen, eine zunehmende krankheitsmodifizierende Wirkung entfalten.
Tocilizumab Der monoklonale humanisierte Anti-IL-6-Rezeptor-Antikörper Tocilizumab wird ebenfalls über eine intravenöse Infusion verabreicht. Dieser Antikörper unterbindet die Signalübermittlung sowohl über membranständige als auch über lösliche IL-6-Rezeptoren. Tocilizumab hat die Zulassung zur Behandlung einer mittelgradigen bis schweren RA bei erwachsenen Personen erhalten, die unzureichend auf eine Behandlung mit DMARD oder TNF-Antagonisten angesprochen hatten oder diese Substanzen nicht vertrugen. Tocilizumab hat auch bei RA-Patienten Wirksamkeit gezeigt, die gegenüber TNF-Blockern therapieresistent geworden waren. Bei der Behandlung mit Tocilizumab besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Normalisierung der IL-6-Serumlevel und der klinischen Remission. Normale IL-6-Werte könnten daher einen guten Marker für Patienten darstellen, die ihre Behandlung beenden können, ohne ein Wiederaufflackern der Erkrankung zu riskieren. Tocilizumab hat ein gut charakterisiertes Sicherheitsprofil. In Studien waren Infektionen die häufigste unerwünschte Wirkung. Aus Sicherheitsdaten von fünf gepoolten Studien wurden folgende Raten an ernsten unerwünschten Wirkungen ermittelt: 3,5 pro 100 Patientenjahre bei 4 mg/kg und 4,9 pro 100 Patientenjahre bei 8 mg/kg. Unter der Vergleichsmedikation waren es 3,4 ernste unerwünschte Ereignisse pro 100 Patientenjahre über einen durchschnittlichen Behandlungszeitraum von 3,1 Jahren.
Certolizumab Bei Certolizumab handelt es sich um ein pegyliertes FabFragment eines humanisierten monoklonalen Anti-TNFAntikörpers, das die Aktivität von TNF neutralisiert. Certolizumab wurde in Kombination mit MTX zugelassen. Die Pegylierung verlängert die Halbwertszeit des Moleküls und eliminiert den chimären Fc-Anteil. Man hofft, dass die Zugabe von Polyethylenglykol eine länger wirksame Komponente mit weniger Nebenwirkungen hervorbringt. Mit der subkutanen Verabreichung von 400 mg alle 4 Wochen als Monotherapie wurde ein schnelles Ansprechen und eine Reduzierung der Krankheitsaktivität der RA in der ersten Woche erreicht. In Kombination mit MTX reduzierte Certolizumab (400 mg zu Behandlungsbeginn sowie in Woche 2 und Woche 4 und anschliessend 200 mg oder 400 mg alle 2 Wochen) innerhalb eines Jahres die radiologische Progression im Vergleich zur Behandlung mit MTX allein, wobei der
Unterschied bereits nach 6 Monaten eine signifikante Grössenordnung erreichte.
Golimumab Golimumab ist ein monoklonaler voll humaner Anti-TNFIgG-Antikörper, der sowohl auf lösliche als auch auf membranständige Formen von TNF abzielt und beide neutralisiert. Golimumab wurde kürzlich zur monatlichen subkutanen Behandlung erwachsener Personen mit RA, PsA und AS zugelassen. Bei Patienten mit PsA und AS wurde eine ähnliche Wirksamkeit beobachtet wie bei anderen derzeit verfügbaren TNF-Inhibitoren. Bei AS-Patienten kann Golimumab die Funktionsfähigkeit verbessern. Bei der PsA konnte zudem eine Verbesserung der psoriatischen Haut- und Nagelerkrankung erzielt werden.
Ustekinumab Der humane monoklonale Antikörper Ustekinumab richtet sich gegen die p40-Untereinheit von IL-12/IL23 und hat sich bei der Behandlung der PsA als wirksam erwiesen. Ustekinumab wurde zur Behandlung von Patienten mit mittlerer bis schwerer Plaquepsoriasis zugelassen. Für die Therapie der PsA erhielt die Substanz jedoch keine Zulassung.
Kinaseinhibitoren in der Erforschung
Kinasen wie die Janus-Kinase 3 sind intrazelluläre Moleküle,
die bei der Signaltransduktion der Interleukine eine Schlüs-
selrolle spielen. Der orale Janus-Kinase-Inhibitor CP-690550
(Tofacitinib) wurde zur gezielten Blockierung dieser Enzyme
entwickelt. In einer neuen Studie wurde die Wirksamkeit von
zweimal täglich 5 mg, 15 mg oder 30 mg Tofacitinib bei 264
Patienten über einen Zeitraum von 6 Wochen im Vergleich zu
Plazebo untersucht. Anschliessend wurden die Patienten
weitere 6 Wochen beobachtet. Primärer Endpunkt war die
ACR20-Ansprechrate nach 6 Wochen. Die Behandlung
resultierte bereits nach einer Woche entsprechend der Patien-
tenauskunft in einer klinisch bedeutsamen und statistisch
signifikanten Verbesserung. Die Inzidenzen von Erhöhungen
der Blutfettwerte und von Neutropenien sind jedoch bedenk-
lich, sodass weitere Studien benötigt werden.
Auch die SYK (Spleen Tyrosine Kinase) könnte ein vielver-
sprechendes Ziel für eine Immunintervention bei der RA dar-
stellen. Passend zu dieser Zielstruktur wurde R788 (Fosta-
matinib), ein neuartiger Small-molecule-Tyrosin-Kinase-Inhi-
bitor entwickelt. In einer 12-wöchigen doppelblinden Studie
erhielten 142 Patienten mit aktiver RA (trotz Behandlung mit
MTX) zweimal täglich 50 mg, 100 mg oder 150 mg Fosta-
matinib. 47 Patienten erhielten Plazebo. Der primäre End-
punkt, das Ansprechen auf ACR20 in Woche 12, erreichte
die Mehrheit der Patienten unter 150 oder 100 mg Fostama-
tinib. Etwa die Hälfte der Patienten erreichte ein Ansprechen
von ACR50, und mehr als ein Viertel sogar ein Ansprechen
von ACR70. Diese Resultate zeigen, dass SYK-Inhibitoren
genauer untersucht werden sollten.
❖
Petra Stölting
Tak PP, Kalden JR: Advances in rheumatology: new target therapeutics, Arthritis Research & Therapy 2011; 13 (Suppl 1): S5
Interessenkonflikte: Beide Autoren haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.
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