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Titel
Phytotherapie und kardiovaskuläre Beschwerden
Untertitel
-
Lead
Was für Arzneipflanzen mit Wirksamkeit bei kardiovaskulären Beschwerden hat die Evo- lution hervorgebracht? Erstaunlich viele! Zu- oberst auf einer Liste mit herzwirksamen Arzneipflanzen steht natürlich der Weissdorn. Von der Gattung Crataegus eignen sich verschiedene Arten zur Behandlung von Herzbeschwerden, vor allem von Herzinsuf- fizienz. In diesem Heft wird über Studien berichtet, die untersuchen, bei welcher NYHA-Klasse Weissdornpräparate eingesetzt werden können.
Datum
Autoren
-
Rubrik
MEDIZIN — Ars Medici thema Phytotherapie 3/2012
Artikel-ID
1355
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FORSCHUNG
Phytotherapie und kardiovaskuläre Beschwerden

Was für Arzneipflanzen mit Wirksamkeit bei kardiovaskulären Beschwerden hat die Evolution hervorgebracht? Erstaunlich viele! Zuoberst auf einer Liste mit herzwirksamen Arzneipflanzen steht natürlich der Weissdorn. Von der Gattung Crataegus eignen sich verschiedene Arten zur Behandlung von Herzbeschwerden, vor allem von Herzinsuffizienz. In diesem Heft wird über Studien berichtet, die untersuchen, bei welcher NYHAKlasse Weissdornpräparate eingesetzt werden können. Bei NYHA I und II bejahen alle phytotherapeutischen Fachleute eine Wirksamkeit. Für NYHA III liegen einige positive Daten vor,die eineWirksamkeit als möglich erscheinen lassen. Phytotherapeutisch tätige Ärzte und Ärztinnen berichten von weiteren Anwendungsmöglichkeiten des Weissdorns und weiteren herzwirksamen Arzneipflanzen. Eine grosse Vielfalt von pflanzlichen Möglichkeiten, hier vor allem Tinkturenmischungen, bietet sich an zur Behandlung der leichten bis mässigen Hypertonie. Umstritten ist dieWirksamkeit vonWeissdorn bei dieser Indikation. Trotzdem setzen SMGP-Mitglieder Weissdorn zur Blutdrucksenkung ein,jedoch immer in Kombination mit andern Tinkturen. Bei der Vielfalt der andern Arzneipflanzen steht die Schlangenwurz (Rauwolfia serpentina) an erster Stelle, deren therapeutische Breite und die möglichen Nebenwirkungen aber in Betracht gezogen werden müssen. Deshalb braucht es für die Anwendung von Rauwolfia entsprechende Erfahrung. Weiter sind die Mistel (Viscum album), der Knoblauch (Allium sativum), die Blätter des Olivenbaums (Olea europaea), das Herzgespann (Leonurus cardiaca) und der Buschklee (Lespedeza capitata) zu nennen. Die Mehrheit von ihnen hat keine evidenzbasierte Wirksamkeit. Erfahrungsberichte aus der Arztpraxis berichten aber durchaus von Erfolgen. Wie steht es aber um die Bereitschaft be-

troffener Patienten, sich bei Herzbeschwerden mit pflanzlichen Arzneimitteln behandeln zu lassen? Wenn es ums Herz geht, dann gehts ins Auge. Gemeint ist, dass mit Herzbeschwerden nicht gespasst werden darf. Denn schon die alten Völker wussten um die zentrale Bedeutung des Herzens für Leben und Tod. «Das Herz hat aufgehört zu schlagen», war auch schon früher eine Ausdrucksweise, dass jemand gestorben ist.Das ist sicher auch der Grund dafür, dass sehr viele Menschen Herzbeschwerden besondere Aufmerksamkeit schenken und sofort besorgt sind, wenn mit der «Pumpe» etwas nicht in Ordnung ist. Nur nebenbei sei die Bemerkung gemacht, dass zum Teil dieselben Leute dann aber kaum bereit sind, Lebensgewohnheiten aufzugeben, die zu Herzbeschwerden oder sogar einem vorzeitigen Herztod führen können. Rauchen, Bewegungsarmut, falsche Ernährung sind nur einige Beispiele dafür. Man könnte meinen, die grosse Sorge um Herzbeschwerden führe im konkreten Fall sofort zum Wunsch nach möglichst gut und schnell wirksamen Arzneimitteln, sprich synthetischen Präparaten. Das würde wiederum heissen, pflanzliche Arzneimittel spielten bei Anwendungen am Herzen nur eine untergeordnete Rolle. Die Sache muss aber differenziert betrachtet werden. Natürlich wird bei harmlosen Beschwerden wie bei einem grippalen Infekt oder einer Magenverstimmung viel eher eine phytotherapeutische Strategie eingeschlagen als bei Herzinsuffizienz, Rhythmusstörungen oder Herzrasen. Trotzdem gibt es immer wieder Patienten und Patientinnen, die auch im Fall von kardialen Problemen in erster Linie eine Behandlung mit pflanzlichen Arzneimitteln wünschen. Bei einer vorliegenden Hypertonie, zumindest wenn die gemessenen Werte nicht extrem sind, fragen deutlich mehr betroffene Personen nach einer phytotherapeutischen

Lösung als bei Beschwerden, die direkt am

Herzen spürbar sind. Bei der Hypertonie sind

die Beschwerden und die möglichen Folgen

aber weniger unmittelbar wahrnehmbar als

bei Herzinsuffizienz, Herzrasen oder weite-

ren Herzbeschwerden.

Gerade bei kardiosvaskulären Beschwerden,

sei jetzt das Herz direkt oder durch Hyperto-

nie indirekt betroffen, kann man oft ein spe-

zielles Verhalten beobachten, das viel mehr

die Apotheken als die Arztpraxen betrifft. Ein

mit entsprechenden synthetischen Arznei-

mitteln versorgter Herzpatient fragt eben

sehr oft in einer Apotheke nach einer pflanz-

lichen Ergänzung. Es ist nicht rational aus-

drückbar, was von einer solchen Zusatz-

behandlung erwartet wird. Ob damit mögli-

che negative Einflüsse auf den Organismus

abgeschwächt werden sollen oder ob die zu-

sätzliche Gabe eines pflanzlichen Medika-

ments die Therapie optimieren soll, wird in

einem solchen Fall meistens nicht ausge-

drückt.

Wie steht es mit der Bereitschaft auf ärzt-

licher Seite, nicht sofort Kalziumantago-

nisten, Betablocker, ACE-Hemmer und so

weiter zu verordnen, sondern zum Beispiel

auch einmal ein Weissdornpräparat einzu-

setzen? Oder bei einer leichten Hypertonie

zu versuchen, mit einem Tinkturengemisch

den Blutdruck zu senken? Unter den Haus-

ärzten gibt es viele, die auch bei kardialen

Beschwerden individuelle, auf die Be-

schwerden und Patienten zugeschnittene

Therapien anwenden. Die zahlreichen Be-

richte in diesem Heft zeigen dies auf an-

schauliche Weise.

Und die Kardiologen? Das ist eine andere

Geschichte, bei der phytotherapeutische

Fachleute noch viel Überzeugungsarbeit

leisten müssen ...

Dr. C. Bachmann

3/2012

thema PHYTOTHERAPIE

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