Transkript
POLITFORUM
Indien als Apotheke der Armen – kostengünstigen Zugang zu Medikamenten sichern
INTERPELLATION vom 19.12.2011
Hildegard FässlerOsterwalder Nationalrätin SP Kanton St. Gallen
Die Schweiz fordert in den EFTA-FreihandelsVerhandlungen mit Indien die Ausweitung der geistigen Eigentumsrechte auf Testdaten. Während Jahren wären hohe Entschädigungen fällig, damit indische Zulassungsbehörden für Medikamente die Testdaten des Erstanmelders bei der Zulassung eines Generikums verwenden könnten. Der Zugang zu lebensnotwendigen und günstigen Medikamenten würde stark erschwert. Sie kämen nur zeitlich verzögert und/oder zu höheren Preisen auf den Markt. 1. Teilt der Bundesrat die Befürchtung des
Uno-Sonderbeauftragten für das Recht auf Gesundheit und UNAIDS (wird auch von der
Schweiz unterstützt), dass – gerade in Indien – ein verstärkter Schutz von Testdaten den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten für Millionen von Menschen erschwert, mit dramatischen Folgen für das Recht auf Gesundheit? 2. Indische Generikahersteller liefern in Entwicklungsländern 80 Prozent der Geberfinanzierten antiretroviralen Medikamente (ARV) zur HIV-Behandlung. 96 von 100 Ländern (namentlich die Ärmsten mit besonders vielen HIV-Erkrankten) kaufen ARVMedikamente in Indien. Wie stellt der Bundesrat sicher, dass Indien diese Rolle als «Apotheke der Armen» weiter einnehmen kann? Was bedeutet dies für den beanspruchten Schutz von Testdaten? 3. Westliche Multis (und das Seco) beziehen sich auf Artikel 39.3 TRIPS-Abkommen zum Schutz von Testdaten gegen «unfair commercial use». Die zuständige WHO-Kommission CIPIH, Prof. Carlos Correa (Buenos Aires) u.a., bestreiten aber, dass sich daraus eine exklusive Verwendung von Testdaten oder eine Entschädigungspflicht ab-
leiten lasse. Noch nie versuchte ein Land, dies bei der WTO-Schlichtungsstelle (DSM) durchzusetzen. Wie beurteilt der Bundesrat diesen Rechtsstreit? 4. Die eine Schweiz (Seco) fordert mit dem Testdatenschutz eine Stärkung der geistigen Eigentumsrechte im Gesundheitsbereich. Die andere Schweiz (Deza) tritt «in Debatten zu geistigen Eigentumsrechten und bei Entscheidungen über Handelsstrategien für die vorrangige Berücksichtigung der Anliegen zum Wohl der öffentlichen Gesundheit ein» (Deza-Website). Was von beidem gilt nun? 5. Der Uno-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte empfiehlt der Schweiz im jüngsten Staatenberichtsverfahren, bei TRIPS-plus-Forderungen deren möglicherweise negative Effekte auf den Zugang zu Medikamenten zu beachten. Wie setzt der Bundesrat diese Empfehlungen gegenüber Indien um?
Stand der Beratung: Im Plenum noch nicht behandelt.
Bessere Kontrolle bei der Verschreibung von Ritalin
PARLAMENTARISCHE INITIATIVE vom 23.12.2011
Oskar Freysinger Nationalrätin EVP Kanton Bern
Gestützt auf Artikel 160 Absatz 1 der Bundesverfassung und Artikel 107 des Parlamentsgesetzes reiche ich folgende parlamentarische Initiative ein: Der Initiant verlangt, dass in Zukunft nur noch Spezialisten im Fall von ADHS Ritalin verschreiben dürfen.
Begründung Als Antwort auf meine Interpellation 11.3878 vom 29. September 2011 erklärte der Bundesrat den Umstand, dass im Tessin 5-mal weniger Ritalin verschrieben werde als in anderen Kantonen, mit «einem kulturell bedingten Hintergrund (mediterrane Gesellschaft) oder einer anderen Behandlungsphilosophie im Zusammenhang mit der Erkrankung ADHS». Angefügt wird auch das Argument der «stadtähnlichen Lebensweisen», die eine erheblich höhere Ritalinabgabe erklärten als im ländlichen Tessin. Dies führt zwingend zum Schluss, dass die Abgabe von Ritalin nicht primär in Beziehung zur realen Krankheit erfolgt, sondern von
umweltbedingten, sozialen und kulturellen Einflüssen bestimmt wird. Daher die Forderung, die ständig steigende und oft leichtfertige Abgabe von Ritalin (auch an Erwachsene!) dadurch einzudämmen, dass fortan nur mehr Spezialärzte dieses Medikament abgeben dürfen. Das BAG hat Anfang 2010 eine solche Massnahme angekündigt und aus nicht nachvollziehbaren Gründen wieder fallen gelassen.
Stand der Beratung: Im Plenum noch nicht behandelt.
XUNDHEIT IN BÄRN
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XUNDHEIT IN BÄRN
POLITFORUM
KVG – vom System des Tiers garant zum System des Tiers payant
PARLAMENTARISCHE INITIATIVE vom 20.12.2011
Mauro Poggia Nationalrat MCR Kanton Genf
Gestützt auf Artikel 160 Absatz 1 der Bundesverfassung und auf Artikel 107 des Parlamentsgesetzes reiche ich folgende parlamentarische Initiative ein: Artikel 42 Absätze 1 bis 3 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung wird wie folgt geändert: Art. 42 Abs. 1 Der Versicherer schuldet dem Leistungserbringer die Vergütung der Leistung (System des Tiers payant). Abs. 2 Bei stationärer Behandlung schuldet der Versicherer den auf ihn entfallenden Anteil an der Vergütung. Abs. 3 Der Leistungserbringer muss dem Versicherer eine detaillierte und verständliche Rechnung zustellen. Er muss ihm auch alle Angaben machen, die er benötigt, um die Berechnung der Vergütung und die Wirtschaftlichkeit der Leistung überprüfen zu können. Die versicherte Person erhält eine Kopie der Rechnung, die an den Versicherer gegangen ist. Bei stationärer Behandlung weist das Spital die auf Kanton und Ver-
sicherer entfallenden Anteile je gesondert aus. Der Bundesrat regelt die Einzelheiten. ...
Begründung Artikel 42 Absatz 1 KVG führt das System des Tiers garant ein, aufgrund dessen, falls Versicherer und Leistungserbringer nichts anderes vereinbart haben, die Versicherten den Leistungserbringern die Vergütung der Leistung schulden. Absatz 2 sieht bei stationärer Behandlung demgegenüber das System des Tiers payant für den auf den Versicherer entfallenden Anteil an der Vergütung vor. So muss die versicherte Person die Behandlungs- und Arzneimittelkosten selbst übernehmen, es sei denn, sie tritt die Forderung gegenüber dem Versicherer an den Leistungserbringer ab (Abs. 1 in fine). Dieses Prinzip, das die Versicherten trotz meist hoher Prämien zu Vorschusszahlungen für die Behandlungskosten zwingt, wurde namentlich kritisiert, als sich einige Versicherer die gesetzliche Freiheit zunutze machten und die mit den Apotheken abgeschlossenen Vereinbarungen kündigten, um sich so aus der Pflicht des Tiers payant zu stehlen. Die Antwort des Bundesrats vom 11. März 2011 auf die Anfrage Schenker Silvia ist diesbezüglich besonders unbefriedigend, da den Versicherten nahegelegt wird, entweder ihre Apotheke zu bitten, gegen Rechnung bezahlen zu können, sodass sie die Überweisung des Betrags durch den Versicherer abwarten können, oder Arzneimittel bei einer Versandapotheke zu beziehen, bei der sie ebenfalls gegen Rechnung bezahlen können.
Der Bundesrat hält in seiner Antwort fest, dass 90 Prozent der Versicherer mit den Apotheken eine Vereinbarung auf Basis des Systems des Tiers payant abgeschlossen haben. Es ist somit klar, dass die Versicherer, die das System gewechselt haben, dies nur getan haben, um eine Risikoselektion vornehmen zu können, und darauf spekulierten, dass Versicherte mit hohen Behandlungskosten auf andere Versicherungen ausweichen. Was die ambulanten Behandlungskosten betrifft, zeigt die Praxis, dass viele Patienten und Patientinnen wegen unzureichender finanzieller Mittel die von den Versicherern geleisteten Rückerstattungen für anderes verwenden als für die Bezahlung ihrer Behandlung. Dies führt schliesslich dazu, dass sie nicht zum Arzt oder zur Ärztin gehen, obwohl dies aus medizinischer Sicht nötig wäre. Mit der Änderung von Artikel 64a KVG, die am 1. Januar 2012 in Kraft tritt, konnte das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit der versicherten Person zulasten des Versicherers durch die Abwälzung auf die Kantone nochmals reduziert werden. Das System des Tiers garant braucht es deshalb nicht mehr, und es stellt nur ein Hindernis dar bei der Behandlung gewisser Patienten und Patientinnen, vor allem solcher mit chronischen Krankheiten.
Stand der Beratung: Im Plenum noch nicht behandelt.
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