Transkript
Rosenbergstrasse 115
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Immerhin, ein Teil der bürgerlichen Politiker ist vernünftig geworden. Wenigstens die SVP lehnt (neben Teilen der SP, die dafür allerdings andere Gründe haben) die unselige ManagedCare-Vorlage ab, über die es am 17. Juni abzustimmen gilt.
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Jahre-, nein, jahrzehntelang haben die Hausärzte darauf hingewiesen, ohne dass die Mehrheit der Politiker es zur Kenntnis nehmen wollte; jetzt, nachdem es fast zu spät ist, ist endlich sogar der (neue) Bundesrat darauf aufmerksam geworden: Wir werden in wenigen Jahren dramatisch zu wenige Hausärzte haben. Die Reaktion wie immer: Aktionismus und Hoppla-jetzt-mussetwas-geschehen-Politik: Eine bessere Entschädigung für die Hausärzte (was begrüssenswert ist) und gleichzeitig Einschränkungen bei den Spezialärzten. Die Folgen einer miserablen Politik (die dank Labortarifsenkung, Einschränkung der Selbstdispensation und immer mehr Versicherungs- und Fortbildungsbürokratie den Hausärzten in den vergangenen Jahren ausschliesslich geschadet hat) jetzt den Fachärzten aufzubürden und deren Einkommen zu reduzieren, ist so ziemlich der sicherste Weg ins nächste Schlamassel.
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«Regulierungslücken schliessen.» Wenn ein Begriff zum Unwort des Jahres taugt, dann dieser. Leider scheint er eher zur Normalität unseres Lebens zu werden. Früher waren Lücken der Inbegriff von Freiheit, Regeln bedeuteten Einengung. Heute machen Lücken vielen Leuten Angst. Fazit: Regeln (Gesetze) sind die Tranquilizer der modernen Gesellschaft, und sie werden mindestens so exzessiv verwendet und missbraucht. Schade nur, dass nicht bei jedem Gesetz und jeder Verordnung stehen muss: Zu Wirkungen und Nebenwirkungen lesen Sie die Verordnungen oder fragen Sie Ihren Juristen. Oder vielleicht doch besser: … Ihren Arzt, Psychiater oder Apotheker.
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Dass der Bundesrat (und die Kantone gleichermassen) «mit seinen Verordnungen die grösste einzelne Gefahr für die alltägliche Freiheit der Bürger darstellt», zu diesem Schluss kommen noch andere (das Zitat stammt von Beat Kappeler). Verordnungen sind jene Teile des Gesetzes, die weder die Parlamentarier noch die Bürger selber beeinflussen können. Sie sind die Grundlage für all die kleinlichen Schikanen in Form von Gebühren, Verboten und Vorschriften im Alltag, gegen die Sie sich nicht wehren können.
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Auch Überwachungskameras sind eine Art Tranquilizer. Gegen 150 000 Kameras überwachen derzeit allein in unserem Land die Wege der Schweizer (und Ausländer). Schlimmer (oder beruhigender?) ist’s allerdings in London. Dort wird jeder Einwohner täglich im Durchschnitt rund 300-mal gefilmt.
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Gut, die Geschichte betrifft Deutschland, und selbstverständlich machen wir Schweizer es besser. «Lustig» ist sie trotzdem, die Geschichte, und, so ist zu befürchten, nicht einmalig. 100 Millionen Euro hat Deutschland als Entwicklungshilfe für die Stromversorgung in Afghanistan zur Verfügung gestellt. 5 Millionen davon für Verkehrsampeln und Strassenlaternen in Kabul (etwa 1 Mio. für die Ampeln, der Rest für «die Administration»). Die Ampeln stehen auch tatsächlich. Nur funktionieren sie nicht, weil selten Strom fliesst. Der Strom sollte aus einem schon früher von der Entwicklungshilfe finanzierten Wasserkraftwerk kommen. Leider funktioniert das Kraftwerk selten, erstens, weil der Fluss im Sommer nie Wasser führt – was zwar die lokalen Bauern wussten, nicht aber die Kraftwerkbauer –, und zweitens, weil zwar ein Kraftwerk geliefert wurde, nicht aber das für Reparaturen nötige Know-how. Und Reparaturen
wären häufig nötig gewesen; nur war leider niemand da, um sie auszuführen. Und wenn ein Techniker kam, dann hatte er keinen Strom, um die Geräte laufen zu lassen. Nicht mal einen Dieselgenerator (zu teuer!).
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Ja doch, es gibt auch Profiteure dieser Art Entwicklungshilfe: die Kraftwerklieferanten und «die Administration» in Afghanistan. Und: die völlig ahnungslosen Projektmanager in den Büros der Entwicklungshilfezentralen.
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Tätowierte pflegen eben doch etwas lockerere Sitten, wie eine Studie zeigt. Wer ein Tattoo oder Piercings trägt, hat am Samstagabend einen höheren Alkoholpegel im Blut als jemand mit unillustrierter Haut. Vorsicht also sei all jenen versteckten Schmetterlingsoder Schlangenträger(inne)n empfohlen, die mit einem Hauch Verruchtheit kokettieren, denen dieses Image am Ende aber doch peinlich ist.
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Die Spiessigkeit der Fünfziger- und Sechzigerjahre ist zurück gekehrt, unter anderem Namen: sie nennt sich «political correctness». Ironischerweise wird sie von jenen politischen Gruppierungen am heftigsten eingefordert, die damals militant gegen das Spiessertum kämpften. Vielleicht sind das die Schäden des Gangs durch die Institutionen.
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Und das meint Walti: Unterstelle nie Bösartigkeit, wo Dummheit als Erklärung ausreicht.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 9 ■ 2012
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