Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Angewandte Forschung:
Ein «intelligentes» Pflegebett
Bei bettlägerigen Patienten ist die Verhinderung von Dekubitusgeschwüren ein vorrangiges Behandlungsziel. Com-
pliant Concept, ein Spin-off der EMPA und der ETH Zürich, hat nun den Mobility Monitor entwickelt, der das Pflegepersonal dabei unterstützen soll. Die Messeinheit des neuen Systems ist unter der Matratze fixiert und sowohl mit dem Displaygerät am Bettrand als auch mit einer Lichtrufanlage verbunden. Der Mobility Monitor zeigt im Ampelsystem, wie mobil die bettlägerige Person gegenwärtig ist und liefert dem Pflegepersonal dadurch wertvolle Informationen, das Dekubitusrisiko richtig einzuschätzen und unnötige physische Belastungen beim Umlagern
zu vermeiden. Oft ist das Pflegeperso-
nal unsicher, ob sie die Patientinnen
oder Patienten überhaupt umlagern
müssen. Gerade nachts wäre es oft bes-
ser, den Schlaf nicht unnötig zu stören.
Das System erinnert ausserdem an die
nächste Umlagerung und warnt über
die Lichtrufanlage, wenn Bewegungen
über längere Zeit ausbleiben. Firmen-
gründer Michael Sauter und sein Team
haben sich aber ein noch ambitionierte-
res Ziel gesteckt: Sie wollen ein kom-
plettes Pflegebettsystem etablieren, das
die Bewegungen eines gesunden Men-
schen während des Schlafs imitiert und
so die Patientinnen und Patienten stetig
und sanft umlagert. Noch steckt man
aber in der Entwicklungs- und Finan-
zierungsarbeit.
Red.❖
Bild: H.B.
Prävention
Stretching gegen Beinkrämpfe
Was viele Praktiker aus Erfahrung wissen, wurde nun in einer randomisierten Studie bestätigt: Stretching vor dem Schlafengehen mindert das Risiko für nächtliche Beinkrämpfe. In die holländische Studie wurden 80 Probanden im Alter über 55 Jahre aufgenommen, die kein Chinin gegen ihre nächtlichen Wadenkrämpfe einnahmen (eine Off-Label-Anwendung, die wegen
der zahlreichen Nebenwirkungen des Chinins eher nicht empfohlen wird). Grund für den ausdrücklichen Chininausschluss war eine frühere Studie, in welcher das Stretching keinen messbaren Effekt bewirkte, was man auf den Chiningebrauch der damaligen Probanden in beiden Gruppen zurückführte; das Stretching habe demnach keinen zusätzlichen Effekt mehr entfalten können.
Der nunmehr reine Vergleich «Stret-
ching versus kein Stretching» zeigte,
dass 3-minütige Dehnübungen vor dem
Schlafengehen die durchschnittliche
Anzahl nächtlicher Beinkrämpfe nach-
weisbar senken können. Die Probanden
hatten zu Beginn im Durchschnitt 3,4
Krämpfe pro Nacht. Nach 6 Wochen
mit Stretching waren es 1,2 Krämpfe
pro Nacht weniger (95%-KI: 0,6–1,8).
Auch waren die Schmerzen bei einem
Krampf bei den Patienten mit Stret-
ching etwas geringer.
RBO❖
Hallegraeff JM et al.: Stretching before sleep reduces the frequency and severity of nocturnal leg cramps in older adults: a randomized trial. J of Physiotherapy 2012; 58: 17–22.
Medikamentenvergleich
Avastin und Lucentis gleichwertig bei AMD
Die Antikörper Bevacizumab (Avastin®) und Ranibizumab (Lucentis®) erwiesen sich im direkten Vergleich als gleichwertig bei altersbedingter Makuladegeneration. Dies berichtet das US-amerikanische National Eye Institute (NEI) in einer Pressemitteilung zum Abschluss der von ihm durchgeführten CATT-Studie (Comparison of AMD Treatments Trials).
Abgesehen von Preis und zugelassener Indikation unterscheiden sich die beiden Antikörper kaum voneinander, aber nur das wesentlich teurere Lucentis® ist bei AMD zugelassen. Dem Off-Label-Gebrauch von Avastin® steht neben der juristischen Haftungsfrage auch die Notwendigkeit entgegen, das für onkologische Zwecke abgepackte Avastin® für den Gebrauch in der
Ophthalmologie neu portionieren zu
müssen sowie das bis anhin gängige
Argument Lucentis® sei speziell für das
Auge entwickelt und darum besser für
die Patienten. Dieses Argument sei nun
entkräftet, meint Dr. Paul A. Sieving,
Direktor des NEI: «Die Ergebnisse
dieser Studie liefern den Beweis, dass
eine langfristige Behandlung mit jeder
dieser Substanzen zu einer stabilen und
anhaltenden Verbesserung der Seh-
schärfe führt.»
RBO❖
Pressemitteilung des Nation Eye Institute vom 30. April 2012
422
ARS MEDICI 9 ■ 2012
Alte Menschen in randomisierten Studien:
Untersucht werden meistens die Falschen
Ein überwiegender Anteil von Medikamenten wird älteren Menschen verschrieben. Diese Bevölkerungsgruppe wächst in den industrialisierten Ländern rasant, sodass sie für den Behandlungserfolg neuer Therapien immer wichtiger wird. In eklatantem Kontrast dazu steht die Tatsache, dass genau diese Patienten in den randomisierten Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit untervertreten sind, stellen französische Forscher um Cécile Konrat in einer Publikation im freien Internetjournal «PLoS One» fest. Sie untersuchten die Studien zwischen 1966 und 2008 zu vier Wirkstoffen – Pioglitazon, Rosuvastatin, Risedronsäure und Valsartan –, die alle bei alten, chronisch kranken Patienten häufig eingesetzt werden. Anhand von Schätzungen der unter Behandlung stehenden Populationen auf Basis einer Versicherungsdatenbank, die rund 86 Prozent der französischen Bevölkerung umfasst, und von Verschreibungsdaten konnten sich die Autoren ein Bild zur Häufigkeit der Einnahme der vier Medikamente machen. Von den 155 Berichten zu randomisierten kontrollierten Studien befassten sich nur 3 Studien ausschliess-
lich mit älteren Patienten (2 mit Valsartan,
1 mit Risedronsäure). Nur bei 4 von 37 (10,8%)
Studienberichten für Pioglitazon, 4 von 22
(18,2%) für Risedronsäure, 3 von 29 (10,3%)
für Rosuvastatin und 9 von 67 (13,4%) für
Valsartan entsprach der Anteil der Patienten
ab 65 Jahre demjenigen in der klinischen
Praxis oder lag darüber. Bei 62,2 Prozent der
Studienberichte für Pioglitazon, 40,9 Prozent
für Risedronsäure, 37,9 Prozent für Rosuva-
statin und bei 70,2 Prozent für Valsartan
machte der Anteil der Patienten ab 65 Jahre
weniger als die Hälfte derjenigen in der
realen Behandlungssituation aus. Die Vertre-
tung von Senioren zeigte keine Abhängigkeit
vom Publikationsdatum oder von der Grösse
der Behandlungsgruppe. Dass in randomi-
sierten klinischen Studien gerade diejenigen
untervertreten sind, die in der Praxis am häu-
figsten mit den Prüfmedikamenten behandelt
werden, hält also an.
HB❖
Konrat C, Boutron I, Trinquart L, Auleley G-R, Ricordeau P, et al. (2012) Underrepresentation of Elderly People in Randomised Controlled Trials. The Example of Trials of 4 Widely Prescribed Drugs. PLoS ONE 7(3): e33559. doi:10.1371/journal.pone.0033559
RÜCKSPIEGEL
Vor 10 Jahren
Acrylamid
In die Schlagzeilen gerieten zahlreiche stärkehaltigen, hoch erhitzten Nahrungsmittel wie Brot oder Kartoffelchips, nachdem man dort mithilfe einer neuen Analysemethode Acrylamid nachgewiesen hatte. In der Folge kommt es zu einem wahren «Acrylamid-Hype» in den Medien. Auch in Keksen und Kaffee findet man den Schadstoff. Acrylamid entsteht bei hohen Temperaturen,
wenn Zuckermoleküle mit der Aminosäure Asparagin reagieren. Heute ist die öffentliche Aufregung um das Acrylamid längst abgeflaut und andere Lebensmittelskandale bewegen die Gemüter (Foto: Gudlyf, cc).
Vor 50 Jahren
Blei im Benzin
Das Blei im Benzin wird zunehmend als Gesundheitsrisiko erkannt. So kritisiert ein Schweizer Arzt in einem 1962 in ARS MEDICI publizierten Artikel ausdrücklich die «Eidgenössische Bleibenzinkommission», weil diese die
Prävention
Ärzte tun zu wenig für die eigene Fitness
Während Ärzte ihren Patienten Tag für Tag ins Gewissen reden, mehr für die körperliche Fitness zu tun, vernachlässigen sie offenbar ihre eigene. Dies lässt sich zumindest aus dem Ergebnis von Fitnesstests schliessen, die das Institut für Sport und Sportwissenschaft Karlsruhe mit 1919 Ärztinnen und Ärzten durchführte, die an Fortbildungsveranstaltungen zu Diabetes und Präventionsmedizin teilnahmen. Die 26 bis 75 Jahre alten Probanden mussten dabei 2 Kilometer möglichst rasch, mit Armeinsatz und in einem Bereich von 80 bis 95 Prozent der maximalen Herzfrequenz «walken». Ärzte schnitten dabei eher unterdurchschnittlich ab und erreichten 92 Prozent der Norm. Ärztinnen scheinen hingegen mehr auf ihre
Fitness zu achten, denn sie lagen im Durchschnitt über der Norm (103%). Dieser Unterschied zeigte sich erst ab einem Alter von 35 Jahren, vor allem die 66- bis 75-jährigen Ärzte waren im Vergleich mit ihren gleichaltrigen Kolleginnen deutlich weniger leistungsfähig. Studienleiter Klaus Bös erstaunte das nicht, denn dies spiegele letztlich die Unterschiede im allgemeinen Gesundheitsverhalten von Männern und Frauen wider: In der Regel seien Frauen gesundheitsbewusster, sagte er der «Ärzte-Zeitung Deutschland». RBO❖
Ärzte Zeitung, 1. Mai 2012: Ärzte unfitter als der Durchschnittsbürger.
Ansicht vertrat, dass von einer Gefährdung der Schweizer Bevölkerung nicht gesprochen werden könne. Erst 1985 wird in der Schweiz bleifreies Normalbenzin angeboten, 1993 folgt bleifreies Super Plus. Seit 2000 ist verbleites Benzin in der EU und in der Schweiz verboten (Foto: futureatlas, cc).
Vor 100 Jahren
Strahlentherapie
In Berlin wird das «Radium-Institut der Königlichen Charité für biologisch-therapeutische Zwecke» eröffnet. Sponsoring war auch damals wichtig: Das Institut werde auch von einigen angesehenen Radiumfirmen durch Beiträge sowie durch Material und Messgeräte unterstützt, heisst es im ersten Jahresbericht des Instituts.