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BERICHT
Malignes Melanom
Licht am Ende des Tunnels?
Rund 1700 Menschen erkranken jedes Jahr in der Schweiz neu an einem malignen Melanom. Das maligne Melanom ist weltweit der Tumor mit der am schnellsten zunehmenden Inzidenz. Wird die gefährliche Erkrankung nicht ausreichend therapiert, führt sie auch heute noch zum Tod. Doch neue Therapieoptionen geben Anlass zur Hoffnung.
CLAUDIA BORCHARD-TUCH
Bei der Behandlung des malignen Melanoms steht die vollständige operative Entfernung der Hautveränderung an erster Stelle. Bei lokaler Metastasierung müssen umgebende Lymphknoten entfernt werden. Eine effiziente adjuvante Therapie ist bei Patienten mit dem Risiko einer Metastasierung von grösster Bedeutung. Bisher waren die Therapiemöglichkeiten bei einem bereits metastasierten malignen Melanom unbefriedigend. So erzielten Strahlen-, Chemo- oder Immuntherapie lediglich Ansprechraten von 5 bis 15 Prozent und ein Gesamtüberleben von 6 bis 9 Monaten. Seit Kurzem stehen jedoch zwei Substanzen zur Verfügung, die mit ganz unterschiedlichen Ansätzen neue Hoffnungen geweckt haben.
Adjuvante Therapie mit Interferonen Eine adjuvante Therapie ist vor allem bei einem ulzerös veränderten Tumor ab einer Dicke von 2 mm indiziert. Die Therapie muss individuell auf den Patienten abgestimmt sein. Unspezifische Immunstimulanzien (BCG oder Misteltherapie) zeigten keine Wirkung.
Die bis heute einzige adjuvante Behandlungsform mit nachgewiesenen Vorteilen ist die Therapie mit Interferonen (IFN). Die zur Verfügung stehenden, rekombinant herstellbaren IFN-α2a (Roferon A®) und IFN-α2b (Intron A®) unterscheiden sich nur in zwei Aminosäuren und sind hinsichtlich ihrer Rezeptorbindung, ihrer Wirksamkeit und ihrer Nebenwirkungen als weitgehend äquivalent anzusehen. Gegenwärtig werden im Wesentlichen zwei Therapieschemata angewendet (Tabelle 1). IFN-α2a wurde im Niedrigdosisschema untersucht und wird nur in dieser Dosierung empfohlen. IFN-α2b hingegen sollte hoch dosiert verabreicht werden. Im Stadium der Lymphknotenmetastasierung (Stadium III, vgl. Tabelle 2) wurden international mehrere randomisierte Therapiestudien mit verschiedenen Dosierungen durchgeführt. Die Wirksamkeit von IFN-α2b konnte nur bei der Hochdosistherapie nachgewiesen werden. In drei prospektiven randomisierten Studien ergab sich eine Erhöhung der rezidivfreien Überlebensrate im Vergleich zu unbehandelten Kontrollpatienten (2 Studien) oder Patienten mit einer Gangliosidvakzinierung (1 Studie). Die Ergebnisse bisheriger prospektiver randomisierter Studien zur niedrig dosierten Therapie im Stadium III waren hingegen nicht eindeutig. Die Mehrzahl der Studien konnte weder für das rezidivfreie Überleben noch für das Gesamtüberleben einen signifikanten Vorteil nachweisen. Die Verbindung konventioneller Interferonmoleküle mit Polyethylenglykol (PEG) führt zu einer Verlängerung der Halbwertzeit des pegylierten Interferons. Deshalb braucht das Medikament nur einmal wöchentlich appliziert werden. Dies trägt sicherlich dazu bei, die Lebensqualität des Patienten zu
verbessern. In einer Studie der EORTC (European Organisation for Research and Treatment of Cancer) wurde die Wirksamkeit von pegyliertem IFN-α2b (PegIntron®, 6 µg/kg wöchentlich über 8 Wochen, dann Erhaltungsphase über 5 Jahre mit 3 µg/kg wöchentlich) im Vergleich zu alleiniger Beobachtung untersucht. An der Studie nahmen 1256 Patienten im resezierten Stadium III mit mikroskopischen und makroskopischen Lymphknotenmetastasen teil. Das rezidivfreie Überleben wurde durch die Therapie mit pegyliertem Interferon im Vergleich zu den unbehandelten Kontrollpatienten statistisch signifikant von 25,5 auf 34,8 Monate verlängert. Für das Gesamtüberleben ergab sich hingegen kein statistisch signifikanter Unterschied.
Hoffnung bei Metastasen Bereits im vergangenen Jahr wurde der humane Antikörper Ipilimumab für die Therapie des fortgeschrittenen, das heisst nicht resezierbaren oder metastasierten Melanoms zugelassen. Ipilimumab ist als Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung im Handel (Yervoy® 5 mg/ml) und wird als 90-minütige intravenöse Infusion gegeben. Die empfohlene Dosis liegt bei 3 mg pro kg Körpergewicht und wird insgesamt viermal im Abstand von je 3 Wochen verabreicht. Vor jeder Medikamentengabe müssen die Leberfunktion und die Schilddrüsenwerte kontrolliert werden. Ipilimumab ist ein humaner Antikörper, der gegen das Protein CTLA-4 (Cytotoxic T-Lymphocyte Antigen 4) gerichtet ist, das auf der Oberfläche von T-Zellen exprimiert wird. CTLA-4 hemmt die Aktivität der T-Zellen. Verbindet sich Ipilimumab mit CTLA-4, wird dessen Wechselwirkung mit seinen Liganden CD80/CD86 blockiert. Ipilimumab verstärkt somit indirekt die
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Tabelle 1:
Behandlungsschemata für die adjuvante Therapie mit IFN-α
Schema Niedrigdosisschema
Hochdosisschema Einleitung
Erhaltung
Pegyliertes IFN-α2b Einleitung Erhaltung
Dosis
3 Mio. IE s.c.
Frequenz
Tag 1, 3 und 5 jeder Woche
Dauer
18 Monate
Indikation
Stadium II–III
20 Mio. IE/m2 i.v. als Kurzinfusion
10 Mio. IE/m2 s.c.
Tag 1–5 jeder Woche
Tag 1, 3 und 5 jeder Woche
4 Wochen Stadium III 11 Monate Stadium III
6 µg/kg/Woche s.c. Tag 1 jeder Woche 3 µg/kg/Woche s.c. Tag 1 jeder Woche
8 Wochen Stadium III
bis zum Ende Stadium III von 5 Jahren
Tabelle 2:
Melanomklassifikation des American Joint Committee on Cancer (AJCC)
Stadium Ia Stadium Ib
Stadium IIa
Stadium IIb
Stadium IIc Stadium III Stadium IV
Tumor ≤ 1 mm, ohne Ulzeration Tumor ≤ 1 mm, mit Ulzeration Tumor 1,01–2 mm, ohne Ulzeration
Tumor 1,01–2 mm, mit Ulzeration Tumor 2,01–4 mm, ohne Ulzeration
Tumor 2,01–4 mm, mit Ulzeration Tumor > 4 mm, ohne Ulzeration
Tumor > 4 mm, mit Ulzeration
Befall von Lymphknoten, die direkt im Abfluss des Melanoms liegen
Metastasen jenseits der abführenden Lymphknoten
T-Zell-vermittelte Immunantwort. Bei Melanompatienten stieg die mittlere Lymphozytenzahl im peripheren Blut während der gesamten Induktionsphase dosisabhängig an. In der doppelblinden Phase-III-Studie MDX010-20 erhielten 676 Melanompatienten im Stadium IV entweder Ipilimumab als Monotherapie oder in Kombination mit einem experimentellen gp100-Peptidvakzin oder nur das Vakzin. Alle Patienten waren vorbehandelt, unter anderem mit Interleukin 2, Dacarbazin, Temozolomid oder Carboplatin. Je nach Verträglichkeit erhielten sie 4 Dosen des Antikörpers alle 3 Wochen. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben in den Ipilimumabgruppen im Vergleich zur
gp100-Gruppe. Das neue Medikament zeigte sich statistisch signifikant überlegen. Die mittleren Überlebenszeiten in den Ipilimumabgruppen lagen bei etwa 10 Monaten im Vergleich zu 6 Monaten in der Vakzinegruppe. Es gab keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Ipilimumabgruppen. Nach einem Jahr lebten 46 Prozent der Patienten unter Ipilimumab gegenüber 25 Prozent unter gp100; nach 2 Jahren waren es 24 versus 14 Prozent. Dieser Therapieerfolg ging jedoch mit teilweise schweren immunologischen Nebenwirkungen einher, denen eine gesteigerte Aktivität des Immunsystems zugrunde lag. Bei schweren und lebensbedrohlichen Nebenwirkungen an Magen-Darm-Trakt, Leber, Haut,
Nervensystem und anderen Organen muss die Behandlung sofort beendet werden, in leichteren Fällen wird sie unterbrochen. Die häufigsten Nebenwirkungen waren in der Phase-III-Studie Diarrhö, Hautausschlag, Juckreiz, Fatigue, Übelkeit und Erbrechen, verminderter Appetit und Bauchschmerzen. Diese waren meist leicht bis mässig ausgeprägt (Grad 1 oder 2). Jedoch erlitten 10 bis 15 Prozent der Patienten schwerwiegendere immunologische Nebenwirkungen von Grad 3 oder 4 gegenüber 3 Prozent in der gp100-Gruppe. Es gab 14 arzneimittelbezogene Todesfälle, deren Hälfte mit immunologischen Nebenwirkungen assoziiert war. Das zweite neu zugelassene Medikament wirkt spezifischer. Vemurafenib (Zelboraf®) wird morgens und abends jeweils 1 Stunde vor oder 2 Stunden nach dem Essen in Tablettenform eingenommen. Die empfohlene Tagesdosis liegt bei 1920 mg. Verumafenib ist ein niedrig molekularer Proteinkinaseinhibitor, der ein zentrales Protein im RAS-RAF-Signaltransduktionsweg blockiert: die SerinThreonin-Proteinkinase (BRAF), genauer eine mutierte Variante, die BRAF-V600-Kinase. Diese Mutation ist häufig in Tumoren anzutreffen, weshalb sie sich als Zielstruktur anbietet. Fast 50 Prozent aller fortgeschrittenen Melanome haben eine Mutation im BRAF-Gen. Wird die mutierte Kinase aufgrund der Blockade durch Vemurafenib nicht phosphoryliert, kommt das Signal zur Zellproliferation zum Erliegen. Bildgebende Verfahren zeigen, wie dadurch der Tumorstoffwechsel herunterreguliert wird und Metastasen schliesslich kleiner werden. Wie der theoretische Ansatz ist die Studienlage zu Vemurafenib vielversprechend. In der kleinen Dosisfindungsstudie konnte eine Ansprechrate von 81 Prozent erzielt werden (BRIM1). Wenngleich in der anschliessenden einarmigen Phase-II-Studie BRIM2 lediglich 53 Prozent der Patienten ansprachen (6% mit kompletter Remission), so war das mittlere Gesamtüberleben mit rund 16 Monaten so unerwartet lang, dass die Studie erst nach der Phase-III-Studie BRIM3 veröffentlicht werden konnte. In die BRIM3-Studie wurden 675 Melanompatienten mit Metastasen und positivem BRAF-
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V600-Mutationsstatus 1:1 randomisiert und entweder mit zweimal täglich 960 mg Vemurafenib oder 1000 mg/m2 Dacarbazin intravenös alle 3 Wochen behandelt. Primäre Endpunkte waren das Gesamtüberleben sowie das progressionsfreie Überleben, sekundäre die Ansprechrate und -dauer sowie die Sicherheit. Wie in der BRIM1- und BRIM2-Studie war die Ansprechrate unter dem Proteinkinasehemmer mit 48,4 gegenüber 5,5 Prozent unter der Chemotherapie sehr hoch und mit einer Hazard Ratio von 0,26 sogar hoch signifikant. Bezogen auf die Gesamtüberlebensrate, betrug die Hazard Ratio nach 6 Monaten 0,37. Im Vergleich zu Dacarbazin konnte Vemurafenib das Gesamtüberleben um 63 Prozent verbessern. Die relative Risikoreduktion für Tod oder Krankheitsprogression betrug zusammen 74 Prozent. Aufgrund der positiven Datenlage empfahl ein unabhängiges Monitoring Board einen Crossover von Dacarbazin auf den neuen Wirkstoff.
Auch wenn sich die Situation in der Behandlung des fortgeschrittenen malignen Melanoms durch Verumafenib deutlich verbessert hat, dürfen die Nachteile nicht ausser Acht gelassen werden. So kommt Vemurafenib nur dem Teil der Patienten zugute, deren Melanome die BRAF-Mutation aufweisen. Dies muss im Vorfeld durch Tests bestätigt werden. Zum anderen traten unter Vemurafenib wie bei anderen Proteinkinasehemmern Arthralgien und hautassoziierte Nebenwirkungen wie Ausschlag, Keratoakanthome, Plattenepithelkarzinome oder Fotosensitivität auf. In der BRIM3Studie waren bei 38 Prozent der Patienten Dosisreduktionen aufgrund toxischer Nebenwirkungen erforderlich. Zusätzlich traten Resistenzen auf. Offenbar kann die Behandlung mit Vemurafenib dazu führen, dass Umgehungskreisläufe wie der mTOR-Signaltransduktionsweg aktiviert werden. Verschiedene Studien untersuchen daher, inwieweit Kombinationen mit mTOR- beziehungsweise MEK-Inhibi-
toren, die den NRAS-BRAF-MEK-ERK-
Signalweg unterhalb von BRAF blo-
ckieren, die klinische Wirksamkeit
erhöhen können.
Zurzeit läuft die Rekrutierung für eine
Phase-I/II-Studie, in der eine Kombina-
tion des BRAF-Blockers mit Ipilimu-
mab getestet wird.
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Claudia Borchard-Tuch
Literatur: 1. Kähler KC, et al.: Adjuvante systemische Therapie des
Melanoms. Onkologe 2010; 16: 1150–1159. 2. Hodi FS, et al.: Improved Survival with Ipilimumab in
Patients with Metastatic Melanoma. N Engl J Med 2010; 363: 711–723. 3. Chapman PB, et al.: Improved Survival with Vemurafenib in Melanoma with BRAF V600E Mutation. N Engl J Med 2011; 364: 2507–2516.
Quelle: 46. DDG-Tagung, 30.03.–02.04.2011, Dresden
Interessenlage: Es besteht kein Interessenskonflikt.