Transkript
Kommt die individualisierte Asthmatherapie?
Genetische Faktoren beeinflussen die Wirkung von Arzneimitteln
FORTBILDUNG
Obwohl heute verschiedene Klassen von Asthmamedikamenten zur Verfügung stehen, die im Allgemeinen gut wirksam sind, gibt es doch einen bestimmten Prozentsatz von Patienten, die auf diese Substanzen nicht ansprechen. Dafür werden genetische Faktoren verantwortlich gemacht. Die Forschungsbereiche Pharmakogenetik und Pharmakogenomik befassen sich mit den Fragen, warum Menschen unterschiedlich auf Arzneimittel reagieren und wie man gezielt wirksame Medikamente für Patienten mit einer bestimmten genetischen Ausstattung entwickeln kann.
THE PHARMACOGENOMICS JOURNAL
Grosse Studien belegen die Wirksamkeit der verschiedenen Antiasthmatika (Betamimetika, inhalative Kortikosteroide und Leukotrienmodifikatoren), aber im Hinblick auf die Therapieresponse gibt es ausgeprägte interindividuelle Unterschiede. Wenn es möglich wäre, vor Beginn einer Therapie Responder und Nonresponder zu unterscheiden, könnten nicht nur unerwünschte Wirkungen vermieden, sondern auch Kosten eingespart werden.
Merksätze
❖ Zwar stehen wirksame Asthmamedikamente zur Verfügung, doch sprechen nicht alle Patienten gleich gut auf die verordnete Medikation an. Dies scheint unter anderem an individuellen genetischen Merkmalen zu liegen.
❖ Die Forschungszweige Pharmakogenetik und Pharmakogenomik untersuchen, warum Asthmapatienten unterschiedlich auf inhalative Glukokortikoide, Beta-2-Mimetika oder Leukotrienmodifikatoren reagieren.
❖ Ziel ist es, vorhersagen zu können, welcher Patient auf welches Asthmamedikament gut ansprechen wird.
❖ Dies ebnet den Weg für eine personalisierte Asthmatherapie, die nicht nur bessere Behandlungsergebnisse, sondern auch einen ökonomischeren Einsatz der vorhandenen Ressourcen verspricht.
Die Beobachtung, dass Asthma familiär gehäuft auftritt, sowie die Ergebnisse von Zwillingsstudien weisen darauf hin, dass genetische Faktoren bei der Entwicklung von Asthma eine wichtige Rolle spielen. Doch ist Asthma eine komplexe genetische Erkrankung, der vermutlich verschiedene GenGen- und Gen-Umwelt-Interaktionen zugrunde liegen. Wichtige Umweltfaktoren, die mit Asthma in Zusammenhang stehen, sind Rauchexposition, bestimmte Virusinfekte, Allergenexposition sowie Vitamin-D-Mangel. Im Folgenden sollen die Ergebnisse einiger pharmakogenetischer und pharmakogenomischer Studien vorgestellt werden, wobei die drei grossen Klassen der Antiasthmatika diskutiert werden: Betamimetika, Kortikosteroide und Leukotrienmodifikatoren.
Erfassung der Therapieresponse In pharmakogenetischen Studien wird das Ansprechen auf die Asthmatherapie meist mithilfe quantitativer Methoden beurteilt. Dazu zählen die Veränderung des FEV1-Werts (forciertes exspiratorisches Volumen in einer Sekunde), die PC20 (provokative Konzentration an Methacholin, die zu einer Abnahme des FEV1 um 20% führt; dies spiegelt das Ausmass der bronchialen Hyperreagibilität wider) sowie die bronchiale Response (Veränderung des FEV1 kurz nach der Verabreichung eines kurz wirksamen Beta-2-Mimetikums [SABA, short-acting beta2-agonist]). Diese Lungenfunktionsparameter sind reproduzierbar, und ihre quantitative Natur sorgt für eine erhöhte statistische Power in genetischen Analysen. Im Allgemeinen folgt die Veränderung der Lungenfunktion, die mit der Asthmatherapie assoziiert ist, einer Verteilung, die ungefähr einer Normalverteilung entspricht, wobei es einen signifikanten Anteil von Nonrespondern sowie von starken Respondern gibt. Diese grosse Variabilität der interindividuellen Response deutet zusammen mit der hohen intraindividuellen Reproduzierbarkeit auf eine genetische Basis der unterschiedlichen Asthma-Therapieresponse hin. In verschiedenen Studien wurde die Verteilung der Therapieresponse auf inhalative Kortikosteroide und auf Bronchodilatatoren untersucht. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass es Faktoren gibt (beispielsweise genetische Faktoren), die unabhängig vom Medikament sind und die das relative Ausmass der Therapieresponse auf Asthmamedikamente bestimmen. Die Daten sprechen auch dafür, dass es in verschiedenen Populationen einen konsistenten pharmakogenetischen Effekt gibt, der unabhängig vom Asthmaschweregrad ist.
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Der Beta-2-Mimetika-Signalweg Beta-2-Mimetika sind die in der Asthmatherapie am häufigsten verordneten Medikamente. SABA dienen der Behandlung akuter bronchospastischer Symptome, während lang wirksame Beta-2-Mimetika (LABA, long acting beta2-agonists) zusammen mit inhalativen Kortikosteroiden gegeben werden, um eine langfristige Asthmakontrolle zu erreichen. Sowohl SABA als auch LABA entfalten ihre therapeutische Wirkung, indem sie an die aktive Stelle des beta2-adrenergen Rezeptors (beta2-AR) binden. Diese Rezeptoren finden sich zahlreich auf den glatten Muskelzellen des unteren Atemtrakts. Bei entsprechender Stimulation verbindet sich der beta2-AR durch ein trimerisches G-Protein mit Adenylatzyklase, was zu einer vermehrten Bildung von zyklischem Adenosinmonophosphat und von Proteinkinase A führt. Die Proteinkinase A phosphoryliert regulatorische Schlüsselproteine, die an der Kontrolle des Muskeltonus beteiligt sind, während zyklisches Adenosinmonophosphat zu einer Sequestration von intrazellulärem Ca+ führt, was beides eine Relaxation der glatten Atemwegsmuskulatur zur Folge hat.
Kurz wirksame Beta-2-Mimetika (SABA) Warum sprechen Asthmapatienten so unterschiedlich auf Beta-2-Mimetika an? In einer Reihe von Studien konzentrierte man sich auf das ADRB2-Gen, das den beta2-AR kodiert. Dabei handelt es sich um ein kleines Gen auf dem Chromosom 5q31. Von besonderem Interesse waren dabei das Arg16Gly und das Glu27Gln, zwei häufige SNP (singlenucleotide polymorphisms) an Position +46 beziehungsweise +79 des ADRB2. Eine Untersuchung mit 269 Kindern ergab, dass diejenigen, die homozygot für Arg16 waren, mit 5,3-fach erhöhter Wahrscheinlichkeit auf eine einzelne Dosis Salbutamol (Ventolin® oder Generika) ansprachen als Kinder, die homozygot für Gly16 waren. Darüber hinaus scheint die Konzentration an beta2-AR bei Arg/Arg-Patienten grösser zu sein als bei Gly/Gly-Patienten. Andererseits sind Arg/Arg-Patienten möglicherweise empfänglicher für die tachyphylaktische Wirkung einer regelmässigen Anwendung von Beta-2-Mimetika. In der Studie BARGE (BetaAdrenergic Response by Genotype) erhielten 78 Patienten randomisiert entweder regelmässig Salbutamol oder Plazebo über 16 Wochen; danach erfolgte ein Crossover für weitere 16 Wochen. Arg/Arg-Patienten hatten niedrigere PEFR (Peak expiratory flow rate) unter regelmässiger Salbutamolanwendung als unter Plazebo. Da während der gesamten Studie Ipratropiumbromid (Atrovent® oder Generikum) als Rescuemedikament benutzt wurde, vermuten die Autoren, dass für Arg/Arg-Patienten sogar die Anwendung von SABA nach Bedarf unsicher sein könnte.
Lang wirksame Beta-2-Mimetika (LABA) Was das Ansprechen auf eine Therapie mit LABA anbelangt, so zeigen aktuelle Studien, dass der gut untersuchte Arg16Gly-Polymorphismus hier keine bedeutende Rolle spielt und auch nicht mit unerwünschten Wirkungen assoziiert ist. Zukünftige Studien sollten andere Gene aus dem Beta-2Mimetika-Pathway untersuchen. Interessant sind beispielsweise die GSNOR (S-Nitrosoglutathion-Reduktase), die den endogenen Bronchodilatator S-Nitrosothiol metabolisiert,
oder der ARG1-Polymorphismus. ARG1 kodiert Arginase, die die L-Arginin-Homöostase kontrolliert. Die Verfügbarkeit von L-Arginin ist wichtig für die Bildung von bronchodilatatorisch wirksamem Stickoxid. Darüber hinaus werden derzeit im Hinblick auf die bronchodilatatorische Response Genom-weite Assoziationsstudien durchgeführt, die dazu beitragen dürften, anhand bestimmter Genmerkmale das Ansprechen auf Bronchodilatatoren vorherzusagen.
Der Kortikoidsteroid-Signalweg Inhalative Kortikosteroide (ICS) gelten als Erstlinientherapie und sind die effektivsten antiinflammatorischen Medikamente für die Behandlung des persistierenden Asthmas. Glukokortikoide (GC) entfalten ihre Wirkung, indem sie mit dem intrazellulären GC-Rezeptor einen Komplex bilden. Dieser Komplex gelangt in den Zellkern und verändert die Transkription von Genen, die an Entzündungsprozessen beteiligt sind. Obwohl das Ansprechen auf ICS interindividuell sehr unterschiedlich ist, lässt sich die intraindividuelle Response sehr gut reproduzieren, was für einen genetischen Hintergrund des unterschiedlichen Ansprechens auf ICS spricht. Eine Studie mit 14 Kandidatengenen für den Kortikosteroid-Stoffwechselweg ergab eine signifikante Assoziation zwischen dem Corticotropin-releasing-hormone-receptor-1- (CRHR1-) Genotyp und dem Ansprechen auf eine achtwöchige ICSTherapie in zwei unabhängigen Populationen von erwachsenen und pädiatrischen Asthmapatienten. Insbesondere wiesen Patienten mit Homozygotie für das Minor-Allel von rs242941 eine signifikant höhere Veränderung des prozentualen FEV1-Wertes auf (was zu einer etwa 2- bis 3-fach ausgeprägteren Besserung führte) als Patienten ohne diese Variante. Die Forschung über die Genetik und Genomik der ICSResponse ist weniger umfangreich als diejenige über die Therapieresponse auf Bronchodilatatoren. Es wurden verschiedene Kandidatengene und ihre funktionellen Varianten identifiziert, und es wurde auch über vielversprechende Ergebnisse berichtet, doch müssen die meisten erst noch in weiteren Studien bestätigt werden.
Der Leukotrienantagonisten-Signalweg Leukotriene spielen bei verschiedenen entzündlichen Erkrankungen wie dem Asthma eine zentrale Rolle. Leukotriene binden an Rezeptoren auf Leukozyten und auf glatten Muskelzellen in der Lunge, beispielsweise an den Cysteinylleukotrienrezeptor 1, was zur Kontraktion der glatten Muskulatur und zur Schleimsekretion führt. Zu den gegen Leukotrien gerichteten Therapieoptionen zählen unter anderem Montelukast (Singulair®), Zafirlukast (Accolate®) und Pranlukast (nicht im CH-Kompendium) sowie Inhibitoren der 5-Lipoxygenase, aber die behandelten Asthmapatienten sprechen auf Leukotrienmodifikatoren sehr unterschiedlich an. Die bis jetzt durchgeführten pharmakogenetischen Studien über Leukotrienmodifikatoren weisen nur geringe Fallzahlen auf, oder die Ergebnisse wurden noch nicht in weiteren Studien bestätigt. Aktuelle Daten sprechen dafür, dass das unterschiedliche Ansprechen auf Leukotrienmodifikatoren
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teilweise auf Varianten bestimmter Gene zurückzuführen ist, doch müssen diese Befunde in grösseren Kohorten mit Asthmapatienten repliziert werden.
Zukünftige Entwicklungen Neue Forschungsgebiete, die bei der Asthma-Pharmakogenomik berücksichtigt werden sollten, sind die Epigenetik und die sogenannte «Copy number variation». Die Epigenetik untersucht Veränderungen des Genexpressionsmusters, die nicht auf Veränderungen der Nukleotidsequenz im genetischen Code selbst zurückzuführen sind, sondern beispielsweise auf DNA-Methylierung. Die Asthmaepigenetik steht noch in den Anfängen, aber erste Ergebnisse sprechen dafür, dass die Epigenetik für die Asthmatherapie von Bedeutung sein dürfte. Unter Copy number variation versteht man den Verlust oder das zusätzliche Vorkommen kleiner Chromosomenregionen, die die Gendosierung verändern können. Sie können von den Eltern vererbt werden oder de novo entstehen und scheinen bei der Entwicklung des kindlichen Asthmas eine Rolle zu
spielen. So wurde beispielsweise bei einer genomweiten
Analyse von Copy number variations bei Kindern mit aller-
gischem Asthma eine verminderte Copy number am TCR-
gamma-Gen gefunden, das für ein für die zellvermittelte Im-
munität wichtiges Oberflächenprotein von T-Zellen kodiert.
Dies muss in weiteren Studien bestätigt werden.
Das Ansprechen auf die Asthmatherapie ist ein komplexer
Mechanismus, zu dem viele Variablen und genetische Vari-
anten beitragen. Deswegen müssen umfangreiche genetische
Daten berücksichtigt werden, um die Therapieresponse
voraussagen zu können. Die Anwendung maschineller
Lerntechniken (z.B. Bayessche Netze) zur Datenanalyse
könnte hilfreich sein, um zukünftige Vorhersagemodelle zu
entwickeln.
❖
Andrea Wülker
Tse SM et al.: The pharmacogenetics and pharmacogenomics of asthma therapy. The Pharmacogenomics Journal 2011; 11: 383–392.
Interessenlage: Die Autoren deklarieren keinen Interessenkonflikt.
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