Transkript
Kampf dem Sonnenbrand
Exzessive UV-Exposition im Kindesalter ist besonders risikoreich
BERICHT
Excellence in Paediatrics
Istanbul, 30. November bis 3. Dezember 2011
Unter dem Eindruck steigender Hautkrebsinzidenzen ist der Sonnenschutz bei Kindern ein immer drängenderes Thema. Dazu gehört die Auswahl altersgerechter Sonnenschutzmittel ebenso wie das Einhalten der bekannten Verhaltensregeln.
KLAUS DUFFNER
Die Sonne ist immer da. Auch an bedeckten Tagen dringt 90 Prozent der UV-Strahlung durch die Wolken, und sogar im Schatten herrscht im Sommer immer noch eine 50-prozentige UVRadiation. Schnee reflektiert die UVStrahlung zu 80 Prozent. Auch unter Wasser ist man vor dem ultravioletten Licht nicht sicher, denn noch in einer Tiefe von einem Meter herrschen 50 Prozent UV-A- und 75 Prozent UV-B-Strahlung. «Man kann den Effekt der UV-Strahlung nur reduzieren, indem man sich in geschlossenen Räumen aufhält, weil dort nur noch 10 bis 20 Prozent der UV-Menge vorhanden ist», erklärte Prof. Dr. Ulrike BlumePeytavi von der Charité in Berlin. Während der UV-B-Anteil eher die oberen Hautschichten in 20 bis 100 µm erreicht (Epidermis und Papillodermis), dringt der langwelligere UV-A-Anteil in die tieferen Regionen der Haut, bis zu 5 mm. Es sei keine Frage, dass UV-Licht notwendig für unseren Stoffwechsel ist, so die Berliner Dermatologin, aber 20 Minuten am Tag seien völlig ausreichend: «Die restliche Tagesdosis ist negativ.»
Melanozytische Naevi und maligne Melanome Das durch zu viel UV-B-Strahlung angerichtete Unheil macht sich akut durch einen Sonnenbrand und längerfristig durch Kollagenschäden und Hautkrebs bemerkbar. Der UV-AAnteil ist dagegen für Lichtschäden wie die «Mallorca-Akne», Hautalterung, Faltenbildung und Elastizitätsverlust zuständig – sowie für Hautkrebs, denn UV-Strahlung supprimiert die körpereigene Immunabwehr. Die Folgen sind melanozytische Naevi, die sich mit zunehmender UV-Exposition und zunehmendem Alter auch bei Kindern häufen. Aus den Naevi können sich bekanntermassen später maligne Melanome bilden. Besonders gefährdet sind Kinder mit heller Haut, blauen Augen sowie roten oder blonden Haaren. Auch eine genetische Prädisposition beziehungsweise gewisse familiäre dermatologische Voraussetzungen (z.B. Xeroderma pigmentosum) erhöhen das Melanomrisiko. Das Hauptrisiko bleiben jedoch exzessive UV-Expositionen und starke Sonnenbrände in der Kindheit.
Schutzfunktion der Säuglingshaut ist noch gering Heute weiss man, dass vor allem bei Säuglingen, aber auch bei Kleinkindern zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr deutlich geringere Melaninmengen in der Haut vorhanden sind als bei Erwachsenen und dass das immunologisch-dermatologische Abwehrsystem noch wenig ausgeprägt ist. Auch das Stratum corneum ist, vor allem im 1. Lebensjahr, noch sehr dünn und besitzt damit eine nur geringe Schutzfunktion. Fotosensitive Erkrankungen wie Lupus erythematodes, polymorphische Lichteruption, Dermatomyositis, Pemphigus oder Herpes haben so
Prof. Dr. Ulrike Blume-Peytavi, Charité Berlin
ein leichteres Spiel. Auch fototoxische Nebenwirkungen, verursacht durch Medikamente, wie zum Beispiel Doxycyclin oder NSAR, können schon wenige Stunden nach der Sonnenexposition auftreten. Vor allem im ersten Lebenssommer, wenn die fakultative Pigmentierung noch schwach ausgeprägt ist, könne die Sonne bei Kleinkindern persistierende Hautschäden hervorrufen, so Blume-Peytavi. Sonnenexpositionen noch vor der Ausbildung der physikalischen und immunologischen Schutzbarrieren zögen daher wesentlich tiefgreifendere Veränderungen nach sich als Sonnenexpositionen im fortgeschrittenen Kindesalter.
Physikalische Fotoprotektion bei den Kleinsten Es sei zwar eine Binsenwahrheit, aber trotzdem müsse man die Eltern immer wieder darauf hinweisen, ihre Kinder nicht in die pralle Mittagssonne zu lassen, sagte Blume-Peytavi. Auch eine fotoprotektive Kleidung und der Gebrauch von Sonnenhüten und Sonnenbrillen gehören zu solchen Standardmassnahmen.
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BERICHT
Und natürlich die Sonnenschutzmittel, von denen sich heute unzählige auf dem Markt tummeln. Wichtiges Unterscheidungskriterium ist dabei der Sonnenschutzfaktor. Er ist der Quotient aus minimaler UV-Dosis, die bei geschützter Haut zu einem Erythem führt, und minimaler Erythemadosis bei ungeschützter Haut. Bei einem Wert von 30 ist also eine relativ hohe UV-Dosis notwendig, bis sich ein Erythem entwickelt. Wichtig bei der Verwendung solcher «Sunblocker» sei die wiederholte und vor allem korrekte Applikation, erklärte Blume-Peytavi. «Sonnenterrassen» wie Nase, Ohren oder Schultern sollten besonders sorgfältig eingecremt werden. Für Kinder unter 2 Jahren seien Produkte zu empfehlen, die auf mechanischer und physikalischer Fotoprotektion basieren. Sie enthalten anorganische Nanopartikel aus Zinkoxid (besserer UV-A-Schutz) oder Titaniumdioxid (besserer UV-BSchutz), die entweder die Sonne absorbieren oder reflektieren, aber nicht als organische Substanzen in die Haut eindringen. Als Beispiele für solche Pro-
dukte, zugelassen für Babys ab 6 Monaten, nannte Blume-Peytavi Contralum ultra®, Lotio cordes®, Lotio alba®, Microsun® oder Avène sun milk® 25. Für Kinder über 2 Jahre können hingegen Sonnenschutzcremes mit organischen UV-Absorbern verwendet werden. Das Beste seien jedoch Produkte, die sowohl physikalische als auch chemische Komponenten in sich vereinigten, so Blume-Peytavi. Da Kinder am Strand gern länger im Wasser bleiben, seien zudem wasserresistente Cremes empfehlenswert. Gleichzeitig sollten sie schnell und einfach zu applizieren sein. Produkte, die solche Eigenschaften vereinigen und für Kinder über 2 Jahre in Deutschland zugelassen sind, seien zum Beispiel Avène Sun cream®, Roche Posay® Anthelios, Eucerin sunscreen®, Daylong® sowie weitere Präparate (in der Schweiz zum Beispiel Louis Widmer Kids Hautschutz Creme 25).
Immer noch zu viele Sonnenbrände Trotz aller Tipps und Vorsichtsmassnahmen sei der Sonnenschutz für Kinder heute immer noch unzureichend,
meinte Blume-Peytavi. Laut einer US-
Studie liegt die jährliche Sonnenbran-
dinzidenz bei Kindern immer noch
bei 29 bis 83 Prozent. So kommen
an einem sonnigen Wochenende 7 bis
13 Prozent der Kinder mit einem Son-
nenbrand nach Hause.
Während der Sonnenschutz bei Klein-
kindern durch die Wachsamkeit der
Eltern oft noch gut funktioniere,
nimmt die Sonnenbrandhäufigkeit bei
älteren Kindern deutlich zu. Unter bri-
tischen Schülern wurde eine Sonnen-
brandinzidenz von 40 Prozent festge-
stellt, weswegen auch Schulen und Leh-
rer mit in das Aufklärungsprogramm
einbezogen werden sollten. In vielen
Ländern der Erde (z.B. Australien) wer-
den heute für alle Altersgruppen um-
fangreiche Sonnenschutzprogramme
angeboten. Massnahmen, die ange-
sichts der steigenden Hautkrebszahlen
nicht übertrieben erscheinen.
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Klaus Duffner