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FORTBILDUNG
Diabetes und tägliche Hautpflege
Auf der Haut finden sich schon früh Zeichen einer drohenden diabetischen Stoffwechsellage, welche für die Diagnose hilfreich sind. Bei der Behandlung der Diabetikerhaut bildet eine stringente Behandlung der Grunderkrankung die therapeutische Basis. Ein zusätzliches Muss ist die konsequente tägliche Hautreinigung und -pflege, die nicht nur die Füsse, sondern den ganzen Körper einbezieht, selbst wenn keine Symptome wie Juckreiz, Spannungsgefühl oder Rauheit vorhanden sind.
GISELA STAUBER, REGULA PATSCHEIDER UND INES BEINE
In der Schweiz leben ungefähr 350 000 Diabetiker. Begünstigt durch Fehlernährung, Übergewicht und Bewegungsarmut, nimmt weltweit vor allem der Diabetes Typ 2 rasant zu. Direkt oder durch die schweren Folgeerkrankungen wie Erblindung, Nierenversagen, Gangrän und Amputation, schwere Herzkrankheiten und Apoplexie verursacht die Stoffwechselerkrankung über 4 Prozent der Gesamtausgaben im Gesundheitswesen, wobei Kosten wie krankheitsbedingter Arbeitsausfall nicht eingerechnet sind. Die IDF (International Diabetes Federation) schätzt bis zum Jahr 2025 einen Anstieg dieser weltweiten Gesundheitsausgaben für Diabetes
Merksätze
❖ Man geht davon aus, dass 30 bis 70 Prozent aller Diabetespatienten während ihres Lebens pathologische Hautveränderungen entwickeln.
❖ Stringente Behandlung der Grunderkrankung und konsequente tägliche Hautreinigung und -pflege sind wichtige Präventionsmassnahmen für Komplikationen wie das diabetische Fusssyndrom.
❖ Generell können Diabetiker in Apotheken erhältliche Präparate zur Reinigung und Pflege der trockenen Haut verwenden, welche zum Beispiel auch bei Neurodermitikern eingesetzt werden; es gibt aber auch speziell für Diabetiker entwickelte Kosmetikprodukte.
auf 7 bis 13 Prozent. Gesundheitspolitische Massnahmen zur Prävention auf allen Ebenen wie Ausbildung von Diabetologen, Schulung der Patienten, Sensibilisierung der Allgemeinbevölkerung bezüglich ausgewogener Ernährung und ausreichender Bewegung haben deshalb einen hohen Stellenwert.
Prävention kostenaufwendiger Komplikationen Ein dauerhaft erhöhter Blutzuckerspiegel führt zu oxidativem Stress und verändert wichtige Zellfunktionen. Es kommt zu einer vermehrten Ausschüttung von entzündungsfördernden Botenstoffen sowie zu Störungen der Immunsystemabwehr. Zudem werden langfristig Gefässe (Angiopathie) und Nervenzellen (Neuropathie) geschädigt, was zu Durchblutungs- und Sensibilitätsstörungen führt und eine Vielzahl von Begleit- und Folgeerkrankungen begünstigt. Damit es nicht zum Vollbild eines diabetischen Fusses mit Ulzera, Infektionen, Osteomyelitis, diabetischer Neuroosteoarthropathie (DNOAP) und schliesslich Amputationen kommt, spielen Früherkennung und Prävention eine wichtige Rolle. Dazu gehören eine gute Patientenberatung und -überwachung wie auch eine tägliche Fussinspektion und adäquate Pflege und Reinigung der Haut. Diese Massnahmen tragen wesentlich dazu bei, den pathogenetischen Prozess zu stoppen.
Hautveränderungen als Zeichen diabetischer Stoffwechsellage Man geht davon aus, dass 30 bis 70 Prozent aller Diabetespatienten während ihres Lebens pathologische Hautveränderungen entwickeln. Etwa ein Drittel soll sogar Hautveränderungen vor der Erstdiagnose aufweisen. Deshalb kann der aufmerksame Allgemeinpraktiker oder Apotheker in der Regel bereits früh auf der Haut augenfällige Hinweise auf einen drohenden Diabetes mellitus finden (Tabelle). Bei der Betrachtung der Häufigkeit von Hautveränderungen in Bezug auf die Grunderkrankung Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 zeigen sich Unterschiede. Bei Menschen mit Typ1-Diabetes überwiegen die autoimmun assoziierten Hauterkrankungen, da diese Diabetiker generell ein höheres Risiko für weitere Autoimmunkrankheiten haben, insbesondere für Schilddrüsenunterfunktion, Zöliakie oder Dermatitis herpetiformis und seltener für die Unterfunktion der Nebennieren, perniziöse Anämie, Vitiligo, Myasthenia gravis oder rheumatoide Arthritis. Bei Menschen, die an Diabetes mellitus Typ 2 erkrankt sind, stehen infolge der Hyperglykämie bakterielle und mykotische Infektionen der Haut im Vordergrund. Diabetesbedingte Hautveränderungen und -erkrankungen lassen sich in Gruppen zusammenfassen:
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Tabelle:
Einige Beispiele von Dermatosen, die als Vorboten beziehungsweise Marker-Erkrankungen in Bezug auf die diabetische Stoffwechsellage gelten:
Rubeosis faciei «shin spots» (2)
❖ auffallende konstante Rötung des Gesichts, besonders der Stirnregion, ohne Teleangiektasien ❖ kleine, atrophische, leicht hyperpigmentierte Flecken an der Schienbeinkante, auch «diabetische
Dermopathie» genannt ❖ histologische Veränderungen an den kleinen kutanen Gefässen ❖ treten oft zusammen mit Mikroangiopathie am Auge und an inneren Organen auf
Necrobiosis lipoidica (1) ❖ histologisch sind deutliche Granulome nachweisbar, die zu hartnäckigen Ulzerationen führen können «diabetic thick skin» ❖ diffuse Verdickung der Haut an Fingern und Handrücken führt zu Steifheit der Finger und verunmög-
licht das flache Auflegen der Handflächen auf einer Unterlage ❖ seltene Form ist das Scleroderma diabeticorum bei lange bestehendem Diatebes Typ 1 mit extremer
lividroter Hautverdickung an Rücken und Schultern
Fibrome
❖ vor allem bei übergewichtigen Personen ❖ in den Achselhöhlen und am Hals ❖ bei besonders zahlreichem Auftreten auf pigmentiertem Grund
Vitiligo (1)
❖ charakteristisch weisse, scharf begrenzte Flecken ❖ Autoimmungenese
Xanthome (2)
❖ gelbrötliche Papeln mit einem Durchmesser bis zu 0,5 cm ❖ gehäuft und innerhalb von Tagen vorzugsweise am Gesäss, am Bauch oder an den Oberschenkeln ❖ tuberöse Xanthome sind Zeichen einer massiven Hypercholesterinämie
Xanthelasmen (2)
❖ Ablagerungen meist bei Oberlidern auftretend ❖ gilt als signifikanter kardiovaskulärer Risikofaktor
(1) assoziiert vor allem mit Typ-1-Diabetes; (2) assoziiert vor allem mit Typ-2-Diabetes
❖ allgemeine Veränderungen der Haut wie Xerosis, Atrophie, Juckreiz
❖ Hautinfektionen durch Pilze und/oder Bakterien ❖ Dermatosen, welche besonders häufig mit Diabetes assozi-
iert sind.
Allgemeine Hautveränderungen Ein Grossteil der Diabetespatienten mit Hyperglykämie leidet an sehr trockener, schuppiger, atropher Haut, die Juckreiz verursacht. Die Extremitäten sind speziell betroffen. Aufgrund der diabetischen Angiopathie und Neuropathie weist die Haut besonders an den Füssen Rhagaden, Ekzeme und Verhornungen auf. So führt die motorische, autonome und sensorische Polyneuropathie nicht nur zu Sensibilitätsstörungen (Verlust von Schmerzempfindung, Vibrations- und Temperaturgefühl), sondern auch zu einer reduzierten Schweissund Talgdrüsenaktivität und Wasserbindungsfähigkeit der Haut. Etwa 20 bis 40 Prozent der Patienten mit Diabetes mellitus klagen über Pruritus. Durch Kratzen der Haut entstehen Traumen, die ihrerseits Eintrittspforten für Infektionen sind. Die Hyperglykämie hat auch zur Folge, dass die elastischen Fasern in der oberen Dermis degenerieren und verklumpen sowie sich die Anordnung und Quervernetzung von Kollagenfasern verändern. Dadurch verliert die Haut an Stabilität, Elastizität und Spannkraft. Die Oberhaut wird dünn, schlaff und knitterbar und begünstigt aufgrund der vergrösserten Hautoberfläche die Verdunstung des Wassers.
Der natürliche Hautalterungsprozess einschliesslich Faltenbildung beschleunigt diesen Prozess. Aufgrund der diabetischen Neuropathie und von Durchblutungsstörungen ist auch die Wundheilung gestört. Zudem erhöhen Durchblutungs- und Empfindlichkeitsstörungen das Verletzungsrisiko und die Entstehung chronischer Wunden, welche ein enormes Risiko für Komplikationen bedeuten. Deshalb bedarf die Diabetikerhaut einer besonderen, auf die Krankheit abgestimmten Pflege und insbesondere einer sorgfältigen Fusspflege. Neben der ständigen Überwachung des Zustandes der Füsse sollten angepasste Präparate verwendet werden sowohl zur regelmässigen Hygiene als auch zur Vermeidung von Fissuren.
Hautinfektionen Bei 20 bis 50 Prozent der Patienten mit diabetischer Stoffwechsellage treten Hautinfektionen durch Dermatophyten, Hefen und Bakterien auf, bei Typ 2 häufiger als bei den anderen Typen. Infolge von Insulinmangel oder Insulinresistenz vermindert sich die Funktion der Abwehrzellen in der Haut, das Keimspektrum der residenten Flora ändert sich, und der Ausbruch von Hautinfektionen wird begünstigt. Neben der geschwächten Immunabwehr ist auch die gestörte Barrierefunktion der Haut ein Grund für häufige Hautinfektionen. Die Mikroangiopathie sowie die Neuropathie führen zu einem Lipid- und Feuchtigkeitsmangel der Haut, was die epidermale Barrierefunktion der Haut schwächt und das
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Eindringen von Krankheitserregern begünstigt. Des Weiteren sind die Axillar- und Perigenitalregion zusätzlich durch die physiologische Unterbrechung des Säureschutzmantels gefährdet. Candida albicans und Diabetus mellitus weisen bei Patienten mit schlecht eingestelltem Blutzucker eine hohe Assoziation auf, sodass Candidainfektionen als dermatologische MarkerErkrankung bezüglich eines Diabetes mellitus gelten. Die Candidadichte in der Mundhöhle von Diabetikern ist im Vergleich zu Menschen ohne Diabetes grösser. Auch Haarfollikel, Nägel und Mundwinkel können infiziert und krankhaft verändert sein. Durch Arbeiten in feuchtem Milieu können sich in den Fingerzwischenräumen erosive Läsionen bilden. Bei Kindern gilt die Perlèche als klassisches Zeichen. Einen besonderen klinischen Stellenwert wegen ihrer Häufigkeit haben Candidainfektionen im intertriginösen Bereich, im Genitoanalbereich und im Submammaeraum. Auch bakterielle Erreger können bei Diabetespatienten diverse Erkrankungen auslösen. Bedingt durch Staphylococcus aureus können Follikulitiden, Furunkel, Karbunkel oder Impetigo contagiosa entstehen, während hämolysierende Streptokokken häufig Ekthyme oder Erysipele begünstigen, die schnell zu Blasenbildung und Nekrosen führen können. Bei Diabetikern treten bestimmte Hauterkrankungen besonders häufig auf, welche aber nicht nur bei einer Störung des Glukosestoffwechsels zu finden sind (Tabelle). Im Weiteren wird nicht näher darauf eingegangen.
Therapiebegleitende Hautpflege bei Diabetes mellitus Ein gut eingestellter Blutzucker ist die therapeutische Grundvoraussetzung bei der Behandlung von Hauterkrankungen bei Diabetikern. Zusätzlich braucht es ein umfassendes Hautpflegekonzept, das auf die Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung der gestörten physikalischen, chemischen und immunologischen Hautbarriere und der verminderten Wasserbindungsfähigkeit zielt und gleichzeitig das Selbstund Körperempfinden des Patienten sensibilisiert. Im Patientengespräch sind die Erläuterung dieser Zusammenhänge und die Anleitung zur täglichen Hautpflege wesentlich.
Tägliche Pflege der Diabetikerhaut ein Muss Die Behandlung infizierter diabetischer Ulzera hingegen ist komplex und reicht von der Antibiotikagabe über das chirurgische Débridement und die Stabilisierung der Wundumgebung bis zur Druckentlastung der erkrankten Zone. Bei einem diabetischen Ulkus gibt es eine erhebliche Grauzone zwischen Kolonisation und Infektion. Solange aber die Hautbarriere intakt bleibt, können keine Keime eindringen. Die tägliche Pflege der Diabetikerhaut ist als Präventionsmassnahme zu etablieren, selbst wenn keine Symptome, wie Juckreiz, Spannungsgefühl oder Rauheit, vorhanden sind. Sie sollte nicht nur die Füsse, sondern den ganzen Körper einbeziehen. Insbesondere bei Männern ist im Beratungsgespräch die Notwendigkeit der konsequenten Hautpflege anzusprechen und die Bereitschaft dazu zu fördern. Ältere Patienten sollten auch aufgrund der intrinsischen Hautalterung auf die Bedeutung des täglichen Eincremens aufmerksam gemacht werden.
Geeignete Präparate Generell können Diabetiker in Apotheken erhältliche Präparate zur Reinigung und Pflege der trockenen Haut verwenden, welche zum Beispiel auch bei Neurodermitikern eingesetzt werden. Es sind auch Kosmetikprodukte erhältlich, die speziell für Diabetiker entwickelt wurden (z.B. Allpresan Diabetic, Klinion® Hydraline).
Reinigung der Diabetikerhaut Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Säureschutzmantels braucht es Präparate, die schwach sauer sind (pH = 5,5) und den Mangel an Feuchtigkeit und Lipiden kompensieren. Zu beachten ist, dass die Alkalineutralisationsfähigkeit im Alter deutlich vermindert ist. Zur Reinigung eignen sich Syndets (z.B. Pruri-med® Hautwaschemulsion, nano-calm® Lipo-Dermawash). Es stehen Duschöle und Badeöle zur Verfügung, die zusätzliche Lipidkomponenten zur Rückfettung der Haut (z.B. Balneum Hermal®, CremolRitter® oder Der-med®) und wenn nötig auch juckreizmildernde Wirkstoffe enthalten (z.B. Pruri-med).
Pflege der Diabetikerhaut Für die Basispflege bewährt haben sich Externa mit Lipidcharakter und Zusätzen feuchtigkeitsbindender Substanzen wie Harnstoff, Panthenol, Vitamin E, Milchsäure und weitere. Sie bewirken die Abnahme des transepidermalen Wasserverlustes und einen stärkeren Wassereinschluss in der Hornschicht. Neben einer guten Rückfettung und Hydratation sollten Hautpflegezubereitungen durch einfache Anwendung auch eine gute Compliance erreichen. Geeignet sind grundsätzlich unterschiedliche Formulierungstypen, zum Beispiel Wasser-in-Öl-Emulsionen, Öl-in-WasserEmulsionen, multiple Emulsionen, lamellare Systeme und Schaumcremes (z.B. Antidry, Curea Soft, Eucerin®, Excipial®, Linola®, Nutraplus, Physiogel®, Pruri-med Lipolotion®). Die Haut unterliegt zirkadianen Schwankungen bei der Barrierefunktion, den pH-Werten der Hautoberflächen und deren Temperaturen. So ist der transepidermale Wasserverlust am Abend deutlich höher als zwischen 8 und 10 Uhr morgens. Da abends die Permeabilität der Haut höher ist, dürften topisch applizierte Wirkstoffe dann besser absorbiert werden. ❖
Gisela Stauber, Regula Patscheider und Ines Beine
Interessenkonflikte: keine
Literatur: 1. Wohlrab J. et al., Hauterkrankungen bei Diabetes mellitus, J Dtsch Dermatol Ges
2007; 5: 37–52. 2. Beine I.: Diabetes mellitus und Candida albicans. Wie wichtig ist das Thema Haut-
pflege in der Beratung? Facharbeit der Akademie für Gesundheitsberufe, alte Michaelschule am Mathias-Spital, Rheine, 18.8.2010. 3. Meurer M., Stumvoll M., Szeimies R.M.: Hautveränderungen bei Diabetes mellitus, Hautarzt 2004; 55: 428–35. 4. Bestetti G., Schönenberger U., Koch P.: Versorgungskette Diabetes. Vorschlag für eine ganzheitliche Prozesssicht. Experten-/Forschungsberichte zur Kranken- und Unfallversicherung (BAG), April 2005 (online: Ber11_Diabetes_d.pdf). 5. Hinneburg I.: Diabetes zeichnet die Haut, Pharmazeutische Zeitung 2011; 29. 6. Prinz Vavricka M.: Diabetes und Haut in «Das Neueste vom Diabetes, 33. Winterthurer Fortbildungskurs 9. Juni 2011» S.19–24. http://www.winterthurerfortbildungskurs.ch/ Kappeler_Diabetes_33.pdf 7. Smolle J.: Diabetes und Haut. Der Fuss ist lange nicht alles, Medicos 2003; 4: 11–13. 8. Föhle E.: Dermokosmetik: Prävention des diabetischen Fusssyndroms – Schaumcremes bieten Zusatznutzen als Hautpflegemittel bei Diabetes mellitus, DermoTopics 2011; 2.
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