Transkript
Therapie des HER2-positiven Mammakarzinoms
Aktuelle und zukünftige Behandlungsoptionen
FORTBILDUNG
Bei ungefähr 20 Prozent der Mammakarzinome liegt eine HER2-Gen-Amplifikation und/oder Überexpression vor, was mit einem aggressiveren Krankheitsverlauf assoziiert ist und bis zur Einführung von spezifischen, gegen HER2 gerichteten Substanzen mit einer schlechteren Prognose einherging. Für die Behandlung von HER2-positiven Mammakarzinomen sind bisher Trastuzumab und Lapatinib zugelassen, aber es zeichnen sich neue Therapiemöglichkeiten ab.
NATURE REVIEW CLINICAL ONCOLOGY
Die Einführung von gegen HER2 gerichteten Therapieoptionen hat die Prognose von Frauen mit HER2-positivem Brustkrebs erheblich verbessert. Dennoch erleiden viele dieser Frauen immer noch Rezidive und sterben an Brustkrebs. Derzeit wird in verschiedenen Studien untersucht, wie der Einsatz der beiden zugelassenen, gegen HER2 gerichteten Substanzen Trastuzumab (Herceptin®) und Lapatinib (Tyverb®) bei Patientinnen mit HER2-positivem Brustkrebs im Frühstadium optimiert werden kann. Darüber hinaus
Merksätze
❖ Der monoklonale Antikörper Trastuzumab (der sich gegen HER2 richtet) und der Small-Molecule-Tyrosinkinaseinhibitor Lapatinib (der auf HER1 und HER2 abzielt) zeigen bei HER2-positivem Brustkrebs eine gute Wirksamkeit.
❖ Seit der Einführung dieser beiden Substanzen hat sich die Prognose von Patientinnen mit HER2-positivem Brustkrebs entscheidend verbessert.
❖ Derzeit werden zahlreiche neue Substanzen zur Therapie des HER2-positiven Mammakarzinoms entwickelt oder bereits in klinischen Studien evaluiert. Dazu zählen unter anderem ein Antikörper-Toxin-Konjugat, modifizierte Antikörper, Tyrosinkinaseinhibitoren, Angiogenesehemmer, Substanzen, die sich gegen verschiedene Mitglieder der HER-Familie richten, sowie immuntherapeutische Ansätze.
werden weitere vielversprechende Therapieansätze entwickelt, beispielsweise monoklonale Antikörper und SmallMolecule-Tyrosinkinaseinhibitoren (die sich gegen HER2 oder andere Mitlieder der HER-Familie [Kasten] richten), Antikörper (die mit zytotoxischen Untereinheiten verbunden sind oder deren immunologische Funktion durch bestimmte Modifikationen verbessert wurde), immunstimulatorische Peptide sowie Substanzen, die auf den PI3K- und den IGF-1R-Stoffwechselweg abzielen. Ein besseres Verständnis des HER2-Signalwegs und dessen Beziehung zu anderen Signalwegen sowie Einsichten in Resistenzmechanismen haben in den letzten Jahren zur Entwicklung rationaler Kombinationstherapien und zu einem besseren Verständnis der Therapieresponse von Patientinnen mit HER2-positivem Brustkrebs geführt. Aufgrund vielversprechender Ergebnisse mit neuen Substanzen bei HER2positivem fortgeschrittenem Mammakarzinom läuft derzeit eine Serie grosser Studien, die neue Therapiemöglichkeiten in der adjuvanten und neoadjuvanten Situation untersuchen.
Behandlung bei HER2-positivem Brustkrebs Trastuzumab Der monoklonale Antikörper Trastuzumab ist derzeit die einzige zugelassene adjuvante Therapie speziell für Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom im Frühstadium. Man geht davon aus, dass die Wirkweise von Trastuzumab auf verschiedenen Mechanismen beruht. Nachdem der Antikörper an die extrazelluläre Domäne des HER2-Rezeptors gebunden hat, kommt es unter anderem zu einer antikörperabhängigen zellvermittelten Zytotoxizität (ADCC) und zur Inhibierung verschiedener Signaltransduktionswege, zu einer Induktion der Apoptose, Inhibierung der Angiogenese und Interferenz mit DNA-Reparaturmechanismen. In der adjuvanten Situation wird Trastuzumab von der USamerikanischen NCCN-Leitlinie und von der internationalen St.-Gallen-Leitlinie als Monotherapie nach Abschluss der Chemotherapie mit Paclitaxel oder Docetaxel im Anschluss an die Behandlung mit Doxorubicin plus Cyclophosphamid, oder aber gleichzeitig mit Carboplatin und Docetaxel empfohlen. Studien zeigen, dass die Behandlung mit Trastuzumab im Vergleich zu einer alleinigen Chemotherapie zu einer signifikanten Besserung von krankheitsfreiem Überleben, Gesamtüberleben sowie von lokoregionalen und Fernrezidiven führte. Allerdings sind einige Fragen noch offen, beispielsweise zur optimalen Dauer der Trastuzumabbehandlung und zur effektivsten Kombination von Trastuzumab mit zytotoxischen und anderen Substanzen. In grossen klinischen
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HER2 und die HER-Familie
HER2 ist ein transmembranöser Rezeptor mit Tyrosinkinaseaktivität, der zu einer Familie von vier Rezeptoren gehört: EGFR/HER1, HER2, HER3 und HER4. Diese Rezeptoren regulieren das Wachstum, die Differenzierung und das Überleben von Zellen über die Transduktion von Signalen. Dazu zählen die Aktivierung des PI3K/Akt- und des Ras/Raf/MEK/MAPK-Stoffwechselwegs. Bei Überexpression kommt es zu einem Überschuss von HER2 an der Zellmembran und zu einer erheblichen Aktivierung der Signaltransduktion. Die Amplifikation des HER2-Gens und/oder die Überexpression auf dem Messenger-RNA- oder Protein-Level wird bei etwa 20 Prozent der Patienten mit Brustkrebs im Frühstadium beobachtet. Vor der Einführung der gegen HER2 gerichteten Therapien ging ein erhöhter HER2-Wert bei Patientinnen mit nodal-positiver und nodal-negativer Erkrankung mit einer hohen Rezidivrate und einer erhöhten Mortalität einher.
Familie oder mit Trastuzumab betreffen. Die unvollständige Blockierung der HER-Familie könnte beispielsweise ein wichtiger Resistenzmechanismus sein, denn dies könnte dazu führen, dass die Blockierung eines HER-Rezeptors durch einen anderen HER-Rezeptor kompensiert wird. Eine Resistenz gegen Trastuzumab kann sich auch über alternative Signalkaskaden entwickeln oder durch die Aktivierung des PI3K/Akt-Signalwegs, hervorgerufen beispielsweise aufgrund einer Mutation des PIK3CA-Gens und/oder Verlusts des Tumorsuppressorgens PTEN. Die Resistenz gegen Lapatinib wurde auf redundante «Überlebens-Pathways» zurückgeführt, die als Folge einer ausgeprägten Inhibition der HER2-Kinaseaktivität induziert werden können. So kann die anhaltende Hemmung des PI3K/Akt-Signalwegs bei mit Lapatinib behandelten Zellen zu einer Hochregulierung des Transkriptionsfaktors FOXO3A führen, was wiederum zu einer erhöhten Signalaktivität des Östrogenrezeptors führt.
Studien wurde Trastuzumab im Allgemeinen gut vertragen, doch sollte die potenzielle kardiotoxische Wirkung des Medikaments bedacht werden (z.B. Abnahme der linksventrikulären Ejektionsfraktion), vor allem bei älteren Patientinnen. Trastuzumab wird häufig auch bei Patientinnen mit metastasiertem HER2-positivem Mammakarzinom allein oder in Kombination mit Paclitaxel oder Docetaxel eingesetzt. In zwei grossen randomisierten Studien erwies sich Trastuzumab zudem in der neoadjuvanten Situation als sehr wirksam.
Antikörpermodifikation Um Resistenzen zu überwinden, wurden verschiedene Strategien entwickelt. So versucht man, die immunologische Funktion von Trastuzumab zu verbessern, indem man die Bindungseigenschaften modifiziert. Dazu zählen die Konstruktion von bi- oder trispezifischen Antikörpern, Antikörperfragmenten oder Single-Chain-Derivaten, die an spezifische Rezeptoren an der Oberfläche von Immuneffektorzellen sowie an HER2 binden. Auf diese Weise lässt sich unter anderem erreichen, dass Krebszellen durch Phagozytose zerstört werden.
Lapatinib Ausser Trastuzumab ist Lapatinib die einzige weitere, speziell für Patientinnen mit fortgeschrittenem HER2-positivem Brustkrebs zugelassene Anti-HER2-Behandlung. Lapatinib inhibiert reversibel die intrazelluläre Tyrosinkinaseaktivität von HER1 und HER2, wodurch der MAPK/Erk1/2- und der PI3K/Akt-Stoffwechselweg unterdrückt werden. Präklinische Studien ergaben, dass Lapatinib das Wachstum von HER2-positiven Brustkrebszellen, die gegen Trastuzumab resistent sind, inhibieren kann und dass Lapatinib die apoptotische Wirkung von Anti-HER2-Antikörpern verstärken kann. Ausserdem ist Lapatinib ein Small Molecule, das im Vergleich zu Trastuzumab besser ins ZNS gelangt, was bei ZNS-Befall interessant sein könnte. Verschiedene klinische Studien weisen darauf hin, dass die kombinierte Gabe von Trastuzumab plus Lapatinib eine bessere Wirksamkeit zeigen kann als die jeweilige Monotherapie.
Resistenzmechanismen Trotz der Fortschritte, die in der Therapie des HER2-positiven Mammakarzinoms erzielt wurden, besteht weiterhin Bedarf an neuen Behandlungsoptionen für diese Erkrankung. Derzeit sterben in den USA immer noch jährlich etwa 5000 Frauen an HER2-positivem Brustkrebs. Das liegt unter anderem an inhärenten oder erworbenen Resistenzen gegen Trastuzumab und Lapatinib. Der Resistenz gegen Trastuzumab liegen verschiedene Mechanismen zugrunde, beispielsweise Faktoren, welche die Interaktion von HER2 mit anderen Mitgliedern der HER-
Antikörper-Toxin-Derivat Versucht wurde auch, mithilfe von Trastuzumab oder Trastuzumabderivaten Toxine oder Medikamente in HER2exprimierende Zellen zu schleusen. Am weitesten entwickelt ist T-DM1, ein Konjugat aus Trastuzumab und DM1 (ein Anti-Mikrotubulus-Derivat). In ersten Studien mit T-DM1 nahmen Patientinnen mit stark vorbehandelten HER2-positiven Mammakarzinomen teil, bei denen es unter Trastuzumab und Lapatinib zu einer Progression gekommen war. Mit T-DM1 liessen sich in dieser Population gute Ansprechraten erzielen. Derzeit laufen weitere Studien, in denen das Konjugat untersucht und gegen andere Therapiemöglichkeiten geprüft wird.
Inhibition der HER2-Dimerisation Trastuzumab wirkt zwar gegen HER2-Homodimere, nicht jedoch gegen HER2-Heterodimere. HER2-EGFR-Interaktionen und insbesondere HER2-HER3-Interaktionen führen dazu, dass die durch Trastuzumab vermittelte Inhibition von Zellwachstum und -proliferation umgangen wird. Der monoklonale Antikörper Pertuzumab bindet an die extrazelluläre HER2-Domäne (aber an einer anderen Stelle als Trastuzumab) und verhindert die Dimerisation von HER2 mit seinen Rezeptorpartnern. Präklinische Studien zeigen, dass die kombinierte Gabe von Trastuzumab und Pertuzumab zu einer vollständigeren Blockierung des HER-Signalnetzwerks führt als die jeweilige Monotherapie. In einer klinischen Phase-II-Studie führte die Kombinationsbehandlung aus Pertuzumab und Trastuzumab bei Patientinnen mit
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metastasiertem Mammakarzinom, das unter Trastuzumab fortgeschritten war, zu einer Responserate von 24 Prozent und zu einer klinischen Benefitrate von 50 Prozent. Derzeit wird die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Kombinationstherapie mit Pertuzumab und Trastuzumab in mehreren Studien untersucht, vor allem auch Neoadjuvant, das heisst präoperativ.
Selektive Inhibition von HER1 oder HER3 Präklinische Daten zeigen, dass die Überexpression von HER2 bei Brustkrebs häufig mit einer Überexpression von HER1 einhergeht. Deshalb entwickelte man selektive HER1Inhibitoren – doch deren klinische Wirksamkeit bei Brustkrebspatientinnen war enttäuschend. Inzwischen richtet sich das wissenschaftliche Interesse auf andere Mitglieder der HER-Familie, insbesondere auf HER3. Derzeit sind einige Substanzen in Entwicklung, darunter mehrere Antikörper, die sich gegen HER3 richten.
Neue Tyrosinkinaseinhibitoren In der Entwicklung sind auch neue Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) für Patientinnen mit Brustkrebs. Dazu zählen irreversible TKI und TKI mit einem breiteren Aktivitätsspektrum als Lapatinib. Am weitesten fortgeschritten ist die Entwicklung des irreversiblen EGFR-HER2-TKI Neratinib. In einer Phase-II-Studie wurden 136 Frauen mit HER2-positivem metastasiertem Brustkrebs mit Neratinib behandelt. Die Ansprechrate betrug bei den Frauen, die zuvor mit Trastuzumab behandelt worden waren, 24 Prozent und bei Trastuzumabnaiven Patientinnen 56 Prozent. Das progressionsfreie Überleben betrug in der 16. Woche 59 beziehungsweise 78 Prozent. Zurzeit laufen verschiedene Studien, in denen Neratinib mit anderen Substanzen kombiniert eingesetzt oder mit anderen Therapiemöglichkeiten verglichen wird.
Inhibition des PI3K-Signalwegs Die PI3K-Familie besteht aus mehreren Mitgliedern und ist ein komplexes Gefüge, das in drei Hauptklassen eingeteilt wird. Bestimmte PI3K werden via Tyrosinkinaserezeptoren (einschließlich der HER-Familie) durch Wachstumsfaktoren aktiviert. Die Aktivierung von PI3K führt zu einer Stimulation von Akt und von mTOR-Kinasen, was die Proliferation und das Überleben von Tumorzellen fördert. Inhibitoren des PI3K-Signalwegs weisen bei Brustkrebspatientinnen nur eine mässige Antitumoraktivität auf und müssen wahrscheinlich zusammen mit anderen Substanzen verabreicht werden, um optimal zu wirken. Derzeit werden verschiedene Inhibitoren des PI3K-Signalwegs untersucht, beispielsweise GDC-0941. Ebenso sind duale PI3K-mTOR-Inhibitoren in klinischer Entwicklung. Darüber hinaus wurden verschiedene mTORInhibitoren bei Brustkrebspatientinnen untersucht, wovon Everolimus die besten Responseraten erzielte. Everolimus wird aktuell in verschiedenen klinischen Studien eingesetzt.
kleineren Studien untersucht, weitere befinden sich in der frühen klinischen Entwicklung.
Angiogeneseinhibitoren Die Überexpression von HER2 ist mit einer erhöhten Expression von VEGF (vascular endothelial growth factor) und mit einer entsprechenden Angiogenese assoziiert, weshalb Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom möglicherweise besonders von einer Behandlung mit einem Angiogenesehemmer profitieren. Der Angiogeneseinhibitor Bevacizumab wurde in einer Phase-II-Studie erfolgreich mit Trastuzumab kombiniert und wird derzeit im Rahmen verschiedener randomisierter Studien in Kombination mit Trastuzumab und einer Chemotherapie bei Patientinnen mit HER2-positiver Erkrankung evaluiert, darunter auch in der adjuvanten Situation.
IGF-1R, Krebsimpfstoffe und Immuntherapie
Zu den neuen Behandlungsansätzen bei HER2-positivem
Brustkrebs zählen auch Inhibitoren des IGF-1R-Signalwegs,
Krebsvakzine und die Immuntherapie. HER2 als Ziel für die
Immuntherapie gewinnt zunehmend an Interesse. Es wurden
mehrere adjuvante klinische Studien durchgeführt, in denen
immunogene Peptide (AE37, E75 oder GP2) aus dem HER2-
Protein plus GM-CSF intradermal verabreicht wurden. Vor-
läufige Daten weisen darauf hin, dass alle drei Peptidimpf-
stoffe sicher und gut verträglich sind. Darüber hinaus
wurden synergistische Effekte der Peptidimpfung und der Be-
handlung mit Trastuzumab beobachtet. Dies lässt vermuten,
dass die Integration der Immunvakzination in die Standard-
therapie eine vielversprechende Strategie ist.
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Andrea Wülker
Arteaga CL et al.: Treatment of HER2-positive breast cancer: current status and future perspectives. Nat Rev Clin Oncol 2012; 9: 16–32.
Interessenlage: nicht deklariert
HSP90-Inhibitoren Das Hitzeschockprotein 90 (HSP90) verhindert den Abbau verschiedener Zellproteine, darunter auch HER2. Die Hemmung von HSP90 führt zu einem vermehrten Abbau von HER2 und verstärkt die Apoptose von HER2-exprimierenden Brustkrebszellen. Einige HSP90-Inhibitoren wurden in
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