Transkript
STUDIE REFERIERT
Polychemotherapie bei frühem Brustkrebs
Die Early Breast Cancer Trialists‘ Collaborative Group (EBCTCG) kam in ihrem aktuellen Review zu dem Ergebnis, dass Taxan- plus Anthrazyklin-basierte Regime die Brustkrebsmortalität stärker senken als Anthrazyklin-basierte Regime allein und dass kumulativ höher dosierte Regime wirksamer sind als niedriger dosierte. Ausserdem stellten sie fest, dass die Reduzierung der Rezidivraten und der Brustkrebsmortalität unabhängig von den Tumor- und Patientencharakteristika erfolgte.
LANCET
Die Early Breast Cancer Trialists’ Collaborative Group (EBCTCG) wurde eingerichtet, um eine individuelle patientenbasierte Metaanalyse aller randomisierter Studien zu adjuvanten Behandlungen durchzuführen. In einem älteren Report wurde über die Polychemotherapie im Vergleich zu keiner adjuvanten Chemotherapie und über Anthrazyklin-basierte Chemotherapien (mit Doxorubicin und Epirubicin) versus CMF (Cyclophosphamid, Methotrexat, Flourouracil) berichtet, jedoch
Merksätze
❖ Regime aus Taxan- und Anthrazyklin-basierter Chemotherapie senken die Brustkrebsmortalität stärker als Anthrazyklin-basierte Regime.
❖ Kumulativ höher dosierte Regime waren wirksamer als niedriger dosierte.
❖ Die Reduzierung der Brustkrebsmortalität durch die Polychemotherapie erfolgt weitgehend unabhängig von Patienten- und Tumorcharakteristika.
ohne Berücksichtigung von Dosierungen und Taxanbehandlungen. Im vorliegenden Review werden aktuelle Studienergebnisse zu Taxanen und ein Update der anderen Studienergebnisse zu Chemotherapien präsentiert. In dieser Arbeit wurde nun die Relevanz der Dosierungsschemata untersucht und zudem geprüft, ob bestimmte Patienten- oder Tumorcharakteristika wie das Alter, der nodale Status, die Tumordifferenzierung, der Östrogenrezeptorstatus oder die Anwendung von Tamoxifen die proportionalen Reduzierungen an Rezidiven und der Mortalität unter der modernen Chemotherapie beeinflussen.
Methoden Die Autoren führten eine Patientendaten-Metaanalyse von randomisierten Studien zu folgenden Regime-Vergleichen durch ❖ Taxan-basierte plus Anthrazyklin-
basierte Regime im Vergleich zu einem Anthrazyklin-basierten Kontrollregime derselben Zusammensetzung oder ergänzt mit weiteren NichtTaxan-Komponenten (n = 44 000) ❖ Ein Anthrazyklinregime versus ein anderes Anthrazyklinregime (n = 7000) oder versus CMF (n = 18 000) ❖ Eine höhere Anthrazyklindosierung im Vergleich zu einer niedrigen Anthrazyklindosierung ❖ Polychemotherapie versus keine Chemotherapie (n = 32 000)
Die Dosierungsschemata der 3 Chemotherapeutika und der Anthrazykline Doxorubin und Epirubin wurden zur Definition von Standard-CMF, Standard-4AC, CAF und CEF verwendet (Tabelle). Im Rahmen der Auswertung wurde anhand des Log-Rang-Tests das relative Risiko (RR) der Brustkrebsmortalität ermittelt.
Ergebnisse In Studien mit einem festgelegten Anthrazyklin-basierten Kontrollregime und 4 zusätzlichen separaten Taxan-
Zyklen unter Verlängerung der Behandlungsdauer zeigte sich eine signifikante Reduzierung der Brustkrebsmortalität (RR = 0,86) im Vergleich zum Anthrazyklin-Regime allein. In Studien mit 4 dieser zusätzlichen Taxan-Zyklen, bei denen die Kontrollregime mit zusätzlichen Zyklen anderer zytotoxischer Substanzen und etwa verdoppelter Dosierung der NichtTaxane ausgeglichen wurden, fand man dagegen keinen signifikanten Unterschied (RR = 0,94). In Studien mit CMF-Kontrollregimen zeigte sich eine Gleichwertigkeit von Standard-4AC und Standard-CMF (RR = 0,98). Anthrazyklin-basierte Regime mit erheblich höherer Kumulativdosis als Standard-4AC (z.B. CAF oder CEF) waren Standard-CMF jedoch im Hinblick auf die Reduzierung der Brustkrebsmortalität überlegen (RR = 0,78). In Studien gegenüber keiner Chemotherapie wurden ebenfalls ausgeprägtere Reduzierungen der Mortalität mit dem kumulativ höher dosierten CAF (RR = 0,64) im Vergleich zu Standard4AC (RR = 0,78) oder Standard-CMF (RR = 0,76) beobachtet. In allen Taxan- oder Anthrazyklinbasierten Metaanalysen wurde die proportionale Risikoreduzierung nur geringfügig von Alter, nodalem Status, Tumordurchmesser oder Differenzierung, dem Östrogenrezeptorstatus oder der Anwendung von Tamoxifen beeinflusst. Somit reduzierten einige Taxanplus-Anthrazyklin-basierte oder Anthrazyklin-basierten Regime mit höherer Kumulativdosis – weitgehend unabhängig vom Alter (bis 70 Jahre) oder den verfügbaren Tumorcharakteristika – die Brustkrebssterblichkeit um etwa ein Drittel. Die Differenz der 10Jahres-Gesamtsterblichkeit entsprach trotz der Toxizitäten von Taxanen, Anthrazyklinen oder anderer Toxizitäten der Differenz der brustkrebsbedingten Sterblichkeit zwischen beiden Gruppen. Aufgrund der Ergebnisse kommen die Autoren zu dem Schluss, dass der 10Jahres-Vorteil der Reduzierung der Brustkrebsmortalität um ein Drittel von den absoluten Risiken ohne Chemotherapie abhängt. Dies sind bei östrogenrezeptorpositiver Erkrankung beispielsweise die Risiken, die unter einer geeigneten endokrinen Therapie
ARS MEDICI 8 ■ 2012
381
STUDIE REFERIERT
Tabelle:
Standardregime und höher akkumulierte Regime
Standard-CMF Near Standard-CMF
Standard-4AC Standard-4EC CAF CEF
Vorgesehene Zyklenzahl und zytotoxische Behandlung pro Zyklus 6 Zyklen an C100×14 M40×2 F500×2, alle 4 Wochen 6-12 Zyklen mit derselben Dosis wie Standard-CMF und/oder C600×2 anstelle von C100×4 4 Zyklen an A60 C600, intravenös alle 3 Wochen 4 Zyklen an E90 C600, intravenös alle 3 Wochen 6 Zyklen an C100×14 A30×2 F500×2, alle 4 Wochen 6 Zyklen an C75×14 E60×2 F500×2, alle 4 Wochen
Medikamentendosis, mg/m² × Häufigkeit pro Zyklus (× 14 = Tage 1–14 oral, × 2 = Tag 1 und Tag 8 intravenös)
C = Cyclophosphamid, M = Methotrexat, F = Fluorouracil, A = Doxorubin (Adriamycin), E = Epirubicin
bestehen bleiben. Ein niedriges absolutes Risiko impliziert demzufolge auch einen geringeren absoluten Benefit. Allerdings standen keine Informationen zu Tumorgenexpressionsmarkern oder zur quantitativen Immunhistochemie zur Verfügung, die zur Prädiktion des Risikos, der Chemosensitivität oder beidem hilfreich gewesen sein könnten.
Diskussion Die Autoren gelangten in ihrer Metaanalyse zu fünf wesentlichen Ergebnissen. 1. Die Regime Standard-CMF und
Standard-4AC waren ungefähr gleichwertig. Mit jedem Regime wurde die 2-Jahresrezidivrate halbiert, die Rezidivraten während der nächsten 8 Jahre um ein Drittel reduziert und die brustkrebsbedingten Mortalitätsraten wurden um 20 bis 25 Prozent vermindert. 2. Regime mit signifikant niedrigeren Dosierungen pro Zyklus waren insgesamt auch etwas weniger wirksam. 3. Regime mit signifikant höher dosierter Chemotherapie als Standard4AC (aber nicht so intensiv, dass Stammzellen erforderlich waren) waren etwas wirksamer. Im Vergleich zu Standard-CMF oder Standard-4AC konnte mit Regimen wie CAF oder CEF oder mit Regimen wie 4AC plus 4 Taxan-Zyklen (wöchentlich appliziert) eine weitere Reduzierung der Brustkrebsmortalität um 15 bis 20 Prozent erzielt werden.
Durchschnittlich verbesserten Taxanplus Anthrazyklin-basierte Regime das Ergebnis geringfügig, aber signifikant im Vergleich zum Anthrazyklin-basierten Kontrollregime (ausser das fehlende Taxan wurde im Kontrollregime durch Verdoppelung der Zyklenzahl mit anderen zytotoxischen Medikamenten ausgeglichen). 4. Bei allen Chemotherapievergleichen war auch die 10-Jahres-Gesamtsterblichkeit entsprechend reduziert, denn es gab nur eine geringe zusätzliche nicht brustkrebsbedingte Mortalität im ersten Jahr und danach. Addiert man die Brustkrebs-Mortalitäts-RR für das erste und dritte Ergebnis (Standard-CMF oder Standard 4AC vs keine Chemotherapie und effektivere Regime vs weniger effektive Regime), ergibt sich bei den effektiveren Regimen eine Reduzierung der brustkrebsassoziierten Mortalitätsrate um 36 Prozent im Vergleich zu keiner Chemotherapie. 5. Als letztes wichtiges Ergebnis waren die proportionalen Reduzierungen der frühen Rezidive jeglicher Rezidive und der Brustkrebsmortalität unabhängig von den jeweiligen Tumor- oder Patientencharakteristika.
In den ausgewerteten Studien hatten nur wenige Patientinnen kleine gut differenzierte Tumoren. Im Gegensatz zur Studiensituation werden bei gross angelegten Mammografie-Screenings in der Allgemeinbevölkerung jedoch viele
Brustkrebserkrankungen mit geringer
Krankheitslast, geringem prolifera-
tivem Index und daher hoher Wahr-
scheinlichkeit eines auf Endokrine
ansprechenden Luminal-A-Tumors dia-
gnostiziert. Die vorliegende Metaana-
lyse liefert keine Informationen zur
Wirksamkeit einer Chemotherapie bei
diesen Niedrigrisikotumoren. Bei einer
ER-positiven Erkrankung mit gerin-
gem Risiko und wirksamer endokriner
Therapie kann eine weitere Risikore-
duzierung durch eine zusätzliche Che-
motherapie jedoch nicht sehr ausge-
prägt sein. Somit wird diesen Patientin-
nen mit der Chemotherapie nicht
geholfen, sie werden aber durch die To-
xizität geschädigt. Dies beinhaltet nicht
nur akute Toxizitäten, sondern auch
eine langfristige Neurotoxizität und eine
anthrazyklinbedingte Kardiotoxizität.
Ein längerer Follow-Up dieser Studien
wird zur verlässlicheren Abschätzung
des Nutzens und der Risiken der Poly-
chemotherapien hilfreich sein.
❖
Petra Stölting
Early Breast Cancer Trialists’ Collaborative Group (EBCTCG): Comparisons between different polychemotherapy regimens for early breast cancer: meta-analyses for long term outcome among 100 000 women in 123 randomised trials, Lancet 2012;379:432–444.
Interessenkonflikte: Einige Autoren der Arbeitsgruppe erhalten Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen.
382
ARS MEDICI 8 ■ 2012