Transkript
FORTBILDUNG
Oberflächliche Venenthrombose
Eine vermeintlich harmlose Erkrankung
Ziel dieser Übersichtsarbeit ist es, neue Aspekte einer altbekannten Krankheit zusammenzufassen.
CHRISTINA JEANNERET UND SARAH BRUNNER
Eine wichtige, neue Erkenntnis ist, dass die sogenannte «Thrombophlebitis» einer Thrombose entspricht, welche in einer intra- oder epifaszial gelegenen Vene lokalisiert ist. Sie kann assoziiert sein mit Lungenembolien und tiefen Beinvenenthrombosen und birgt somit Risiken. Assoziierte Erkrankungen wie zugrunde liegende Tumoren, Infekte oder erworbene wie auch angeborene Gerinnungsstörungen müssen in Betracht gezogen werden. Neue plazebokontrollierte Studien zeigen einen klaren Benefit der Therapie mit niedermolekularem Heparin beziehungsweise dem Pentasaccharid Fondaparinux. Die Indikation zur Kompressionstherapie ist bei Varikose klar gegeben, nicht so bei oberflächlichen Thrombosen in normalkalibrigen Venen.
Pathopyhysiologie und Terminologie Der Terminus «Thrombophlebitis» wird durch die korrektere Bezeichnung «oberflächliche Venenthrombose» nun auch im deutschen Sprachraum allmählich ersetzt. Dies entspricht den pathophysiologischen und auch histologisch nachweisbaren Veränderungen im Verlauf der Thrombusentstehung. Die Virchow'sche Trias (Stase, Endothelläsion, Gerinnungsstörung) hat auch beim Entstehungsmechanimus der oberflächlichen Venenthrombose ihren Stellenwert, wobei sich im akuten Stadium ein vor allem im Klappensinus entstehender wandadhärenter Thrombus bildet, der nach proximal wächst. Im Verlauf des Reparationsprozesses wandern Entzündungszellen (Granulozyten, Makrophagen) über die Adventitia ins Venenlumen ein, und der entzündliche Prozess kommt in Gang. Nach im Mittel 16 Tagen kommt es zur Einsprossung von neu entstandenen kleinen Gefässen und damit zur beginnenden Revaskularisation des Thrombus. Die entzündlichen Prozesse können bei den oberflächlich gelegenen Venen zu den klinisch fassbaren Zeichen wie Rubor, Calor und Dolor führen (Abbildung 1).
Merksätze
❖ Die oberflächliche Venenthrombose ist in 30 Prozent der Fälle assoziiert mit einer tiefen Venenthrombose, weniger häufig auch mit einer Lungenembolie.
❖ Die begleitende tiefe Venenthrombose ist per continuitatem oder als Zweitmanifestation eines Thromboseleidens entstanden.
❖ Thrombophilie und je nach Klinik auch Malignome müssen bei bestimmten Risikokonstellationen gesucht werden.
❖ Diagnostik der Wahl ist die duplexsonografische Abklärung, sie muss bei oberflächlicher Venenthrombose mit Frage nach Ausdehnung und begleitender tiefer Beinvenenthrombose zwingend erfolgen.
❖ Die Therapiemodalität basiert auf dem duplexsonografisch erhobenen Befund: Bei oberflächlicher Venenthrombose ohne Einbezug des tiefen Beinvenensystems (umschriebener Befall < 10 cm, > 5 cm entfernt von der Krosse, nicht in der Umgebung einer Perforansvene) erfolgt die Gabe von Fondaparinux in tiefer Dosierung (Prophylaxedosis) gemäss der CALISTO-Studie.
Epidemiologie Die akute, oberflächliche Venenthrombose ist häufig, in Deutschland wird die Inzidenz auf 1 bis 10 Promille beziehungsweise 30 0000 Neuerkrankungen pro Jahr geschätzt. 62 Prozent der oberflächlichen Venenthrombosen treten in einer vorbestehenden, varikös veränderten Vene auf (Varikothrombose) (1). In der Basler Studie hatten 6 Prozent der Männer und 14 Prozent der Frauen anamnestisch Hinweise für eine durchgemachte oberflächliche Venenthrombose (2). Richter et al. beschrieben im Jahr 1905 den ersten Fall einer Lungenembolie aus einer oberflächlichen Vene (3). Die PostStudie gibt Aufschluss über die Inzidenz einer venösen Thromboembolie bei isolierter oberflächlicher Venenthrombose (4). Decousus et al. untersuchten prospektiv 844 Patienten über drei Monate, 210 Patienten (24,9%) hatten bei Studieneinschluss eine tiefe Beinvenenthrombose und/oder eine Lungenembolie. Die Patienten mit isolierter oberflächlicher Venenthrombose wurden über drei Monate untersucht, 10,2 Prozent entwickelten thromboembolische Komplikationen (Thrombose, Lungenembolie, Ausdehnung der oberflächlichen Venenthrombose, Rezidiv der oberflächlichen Venenthrombose). Prädiktoren für die Entwicklung einer Thromboembolie war das männliche Geschlecht, eine Anamnese mit durchgemachter tiefer Beinvenenthrombose. Nicht signifikant für die Entwicklung einer assoziierten tiefen Beinvenenthrombose war das Fehlen von Varizen
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Abbildung 1: Oberflächliche Venenthrombose der V. saphena magna in einer nicht varikös veränderten Vene
Tabelle 1:
Risikofaktoren für die Entwicklung einer tiefen Beinvenenthrombose bei oberflächlicher Venenthrombose (22)
Risiko
Bilaterale oberflächliche Venenthrombose Alter > 60 Männliches Geschlecht Status nach tiefer Beinvenenthrombose Bettlägerigkeit Infekt
p
0,01 0,01 0,01 0,01 0,02 0,02
beziehungsweise eine kardiale oder respiratorische Insuffizienz (4). Eine Literaturrecherche mit Einbezug von 15 Studien bei 2044 Patienten zeigte eine Inzidenz von tiefen Beinvenenthrombosen von 14 Prozent und Lungenembolien von 3 Prozent (5).
Klinik und Differenzialdiagnose Eine oberflächliche Venenthrombose kann in varikös veränderten Venen ebenso wie in normalkalibrigen Venen vorkommen. Die entzündlichen Veränderungen der Venenwand sind bei der oberflächlichen Venenthrombose in nicht varikös veränderten Venen nicht als Strang palpabel, sondern manifestieren sich häufig als flächenförmige Rötung (Abbildung 1). Die Rötung kann fehlen, eine alleinige Druckdolenz im Bereich von epifaszialen Venen der unteren Extremität kann bei einer isolierten oberflächlichen Venenthrombose vorkommen. Eine ohne Grundkrankheit aufgetretene oberflächliche Venenthrombose in einer nicht varikös veränderten Vene sollte an eine Neoplasie denken lassen (6). Bei bekanntem Tumorleiden muss die Tumoraktivität überprüft werden. Andere Ursachen wie eine Thrombophilie, insbesondere das Antiphospholipid-Antikörpersyndrom, kommen ebenfalls infrage.
Differenzialdiagnose Eine der häufigsten Differenzialdiagnosen ist das Erysipel beziehungsweise die Cellulitis. Die Lokalisation ist häufiger am Unterschenkel, das Krankheitsbild geht mit Fieber und Allgemeinsymptomen einher, ebenso kann häufig eine Lymphadenitis inguinal getastet und duplexsonografisch abgebildet werden. Weniger häufige Differenzialdiagnosen sind eine Hautmanifestation bei der Lyme-Borreliose oder das Sweet-Syndrom. Das Sweet-Syndrom kommt bei hämatologischen Erkrankungen (Leukämie, myeloproliferative Erkrankungen) oder bei immunologischen Erkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis oder Morbus Crohn vor. Es wurde erstmals 1964 von Robert Douglas Sweet beschrieben, es handelt sich um Granulozyteninfiltrate in der Dermis. (7)
Diagnostik Die klinische Untersuchung soll neben der Anamnese und Familienanamnese den Lokalbefund umfassen. Die Ausdehnung der Rötung ist wichtig, ebenso müssen die klinischen Zeichen einer venösen Insuffizienz sowie eine allfällige Stamm- und Astvarikose der epifaszialen Venen erfasst werden. Zur weiteren Abklärung ist die Durchführung einer Duplexsonografie unerlässlich, einerseits um die genaue Ausdehnung der thrombosierten Vene zu kennen, andererseits um begleitende tiefe Beinvenenthrombosen zu diagnostizieren (8). Die Unterscheidung in varikös und nicht varikös veränderte Venen muss klinisch erfolgen. Duplexsonografisch empfiehlt sich eine Durchmesserbestimmung, der venöse Reflux kann in den obliterierten Venen nicht mehr beurteilt werden.
Oberflächliche Venenthrombose und Thromboembolie Meistens verläuft die oberflächliche Venenthrombose selbstlimitierend ohne wesentliche Morbidität. Seit der Einführung der Duplexsonografie wissen wir jedoch, dass die oberflächliche Venenthrombose sich in das tiefe Venensystem ausdehnen kann, einerseits über die Krossen der Vena saphena magna und der Vena saphena parva, andererseits über die Perforansvenen. Je nach Literaturangabe wird die Häufigkeit einer tiefen Beinvenenthrombose bei einer oberflächlichen Venenthrombose mit 6 bis 40 Prozent, diejenige der Lungenembolie mit 1 bis 8 Prozent angegeben (5). Neben der Propagation in die Tiefe (bei 11%) ist auch eine parallel dazu sich entwickelnde tiefe Beinvenenthrombose nicht selten. Die von Lutter et al. beschriebenen Risikofaktoren sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Lutter et al. fanden eine identische Häufigkeit der mit oberflächlicher Venenthrombose assoziierten tiefen Beinvenenthrombose bei varikös beziehungsweise nicht varikös veränderten Venensegmenten. Andere Autoren sehen die Assoziation häufiger bei nicht varikösen Venen, nämlich bei 44 bis 60 Prozent, bei der Varikose-assoziierten Venenthrombose bei 3 bis 20 Prozent (9, 10). Die rezidivierende oberflächliche Venenthrombose an sich ist ein Risikofaktor für die Entwicklung einer tiefen Beinvenenthrombose in Risikosituationen wie Immobilisation, Operation, Trauma beziehungsweise Schwangerschaft (11). Umgekehrt entwickeln Patienten mit durchgemachter tiefer Beinvenenthrombose und danach sich manifestierender
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Tabelle 2:
Tumor und oberflächliche Thrombose (15)
Tumorart
Mammakarzinom Kolonkarzinom Hämatologische Tumoren Hauttumoren Ösophaguskarzinom Prostatakarzinom Nierenkarzinom Halstumor Total (4 Patienten hatten zwei Tumoren)
n
7 4 4 3 1 1 1 1 22
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Abbildung 3: Duplexsonografische Dokumentation im B-Bild einer oberflächlichen Venenthrombose der V. saphena magna (normalkalibrig) ins Lumen der V. femoralis communis ragend
Abbildung 2: Oberflächliche Venenthrombose in einer varikös veränderten Vene
oberflächlicher Venenthrombose signifikant häufiger Rezidive einer Thromboembolie, wobei eine hohe Faktor-VIIIKonzentration einen unabhängigen Risikofaktor darstellt (12). In der kürzlich publizierten, gross angelegten epidemiologischen MEGA-Studie der Universität Leiden konnte gezeigt werden, dass Patienten mit einer durchgemachten oberflächlichen Thrombose ein 6,3-fach erhöhtes Risiko für eine tiefe Beinvenenthrombose und ein 3,9-faches Risiko für eine Lungenembolie hatten (13). In einer kleinen Studie bei 21 Patienten mit oberflächlicher Venenthrombose fanden Verlato et al. 7 (33%) Lungenembolien ohne Assoziation zum Vorliegen einer Thrombosierung der Krosse der V. saphena magna (14).
Oberflächliche Venenthrombose und Tumor In einer prospektiv angelegten Studie entwickelten 17 von 140 Patienten in einem Zeitraum von 9 Jahren einen Tumor. Die verschiedenen Tumorleiden sind in Tabelle 2 aufgelistet (15). Laut einer eben erschienenen Studie ist das Risiko, eine Neoplasie zu entwickeln, vor allem im ersten Jahr nach Diagnosestellung einer Thrombose am höchsten. Die standardisierte Inzidenzrate für die Entwicklung eines Karzinoms war in dieser grossen dänischen epidemiologischen Studie mit 7663 Patienten mit oberflächlicher Venenthrombose 2,46 (2,1–2,86) vergleichbar mit den entsprechenden Inzidenzraten für tiefe Beinvenenthrombose (2,75) und Lungenembolie (3,27) (16).
Abbildung 4: Duplexsonografische Dokumentation im B-Bild einer oberflächlichen Venenthrombose in einem varikös erweiterten Ast der V. saphena magna
Therapie Allgemeine Massnahmen Der Patient soll mobilisiert werden mit einem wenn möglich zwei- bis dreilagigen Kompressionsverband. Nach Abklingen der Entzündungszeichen kann auf die Kompressionstherapie mit Strümpfen Kompressionsklasse II gewechselt werden. Lokal applizierte entzündungshemmende und mit Hirudoid® versetzte Salben haben keine signifikanten Wirksamkeitsunterschiede feststellen lassen (17).
Antikoagulation Die Therapie der oberflächlichen Venenthrombose richtet sich nach der in der duplexsonografisch erhobenen Untersuchung gesehenen Ausdehnung. Bei Krosse- oder Perforansnahen Thrombosen wird eine orale Antikoagulation für 6 bis 12 Wochen empfohlen. Die Stenox-Studie zeigte, dass bei
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einer oberflächlichen Venenthrombose unter Plazebo im Ver-
gleich zu Enoxaparin (Clexane®) 40 mg (Prophylaxedosis)
oder 1,5 mg/kg KG (therapeutische Dosis) 10 Tage nach
Diagnosestellung signifikant häufiger eine proximale Aus-
dehnung der oberflächlichen Venenthrombose entstand. Die
Inzidenz der tiefen Beinvenenthrombose blieb jedoch in allen
Gruppen gleich (18). 20 Prozent versus 3,3 Prozent throm-
boembolische Ereignisse wurden beobachtet in der Gruppe
mit niedrig dosiertem im Vergleich zur Gruppe mit therapeu-
tisch dosiertem unfraktioniertem Heparin, dies in einem
sechsmonatigen Follow-up (19). Ebenfalls signifikant häufi-
ger waren Rezidive der oberflächlichen Venenthrombose.
Belcaro et al. haben 1999 eine Vergleichsstudie zwischen pro-
phylaktischer Dosis mit niedermolekularem Heparin und
operativer Therapie versus alleinige Kompression durchge-
führt. Sie fanden bei der alleinigen Kompression im Vergleich
zu den anderen Therapiemodalitäten ebenfalls signifikant
häufiger eine proximale Ausdehnung der oberflächlichen
Venenthrombose (20). Ebenso wurden etwas häufiger tiefe
Beinvenenthrombosen beobachtet.
Die erste plazebokontrollierte Studie bei isolierter oberfläch-
licher Venenthrombose ohne Beteiligung des tiefen Bein-
venensystems sowie mit Lokalisation > 3 cm entfernt von
einer Krosse beziehungsweise einer Verbindung zum tiefen
Beinvenensystem hat gezeigt, dass unter Fondaparinux
(Arixtra®) 2,5 mg (Prophylaxedosis) signifikant weniger
häufig der kombinierte Endpunkt Thrombose, sympto-
matische Lungenembolie, Ausbreitung der oberflächlichen
Thrombose, Rezidiv der oberflächlichen Thrombose und
Tod beobachtet wurde (Plazebogruppe 5,9%, Fondaparinux-
gruppe 0,9%). Wenn der Endpunkt nur bezüglich sympto-
matischer Thromboembolie betrachtet wird, finden wir
1,3 Prozent in der Plazebogruppe und 0,2 Prozent in der
Fondaparinuxgruppe, auch diese Differenz ist statistisch
signifikant (21). Es wurde eine Therapiedauer von 45 Tagen
untersucht, es werden weitere Studien zur Therapiedauer
folgen müssen.
❖
Korrespondenzadresse: PD Dr. Christina Jeanneret Leitende Ärztin Angiologie Medizinische Universitätsklinik 4101 Bruderholz Tel. 061-436 20 60 Fax 061-436 36 78 E-Mail: Christina.Jeanneret@ksbh.ch
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Interessenkonflikte: keine deklariert
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