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FORTBILDUNG
Das PCO-Syndrom: Management in der Praxis
Differenzialdiagnostik und Therapie
Das PCO-Syndrom (polyzystisches Ovarsyndrom), eine der häufigsten endokrinologischen Funktionsstörungen, tritt meist aufgrund der assoziierten Androgenisierung in Erscheinung. Zu beachten ist, dass eine Hyperandrogenämie anderer Genese auch zu einem sekundären PCO-Syndrom führen kann. Entsprechend ist es klinisch von Bedeutung, das Syndrom im Kontext mit anderen Ursachen einer Androgenisierung zu sehen.
MICHAEL VON WOLFF
Das PCO-Syndrom tritt mit einer Prävalenz von 10 Prozent der Funktionsstörungen auf, welche mit einer Androgenisierung assoziiert sind. Da sowohl die Pathogenese als auch die Ausprägung des Syndroms sehr komplex sind, ist die exakte Differenzialdiagnose wesentlich für die Therapie und Risikoabschätzung.
Differenzialdiagnosen einer Androgenisierung Eines der Leitsymptome des PCO-Syndroms ist eine Androgenisierung. Zu den häufigsten Differenzialdiagnosen gehören entsprechend (Abbildung 1): 1. PCO-Syndrom (Prävalenz ca. 10%) 2. PCO-Syndrom mit einem metabolischen Syndrom (Prä-
valenz ca. 5%)
3. Adrenogenitales Syndrom (AGS) (Prävalenz max. 5%) 4. Androgen-produzierende Tumoren der Ovarien und Ne-
bennieren (Prävalenz < 1%) 5. Exogene Androgenzufuhr oder Einnahme androgenisie-
render Medikamente (Anabolika, Kortikosteroide etc.).
PCO-Syndrom Obligat scheint beim PCO-Syndrom ein Defekt im Androgenstoffwechsel vorzuliegen, der meist zu einer Hyperandrogenämie führt. Auch können andere Ursachen einer Hyperandrogenämie, zum Beispiel ein AGS, ein Androgen-produzierender Tumor oder die exogene Zufuhr von Androgenen, zu einem sekundären PCO-Syndrom führen. Fakultativ spielen metabolische Einflussgrössen, insbesondere das Insulin, eine Rolle. Liegen zusätzliche metabolische Veränderungen vor, so spricht man vom metabolischen Syndrom.
Metabolisches Syndrom Unter metabolischem Syndrom wird die Summe verschiedener metabolischer Pathologien verstanden, welche mit einem erhöhten Risiko für einen Diabetes und für kardiovaskuläre Erkrankungen einhergeht. Da eine Insulinresistenz eine der Ursachen des PCO-Syndroms ist, weisen zirka 30 bis 50 Prozent der PCO-Patientinnen auch ein metabolisches Syndrom auf. Hinweisend für ein metabolisches Syndrom sind: ❖ zentrale Adipositas ❖ Dyslipidämien ❖ Glukosestoffwechselstörung ❖ arterielle Hypertonie.
Merksätze
❖ Da eine Androgenisierungserscheinung eines der Leitsymptome des PCO-Syndroms ist, gehören zur Differenzialdiagnostik auch das AGS, Androgen-produzierende Tumoren und eine anderweitige Androgenzufuhr.
❖ Entsprechend sollten alle Diagnosen bei der Diagnostik berücksichtigt werden, insbesondere da jede Androgenerhöhung auch sekundär zu einem PCO-Syndrom führen kann.
❖ Zu beachten ist dabei, dass das PCO-Syndrom möglicherweise nur eine Folge, nicht aber die Ursache der Androgenisierungserscheinung ist.
Adrenogenitales Syndrom (AGS) Ein AGS kann wie das PCO-Syndrom sehr unterschiedliche Ausprägungsgrade aufweisen. Alle Formen gehen auf eine Störung der Steroidbiosynthese in der Nebennierenrinde aufgrund einer Funktionseinschränkung einzelner adrenaler Enzyme zurück. Entsprechend werden bei einem AGS unterschieden: ❖ Klassisches AGS
Das klassische AGS, meistens aufgrund einer «compound heterozygoten Mutation» (d.h. verschiedene Mutationen auf beiden Allelen), manifestiert sich bereits im Neugeborenenalter und geht in der Regel mit einer Störung der Kortisol- und Androgensynthese einher. Oft besteht zusätzlich ein Salzverlust (ca. zwei Drittel der Fälle) aufgrund einer Störung der Synthese des Mineralkortikoids Aldosteron. Die Inzidenz liegt bei 1:12 000 (1).
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Anamnese: Hirsutismus, Alopezie, sekundäre Akne und Seborrhö, Virilisierung, Oligo-/Amenorrhö
Sono Ovarien plus Labor: Gesamt-Testost., DHEA-S, OH-Prog.; LH/FSH, Östradiol; bei Oligo-/Amenorrhö: TSH, Prolaktin; bei stammbetonter Adipositas: Hüftumfang, Blutfette, Blutdruck, Nüchternblutzucker
∅ Hyperandrogenämie
Gesamt-Testo + DHEA-S oder OH-
Prog. ↑
2 der 3 Symptome: Hyperandrogenismus, PCO, Oligo-/Amenorrhö
Testost. ↑↑ oder DHEA-S ↑↑
(> 2 x obere Norm)
Hyperandrogenismus oder ethnisch
V.a. Late-onset-AGS
PCO-S
V.a. androgenprod. Tumor
Versuch antiandrogene Therapie; Kinderwunsch?: ggf. Ovulationsinduktion
ACTH-Test
AGS:
∅ AGS:
Test pos. Test neg.
Kinderwunsch
∅ Kinderwunsch
Diagnostik
Entscheidungskriterium
Diagnose Therapie
CYP21Mutation bei Mann und Frau?
Ggf. Ovulationsind. und ggf.
Dexamethason (bei CYP21 pos.)
Antiandrogene Therapie
etc.
Hüftumfang, Blutfette, Blutdruck, Nüchternglukose
∅ Metab. Syndrom
Metab. Syndrom: Hüftu.↑, Triglyz.↑,
HDL↓, RR↑, Glukose↑
Metformin?, Diät
Kinderwunsch
∅ Kinderwunsch
Ggf. Metformin, Ovulationsind., Ovarian drilling
Antiandrogene Therapie
etc.
Abbildung 1: Flowchart zur Differenzialdiagnostik bei Androgenisierungserscheinungen
Sono Ovarien, MRI Nebenniere
∅ Tumor Tumor ja
Androg. ↑↑↑ oder Anstieg
Ggf. selektive Venenkath., Szinti., operat. Exploration
Operation
∅ Tumor Tumor ja
Tabelle 1:
Die Mutationen im Androgenstoffwechsel beim AGS
Enzym
21-Hydroxylase 11-Hydroxylase 3-β-HydroxysteroidDehydrogenase 17-Hydroxylase
Gen CYP21A2 CYP11B1 HSD3B2
CYP17
Leitsteroid
17-Hydroxyprogesteron 11-Desoxycortisol 17-Hydroxypregnenolon DHEA 11-Desoxykortokosteron
Häufigkeit > 90% 5% 1%
1%
❖ Late-onset-AGS Hier handelt es sich um ein AGS ohne Störung der Mineralkortikoidsynthese. Meistens liegt eine heterozygote Mutation des CYP21-Gens vor. Erste Symptome zeigen sich in der Regel postpubertär. Die Prävalenz liegt bei maximal 5 Prozent.
❖ Kryptisches AGS Hier liegt meist eine heterozygote Mutation des CYP21Gens ohne Androgenisierung vor. Die Prävalenz der heterozygoten Mutation liegt bei 1:50.
Im Jugend- und Erwachsenenalter wird die Diagnose eines klassischen AGS nur selten gestellt. Oft liegt neben den Androgenisierungserscheinungen eine ausbleibende oder
gestörte Pubertät oder eine primäre Amenorrhö vor. Ein Salzverlustsyndrom findet sich bei einer Diagnose im Jugendund Erwachsenenalter nicht. Der ACTH-Test ist in diesen Fällen eindeutig und sollte über eine molekulargenetische Diagnostik (insbesondere Ausschluss einer CYP21A2-Mutation, Tabelle 1) ergänzt werden. Ein Late-onset-AGS kann hingegen eine diskrete Symptomatik aufweisen.
Androgen-produzierende Tumoren Die Tumoren fallen typischerweise durch die besonders schnelle Entwicklung von Androgenisierungserscheinungen auf. Das zuverlässigste Symptom ist der Hirsutismus, wogegen eine Virilisierung oft erst nach einer längeren Androgenexposition auftritt. Weitere klinische Symptome sind: ❖ neu aufgetretene Akne ❖ neu aufgetretene zentroparietale Alopezie ❖ sekundäre Amenorrhö durch Suppression der Gonado-
tropinbildung ❖ Zunahme der Libido, emotionale Unausgeglichenheit.
Diagnostik Klinische Diagnostik Klinische Zeichen einer Androgenisierung sind: ❖ androgenetische Alopezie mit einer Ausdünnung der Haare,
insbesondere im Bereich des Scheitels und des Hinterhaupts
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❖ Hirsutismus (Graduierung z.B. nach Baron, 1974: Grad I: Haarstrasse vom Genitalbereich zum Nabel, Behaarung der Oberlippe und perimammilär; Grad II: wie Grad I plus Behaarung des Kinns und der Innenseite der Oberschenkel; Grad III: wie Grad II plus Behaarung des Prästernalbereichs, des Rückens, des Gesässes und der Schultern)
❖ Akne/Seborrhö (postpubertär) ❖ Virilisierung (tiefer werdende Stimme, Vergrösserung des
Kehlkopfes, maskuline Körperproportionen, Vergrösserung der Klitoris ca. > 10 mm), Hirsutismus.
Endokrinologische Basisdiagnostik Die Blutabnahme erfolgt am 2. bis 5. Zyklustag. Bei einer Amenorrhö kann an jedem beliebigen Tag die Blutbestimmung erfolgen, ohne dass man die Menstruation vorher auslöst. Zu bestimmen sind: ❖ Gesamttestosteron ❖ DHEA-S ❖ Hydroxy-(OH-)Progesteron ❖ LH/FSH ❖ Östradiol (u.a. zum Ausschluss einer Follikulogenese bei
der Blutentnahme, die zu einer Veränderung der Gonadotropinwerte führt) ❖ bei Oligo-/Amenorrhö zusätzlich TSH und Prolaktin zur Differenzialdiagnostik der oft vorliegenden Oligooder Amenorrhö.
Folgende Laborkonstellationen sprechen für die einzelnen Differenzialdiagnosen: ❖ PCO-Syndrom: Gesamttestosteron ↑, LH/FSH-Quotient > 2 ❖ AGS: Gesamttestosteron ↑, DHEAS ↑, OH-Progesteron ↑ ❖ Androgen-produzierender Tumor: Gesamttestosteron > 2 ×
obere Normgrenze.
Syndroms zu fassen versuchen. Zu den aktuellsten Kriterien gehören jene der International Diabetes Federation von 2006 (3): ❖ zentrale Adipositas: Hüftumfang > 80 cm (Europäer,
Südasiatinnen, Chinesen) plus ≥ 2 der folgenden Symptome: – erhöhte Plasmatriglyzeride: ≥ 1,7 mmol/l (150 mg/dl) – erniedrigtes HDL-Cholesterol: < 1,29 mmol/l (50 mg/dl) – erhöhter Blutdruck: systolisch ≥ 130 mmHg oder diastolisch ≥ 85 mmHg – Nüchternglukose: ≥ 5,6 mmol/l (100 mg/dl) oder Diabetes Typ II. (Bei erhöhten Nüchternglukosekonzentrationen wird ein Glukosetoleranztest zur Untersuchung einer Störung des Glukosestoffwechsels empfohlen).
Für die Diagnostik einer beginnenden Glukosestoffwechselstörung wird von Gynäkologen häufig eine Bestimmung der Insulinresistenz bevorzugt, da sie einfacher ist (s. unten). Für die Praxis ist von Bedeutung, dass ein PCO-Syndrom mit einer Insulinresistenz einhergehen kann, ohne dass ein metabolisches Syndrom vorliegt und dass ein metabolisches Syndrom nicht unbedingt zu einem PCO-Syndrom führen muss. Da eine Insulinresistenz meistens mit einer stammbetonten Adipositas assoziiert ist, findet sich der sogenannte «Apfeltyp», das heisst eine bauchbetonte Fettverteilung mit einer «waisthip- ratio» von > 0,85. Der «Birnentyp» mit einer hüftbetonten Fettverteilung hat wesentlich geringere assoziierte Risiken.
Spezifische weiterführende Diagnostik Für die Insulinresistenzbestimmung – bei Verdacht auf PCOSyndrom/Metabolisches Syndrom – ist der HOMA-Index (Homeostasis Model Assessment-Index) im Nüchternzustand ausschlaggebend:
Diagnostik eines PCO-Syndroms Für die Diagnose eines PCO-Syndroms müssen gemäss den revidierten Rotterdam-Kriterien (2) aus dem Jahr 2006 zwei der drei folgenden Kriterien vorliegen: ❖ Oligo- oder Anovulation ❖ klinische und/oder biochemische Zeichen eines Hyper-
androgenismus ❖ polyzystische Ovarien.
Von Bedeutung ist zum einen, dass für die Diagnose eines PCO-Syndroms keine Hyperandrogenämie vorliegen muss. Eine Symptomatik, die typischerweise bei einer Hyperandrogenämie auftritt, ohne dass erhöhte Androgenkonzentrationen nachgewiesen werden (= Hyperandrogenismus), ist für die Diagnose ausreichend. Zum anderen ist wichtig, dass eine andere Ursache wie ein AGS, ein Androgen-produzierender Tumor und so weiter ausgeschlossen sein muss, denn eine Hyperandrogenämie tritt auch bei einem AGS und bei einem Androgen-produzierenden Tumor auf. Gleiches gilt für die Oligo- oder Anovulation. Schliesslich ist zu bedenken, dass jede Hyperandrogenämie sekundär zu einem PCO-Syndrom führen kann.
Diagnostik eines metabolischen Syndroms Für die Diagnose eines metabolischen Syndroms werden verschiedene Kriterien angeführt, die die Komplexität dieses
HOMA-Index (nüchtern) = Insulin (μU/ml) × Blutzucker (mg/dl)/405.
Der Verdacht auf eine periphere Insulinresistenz besteht, wenn der HOMA-Index > 2 beträgt. Bei einem HOMA-Index über 2 kann ein Glukosebelastungstest oder eine HBA1c-Bestimmung auf einen Prädiabetes (HbA1c > 5,6%) oder einen Diabetes (HbA1c > 6,5%) hinweisen. Ein Prädiabetes und ein metabolisches Syndrom (Diagnosestellung s. unten) sollte weiter von einem Internisten abgeklärt werden. Für den ACTH-Test – bei Verdacht auf ein AGS – erfolgt die intravenöse Gabe von 250 μg ACTH (z.B. Synacthen®). Dabei wird Kortisol und 17α-Hydroxyprogesteron kurz vor der Injektion und nach 60 Minuten bestimmt. Ein Anstieg des 17α-Hydroxyprogesterons um mehr als 2,5 ng/ml spricht für einen 21-Hydroxylasedefekt. Bei positivem ACTH-Test, insbesondere bei Kinderwunsch, ist eine CYP21A2-Mutation auszuschliessen. Zur Bildgebung und invasiven Diagnostik – bei Verdacht auf einen Androgen-produzierenden Tumor – gehören: ❖ Sonografie der Ovarien ❖ MRI der Nebennieren ❖ (Ggf.) Venenkatheterisierung zur seitengetrennten Bestim-
mung der erhöhten Androgene in den jeweils abfliessenden Venen der Ovarien und der Nebennieren
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Tabelle 2:
Systemische Therapie mit Endokrinologika/Antiandrogenen
I Bei Kontrazeptionswunsch ❖ Ethinylöstradiol (EE) + antiandrogenes Gestagen/
steroidale Androgenrezeptorblocker, zyklisch oder im Langzyklus (aufgelistet in zunehmender Wirkstärke): – EE + Chlormadinonazetat, 1,8 mg – EE + Drospirenon, 3 mg – EE + Cyproteronacetat, 2 mg – EE + Cyproteronacetat, 2 mg, plus Cyproteronacetat (z.B. 10–20 mg 1 × tgl.,
1.–15. Zyklustag oder durchgehend, falls Pille im Langzyklus)
❖ Ohne EE: Östradiolvalerat + Dienogest (0–3 mg)
II Ohne Kontrazeptionswunsch (kontraindiziert bei Schwangerschaften) ❖ Nichtsteroidale Androgenrezeptorblocker:
Spironolakton (z.B. 50–100 mg 1 × tgl. mittags) ❖ 5α-Reduktase-Blocker: Finasterid (z.B. 5 mg 1 × tgl.)
III Bei Kinderwunsch ❖ Glukokortikoide: z.B. 0,25 mg Dexamethason abends
(nur beim Late-onset-AGS mit Oligomenorrhö)
IV Im Klimakterium ❖ Östradiolvalerat (E2V) + antiandrogenes Gestagen:
– E2V + Cyproteronazetat, 0,9 mg – E2V + Drospirenon, 2 mg
❖ (Ggf.) Szintigrafie unter Verwendung spezifischer «Tracer» gemäss der individuellen Tumorbiologie.
Von Bedeutung ist, dass Leydig-Zell-Tumoren sehr klein sein können und somit oft schwer zu lokalisieren sind (4). Zielführend ist die Höhe des Gesamttestosterons: Liegt der Wert über 1,3 μg/l (ca. > 2-facher oberer Normwert), so ist mit einer zirka 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit von einem ovariellen Androgen-produzierenden Tumor auszugehen (5). Bei grenzwertig erhöhen Testosteronkonzentrationen kann es zur Vermeidung einer zu frühzeitigen umfangreichen Diagnostik sinnvoll sein, die Hormone nach 3 bis 6 Monaten nochmals zu kontrollieren, da ein Konzentrationsanstieg für einen Tumor spricht. Da Tumoren der Ovarien meistens nur Testosteron produzieren, Tumoren der Nebennieren jedoch ein breites Spektrum adrenaler Androgene sezernieren (6), lassen erhöhte Konzentrationen von DHEA-S (> 7 mg/l = > 2-facher oberer Normwert) sowie deutlich erhöhte Hydroxyprogesteron-, Androstendion- und Kortisolkonzentrationen eher an einen Tumor der Nebennieren denken. Eine signifikante Hemmung der Kortisolkonzentrationen im Dexamethason-Kurzzeithemmtest (orale Gabe von einmalig 2 mg Dexamethason um 23 Uhr; Bestimmung von Kortisol unter Nüchternbedingungen zwischen 8 und 9 Uhr am folgenden Morgen) schliesst einen Morbus Cushing, der auch mit den klinischen Zeichen einer Hyperandrogenämie einhergehen kann, mit grösster Wahrscheinlichkeit aus. Weitere Tests zur Differenzierung der Steroidsynthese im Ovar oder der Nebenniere haben sich als unzuverlässig erwiesen und werden daher meistens nicht mehr durchgeführt.
Therapie Systemische Therapie und Lokaltherapie bei Androgenisierungserscheinungen Eine detaillierte Darstellung findet sich in der Ausgabe GYNÄKOLOGIE 2011; 3: 10–15 (7) und kann beim Verlag Rosenfluh Publikationen angefordert oder online (www.ch-gynaekologie.ch) eingesehen werden. Grob orientierend ist die systemische Therapie in Tabelle 2 dargestellt. In den meisten Fällen sollte mit einer Monotherapie begonnen werden. Erst wenn sich nach 3 bis 6 Monaten die Androgenisierungserscheinungen nur unzureichend bessern, sollte das Präparat gewechselt werden. Ist gleichzeitig eine Kontrazeption gewünscht, so bietet sich als initiales Präparat ein kombiniertes hormonales Kontrazeptivum mit einem antiandrogenen Gestagen an. Ist keine Kontrazeption erforderlich oder gewünscht, so können auch nur Antiandrogene wie Spironolakton, Cyproteronacetat oder Finasterid verabreicht werden. Diese Präparate sind in einer Schwangerschaft kontraindiziert. Hat die Patientin Kinderwunsch, so ist die einzige Option, eine Schwangerschaft anzustreben, da sich bei dieser durch die Reduzierung des freien Testosterons die Symptome oft bessern.
Metabolische Therapie beim PCO-Syndrom Da das metabolische Syndrom mit multiplen Gesundheitsrisiken (Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen) einhergeht, sind die Behandlung der Insulinresistenz, die Gewichtsreduktion und die Ernährungsumstellung sowie eine ausreichende körperliche Aktivität von grosser Bedeutung. Medikamentös lässt sich eine Insulinresistenz mit Insulinsensitizern (z.B. Metformin) behandeln. Der Nüchterninsulinspiegel fällt durch Metformin auch ab, eine Reduktion des BMI und der «waisthip-ratio» konnte jedoch nicht nachgewiesen werden (8). Somit ist unklar, ob Metformin sinnvoll als Prophylaxe eines Diabetes und kardiovaskulärer Erkrankungen eingesetzt werden kann. Bereits eine geringe Gewichtsabnahme von 5 Prozent führt oft schon zu einer Reduktion der Insulinresistenz und somit zu einer Besserung der metabolischen Situation, insbesondere wenn sie mit einer Ernährungsumstellung («Low-carbDiät») einhergeht. Allerdings ist ein lang anhaltender Erfolg einer Diät begrenzt, da nur 20 Prozent der Übergewichtigen ihr reduziertes Gewicht halten. Reduzierte körperliche Aktivität gilt als zentrale Ursache für das Übergewicht bei einem PCO-Syndrom. Da körperliche Aktivität nicht nur das Körpergewicht reduziert, sondern auch das metabolische Syndrom gesamthaft verbessern kann, sollte bei jeder PCO-Therapie die Aufnahme von orthopädisch und kardiologisch vertretbaren Aktivitäten im Mittelpunkt stehen. So führte eine körperliche Aktivität von nur 30 Minuten täglich in Kombination mit einer Diät innerhalb von einem halben Jahr zu einer signifikanten Reduktion des Hüftumfangs und der Androgenkonzentrationen sowie zu einer Zunahme der Ovulationsrate (9). Ob der zusätzliche Einsatz medikamentöser Massnahmen wie Metformin oder im Extremfall eine bariatrische Chirurgie erwogen werden soll, muss individuell und interdisziplinär entschieden werden.
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Tabelle 3:
Eigenschaften Androgen-produzierender Tumoren (ohne Schwangerschafts-induzierte Tumoren) (11, 12)
Tumor
Sertoli-Zell-Tumore
Leydig-Zell-Tumore Thekome Granulosazelltumore Stromale Luteome Nebennierenrindentumore
Prädispositionsalter
Adoleszenz/junges Erwachsenenalter Postmenopause Peri-/Postmenopause Peri-/Postmenopause Peri-/Postmenopause Kindheit und Perimenopause
Androgenbildung
häufig
häufig selten selten (meist E2) selten (meist E2) häufig
Maligne Entartung eher selten
selten selten selten
50%
Kinderwunsch bei einem AGS Bei einem klassischen AGS ist die Fertilität oft eingeschränkt. Nur eine Minderheit der betroffenen Frauen versucht, schwanger zu werden. Ursache sind die Folgen des Effektes der Hyperandrogenämie auf die Entwicklung des weiblichen Genitales. So können sich Dyspareunien bei vaginalen Strukturen und psychosexuellen Störungen negativ auf den Kinderwunsch auswirken. Auch kann durch die Hyperandrogenämie eine hypothalamisch-hypophysäre Dysfunktion auftreten, die gegebenenfalls durch ein sekundäres, Androgen-induziertes PCO-Syndrom noch verstärkt wird. Liegt ein aktiver Kinderwunsch vor, so sind die Chancen für eine Schwangerschaft jedoch gut. Für die erforderliche Kortikosteroidsubstitution werden Hydrokortison oder Prednison empfohlen, da diese an der Plazentaschranke inaktiviert werden und somit im Gegensatz zum Dexamethason keinen Effekt auf die Embryonalentwicklung haben. Besteht bei einem klassischen oder einem Late-onset-AGS ein Kinderwunsch und sind beide künftigen Elternteile Träger einer funktionell relevanten Mutation, so muss die Notwendigkeit einer pränatalen prophylaktischen Kortikosteroidgabe (10) interdisziplinär mit Pädiatern und Humangenetikern geprüft werden. Bei einem frühzeitigen Therapiebeginn vor der 7. Schwangerschaftswoche kann eine intrauterine genitale Fehlbildung bei Mädchen effektiv verhindert werden. Allerdings kann die Relevanz der individuellen Mutationen für die Ausbildung einer ausgeprägten Hyperandrogenämie und somit die Notwendigkeit einer Kortikosteroidgabe nur bedingt abgeschätzt werden. Da eine Behandlung mit plazentagängigen Steroiden auf die Entwicklung des zerebralen Nervensystems einen negativen Einfluss haben könnte, ist es von nicht unerheblicher Relevanz, dass 7 von 8 (männliche und nicht erkrankte weibliche Feten) unnötig behandelt würden. Fällt dennoch eine Entscheidung für eine Behandlung, so wird meistens das Geschlecht mittels einer Chorionzottenbiospie so früh wie möglich bestimmt. Bei einem männlichen Feten wird die Therapie ausgeschlichen und bei einem weiblichen Feten bis zur Geburt fortgesetzt.
Androgen-produzierende Tumoren
Therapeutisch ist bei dieser Indikation eine operative Entfer-
nung erforderlich. Bei einer operativen Intervention sollten die
Eigenschaften der Tumoren mit beachtet werden (Tabelle 3).
Insgesamt ist die Inzidenz Androgen-produzierender Tumore
niedrig. Granulosazelltumore und Thekome finden sich mit
einer Häufigkeit von 1 bis 2 Prozent aller Ovarialtumoren.
Alle anderen genannten Tumoren und Tumoren der Neben-
nierenrinde sind noch seltener.
Klinisch ist auch zu beachten, dass Leydig-Zell-Tumore meis-
tens kleiner als 2 cm gross und somit schwierig zu lokalisie-
ren sind. Mit einer Häufigkeit von zirka 10 Prozent treten sie
bilateral auf. Alle anderen Tumoren haben bei der Diagnose-
stellung meist eine Grösse von 5 bis 10 cm und sind überwie-
gend unilateral.
❖
Prof. Dr. med. Michael von Wolff Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitäts-Frauenklinik Bern 3010 Bern E-Mail: Michael.vonWolff@insel.ch
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Erstpublikation in Gynäkologie 1/2012.
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