Transkript
PRAXISERFAHRUNGSBERICHT
Verschreibungsverhalten und Wirkung von Trazodon bei Patientinnen und Patienten mit depressiven Störungen
Ein Praxiserfahrungsbericht
Das Antidepressivum Trazodon (Trittico Retard®) gehört zur Gruppe der SARI (Serotonin-AntagonistReuptake-Inhibitoren) und wirkt hauptsächlich als Antagonist auf die 5-HT2A-Rezeptoren sowie etwas weniger stark als Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI). Die Resultate des vorliegenden Praxiserfahrungsberichts zeigen, dass Trazodon entweder als Monotherapie oder in Kombination mit weiteren Antidepressiva nach vier bis sechs Wochen zu einer deutlichen Verbesserung der depressiven Symptomatik bei Patienten mit einer depressiven Störung führt. Verschrieben wird Trazodon vor allem bei Vorliegen von Beeinträchtigungen bei der Arbeit und bei psychischen und somatischen Ängsten.
PROF. DR. MED. E HOLSBOER-TRACHSLER1, DR. PHIL. S. BRAND1, DR. MED. A. HORVATH2,
DR. MED. C. BRYOIS3
Einleitung Zur Pharmakotherapie der Depression steht eine Vielzahl von Antidepressiva zur Verfügung, welche eine vergleichbar gute globale depressionslösende Wirkung zeigen. Bei den differenzialtherapeutischen Überlegungen zur Auswahl eines Antidepressivums für den individuellen Patienten sind das neurochemische Wirkprofil, das Nebenwir-
kungsprofil sowie Patientenfaktoren entscheidend (1). Das Antidepressivum Trazodon, welches seit mehr als drei Jahrzehnten erfolgreich verwendet wird, wirkt einerseits als Serotoninwiederaufnahmehemmer und andererseits als Antagonist von postsynaptischen Serotonin-2A-Rezeptoren. Durch die postsynaptische Blockade der 5-HT2ARezeptoren wird die 5-HT1A-vermittelte serotonerge Neurotransmission spezifisch verstärkt. Mit diesem spezifischen Wirkmechanismus dürfte die in klinischen Studien beobachtete gute Wirkung auf Schlafstörungen und Angstsymptomatik zusammenhängen, da bei der Verwendung von SSRI die generelle Stimulierung der Serotoninrezeptoren häufig mit Auftreten von Unruhe, Angst- und Schlafstörungen verbunden ist. Trazodon hingegen verbessert nicht nur die Schlafeffizienz (Schlafverlängerung), sondern führt auch zu einer Verbesserung der Schlafstruktur (2). Neben pharmakologischen und klinischen Studien sind Befragungen zum klinischen Alltag eine wichtige Informationsquelle für das differenzialtherapeutische Vorgehen sowie die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Antidepressivaindikation im Praxisalltag. Im Rahmen eines Praxiserfahrungsberichts sind wir der Frage nachgegangen, wie Trazodon von niedergelassenen Fachkräften verschrieben wird und welche Wirkung vier bis sechs Wochen nach Behandlungsbeginn zu beobachten war.
Patienten und Methode Insgesamt sind 350 Patienten befragt worden; hiervon waren 47 Prozent Män-
1 Universitäre Psychiatrische Kliniken der Universität Basel, Zentrum für Affektive, Stress- und Schlafstörungen (ZASS), Basel, Schweiz 2 Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie, Zürich, Schweiz 3 Secteur Psychiatrique Ouest Vaudois, Département de psychiatrie CHUV, Prangins/Lausanne, Schweiz
ner und 53 Prozent Frauen. Das Durchschnittsalter betrug rund 49 Jahre (Streuung: 14,40 Jahre). 108 Patienten (31%) litten an einer ersten depressiven Episode, und 236 Patienten (67%) litten an einer rezidivierenden depressiven Episode, und von 6 Patienten lagen keine Angaben vor. 60 Patienten (17%) litten an einer mittelgradigen depressiven Störung, und 284 Patienten (81%) litten an einer schweren depressiven Episode. Bei 119 Patienten (34%) wurde keine weitere psychiatrische Störung (Komorbidität) diagnostiziert; 58 Prozent (203 Patienten) wiesen eine Komorbidität auf (z.B. somatoforme Störungen, Zwangsstörungen und Phobien). Es wurden Daten von drei Konsultationen erfasst. In der ersten Konsultation wurde die Diagnose gestellt sowie der Schweregrad der depressiven Episode erfasst. Hierbei wurde die HamiltonDepression-Rating-Skala (HDRS) (2) benutzt. Diese Fremdratingskala erfasst in 21 Items den Schweregrad und die Dimensionen einer depressiven Störung. Ebenfalls wurde die psychopharmakologische Behandlung mit Trazodon (oder aber auch mit einem anderen Antidepressivum) begonnen. In der zweiten Konsultation nach rund zwei Wochen wurde mit der GlobalClinical-Impression-(GCI-)Skala erfasst, ob und inwiefern eine klinische Veränderung zu beobachten war. Die Global Clinical Impression ist eine Einzelfrage, die ein Globalurteil über die Verbesserung des klinischen Zustands erlaubt. Die Beurteilung wird auf einer Skala von 0 (= unverändert) bis 3 (= starke Verbesserung) angegeben. Die dritte und letzte Konsultation fand zwei bis vier Wochen später statt; hierbei wurden nochmals die klinische Veränderung (CGI) und der Grad der depressiven Symptomatik (HDRS) erhoben.
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HDRS-Score HDRS-Score
25 20 ■
15
10
5
0 Beginn
■ Ende
25 20 ▲◆■ 15
10
5
0 Beginn
◆ TR ▲◆■ ■ aAD
▲ TR+aAD
Ende
Abbildungen 1a und 1b: Verringerung der depressiven Symptomatik im Lauf der Behandlung. TR = Trazodon, aAD = anderes Antidepressivum; TR + aAD = Kombinationstherapie aus Trazodon und einem anderen Antidepressivum.
Änderung nach 2 Wochen in % (Abbildung 2a)
33 25 21
48
Die mittlere tägliche Dosierung lag bei 150 mg (Streuung: 78,05 mg), mit einer Spanne zwischen 50 mg und 600 mg/Tag.
Resultate Von den 350 Patienten wurden 201 (58%) mit Trazodon als Monotherapie behandelt; 130 Patienten (37%) erhielten Trazodon in Kombination mit weiteren Antidepressiva; 19 Patienten (5,5%) wurde ausschliesslich ein anderes Antidepressivum verabreicht. Eine Mono- oder Kombinationstherapie stand in keinem statistisch bedeutsamen Zusammenhang mit der Diagnose (Komorbidität), dem Geschlecht und dem Schweregrad der depressiven Episode.
Hamilton-Depression-Rating-Werte zu Beginn und am Ende der Befragung Die depressive Symptomatik nahm von Beginn (Mittelwert = 21,40; Streuung = 6,41) bis zum Ende der Befragung (Mittelwert = 11,33; Streuung = 5,99) statistisch signifikant ab (Abbildung 1a). Die Abnahme war völlig unabhängig von der Medikation (Trazodonmonotherapie, Trazodonkombinationstherapie; anderes Antidepressivum; Abbildung 1b).
Global Clinical Impression Nach zwei Wochen konnte eine günstige Verbesserung bei rund 76 Prozent der Patienten beobachtet werden; hier stand eine leichte (48%) bis mittlere Verbesserung (25%) im Vordergrund. Die Verbesserung war von der Medikation unabhängig (Abbildung 2a). Nach vier bis sechs Wochen konnte eine günstige Verbesserung bei 86 Prozent der Patienten beobachtet werden;
hier stand eine mittlere (39%) bis starke (26%) Verbesserung im Vordergrund. Die Verbesserung war von der Medikation sowie von Geschlecht und Komorbidität unabhängig (Abbildung 2b).
Remission Ein Patient galt dann als remittiert, wenn der HDRS-Score bei ≤ 7 lag; ein Punktewert von 8 ≤ 15 galt als Teilremission, und ein HDRS-Score von 16 und höher galt als Non-Remission. Abbildung 3 zeigt die prozentuale Verteilung der Remissionsgrade. Bei 63 Prozent der Patienten konnte eine Teil- oder Vollremission beobachtet werden. Bei 17 Prozent konnte keine Remission beobachtet werden (20% fehlende Werte). Das Vorliegen einer Komorbidität sowie ein höherer Schweregrad der depressiven Störung waren mit einem geringeren Remissionsgrad verbunden. Der Remissionsgrad war nicht von der Art der Medikation, dem Geschlecht oder der Hauptdiagnose abhängig.
Bei welchen Symptomen der Depression wurde Trazodon verschrieben? Aufgrund der einzelnen Items des HDRS zeigte sich, dass eine Kombinationstherapie vor allem dann begonnen wurde, wenn sowohl eine erhöhte Beeinträchtigung im Alltag und bei der Arbeit, vermehrte Genitalsymptome wie auch die somatische und psychische Angst im Vordergrund standen. Eine Monotherapie mit Trazodon wurde bei einer geringeren Beeinträchtigung bei der Arbeit, jedoch wiederum bei erhöhten psychischen und somatischen Ängsten begonnen.
■ Unverändert ■ Leichte Verbesserung ■ Mittlere Verbesserung ■ Starke Verbesserung ■ Keine Angaben
7 7
26
21
39
Änderung nach 4–6 Wochen in % (Abbildung 2b)
Abbildungen 2a und b: Im Lauf der Behandlung nahm die Global Clinical Impression nach zwei (2a) und nach vier bis sechs Wochen signifikant zu.
Zufriedenheit mit der Wirkung und der Verträglichkeit von Trazodon 239 (92%) von 261 mit Trazodon behandelten Patienten waren mit der Wirkung zufrieden; 22 Patienten (8%) waren mit der Wirkung unzufrieden (14,3% fehlende Angaben). 284 (90%) von 316 mit Trazodon behandelten Patienten waren mit der Verträglichkeit zufrieden; 32 Patienten (10%) waren mit der Verträglichkeit unzufrieden (7% fehlende Angaben). Eine geringe Verträglichkeit war mit dem Auftreten von Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel und Verdauungsstörungen verbunden. Zufriedenheit mit der Wirkung und Verträglichkeit waren mit tieferen HDRS-Werten und mit höheren
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Merksätze
❖ Trazodon ist ein Antidepressivum der SARI-Gruppe (= Serotonin-Antagonist-ReuptakeInhibitor) und wird Frauen und Männern altersunabhängig im Erwachsenenalter verabreicht.
❖ Trazodon wird als Monotherapie oder in Kombination mit weiteren Antidepressiva und weiteren Psychopharmaka verabreicht.
❖ Eine deutliche Verbesserung der depressiven Symptomatik wird nach zwei und nach vier bis sechs Wochen beobachtet.
❖ Diese Verbesserung ist unabhängig von Geschlecht, Depressionsgrad, Komorbidität und Häufigkeit vorangegangener depressiver Episoden.
❖ Trazodon wird vor allem verabreicht, wenn innerhalb der depressiven Symptomatik der Alltag und das Arbeiten beeinträchtigt sind und wenn vermehrt psychische und somatische Ängste beobachtet werden.
❖ 92 Prozent der Patienten waren mit der Wirkung und 90 Prozent mit der Verträglichkeit von Trazodon zufrieden.
anhin wurde Trazodon vor allem im
Zusammenhang mit erhöhten Schlaf-
störungen bei depressiven Störungen
verschrieben (3). Die vorliegenden
Daten aus der klinischen Routine-
behandlung weisen darauf hin, dass
beim Entscheidungsprozess der Ver-
schreibung von Trazodon sowohl die
beeinträchtigte Funktionalität im All-
tag und bei der Arbeit sowie vor allem
die somatische und psychische Angst
im Vordergrund stehen. Die Daten
legen somit nahe, dass sich Trazodon
gut zur Behandlung dieser spezifischen
Symptome der depressiven Störung
eignet und dass das Profil der Wirkung
und Verträglichkeit in der üblichen
ärztlichen Behandlungspraxis als sehr
zufriedenstellend angesehen werden
kann.
❖
20 21
17 42
■ Vollremission ■ Teilremission ■ Keine Remission ■ Fehlende Werte
Abbildung 3: Prozentuale Verteilung der Remissionsgrade.
GCI-Werten am Ende der Studie assoziiert. Eine geringe Zufriedenheit war weder mit der Komorbidität noch mit der Hauptdiagnose assoziiert. Weiter war eine geringe Verträglichkeit mit einer erhöhten Komorbidität, nicht
aber mit der Hauptdiagnose assoziiert. Zufriedenheit mit der Wirkung und Zufriedenheit mit der Verträglichkeit waren miteinander assoziiert.
Diskussion Die vorliegenden Daten dieser Praxisbeobachtungsstudie bestätigen, dass die Gabe von Trazodon zu einer deutlichen Verbesserung der globalen depressiven Symptomatik führt, und sind damit im Einklang mit den bekannten Ergebnissen aus den kontrollierten klinischen Studien (4). Trazodon wird sowohl als Monotherapie wie auch in Kombination mit anderen Antidepressiva und weiteren Psychopharmaka verabreicht. Weiter zeigen die Daten, dass Trazodon bei Patientinnen und Patienten vom frühen bis ins hohe Erwachsenenalter und unabhängig von der Komorbidität verabreicht wird und dass eine Verbesserung der depressiven Symptomatik nach zwei beziehungsweise nach vier bis sechs Wochen beobachtet wird. Die hohen Remissionsraten unter diesen Bedingungen des Praxisalltags sprechen weiter für die günstige Wirkung von Trazodon. Bis
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Edith Holsboer-Trachsler Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel (UPK) Zentrum für Affektive, Stress- und Schlafstörungen (ZASS) Wilhelm Klein-Strasse 27 4012 Basel Tel. 061-325 50 97 Fax 061-325 55 13 E-Mail: edith.holsboer@upkbs.ch
Referenzen 1. Holsboer-Trachsler E, Vanoni Ch: Depression in der
Praxis. Sozio-medico-Verlag GmbH, D-Wessobrunn, 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, 2007 (ISBN 978-3-927290-77-8).
2. Hamilton M: A rating scale for depression. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 1960; 23: 56–62.
3. Saletu-Zyhlarz GM et al.: Insomnia in depression: differences in objective and subjective sleep and awakening quality to normal controls and acute effects of trazodone. Prog Neuropsychopharmacol Biol Psychiatry 2002; 26(2): 249–260.
4. Janicak PJ et al. (Eds.): Principles and Practice of Psychopharmacotherapy. Lippincot Williams & Wilkins, 1997.
Der Praxiserfahrungsbericht wurde von der Firma Vifor SA, Villars-sur-Glâne, Schweiz, in Auftrag gegeben und finanziell unterstützt. Vifor AG hatte keinen Einfluss auf die statistische Bearbeitung der Daten, der Interpretation der Daten sowie auf die Abfassung des Manuskripts.
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