Transkript
BERICHT
Keratoconjunctivitis sicca
Wie ein Korn im Auge
Das trockene Auge stellt für den Arzt eine besondere Herausforderung dar. Eine völlige Ausheilung ist zumeist nicht möglich. Gemeinsam mit dem Patienten muss eine Therapie festgelegt werden, die die Symptome weitgehend bessert und den Patienten möglichst wenig einschränkt.
CLAUDIA BORCHARD-TUCH
Ein Sandkorn im Auge – dieses Empfinden vermittelt das trockene Auge. Es zählt zu den häufigsten Augenproblemen. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung sind von dieser Erkrankung im Lauf ihres Lebens betroffen. Da es mit zunehmendem Alter deutlich häufiger vorkommt, wird sich das Problem «trockenes Auge» in den nächsten Jahren verschlimmern.
Wie ein trockenes Auge entsteht Ungefähr zwölfmal in einer Minute schlägt ein Mensch seine Augenlider auf und nieder. Bei jedem Schlag legt sich über das Auge ein gleichmässiger Tränenfilm. Die beiden am inneren Augenwinkel gelegenen Tränenpünktchen nehmen die Tränenflüssigkeit auf. Über die Tränenröhrchen gelangt die Trä-
Kasten:
Syndrom des trockenen Auges
Augenrötung, Fremdkörpergefühl, Kratzen, Brennen, Schleimabsonderung, müde Augen, Lichtempfindlichkeit, geschwollene Augenlider, Unverträglichkeit von Kontaktlinsen, Probleme bei der Bildschirmarbeit, Unverträglichkeit von Kosmetika, Schmerzen bei Luftzug oder in rauchiger Luft
nenflüssigkeit in den Tränensack und von hier über den Ductus nasolacrimalis in die Nase. Der Tränenfilm besteht zu grossen Anteilen aus einer wässrigen Schicht und ist von aussen mit einer hauchdünnen Fettschicht überzogen. Sie stabilisiert den Tränenfilm und bewahrt ihn vor einer schnellen Verdunstung. Mit der inneren Schleimschicht haftet der Tränenfilm auf Horn- und Bindehaut. Nach einem Lidschlag muss der Tränenfilm für mindestens zehn Sekunden bestehen bleiben. Ansonsten reisst die äussere Fettschicht auf und die Tränenflüssigkeit fliesst von der Hornhautoberfläche ab. Dies passiert beim gesunden Auge jedoch nicht, da der nächste Lidschlag bereits einen «neuen» Film aufgebaut hat. Ist die Zusammensetzung der Tränenflüssigkeit jedoch verändert, kann der Tränenfilm bereits vor dem nächsten Lidschlag aufreissen. Die Qualität des Tränenfilms verschlechtert sich bei Erkrankungen der Talgdrüsen am Lidrand (beispielsweise bei Blepharitis). Die Meibom-Drüsen produzieren die äussere Lipidphase des Tränenfilms, welche eine übermässige Tränenfilmverdunstung verhindert und den Tränenfilm stabilisiert. Ein Androgenmangel, wie er in der Menopause, unter antiandrogener Therapie und beim SjögrenSyndrom auftreten kann, stört die Funktion der Meibom-Drüsen und führt so zu einem trockenen Auge (1). Die Zusammensetzung des Tränenfilms kann sich auch infolge eines Vitamin-A-Mangels oder der Einnahme verschiedener Medikamente (u.a. Betablocker, Antihistaminika, Ovulationshemmer, Retinoide) ändern (Tabelle). Bei unvollständigem Lidschluss kommt es ebenfalls zu einem trockenen Auge. Dies ist beispielsweise bei der BasedowErkrankung der Fall.
Ein trockenes Auge kann auf einer zu geringen Tränenproduktion beruhen. Da die Tränenproduktion mit den Jahren nachlässt, geht ein höheres Lebensalter des Öfteren mit einem trockenen Auge einher. Eine verminderte Tränenproduktion kommt auch im Rahmen verschiedener Autoimmunerkrankungen wie Rheumatoide Arthritis, Lupus erythematodes oder Pemphigus vor. Ungünstige Umgebungsbedingungen können die Augen ebenfalls austrocknen lassen: In trockenen Räumen verdunstet der Tränenfilm schneller. Bei konzentrierter Bildschirmarbeit besteht die Gefahr, dass die Augen nicht ausreichend mit Feuchtigkeit benetzt werden. Dieses Phänomen wird «office eye syndrome» genannt. Auch Kontaktlinsen können zu einem trockenen Auge führen.
Keratoconjunctivitis sicca Das Krankheitsbild des trockenen Auges ist die Keratoconjunctivitis sicca (auch dry eye syndrome genannt). Nur in seltenen Fällen ist sie mit einer leichten Beeinträchtigung der Sehfähigkeit verbunden. Dennoch ist die Keratoconjunctivitis sicca eine ernst zu nehmende Erkrankung, die mit sehr unangenehmen Symptomen und einer deutlich verminderten Lebensqualität verbunden sein kann (2). Die Patienten klagen schon bei leichten äusseren Anlässen (Wind, Kälte, niedrige Luftfeuchtigkeit, längeres Lesen) über brennende, gerötete und übermässig tränende Augen (reflektorischer Tränenfluss) sowie über ein Fremdkörpergefühl (Sandkorngefühl). Hinzu können sehr starke Schmerzen kommen (Kasten).
Wichtige Untersuchungen Für die Verteilung des Tränenfilms sind die Lider von wesentlicher Bedeutung.
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Schon die Beobachtung des Patienten gibt Auskunft über die Lidschlagfrequenz – sie sollte mindestens zehn Schläge pro Minute sein. Auch Fehlstellungen der Lider oder ein gestörter Lidschluss kann der Arzt früh erkennen. Eine gründliche Untersuchung des Auges, insbesondere des vorderen Abschnittes mit der Spaltlampe und mittels verschiedener «Tränen-Tests» sichert die Diagnose. Mit Hilfe der Spaltlampe kann die Stabilität des Tränenfilms beurteilt werden und die Tränenfilmaufrisszeit gemessen werden. Hierbei wird Fluoreszeinlösung in das Auge gegeben und der Tränenfilm nach jedem Lidschlag beobachtet. Das Auftreten rasch wachsender Flecken im fluoreszierenden Tränenfilm zeigt jeweils ein Aufreissen an. Die Tränenfilmaufrisszeit kann bei einem trockenen Auge erniedrigt sein. Normal sind Werte von mindestens zehn Sekunden. Bei den Tränensekretionstests hat sich vor allem der SchirmerTest durchgesetzt. Er gibt Auskunft darüber, wie viel Tränenflüssigkeit das Auge produziert. Mit einem Filterpapierstreifen, der in den Bindehautsack gehängt wird, wird die Menge der abfliessenden Tränenflüssigkeit bestimmt. Nach fünf Minuten bei Geradeausblick wird der Test ausgewertet. Normal sind Werte von mindestens 6 mm. Im Hinblick auf eine mögliche Allgemeinerkrankung ist es wichtig, dass der Arzt die Krankengeschichte des Betroffenen kennt. Auch muss er wissen, welche Medikamente der Patient einnimmt.
Therapie: je eher, desto besser Die Behandlung des trockenen Auges sollte sich nach dem zugrunde liegenden Problem richten (Tabelle). Oft überschneiden sich jedoch die Ursachen, und manchmal kann keine gefunden werden. Daher ist es nicht immer einfach, einen Patienten mit trockenem Auge adäquat zu behandeln. Dies kann dazu führen, dass das Verhältnis zwischen Patient und Arzt schwierig wird. Es ist wichtig, dem Patienten die folgenden Punkte frühzeitig zu verdeutlichen (3): ❖ Die Erkrankung ist chronisch. ❖ Es muss in einem zuweilen langwierigen Prozess gemein-
sam die bestmögliche Therapie gefunden werden. ❖ Immer häufiger übernehmen die Krankenkassen nicht
mehr therapeutische Leistungen im Bereich des trockenen Auges.
Oft gibt es einfache Massnahmen, mit denen sich das trockene Auge vermeiden lässt. Da trockene Luft die Augen reizt, sollte regelmässig gelüftet werden. Ein Luftbefeuchter kann hilfreich sein. Zugluft sollte vermieden werden. Rauchen ist ebenfalls ungünstig. Kontaktlinsen müssen regelmässig nachbenetzt werden. Blinzeln sollte nicht vergessen werden, da nur ein regelmässiger Lidschlag den Tränenfilm verteilt und das Auge befeuchtet. Der Patient sollte Kosmetikpräparate mit reizarmen Inhaltsstoffen nehmen. Eine sorgfältige Lidreinigung ist notwendig, da Hautfett und Kosmetika den Tränenfilm irritieren können.
Tränenersatzmittel Hilfreich sind in jedem Fall Tränenersatzmittel. Tränenersatzmittel sind den natürlichen Tränen ähnlich, haben aber eine deutlich längere Verweildauer auf der Augenoberfläche.
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Tabelle:
Ursachen des trockenen Auges (nach 3)
Verminderte Tränenproduktion
Höheres Lebensalter Systemerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rheumatoide Arthritis, Lupus erythematodes,
Pemphigus Tränenausflussbehinderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Narben
Vermehrte Verdunstung des Tränenfilms
Veränderte Zusammensetzung des Tränenfilms . . . Blepharitis, Vitamin-A-Mangel, Medikamente Lidfunktionsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lidschlagstörungen (z.B. «office eye syndrome»)
Lidschlussdefizit (z.B. Morbus Basedow) Oberflächenveränderungen von Horn- und . . . . . . . Operationen, Allergie, Verbrennungen Bindehaut
Die unübersichtliche Vielzahl an Präparaten lässt sich je nach Wirkstoff grob in vier Gruppen einteilen: ❖ Synthetische Polymere ❖ Zellulosederivate ❖ Pantothensäure ❖ Hyaluronsäure
Entsprechend dem Schweregrad der Erkrankung wird ein Tränenersatzmittel in passender Viskosität verordnet. Im Allgemeinen wird die Therapie mit niedrig viskösen Tränenersatzmitteln begonnen, das heisst mit Polyvinylalkoholen, Polyvidonen und Zellulosederivaten. Sollte sich hierdurch die Symptomatik bei einer Dosierung bis zu fünfmal täglich ausreichend gebessert haben, ist damit bereits das Therapieziel erreicht. Bei schwereren Formen müssen in der Regel höher visköse Tränenersatzmittel gegeben werden. Dies sind Präparate aus den Gruppen der Carbomere, Hyaluronsäure oder Dexpanthenol. Hyaluronsäurehaltige und neuere thixotrope Präparate zeigten sich besonders wirksam. Um eine ausreichende Benetzung der Augenoberfläche während der Nacht und speziell auch bei klinisch nicht sicher auszuschliessender leichter Lidschlussinsuffizienz zu gewährleisten, sollten die Augentropfen durch eine Salbenapplikation zur Nacht ergänzt werden. Konservierungsmittel können den Tränenfilm schädigen und damit auch die Augenoberfläche. Nach Möglichkeit sollten daher unkonservierte Präparate verordnet werden.
Bei schwerem trockenem Auge mit ausgeprägten Oberflächendefekten können Eigenserumaugentropfen gegeben werden. In hartnäckigen Fällen können die Tränenpünktchen mit kleinen Silikonstöpseln (punctum plugs) passager verschlossen werden, um zumindest die wenigen Tränen, die noch produziert werden, aufzustauen. Sogar bei schweren Grunderkrankungen ist die Methode zumeist sicher und effektiv (4). Es ist auch ein permanenter chirurgischer Verschluss mittels Kauter möglich.
Immer wieder üben: richtiges Tropfen Wichtig für den Behandlungserfolg ist, dass Augentropfen richtig und regelmässig angewendet werden. Falsches Eintropfen kann dazu führen, dass zu wenige oder zu viele Tropfen in das Auge gelangen und dadurch die Wirkung des Medikaments verändert wird. Daher sollte dem Patienten das richtige Eintropfen genau gezeigt werden. Die Tropfen müssen bei leicht zurückgeneigtem Kopf in die Vertiefung des heruntergezogenen Unterlides getropft werden. Hierbei muss der Patient nach oben schauen, damit die Tropfen nicht direkt auf die empfindliche Hornhaut fallen. Anschliessend soll der Patient die Augen vorsichtig schliessen. Überflüssige Lösung wird abgetupft und die Flasche beziehungsweise Tube sofort wieder verschlossen, um Verunreinigungen des Arzneimittels mit Infektionsgefahr für den Patienten vorzubeugen. Bei der Gelapplikation ver-
fährt der Patient analog. Anstatt zu tropfen gibt er aber einen etwa 0,5 cm langen Gelstrang in den unteren Bindehautsack.
Lidkantenpflege
Besonders bei Problemen mit der Fett-
komponente des Tränenfilms ist die
Lidkantenpflege und -hygiene wichtig.
Bewährt hat sich die dreimal tägliche
Anwendung von Wärme mittels feucht-
warmer Umschläge (5 Minuten). Bei
ausgeprägter Lidrandentzündung sollte
dies mit einer sich direkt an die feucht-
warmen Umschläge anschliessenden
Lidkantenmassage kombiniert werden.
Der Arzt sollte den Patienten darauf
hinweisen, dass eine Symptomlinde-
rung erst nach Wochen einsetzt und
dass die Lidkantenpflege eine Dauer-
therapie ist. Eine Ausnahme bildet die
zeitlich begrenzte Antibiotikatherapie
bei einer infektiös bedingten Blepharitis.
Ausblick: Eine völlige Heilung des tro-
ckenen Auges ist zurzeit nicht immer
möglich. Neben den klassischen, sym-
ptomatischen Therapieansätzen wie
Ersatz von Tränenflüssigkeit (z.B. durch
Tränenersatzmittel) oder einem länge-
ren Verweilen der Tränenflüssigkeit am
Auge (z.B. punctum plugs) werden in
letzter Zeit auch neue kausale Verfah-
ren wie die antientzündliche Therapie
(z.B. Ciclosporin-A-Augentropfen) oder
eine lokale Androgentherapie ange-
wandt (4).
Wichtig sind in jedem Falle eine konse-
quente Therapie und eine regelmässige
ärztliche Kontrolle.
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Claudia Borchard-Tuch
Literatur 1. Schirra F, et al.: Sexualhormone und trockenes Auge.
Ophthalmologe 2009; 106: 988–994. 2. Abetz L, et al.: Development and validation of the im-
pact of dry eye on everyday life (IDEEL) questionnaire, a patient-reported outcomes (PRO) measure for the assessment of the burden of dry eye on patients. Health Qual Life Outcomes. 2011; 9(1): 111. 3. Cursiefen C, et al.: Aktuelle Therapie des trockenen Auges. Ophthalmologe 2006; 103: 18–24. 4. Schrell C, et al.: Topical cyclosporine A 0.05% in the treatment of keratoconjunctivitis sicca. Klin Monbl Augenheilkd 2011 Dec 21.
Quelle: Symposium «Glaukom & Retina Update 2011», Kongress der Augenärztlichen Akademie Deutschland (AAD) in Düsseldorf, 26.3.2011
Interessenlage: Es besteht kein Interessenskonflikt.
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