Transkript
POLITFORUM
Absurde Antwort auf eine absurde Motion
Weil diese Motion und die Antwort darauf – beides von Romands, die keine Erfahrung haben mit der direkten Medikamentenabgabe – exemplarisch sind für die unausrottbaren Vorurteile den Ärztinnen und Ärzten gegenüber, sei die Motion nochmals in voller Länge vorgestellt.
Kommentar
Man beachte folgenden Passus in der Begründung: Diese Situation ist problematisch, und es besteht dringender Handlungsbedarf, da diese Praxis bereits ab dem 1. Januar 2012 eingeführt werden kann und weil sie Anreize schafft, die namentlich aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten und wegen der Kosten, die dabei für sämtliche Versicherten entstehen, absurd sind.
Und man beachte speziell folgenden Passus in der Antwort des Bundesrats: Die Gesamtkosten pro versicherte Person zulasten der Krankenversicherung, darunter insbesondere die Kosten der gegen Rezept verkauften Medikamente, sind in den Kantonen, die keine Selbstdispensation zulassen, generell höher als in den Kantonen, in denen sie zulässig ist. (sic!) (…) Der Bundesrat ist sich jedoch bewusst, dass die Medikamentenabgabe durch die Ärztinnen und Ärzte sowohl unter dem Gesichtspunkt der Versorgung als auch der Kosten zu unerwünschten ökonomischen Anreizen führen kann.
Niemand hat etwas dagegen, wenn die Romands bei ihrer Ablehnung der direkten Medikamentenabgabe bleiben, höhere Kosten für die ärztliche Behandlung und vor allem für die Medikamente in Kauf nehmen und ihre alten und behinderten Patienten vom Arzt unnötigerweise noch per Taxi oder ÖV oder zu Fuss in die nicht immer nahe gelegene nächste Apotheke schicken wollen. Die höheren medizinischen Kosten werden wir Deutschschweizer schon irgendwie auffangen, zum Beispiel über den NFA, und speziell die Deutschschweizer Hausärzte einfach dadurch, dass sie (ohne Selbstdispensation) 10 bis 20 Prozent weniger verdienen bei gleicher Arbeit. Schön wär einfach, wenn Politiker aus der Welschschweiz, die keine Ahnung haben, wovon sie sprechen, wenn sie von Selbstdispensation quasseln, die Deutschschweizer Ärztinnen und Ärzte und Patientinnen und Patienten ihr bewährtes, sicheres und kostengünstiges System beibehalten liessen.
Richard Altorfer
MOTION
eingereicht am 23.12.2011
Stéphane Rossini Nationalrat SP, Kanton Wallis
Der Bundesrat wird beauftragt, dafür zu sorgen, dass Medikamente, die von Ärztinnen und Ärzten selbst verschrieben werden (ausser in Notfällen oder bei der direkten Anwendung in der Arztpraxis) nicht mehr von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) übernommen werden, sofern die Versorgung mit Medikamenten und die Beratung durch eine ausreichende Anzahl öffentlicher Apotheken sichergestellt ist. Er wird zudem beauftragt, eine Änderung des KVG vorzulegen, die sicherstellt, dass Artikel 37 Absatz 3 angemessen umgesetzt wird – dies nachdem das Bundesgericht in seinem Urteil vom 23. September 2011 zum Schluss gekommen ist, dass die heutige Bestimmung im oben erwähnten Zusammenhang nicht herangezogen werden kann.
Nach Artikel 37 Absatz 3 des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10) bestimmen die Kantone, unter welchen Voraussetzungen Ärztinnen und Ärzte mit einer kantonalen Bewilligung zur Führung einer Apotheke den zugelassenen Apothekerinnen und Apothekern gleichgestellt sind, indem sie insbesondere die Zugangsmöglichkeiten der Patientinnen und Patienten zu einer Apotheke berücksichtigen. Die Kantone üben diese Kompetenz wie folgt aus: a) 13 Deutschschweizer Kantone (AI, AR, BL, GL, LU, NW, OW, SG, SO, SZ,
TG, UR, ZG) erlauben den Ärztinnen und Ärzten, die Medikamente selbst abzugeben (Selbstdispensation). b) 9 Kantone, darunter die gesamte Westschweiz und das Tessin, untersagen dies strikt (AG, BS, FR, GE, JU, NE, TI, VD, VS). c) 4 Kantone wenden ein gemischtes System an (BE, GR, SH, ZH). Die Gesamtkosten pro versicherte Person zulasten der Krankenversicherung, darunter insbesondere die Kosten der gegen Rezept verkauften Medikamente, sind in den Kantonen, die keine Selbstdispensation zulassen, generell höher als in den Kantonen, in denen sie zulässig ist. Allerdings wird die isolierte Wirkung der Selbstdispensation in verschiedenen Studien unterschiedlich beurteilt. Der Bundesrat ist sich jedoch bewusst, dass die Medikamentenabgabe durch die Ärztinnen und Ärzte sowohl unter dem Gesichtspunkt der Versorgung als auch der Kosten zu unerwünschten ökonomischen Anreizen führen kann.
XUNDHEIT IN BÄRN
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XUNDHEIT IN BÄRN
POLITFORUM
KVG: Absurde Anreize bei der Medikamentenabgabe
Begründung
Artikel 37 Absatz 3 KVG legt fest, dass «die Kantone bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Ärzte und Ärztinnen mit einer kantonalen Bewilligung zur Führung einer Apotheke den zugelassenen Apothekern und Apothekerinnen gleichgestellt sind. Sie berücksichtigen dabei insbesondere die Zugangsmöglichkeiten der Patienten und Patientinnen zu einer Apotheke.» Mit dieser Bestimmung bekräftigte der Gesetzgeber, dass die Kantone dafür zuständig sein sollen, auf ihrem Gebiet die Versorgung mit Medikamenten und den Zugang dazu sicherzustellen. Er akzeptierte, dass auch von Ärztinnen und Ärzten abgegebene Medikamente von der OKP übernommen werden, dies aber nur unter bestimmten Voraussetzungen, darunter der Zugang zu einer öffentlichen Apotheke.
Das Bundesgericht kommt in einem Urteil vom 23. September 2011 allerdings zum Schluss, dass Artikel 37 Absatz 3 zweiter Satz KVG aufgrund seines Wortlauts den Kantonen keine verbindlichen Schranken setzt und dass also die Beurteilung der Frage, ob die Patientinnen und Patienten Zugang zu einer öffentlichen Apotheke haben oder nicht, für die Zulassung der Selbstdispensation keinen zwingenden Charakter hat. Unter diesen Umständen erweist sich eine Revision des KVG oder des Heilmittelgesetzes, allenfalls auch des Medizinalberufegesetzes, als unumgänglich und dringend nötig. In den Städten Zürich und Winterthur ist die Versorgung mit öffentlichen Apotheken ausreichend, mehrere davon sind rund um die Uhr geöffnet. Dennoch haben nach dem Urteil des Bundesgerichts 500 Ärztinnen und Ärzte bei der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich ein Gesuch um Selbstdispensation
eingereicht. Sie werden die Zulassung erhalten, ohne irgendwelche Voraussetzungen erfüllen zu müssen. Diese Situation ist problematisch, und es besteht dringender Handlungsbedarf, da diese Praxis bereits ab dem 1. Januar 2012 eingeführt werden kann und weil sie Anreize schafft, die namentlich aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten und wegen der Kosten, die dabei für sämtliche Versicherten entstehen, absurd sind.
Stand der Beratung: Im Plenum noch nicht behandelt
Und dies die Stellungnahme des Bundesrates vom 2. März 2012
Abgesehen von den Kosten kann die Selbstdispensation auch Fragen bezüglich der Medikamentensicherheit aufwerfen. Im Rahmen der ordentlichen Revision des Bundesgesetzes über Arzneimittel und Medizinprodukte (HMG; SR 812.21) hat der Bundesrat deshalb 2009 vorgeschlagen, die Medikamentenabgabe durch die Ärztinnen und Ärzte stark einzuschränken. Die Kantone sollten jedoch die Möglichkeit haben, sie in jenen Fällen zuzulassen, in denen kein Zugang zu einer Apotheke besteht. Im Vernehmlassungsverfahren manifestierte sich jedoch massiver Widerstand, vor allem seitens der Kantone, die die Selbstdispensation zulassen. Daher beauftragte der Bundesrat das Eidgenössische Departement des Innern, ihm parallel zur Erarbeitung der Botschaft zur Revision des HMG einen neuen Vorschlag für dieses Problem zu unterbreiten. Dieser Vorschlag soll verhindern, dass Anreize geschaffen werden, die zu einer unangemessenen Verschreibung oder Abgabe von Medikamenten führen können. Zudem soll er die Entwicklungen im Bereich Managed Care, im Rahmen der Revision des Bundesgesetzes über die universitären Medizinalberufe (MedBG; SR 811.11) sowie allfällige Ergebnisse von Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern über eine margenunabhängige Abgeltung der Medikamentenabgabe berücksichtigen. Im Rahmen dieser Arbeiten wird das Departement auch den Empfehlungen der Preisüberwachung Rechnung tragen, die sich auf den Vertriebsanteil am Preis der von den Ärztinnen und Ärzten abgegebenen Medikamente beziehen. Die Arbeiten erfolgen im laufenden Jahr.
In seinem Urteil (2C_53/2009) vom 23. September 2011 hebelt das Bundesgericht die geltende Gesetzgebung nicht aus, sondern klärt die Zuständigkeit der Kantone in diesem Bereich. Es bestätigt eine kantonale Volksabstimmung, indem es insbesondere festhält, es sei nicht angebracht, den Apothekerinnen und Apothekern Konkurrenzschutz zu gewähren. Aus diesem Urteil geht hervor, dass auf Bundesebene keine gesetzliche Grundlage besteht (KVG, HMG, MedBG), die die Medikamentenabgabe durch die Ärztinnen und Ärzte untersagt, und dass Artikel 37 Absatz 3 KVG den Kantonen die Zuständigkeit belässt, das Bewilligungssystem zu regeln. Solange den Ärztinnen und Ärzten nicht die Möglichkeit eingeräumt wird, an jedermann Medikamente zu verkaufen (Handverkauf), besteht auch kein Problem bezüglich der Konkurrenz. Bis die Ergebnisse der derzeit laufenden Arbeiten vorliegen, möchte der Bundesrat die geltende Gesetzgebung, die den Kantonen im jetzigen Stand die Kompetenz einräumt, die Medikamentenabgabe durch die Ärztinnen und Ärzte einzuschränken, nicht ändern.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
Stand der Beratung: Im Plenum noch nicht behandelt
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POLITFORUM
Es ist noch lange nicht ausgestanden!
Kommentar
Ein Satz wie «Im Lichte des Medizinalberufegesetzes
stellt sich die Frage, wie weit dieser Entscheid
(des Bundesgerichts) mit den Zielen des Gesetzes
(gemeint vermutlich: des KVG) vereinbar ist» sagt
alles aus über die Intentionen des Bundesrats.
Man sucht weiterhin nach Wegen, der direkten
Medikamentenabgabe den Garaus zu machen. Dass
die DMA in der Deutschschweiz so beliebt und erst
noch kostengünstiger ist als die Rezeptur, ist ganz
einfach nur lästig. Ebenso wie der Entscheid des
Bundesgerichts, dem man nun halt veränderte
Gesetze vorlegen muss.
RA
«Qualität und Zusammenarbeit unter den Medizinalberufen gefährdet»
MOTION
eingereicht am 21.12.2011
Barbara Schmid-Federer Nationalrätin CVP, Kanton Zürich
Der Bundesrat wird beauftragt, abzuklären und die Frage zu beantworten, ob die vollständige Freigabe der ärztlichen Selbstdispensation in den Städten Zürich und Winterthur mit den Zielen des MedB vereinbar sind. Bekanntlich wurde Artikel 37 Absatz 3 KVG vom Bundesgericht im September 2011 mit 3 Stimmen gegen 2 ausser Kraft gesetzt. Den niedergelassenen Ärzten werden somit ohne spezifische Auflage Bewilligungen zur Selbstdispensation ab dem 1. Januar 2012 erteilt. Einerseits scheint die Gleichstellung der Ärzte mit Apothekern ohne Aus-, Weiterund Fortbildungsauflagen den Qualitätszielen des Gesetzes zu widersprechen, andererseits widerspricht dies auch dem Ziel der respektvollen Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsberufen, die im vor Kurzem revidierten KVG zur Förderung der interdisziplinären Vernetzung (Managed Care) angestrebt wird.
Stand der Beratung: Im Plenum noch nicht behandelt
Und dies die Stellungnahme des Bundesrates vom 2. März 2012
Wie der Bundesrat in seiner Antwort auf die Frage Cassis 11.5545 ausgeführt hatte, sieht er grundsätzlich in der interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedener Gesundheitsfachleute eine der Grundvoraussetzungen für eine patientengerechte, integrierte Versorgung, welche gerade in Zukunft angesichts der demografischen Herausforderungen immer wichtiger wird. Eingangs ist festzuhalten, dass das erwähnte Bundesgerichtsurteil Art. 37 Abs. 3 KVG nicht ausser Kraft setzt. In der Antwort auf die Motion Rossini 11.4184 (KVG. Absurde Anreize bei der Medikamentenabgabe) äussert sich der Bundesrat ausführlich zur rechtlichen Tragweite des Urteils 2C_53/2009 vom 23. September 2011 des Bundesgerichts. Gemäss Art. 37 Abs. 3 KVG liegt es allein in der Kompetenz der kantonalen Behörden zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Ärztinnen und Ärzte zur Führung einer Apotheke den zugelassenen Apothekerinnen und Apothekern gleichgestellt sind. Ebenso klar wird festgestellt, dass es keine bundesrechtliche Grundlage (KVG, HMG, MedBG) gibt, die den Ärztinnen und Ärzten untersagt, Medikamente abzugeben. Die vollständige Freigabe der ärztlichen Selbstdispensation in den Städten Zürich und Winterthur ist somit angesichts der aktuell geltenden rechtlichen Grundlagen rechtens. Im Lichte des Medizinalberufegesetzes (MedBG; SR 811.11) stellt sich die Frage, wie weit dieser Entscheid mit den Zielen des Gesetzes vereinbar ist. In Art. 1 werden als Zweck des Gesetzes – im Interesse der öffentlichen Gesundheit – die Förderung der Qualität der Aus- und Weiterbildung sowie der Berufsausübung der universitären Medizinalberufe als auch die Gewährleistung der Freizügigkeit auf dem ganzen Gebiet der Eidgenossenschaft statuiert. Entsprechend werden die Anforderungen an die universitäre Ausbildung und die berufliche Weiterbildung und die Regeln zur selbstständigen Berufsausübung vorgegeben.
Neu werden seit der Revision der Verordnung über Diplome, Ausbildung, Weiterbildung und Berufsausübung in den universitären Medizinalberufen (MedBV; SR 811.112.0) ab 1. Januar 2011 auch eidgenössische Weiterbildungstitel für die Offizinpharmazie (2 Jahre Weiterbildungsdauer) und Spitalpharmazie (3 Jahre Weiterbildungsdauer) vorgesehen. Apothekerinnen und Apotheker sind daher die Fachpersonen für die Herstellung, die Abgabe, den Vertrieb, die Dokumentation und die Entsorgung von Arzneimitteln und pharmazeutischen Hilfsstoffen. Im Interesse des Gesundheitsschutzes und somit zum Schutze der Patientinnen und Patienten sollte zur Sicherung der Qualität der Behandlung gemäss dem Medizinalberufegesetz die Zusammenarbeit von Ärztinnen und Ärzten mit Apothekerinnen und Apothekern gestärkt werden. Ziel wäre es, die ärztlichen und pharmakologischen Kompetenzen betreffend die Abgabe von Arzneimitteln inkl. Beratung synergetisch zu nutzen; aus Sicht des Bundesrates kann keiner der beiden Berufe die Aufgaben des anderen Berufes vollständig übernehmen. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat das Eidgenössische Departement des Innern beauftragt, zeitgleich mit der Überweisung der Botschaft zur ordentlichen Revision des Heilmittelgesetzes (2. Etappe) Mitte 2012 Vorschläge für das weitere Vorgehen im Bereich der ärztlichen Medikamentenabgabe zu unterbreiten. Darin sollen Regulierungsmöglichkeiten aufgezeigt werden, um falschen Anreizen bei der Arzneimittelabgabe zu begegnen. Dabei sollen die Entwicklung der ManagedCare-Vorlage, die Revision des Medizinalberufegesetzes und mögliche Resultate der Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern zu einer margenunabhängigen Vergütung der Arzneimittelabgabe berücksichtigt werden. Basierend auf diesen Abklärungen wird der Bundesrat über das weitere Vorgehen entscheiden.
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