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Schilddrüsenerkrankungen
Optimale Therapie bringt Stoffwechsel ins Lot
FORTBILDUNG
Jeder dritte Erwachsene hat eine Schilddrüsenerkrankung, ohne dies zu wissen. Dabei sind Schilddrüsenerkrankungen fast immer sicher zu diagnostizieren und in der Regel gut zu therapieren.
CLAUDIA BORCHARD-TUCH
Schilddrüsenerkrankungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen des endokrinen Systems. Da Schilddrüsenhormone eine Vielzahl von Organfunktionen beeinflussen, können Schilddrüsenerkrankungen ein äusserst vielgestaltiges klinisches Bild hervorrufen. Die Diagnostik beruht auf einer Kombination von anamnestischen und klinischen Befunden sowie darauf aufbauenden Laboruntersuchungen (Tabelle) und in-vivo-diagnostischen Verfahren wie Sonografie, Szintigrafie und Feinnadelpunktion. Schilddrüsenerkrankungen sind durch Veränderungen der normalen Schilddrüse und/oder der Schilddrüsenfunktion charakterisiert. Sie können unterteilt werden in: ❖ Struma ❖ Hyperthyreose ❖ Hypothyreose
Struma – zumeist gutartig und euthyreot Normalerweise darf die Schilddrüse bei einer Frau nicht grösser als 18 ml sein; beim Mann sollte das Volumen 25 ml nicht überschreiten. Die weltweit häufigste Ursache der Struma ist
Merksätze
❖ Bei einer Hyperthyreose stehen Thyreostatika am Beginn der Behandlung.
❖ Bei einer autonomen Störung wird zunächst für einige Wochen ein Mercaptoimidazol-Derivat gegeben. Gelangt der Patient hierdurch in eine Euthyreose, erfolgt anschliessend eine Radioiodtherapie oder eine Operation.
❖ Vorteile der Radioiodtherapie sind die relativ hohe Wirksamkeit sowie die geringe Rezidivrate, von Nachteil die relativ lange Latenz bis zum Eintreten der Wirkung.
❖ Bei der Hypothyreose ist generell Levothyroxin das Mittel der Wahl, da T4 peripher zu T3 deiodiert wird.
mit etwa 90 Prozent ein ernährungsbedingter Iodmangel. Seit Beginn der Salzjodierung in den 1920er-Jahren besteht in der Schweiz eine ausreichende Jodversorgung. Die medikamentöse Therapie der Struma wird in der Schweiz nicht empfohlen, das heisst, dass weder Schilddrüsenhormone noch Jod gegeben werden sollen.
Leitsymptom Hyperthyreose Bei einer Hyperthyreose sind die Konzentrationen freier Schilddrüsenhormone im Serum (fT3 und fT4) erhöht. Die häufigsten Ursachen einer Hyperthyreose sind die immunogene Hyperthyreose (in 60% der Fälle ein Morbus Basedow mit endokriner Orbitopathie) und die uni- oder multifokale Autonomie (autonomes Adenom bzw. multiple «heisse» Knoten) (4). Der Morbus Basedow betrifft überwiegend Frauen zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr. Von B-Lymphozyten gebildete Autoantikörper (TSH-Rezeptor-Antikörper, TRAK) verdrängen TSH von dessen Bindungsstellen in den Membranen der Thyreozyten und rufen eine lang anhaltende Schilddrüsenstimulation hervor. Mit Hilfe moderner Testverfahren gelingt es, TRAK im floriden Krankheitsstadium zu über 95 Prozent nachzuweisen. Bei der Autonomie handelt es sich um ein lokalisiertes, tumorartiges Wachstum, das nicht mehr der hypothalamisch-hypophysären Regelung unterliegt.
Therapeutisches Vorgehen Thyreostatika stehen am Beginn der Behandlung. Nachdem so normale fT4-Spiegel erreicht wurden, ist die Radioiodtherapie bei einer Autonomie Methode der Wahl. Zumeist kann bei immunogener Hyperthyreose der Stoffwechsel allein durch Thyreostatika normalisiert werden. Gelingt dies nicht, muss eine Radioiodtherapie oder eine Thyreoidektomie erfolgen. Ein TRAK-Spiegel von über 10 IU/l nach sechsmonatiger medikamentöser Therapie macht eine dauerhafte Remission äusserst unwahrscheinlich (5). Eine Thyreoidektomie kommt bei grossen Strumen, malignomverdächtigen Knoten, einer Schwangerschaft, einem schnell erwünschten Therapieerfolg, einer schweren endokrinen Orbitopathie und einer thyreotoxische, Krise infrage. Die Radioiodtherapie wird bei Kontraindikationen gegen eine Operation, kleinen Strumen und geringen lokalen Beschwerden (beispielsweise Globusgefühl) durchgeführt (4).
Medikamentöse Therapie Thyreostatisch wirksame Medikamente wie die Thioamide hemmen die thyreoidale Peroxidase. Dadurch wird die
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Kommt es bei der Therapie dennoch zu
Tabelle 1:
schwerwiegenden Nebenwirkungen, kann
Laboruntersuchungen
die thyreostatische Therapie auf Propylthio-
uracil umgestellt werden. Wie die amerika-
Parameter Normalbereich
erniedrigt
erhöht
nische Food and Drug Administration im
TSH fT3 fT4 TRAK Calcitonin
0,3-4,0 µU/ml 2,0-4,4 pg/ml 0,9-2,0 ng/dl
< 1 IU/l < 10 pg/ml
Hyperthyreose
Hypothyreose
Hypothyreose
Hyperthyreose
Hypothyreose
Hyperthyreose
Morbus Basedow
Schilddrüsenkarzinom
April 2009 bekannt gab, kann es unter der Behandlung mit Propylthiouracil zu einem Leberversagen kommen (6, 7). Leichte Funktionsstörungen sind eine bekannte Komplikation, und die Kontrolle der Transaminasen und cholestaseanzeigenden Enzyme gehört
TSH: Thyreoidea-stimulierendes Hormon, fT3: freies Triiodthyronin, fT4: freies Thyroxin, TRAK: TSH-Rezeptor-Antikörper
zum Monitoring. Die Patienten sollten zudem auf Symptome einer Leberschädigung wie Müdigkeit, Bauchschmerzen, Übelkeit,
Pruritus und (Skleren-)Ikterus hingewiesen
werden. Bei diesen Symptomen muss die
Umwandlung von Iodid in Iod und damit der Einbau von Iod Medikation abgesetzt und eine definitive Therapie geplant
in die Vorstufen der Schilddrüsenhormone verhindert. Zu werden (7, 8).
den Thioamiden gehören das Propylthiouracil (Propycil® 50)
und Mercaptoimidazol-Derivate wie das Prodrug Carbimazol Radioiodtherapie
(Néo-Mercazole®), das zu Methimazol verstoffwechselt wird. Vorteile der Radioiodtherapie sind die relativ hohe Wirk-
Leidet der Patient unter einer autonomen Störung, wird samkeit (ca. 90%) sowie die geringe Rezidivrate, von
zunächst für einige Wochen ein Mercaptoimidazol-Derivat Nachteil ist die relativ lange Latenz bis zum Eintreten der
gegeben. Gelangt der Patient hierdurch in eine Euthyreose, Wirkung.
erfolgt anschliessend eine Radioiodtherapie oder Operation. Zumeist geht der Radioiodtherapie eine medikamentöse
Bei der immunogenen Hyperthyreose wird die Behandlung Behandlung mit thyreostatisch wirksamen Medikamenten
mit 15 bis 20 mg/Tag Methimazol für 12 bis 18 Monate be- voraus. Viel diskutiert wurde der Einfluss dieser Vorbehand-
gonnen. Erreicht der Patient eine Euthyreose, wird die Dosis lung auf den Erfolg der Radioiodtherapie. Eine Metaanalyse
auf 2,5 bis 5 mg/Tag reduziert (4).
von 14 randomisierten, kontrollierten Studien ergab, dass
Dosisabhängige Nebenwirkungen von Methimazol und eine kontinuierliche antithyreoidale Medikation das Risiko
Carbimazol können Übelkeit oder Geruchsstörungen sein. für ein Versagen der Radioiodtherapie erhöht. Es wird daher
Neben diesen relativ harmlosen Nebenwirkungen kann es zu empfohlen, eine Woche vor einer Radioiodtherapie eine anti-
gefährlichen Knochenmarkschäden kommen mit Neutro- thyreoidale Medikation abzusetzen (9).
penie (Neutrophile < 1000/μl) bis hin zur Agranulozytose
(Neutrophile < 500/μl). Da eine Agranulozytose sich sehr Operative Therapie
rasch entwickelt, sind die Patienten auf die entsprechenden Bei der operativen Therapie einer immunogenen Hyper-
Anzeichen (Fieber, Stomatitis, Tonsillitis) und die Notwen- thyreose ist eine subtotale Thyreoidektomie im Vergleich zur
digkeit eines sofortigen Therapieabbruchs hinzuweisen. Um totalen Thyreoidektomie offensichtlich nicht von Vorteil:
dem Auftreten von Nebenwirkungen entgegenzuwirken, Zum einen unterscheiden sich die Komplikationsraten von
sollten sowohl die Anfangs- als auch die Erhaltungsdosis so dauerhafter N.-laryngeus-recurrens-Parese und Hypopara-
gering wie möglich gewählt werden (4).
thyreoidismus nicht wesentlich. Zum anderen kommt es bei
subtotaler Thyreoidektomie häufiger zu Rezidiven (10, 11).
Eine «Near total-Thyreoidektomie» (NTT) zeigte in mehre-
ren Studien eine ähnlich geringe Rezidivrate wie eine totale
Thyreoidektomie (12, 13).
Abbildung: Adenomatöse Hyperplasie als Ursache einer diffusen Schilddrüsenvergrösserung
Hypothyreose: alles verlangsamt Bei einer Hypothyreose ist die Bildung beziehungsweise Freisetzung von Schilddrüsenhormonen unzureichend. Unbehandelt führt die angeborene Hypothyreose als häufigste endokrine Störung zu schwerer körperlicher Beeinträchtigung. Die erworbene Hypothyreose des Erwachsenenalters wird aufgrund des schleichenden Verlaufs und der zunächst nur gering ausgeprägten Symptomatik oft erst spät erkannt. So besteht bei latenter Hypothyreose ein erhöhter TSH-Wert bei normalen Schilddrüsenhormonen, häufig ohne klinische Symptomatik. Die manifeste Hypothyreose zeichnet sich unter anderem durch Schwäche, Kälteintoleranz, Heiserkeit und Gewichtszunahme aus. Aufgrund des langsamen Verlaufs besteht die Gefahr, dass die Symptome übersehen werden.
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Während die primäre Hypothyreose auf einer Störung in der Schilddrüse selbst beruht, basiert die sekundäre Hypothyreose auf einer hypophysären oder hypothalamischen Störung. Als Folge ist die Sekretion von TSH oder TSHReleasing-Hormon (TRH) erniedrigt. Häufigste Ursache der erworbenen Schilddrüsenunterfunktion ist die HashimotoThyreoiditis, eine Autoimmunerkrankung, bei der es zu einer Zerstörung der Schilddrüsenfollikelzellen kommt (14).
Therapie: von der latenten Hypothyreose bis zum Koma Generell ist Levothyroxin (Eltroxin®-LF), Euthyrox®, Tirosint®) das Mittel der Wahl, da T4 peripher zu T3 deiodiert wird. Um ähnlich ausgeglichene Hormonspiegel wie nach T4-Behandlung zu erhalten, wären von T3 aufgrund der kürzeren Halbwertszeit 5 bis 6 Dosen pro Tag erforderlich. Bei latenter Hypothyreose ist die Indikation zur Substitution eine individuelle. T4 sollte bei Schwangerschaft, hohen TSHWerten, sonografischer Echoarmut der Schilddrüse sowie jüngeren Patienten gegeben werden (15). Bei manifester Hypothyreose muss substituiert werden. Die orale Einnahme von Levothyroxin am Abend führt im Vergleich zur morgendlichen Einnahme zu signifikant höheren Serumspiegeln der Schilddrüsenhormone Thyroxin und Triiodthyronin und zu signifikant niedrigeren TSH-Spiegeln (16). Es hat sich bewährt, Levothyroxin bei jüngeren Patienten anfänglich in einer Dosis von 50 bis 75 μg/Tag zu verabreichen. Diese Dosis wird in Abständen von 10 bis 14 Tagen gesteigert, bis eine individuelle Vollsubstitution erreicht ist. Bei koronarer Herzkrankheit wird die Substitution mit 12,5 oder 25 μg/Tag begonnen und nach 2 bis 3 Wochen langsam gesteigert. Ziel ist ein TSH-Wert im unteren Normbereich. Bei älteren Patienten sollte eine manifeste Hypothyreose erst ab einem TSH-Spiegel über 10 mU/l behandelt werden (15). Beim hypothyreoten Koma muss eine sofortige hoch dosierte Substitution (z.B. 500 µg Levothyroxin i.v.) erfolgen. Eine intensivmedizinische Therapie ist erforderlich (15).
Da die primäre Hypothyreose den Endzustand eines die
Schilddrüse zerstörenden Prozesses bedeutet, ist davon aus-
zugehen, dass der Patient eine dauerhafte und lebenslange
Substitution benötigt.
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Claudia Borchard-Tuch
Interessenlage: Es besteht kein Interessenskonflikt.
Literatur 1. P.-M. Schumm-Draeger. Kleines Organ – große Wirkung: Jeder Dritte hat eine kranke
Schilddrüse. 78. Grünwalder Gespräch, Grünwald, 15.11.2011. 2. M. Grussendorf, C. Reiners, R. Paschke, et al. Reduction of thyroid nodule volume by
levothyroxine and iodine alone and in combination: a randomized, placebo-controlled trial. JCEM 2011 96 (09): 2786–2795. 3. Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie, http://www.endokrinologie.net/, 2011. 4. L. Möller, K. Mann. Update Hyperthyreose. Internist 2010 51: 574–583. 5. A. Eckstein, K. Mann, G. J. Kahaly, et al. Role of TSH receptor autoantibodies for the diagnosis of Graves’ disease and for the prediction of the course of hyperthyroidism and ophthalmopathy. Recommendations of the thyroid section of the German society of endocrinology. Med Klin (Munich) 2009 104: 343–348. 6. D. S. Cooper, S. A. Rivkees. Putting propylthiouracil in perspective. J Clin Endocrinol Metab 2009 94: 1881–1882. 7. U.S. Food and Drug Administration 2009. Information for healthcare professionals – propylthiouracil-induced liver failure. 8. R. S. Bahn, H. S. Burch, D. S. Cooper, et al. The role of propylthiouracil in the management of Graves’ disease in adults: report of a meeting jointly sponsored by the American thyroid association and the food and drug administration. Thyroid 2009 19: 673–674. 9. M. A. Walter, M. Briel, M. Christ-Crain, et al. Effects of antithyroid drugs on radioiodine treatment: systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. BMJ 2007 334: 514. 10. P. Stalberg, A. Svensson, O. Hessman, et al. Surgical treatment of Graves’ disease: evidence-based approach. World J Surg 2008 32: 1269–1277. 11. T. K. Palit, C. C. Miller, D. M. Miltenburg. The efficacy of thyroidectomy for Graves’ disease: A meta-analysis. J Surg Res 2000 90: 161–165. 12. A. Digonnet, E. Willemse, C. Dekeyser, et al. Near total thyroidectomy is an optimal treatment for Graves’ disease. Eur Arch Otorhinolaryngol 2009. 13. S. M. Wilhelm, C. R. McHenry. Total thyroidectomy is superior to subtotal thyroidectomy for management of Graves’ disease in the United States. World J Surg 2009. 14. M. Derwahl. Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse. Uni-Med 2006, Bremen. 15. G. Hintze, M. Derwahl. Hypothyreose. Von der latenten Funktionsstörung zum Koma. Internist 2010 51: 568–573. 16. N. Bolk, et al. Effects of evening vs morning levothyroxine intake. A randomized double-blind crossover intake. Arch Intern Med 2010 170: 1996–2003.
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